Problem von Lars - 22 Jahre

wie oute ich mich am besten bei der familie als transgender?

ich heiße lars, bin 22 jahre alt und transgender. ich bin als frau geboren aber weiß seit ich 12 bin das ich ein junge bin.

vor ein paar tagen habe ich immer wieder versucht zuhause das thema "trans" anzusprechen, doch die gewünschte reaktion blieb aus. meine mutter meinte nur "das ist der neuste trend das die denken die sind im falschen körper" "gib dich nicht mit solchen ab sonst willst du dir auch noch die brust entfernen lassen" "die sind wie vegetarier heute fühle ich mich im falschen körper und morgen wieder nicht" "die sind alle komisch" und das tat mir echt weh zu hören wie sie dazu steht.

seit meine brüste angefangen haben zu wachsen bin ich auch nicht mehr schwimmen gegangen einfach weil es mir so unangenehm ist. ich habe nur sachen aus der herrenabteilung aber meine mutter kauft mir immer wieder kleider und zwingt mich diese bei feiern anzuziehen.

ich bin so verzweifelt mit all dem ganzen das ich angefangen habe mich immer wieder zu ritzen und zu rauchen.

ich hoffe ihr könnt mir tipps für mein outing geben

Lan Anwort von Lan

Lieber Lars,

schön, dass du uns geschrieben hast. :)
Ich danke dir, dass du uns das anvertraut hast, das war sehr stark und mutig von dir.

Ich will dich zunächst einmal drücken, wenn ich darf: Es schmerzt mich, dass dich das Ganze so mitnimmt und du sogar angefangen hast, dich zu verletzen. Das erschüttert mich. Du bist doch ein toller Mensch, der nur das Beste verdient hat. Bitte höre auf dir selbst zu schaden, das hast du nicht verdient. Ich kann es gewissermaßen ein wenig verstehen, wenn du mit dir selbst so haderst. Aber es gibt Wege zur Besserung, dazu musst du aber den Mut haben, Hilfe zu suchen. Du musst da nicht allein durch alles durch.

Es ist eine tolle Sache, dass du für dich entdeckt hast, dass du transgender bin und das auch in einem so jungen Alter. Herzlichen Glückwunsch dazu erst einmal! Das kann bei vielen anderen Jahre dauern, bis sie das merken. Du hast also schon mal dein inneres Coming-Out hinter dir und darauf kannst du stolz sein. Denn das ist sicher nicht selbstverständlich.
So wie ich das herauslese, stehst du auch dazu und willst das auch nicht verstecken, sondern auch mit anderen teilen. Das finde ich wirklich sehr sehr mutig und stark von dir. Du hast meinen vollsten Respekt.

Was ich auch richtig toll finde, ist, dass du das Thema auch bei deiner Familie angesprochen hast. Das trauen sich auch nicht viele, eben aufgrund von negativen Reaktionen, die du leider erfahren musstest. Aber trotzdem will ich dir sagen: Hut ab, dass dass du dazu auch gegenüber deiner Familie stehst!


Mit negativen Kommentaren umgehen

Was ich bei dir gerade als Problem sehe, ist zum einen die Frage: Wie gehe ich mit negativen Reaktionen und Abwertung innerhalb der Familie um? Wie gehe ich damit um, dass meine Familie, es nicht akzeptiert, dass ich mich nicht als Frau fühle?

Dass deine Familie schon so negativ auf das Thema "trans" reagiert, macht es natürlich schwer, sich dann auch als transgender zu outen. Es ist für dich schmerzhaft und macht dir auch große Angst, das kann ich verstehen. Du willst nicht von deinen Eltern abgelehnt werden, schließlich sind das deine wichtigsten Bezugspersonen im Leben, nehme ich an.


Abwertung hat nie etwas mit einem selbst zu tun

Umso wichtiger ist es, dass du diese Abwehrreaktionen, die Ablehnung und Kritik niemals auf dich selbst beziehst. Das hat nie etwas mit dir zu tun, sondern nur mit dem Gegenüber, also deiner Familie. An dir ist nichts falsch, lass dir von niemanden so etwas einreden. Du bist gut so, wie du bist und auch deine Geschlechtsidentität ist gut so, da gibt es kein richtig oder falsch. So ist es eben und das bist eben du und das sollte auch deine Familie lernen, zu akzeptieren.

