Problem von Anonym - 27 Jahre

Warum fühle ich mich schuldig, wenn ich anderen Grenzen setze?

Ich fühle mich schon seit sehr langer Zeit innerlich zerrissen. Wenn ich anderen Menschen Grenzen setze, fühle ich mich später häufig dafür schuldig, obwohl ich weiß dass jeder ein Recht darauf hat, anderen Grenzen zu setzen und diese zu pflegen. Ich selbst komme aus einem Elternhaus, wo mich meine Mutter tagtäglich psychisch missbraucht hat und ich keine eigenen Rechte hatte. Selbst jetzt, 7 Jahre nachdem ich bei ihr ausgezogen bin, habe ich oft Schwierigkeiten damit anderen Grenzen zu setzen, und wenn ich welche setze, fühle ich mich nachher dafür schlecht und schuldig. Auf der anderen Seite, will ich aber Grenzen setzen um meine emotionale Gesundheit zu schützen. Inzwischen bin ich wegen diesem inneren Konflikt so schwer traumatisiert, dass ich in solchen Situationen auch schwere körperliche Symptome wie Übelkeit habe. Ich habe zwar schon öfters mit meinem Psychotherapeuten und meinem Hausarzt über dieses Problem gesprochen, aber keiner konnte mir weiterhelfen und ich will mich nicht mehr schuldig fühlen, wenn ich anderen Leuten Grenzen setze. Dabei habe ich oft auch eine konstante innere Anspannung, die mir ständig den letzten Nerv raubt. Wie komme ich aus diesem schrecklichen Teufelskreis endlich raus?

Lan Anwort von Lan

Liebe Ratsuchende,

danke, dass du dich uns anvertraut hast. Ich hoffe, dass meine Antwort an dich nicht zu spät kommt und dir trotzdem weiterhilft.

Es tut mir leid, dass du so eine schlimme Erfahrung zuhause gemacht hast und dich das immer noch schwer belastet.


Mit Schuldgefühlen und Grenzen auseinandersetzen

Nun ist es ja bei dir so, dass du womöglich psychisch so missbraucht wurdest, dass du gewisse Schuldgefühle entwickelt hast, wenn du für deine eigenen Bedürfnisse dich einsetzt. Ich weiß nicht, was genau vorgefallen ist. Fakt ist jedoch: Es fällt dir schwer, deine Grenzen zu setzen.

Es muss schwer für dich sein, die Schuldgefühle loszulassen, darum ist es so wichtig, sie auch besser zu verstehen und auch nicht gleich zu verurteilen. Versuche sie anzunehmen, auch wenn das schwer fällt. Nur wenn du mit dir im Reinen bist, kannst du dann auch lernen, Grenzen zu setzen.

Nun liegt es an dir, diese Schuldgefühle intensiver zu ergründen. Vielleicht kannst du dich damit in Ruhe nochmal schriftlich auseinandersetzen. Was genau passiert da in deinem Kopf und Körper, wenn du deine Grenzen ziehen willst? Was löst das in dir aus? Was genau lässt dich so schlecht fühlen? Welche Glaubenssätze hat dir eventuell deine Mutter da eingepflanzt, weswegen du dich schuldig fühlst? Wie hängt das mit deiner Vergangenheit zusammen?
Warum du dich schuldig fühlst, kann ich dir leider nicht sagen. Das musst du für dich herausfinden.

Wenn du merkst, dass dir das zu viel wird, breche das ab und ruhe dich aus. Es soll dich auch nicht überfordern. Es kann durchaus sein, dass dir auch das Reflektieren sehr zu schaffen macht, aber es kann auch sein, dass dir das Ordnung in das Chaos bringt.

