Problem von Annie - 23 Jahre

Ignoriert sie, dass ich Gefühle für sie habe. Warum?

Hallo liebes Team,

Letzten Sommer hatte ich schonmal ein Problem eingesendet und darauf eine sehr liebe und hilfreiche Antwort von Nuala erhalten. Würde mich besonders freuen, wenn ich unter diesem Problem wieder von ihr hören würde. Sie hat mir damals dolle weitergeholfen und ich bin ihr dafür immer noch dankbar.

Mein erstes Problem: https://mein-kummerkasten.de/332772/Ungluecklich-verliebt-in-ehemalige-Fahrlehrerin-Wie-sollte-ich-damit-umgehen.html

Vor fast zwei Jahren hab ich mich also in eine knapp 20 Jahre ältere Frau verguckt. Bei dieser Frau habe ich meinen Führerschein gemacht. Noch bevor ich ihr sagen konnte, wie ich fühle, bin ich in ne andre Stadt gezogen. Gesehen haben wir uns nun schon länger nicht mehr. Seit meiner Fahrprüfung im Sommer'19 stehen wir aber noch (recht selten) per Handy in Kontakt.

Nuala riet mir damals u.a., darüber zu reden, meine Gefühle besser zu verstehen und sie dann meiner ehemaligen Fahrlehrerin in einem offenen Gespräch zu gestehen.

Das wollte ich tun. Da ich aber nun sehr weit weg wohne und meine ehemalige Fahrlehrerin ohnehin viel beschäftigt ist, fand ich keine Möglichkeiten, mich persönlich mit ihr zu treffen. Telefonieren find ich in der Sache aus mehreren Gründen unvorteilhaft.
Also entschied ich mich dazu, ihr nen Brief zu schicken. In meinen Augen war er sehr gelungen und nur wenig schnulzig. Wenn sie ihn gelesen hat, weiß sie zusammengefasst, dass ich sie sehr gern habe, oft an sie denke und sie mir was bedeutet.
Nur leider weiß ich eben nicht, ob sie ihn überhaupt gelesen hat. Denn bis heute kam keine Reaktion auf den Brief. Vllt ist er gar nicht angekommen.
Wir hatten danach trotzdem immer wieder kurzen online Kontakt. Nur wollte ich sie nie auf den Brief ansprechen. Denn wenn sie ihn gelesen hat, scheint ihr die Sache sehr unangenehm zu sein. Und dann möcht ich sie auch nicht wieder in die Situation, damit konfrontiert zu sein, "zwingen". Schade ist es natürlich trotzdem. Denn durch das Abschicken des Briefs hatte ich mir ja vor allem Gewissheit und evtl auch ein Abschließen erhofft. Jetzt steh ich allerdings gefühlt noch tiefer im Nebel, als davor.

Anfang dieses Jahres fasste ich dann nochmal meinen Mut und fragte auf WhatsApp, ob sie Lust hat, mal zusammen spazieren zu gehen. Da war ich grade für einige Zeit in der Heimat.
Nachdem nach Tagen noch keine Antwort von ihr kam, ich sie erneut anschrieb und fragte, obs ihr gut gehe, kam keine konkrete Antwort auf meine Frage nach dem Treffen. Sie sagte nur, es ginge ihr gut, jedoch sei sie die letzten Wochen krank gewesen und nun müsse sie immer noch ständig zum Arzt rennen.
Ich bot ihr daraufhin nur an, sich bei mir zu melden, wenn sie etwas brauchte. Die Frage nach dem Treffen haben wir nicht nochmal aufgegriffen.

In ein paar Wochen werde ich wieder in die Heimat fahren und spiele jetzt wieder mit dem Gedanken, ihr noch einmal zu schreiben und sie ein zweites (vllt letztes) Mal nach einem Treffen zu fragen.

Was sagt ihr zu alldem? Sollte ich mich denn überhaupt nochmal mit dieser Frage bei ihr melden?
Ich rede mir die ganze Zeit ein, dass sie es für mich wert ist, es noch ein letztes Mal zu versuchen, nochmal einen vorsichtigen aber direkten Schritt auf sie zuzugehen. Denn vllt ist sie auch einfach sehr unsicher und weiß nicht, wie und ob sie mit dieser Situation umgehen kann. Andererseits sehe ich ja selbst, dass das alles ganz laut danach schreit, dass sie kein Interesse an mir hat. Und dann würde ich sie mit einer weiteren Frage nach nem Treffen höchstens nerven.

Habt ihr einen Rat?
Danke schonmal fürs Durchlesen und im Voraus für die Antwort!