Ich vermute mal, dass es dir schwer fällt, für dich einzustehen, weil dir deine Mutter vielleicht eingeredet hat, dass du das nicht darfst, dass du vielleicht nur für sie da sein und dich emotional für sie aufopfern sollst. Und damit deine eigenen Grenzen vergessen sollst. Vielleicht hat sie dich selbst schlecht gemacht, sein Selbstwertgefühl stark geschädigt, weswegen da diese Schuldgefühle kommen. Das ist nur meine Theorie, bitte korrigiere mich, wenn das nicht stimmt.

Setze dich damit auseinander, warum es dir schwer fällt, Grenzen zu setzen. Was sind deine eigenen Grenzen? Hast du Angst vor Ablehnung und wenn ja, warum? Hast du Angst, andere zu verletzen oder zu enttäuschen? Hast du Probleme, Nein zu sagen und wenn ja, warum? Hast du Angst vor Konflikten? Welche Möglichkeiten gibt es für dich im Alltag, Grenzen zu setzen? Wie viel bist du dir selbst wert? Was passiert, wenn du Nein sagst?
Versuche mal, diese Fragen für dich zu klären, das geht vor allem schriftlich besser. Ich glaube, dass dir das einiges an Einsicht geben kann.

Am besten schreibst du auch mal deine eigenen Grenzen auf. Wo hört es bei dir auf, was willst du auf keinen Fall? Nehme auch deine Grenzen wahr, höre auf dein Bauchgefühl. Kommuniziere deine Grenzen freundlich, aber dennoch bestimmt.


Warum Grenzen setzen wichtig ist

Ich finde es toll, wie reflektiert du bist und selbst auch einsiehst, wie wichtig es ist, Grenzen zu setzen. Wie du schon schreibst, ist das sehr wichtig, um deine Gesundheit zu wahren und auch dein Selbstwertgefühl.
Du bist ein wertvoller Mensch, der verdient, dass man ihn so sieht und nimmt wie er ist, dass man dich und deine Bedürfnisse ernst nimmt und dich auch gut behandelt. Vielleicht kannst du dir das sozusagen als Mantra jeden Tag mal sagen: "Ich bin ein wertvoller und wichtiger Mensch, der es verdient, respektvoll behandelt zu werden und dessen Grenzen auch akzeptiert werden sollen. Ich bin mir das wert."

Du wirst dann viel authentischer sein, mit dir im Einklang, an Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl gewinnen. Andere werden dich ernster nehmen, dich noch mehr respektieren und wertschätzen, wenn du zu dir und deinen Bedürfnissen stehst. Und dir wird es viel besser gehen.


Kümmere dich um dich selbst

Vielleicht ist es bei dir ja so, dass du dich selbst nicht gut kennenlernen oder dich gut um dich kümmern konntest, weil da immer deine Mutter war, die dich vereinnahmt hat. Nun scheint sie aber nicht mehr so nah bei dir zu sein, aber emotional bist du noch immer von ihr gefangen. Vielleicht hilft es dir, wenn du du dich jetzt einfach mehr mit dir auseinandersetzt, herausfindest, wer du bist, was dich ausmacht, was du an dir magst und gut findest, was du willst und welche Bedürfnisse du hast. Schreib das ruhig mal auf, reflektiere darüber und tue dann Dinge, auf die du Lust hast und die dir Spaß machen. Das könnte dir auch helfen, mehr Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl zu geben.
Das mag jetzt in deiner Situation sehr schwer sein, da du ganz offensichtlich sehr unter dem Problem leidest. Aber du kannst es in kleinen Schritten vielleicht auch mal mit deinem Psychotherapeuten versuchen.


Verantwortung übernehmen

Konzentriere dich auf dich selbst, sei mutig und nimm dein Leben in die Hand. Du fühlst dich vielleicht hilflos und machtlos. Aber das bist du nicht, du bist kein Opfer, sondern kannst dich aus den Fesseln deiner Vergangenheit befreien. Du kannst dich von diesem Leid wieder erholen. Dafür ist es wichtig, sich auf den Augenblick zu konzentrieren, sich von den Schuldgefühlen zu befreien und erneut Kontrolle über das eigene Handeln zu übernehmen.