Nuala Anwort von Nuala

Liebe Annie,

wie schön, wieder von dir zu lesen! Ich denke, ich spreche für das ganze Team, wenn ich behaupte, dass wir uns alle über erneute Meldungen der Schreibenden freuen.
So gehe ich natürlich auch sehr gerne deinem Wunsch nach, dir zu antworten und möchte mich gleichzeitig für deine wertschätzende Rückmeldung bedanken.

Du beschreibst die Ungewissheit, die dich seit dem Versenden deines Briefes umtreibt. Ich kenne dieses Bangen nur zu gut aus persönlicher Erfahrung. Allein schon die Frage, ob der Brief überhaupt bei der Person angelangt ist (denn ja, es gibt mindestens drei Ursachen, die dafür sorgen können, dass Post verschwindet... :/), ist sehr unangenehm.
Gleichzeitig ist da dieses Ertragen-Müssen, dass der Brief durchaus angekommen sein kann - und was ist dann mit ihm geschehen? Wurde er tatsächlich gelesen? Wurde er gelesen und danach sofort entsorgt? Wurde er gelesen und aufbewahrt? Oder wurde er ungelesen weggeworfen?! Tatsächlich ist sogar die Varianten denkbar, dass die Empfängerin ihn ungelesen aufbewahrt - aus den Augen, aus dem Sinn. Im günstigeren Fall möchte sie warten mit dem Lesen. Dann gibt es noch die Variante, dass jemand Anderes deinen Brief gelesen haben könnte, weil sie selbst es nicht fertig gebracht hat. Davon will ich jetzt aber nicht ausgehen.
Warum schreibe ich das so ausführlich? - Weil es wichtig ist, das Übergeordnete zu sehen. Und das besteht darin, dass die grundlegende Problematik meiner Ansicht nach darin besteht, dass es keinen "wirklichen", alltäglichen Kontakt zwischen euch gibt. Solch' ein Kontakt macht es nicht unbedingt einfacher, sich zu offenbaren und zueinander zu finden, sofern die Passung bestünde. Aber es ermöglicht doch ganz andere Wege, sich verletzlich zu zeigen und einfach präsent zu sein. Bei euch beiden war die Phase, in der ihr euch im Alltag gesehen habt, überschaubar und noch dazu geprägt von einem Arbeits - bzw. Geschäftsverhältnis. Wo du noch eher die Möglichkeit hattest, dich deinen Gefühlen hinzugeben, hatte deine ehemalige Fahrlehrerin den strikten Auftrag, dir das Autofahren beizubringen und dabei professionell zu bleiben. Was nicht heißt, dass sie nicht auf Gefühlsregungen gehabt haben könnte, doch sind die Ausgangslagen eben sehr verschieden. Du hast deine Empfindungen kultiviert und zum Ausdruck gebracht, was an sich gesund und richtig war/ist. Gleichzeitig kann es deinem Gegenüber viel leichter gefallen sein, diese Phase rein sachlich zu sehen oder sich zumindest darauf zu konzentrieren. Sie konnte, sofern sie jemals auch etwas für dich empfunden haben sollte, einen leichteren "Ausgang" aus eurer Geschichte finden: Durch zeitliche Begrenztheit und ihrer Rolle als Lehrerin.

Hinzu kommt IMMER, dass wir schlicht und ergreifend nicht wissen, was konkret in den anderen Menschen vorgeht. Wir können zwar mehr oder weniger gut Mimik und Gestik lesen, Worte analysieren, Ungereimtheiten in Wort und Tat aufdecken. Doch gibt es auch immer den Täuschungsfaktor, weil die menschliche Wahrnehmung anfällig ist für Täuschung. Allein schon aus Angst und Verliebtheit heraus entstehen teilweise die bizarrsten Täuschungen.
Und auch ohne Täuschungen durch den Verstand bleibt immer das Risiko, falsch gelegen zu haben. Selbst wenn wir selbst spüren, was _eigentlich_ los ist beim/im Anderen, so ist es doch eine Frage des Respekts, dessen Deutung/Entwicklungs -bzw. Erkenntnisstand anzuerkennen und es dabei bewenden zu lassen. Es kann also durchaus passieren, dass wir merken: Ich werde von diesem Menschen ebenfalls geliebt, doch er kann es nicht in sein Bewusstsein bringen oder mir aktiv zeigen. Hier ist Akzeptanz ganz wesentlich.