Es ist nicht leicht, jetzt wieder Verantwortung für sich selbst zu lernen. Und es ist auch normal, dass du dabei Angst verspürst. Doch du musst dich davon nicht kontrollieren lassen. Du trägst tiefe Wunden mit dir und es ist okay, dass sie Zeit brauchen, um zu heilen. Diese Zeit solltest du ihnen geben.


Unterstützer suchen

Doch du musst nicht allein durch. Du darfst und solltest dir Hilfe suchen. Gibt es jemandem in deinem Umfeld, dem du vertrauen und dem du davon erzählt hast? Dann versuche diese Unterstützer weiter zu halten und vertraue dich ihnen an. Erzähle ihnen davon, dann werden sie dir bestimmt beistehen. Du bist nicht allein auf dich gestellt. Überlegt gemeinsam, was ihr tun könnt.

Falls du vielleicht aktuell niemanden zum reden hast, aber jemanden dringend zum Reden brauchst, empfehle ich dir als Akut-Ratgeber die Nummer gegen Kummer (116 111 oder unter https://www.nummergegenkummer.de/und die Telefonseelsorge (0800.1110111 oder 0800.110222 oder unter der Webseite https://www.telefonseelsorge.de). Beides geht auch ganz anonym und die geschulten Zuhörer können dich auch beraten.


Professionelle Hilfe suchen

Du schreibst, dass du bereits mit deinem Psychotherapeuten und Hausarzt gesprochen hast, aber dir niemand weiterhelfen konnte. Woran liegt das? Wenn dir da nicht weitergeholfen wird, heißt das nicht, dass es keine Hilfe für dich gibt. Vielleicht musst du noch einen anderen und passenderen Therapeuten aufsuchen. Es gibt ja ganz unterschiedliche und nicht jeder behandelt gleich, bei manchen klappt die Heilung besser, bei anderen weniger.
Du solltest noch einmal mit deinem Hausarzt sowie Psychotherapeuten sprechen. Schildere deine Empfindungen und auch deine Wünsche an den Beratungsprozess. Das ist schließlich auch eine wichtige Information. Vielleicht kennt er aber auch andere Therapeuten, an die du dich wenden kannst, auch das wäre für dich hilfreich. Vielleicht ist es aber auch nicht die richtige Therapieform, das kann ich nicht sagen. Am besten vertraust du dich deinem Therapeuten an und dann könnte er dir auch eine andere Therapieform eventuell vorschlagen.

Eine Therapie ist nicht das Einzige, was dir helfen könnte. Es gibt noch verschiedene Wege, deine Probleme anzugehen. Sprich am besten noch einmal mit deinem Therapeuten und ob er dir noch weitere Möglichkeiten aufzeigen kann. Vielleicht wäre auch eine Selbsthilfegruppe für Betroffene von emotionalem Missbrauch für dich geeignet? Dort könntest du dich mit Menschen austauschen, die ähnliches durchgemacht haben. Auch das gibt Kraft, Verständnis und Mut.


Hier habe ich dir noch einige Links zusammengestellt, die dir weiterhelfen können:

https://gedankenwelt.de/wie-man-sich-von-emotionalem-missbrauch-erholen-kann/
https://zeitzuleben.de/grenzen-haben-grenzen-setzen/
https://www.psychologen-online.com/meine-psychotherapie-bringt-nichts/
https://www.gesundheitsinformation.de/wege-zur-psychotherapie-wo-gibt-es-hilfe.html
https://www.zartbesaitet.net/informationen-fur-hsp/liebevoll-grenzen-setzen/

Ich wünsche dir von Herzen alles Gute und ganz viel Kraft für die Zukunft. Wenn dir noch etwas auf dem Herzen liegt, schreibe uns doch gern.

Beste Grüße,
Lan