Du wirst wahrscheinlich niemals alles erfahren, was sie für dich fühlt und wie sie über eure Konstellation denkt.
Ob es Ignoranz ist, bleibt (vorerst) offen. Es ist auch ein Lernprozess, mit Ungewissheit umgehen zu können, wo sie doch so herbeigesehnt wird. Menschen schätzen Klarheit. Doch zugleich ist es das, was selten in Reinform unser täglichen Ablauf und unsere Beziehungen charakterisiert, auch wenn wir das noch so sehr anstreben. Jede Optimierung, jeder Zwang, jede noch so gründliche Vorbereitung kann nicht verhindern, dass das Leben die Spielregeln entwirft und nicht wir. Umso grandioser ist es, hier besonnen zu sein und die Dinge anzunehmen, wie sie kommen.

Wenn ihr euch nach wie vor im Alltag begegnen würdet, könntest du viel leichter einschätzen, ob sie verunsichert ist, weil sie dich amourös toll oder ob sie dich gar nicht so wichtig und interessant findet.
Und hier komme ich zu einem Urteil, das der puren Realität geschuldet ist: Für mich klingt es so, als sei sie nicht an einem echten bzw. intensiver werdenden Austausch interessiert. Ja, das ist hart. Und genauso hart liest sich vermutlich meine nächste Aussage: Ich glaube, sie ist feige und traut sich nicht, dir eine direkte Abfuhr zu erteilen (denn Abfuhren kann man ja auch allen zwischenmenschlichen Beziehungen erteilen). Damit würde sie - sofern es stimmen würde - leider konform gehen mit dem Großteil der Menschen in unserer Gesellschaft, die es verlernt haben, zu sich und ihren Grenzen zu stehen. Es wird gerne angeführt, man wolle Andere nicht verletzen. Doch das ist oft nur ein unbewusst erhobener Vorwand, um sich nicht auseinandersetzen zu müssen mit dem, was im Anderen vorgeht. Letztlich ist es Angst.
Wie dem auch sei: Du kannst all das einkalkulieren und daran arbeiten, in den inneren Frieden zu gehen. Immer ein bisschen mehr. Denn wir können nicht ändern, wie andere Menschen mit Situationen umgehen. Aber wir selbst können uns beobachten und unser Denken und Fühlen reflektieren.

Um auf deine abschließende Frage zu antworten: Wenn du das echte Bedürfnis nach einer direkten Nachfrage hast (á la: "Hast du damals meinen Brief bekommen?", "Wie stehst du zu meinen Offenbarungen, wie stehst du zu MIR?"...), dann tu' es. Das ist so wichtig für den Seelenfrieden. Es hilft, allmählich Abschied zu nehmen - um sich dann wieder neuen Menschen zuwenden zu können.
Natürlich kann das auch Schmerz und Verunsicherung bedeuten, doch letztlich ist das immer etwas, was uns im Leben begleitet. Und es ist die Wahrheit. Es ist wahr, dass du sie sehr schätzt und ihr das zeigen möchtest. Es ist wahr, dass du sie vermisst. Es ist wahr, dass sie dir so viel bedeutet, dass du all deinen Mut zusammen nehmen könntest, um ein weiteres (letztes) Mal auf sie zuzugehen. Und weil all das die Wahrheit ist, hat es einen Wert, den kein Schmerz und keine Ablehnung zerstören kann.

Konkret würde ich, wenn ich du wäre, noch wissen wollen, ob sie überhaupt an einem weiteren Kontakt mit dir interessiert ist, ob ihr das etwas gibt. Selbstverständlich müsstest du diese Frage zuerst mit dir selbst aushandeln...

Abschließend möchte ich festhalten:
Du kannst lieben, so viel und so oft wie du möchtest.
Du kannst die Fahrlehrerin lieben, ohne dass du deren Zustimmung bräuchtest.
Und mit diesem Gefühl kannst du Liebe wachsen lassen und auf viele weitere Menschen (...auf alle...) ausdehnen. Wir sind mit der Fähigkeit geboren, einfach so zu lieben. Und das zu verstehen, soviel auf der Herzens - als auch auf der Verstandesebene, kann dir helfen, deine Liebe in dir zu tragen und gleichzeitig mit einer oder mehreren anderen Personen in Liebesbeziehung zu gehen, die im Alltag physisch stattfinden sollen. Du wirst sehen: Was nicht sein soll, wird nicht passieren. Das sein soll, wird sowieso geschehen. Und du wirst immer das Beste für dich erhalten, weil du genau das stets verdient hast.

Ich wünsche dir, dass du viele neue Erkenntnisse gewinnst, dich für dich und deinen Mut entscheidest (wie auch immer das in der Umsetzung aussehen mag) und mit den Werten der Gelassenheit, Akzeptanz und Demut etwas für dich erschaffen kannst, was dir neue Befriedigung bringen kann.

Sei ganz lieb gegrüßt!
Nuala