Hinterfrage diese negativen Kommentare deiner Mutter. Ich denke da steckt auch mehr dahinter, vor allem wahrscheinlich auch einfach viel Unwissenheit, sie hat Vorurteile oder irgendetwas mal gehört und glaubt, dass es wahr ist.
Auch wenn es dich emotional sehr angreift, versuche Abstand zu diesen Sprüchen zu nehmen. Und frage dich: Ist das wirklich wahr? Vermutlich nicht und du wirst feststellen, dass es einfach nur Vorurteile sind, einfach weil es deiner Mutter unangenehm, sich auf etwas Unbekanntes einzulassen. Sei ihr deswegen nicht böse, vielleicht ist sie sich selbst nicht bewusst, welche Annahmen und Vorurteile sie damit eigentlich inne hat. Sie weiß es einfach nicht besser, woher auch, wenn sie sich noch nie mit dem Thema befasst hat? Ich will sie jetzt nicht in Schutz nehmen und verteidigen, aber vielleicht hilft es dir auch ein wenig, die Sichtweise deiner Mutter besser zu verstehen. Alles, was erstmal ein wenig fremd und unbekannt ist, löst gewisse Abwehrhaltungen und vielleicht auch Ängste aus, wodurch solche Kommentare zustande kommen.
Natürlich ist und bleibt es eben verletzend, aber du darfst es nicht so nah an dich ranlassen und nicht persönlich nehmen.


Geschlechtsidentität akzeptieren

Es ist in erster Linie entscheidend, dass du deine Identität akzeptierst. Vielleicht haderst du noch ein wenig damit und schämst dich, hast Angst vor den Reaktionen deiner Eltern. Aber du musst dich nicht schämen, du tust nichts Unrechtes und du kannst nun mal auch nichts dafür, dass du transgender bist. Das war ja nie eine Entscheidung.
Lerne, deine Geschlechtsidentität zu akzeptieren, sie gehört zu dir, macht dich aus. Aber sie macht eben auch nicht alles von dir aus. Wenn du lernst, sie besser anzunehmen, wird es dir auch leichter fallen, darüber zu sprechen und besser mit negativen Reaktionen klarzukommen.


Weiblichen Körper nicht annehmen?

Das zweite Problem in meinen Augen ist, dass du deinen weiblichen Körper nicht akzeptieren kannst, du schreibst, dass es dir unangenehm, schwimmen zu gehen, seitdem deine Brüste angefangen haben, zu wachsen.

Es ist nur verständlich, weil du dich in deinem eigenen Körper fremd fühlst. Du fühlst dich ja wie ein Mann und nicht wie eine Frau, bist aber sozusagen in einem weiblichen Körper. Das sorgt für Dissonanz, das miteinander zu vereinbaren ist schwer.

Auch wenn du es vielleicht nicht hören willst: Akzeptiere es trotzdem. Momentan ist es so, dass du dich wie ein Mann fühlst, aber im Frauenkörper steckst. Daran kannst du derzeit nichts ändern. Was du ändern kannst, ist die Einstellung zu dir selbst. Es ist schwer, das verstehe ich, aber versuche trotzdem deinen Körper so wie er jetzt ist zu schätzen und zu akzeptieren wie er ist. Er gehört zu dir und sollte nicht weiter verletzt werden. Er macht dich auch aus.

Wenn dich deine Brüste sehr stören, könnte dir auch ein Binder helfen. Das ist ein straff sitzendes Unterhemd, mit dem du eine flache Brust simulieren kannst. Damit kannst du deine Brüste sicher abbinden.
Hier findest du mehr Infos:
https://queer-lexikon.net/wp-content/uploads/2019/07/Broschüre_Binder_Femref.pdf
https://www.transx.at/Pub/Spiegel_Binder.php

Wenn es dir weiter so quält, könntest du über eine Geschlechtsangleichung nachdenken, dich also zu einem Mann umoperieren lassen. Aber das ist natürlich ein sehr starker körperlicher Wandel, der starke Auswirkungen hat und auch nicht leicht sein wird. Ob du das tun wirst, bleibt ganz dir überlassen. Da gibt es sicherlich einige Nachteile, aber auch Vorteile. Vielleicht willst du dich damit mal befassen.


Wie oute ich mich?

Eine dritte wichtige Sache, die du ansprichst, ist die Frage nach dem Coming Out: Wie outest du dich am besten bei deiner Familie?

Es gibt kein richtig oder falsch und wahrscheinlich auch nicht die beste Art, dich zu outen. Da muss jeder seinen eigenen individuellen Weg gehen. Es geht hier auch nicht um Perfektion, davon solltest du dich lösen. Was am Ende zählt, ist, dass du dich damit gut fühlst. Das Outing sollte dann kommen, wenn du dich bereit und sicher fühlst. Du bestimmst, vor wem du dich outest und wie viel du von dir preisgibst und wann du es eben tust. Außerdem ist wichtig, dass du authentisch und bei dir bleibst, ehrlich bist.

Vielleicht hilft es dir auch, dir die Vorteile des Outings bewusst zu machen. Du kannst ganz du selbst sein, musst dich nicht mehr verstellen, nichts verheimlichen, du akzeptierst dich selbst, es macht dich stärker und du findest leichter Gleichgesinnte. Es gibt sicherlich noch mehr Vorteile.

Wie schon geschrieben, gibt es nicht das perfekte Outing. Manche brauchen länger, bei manchen geht es von einen Tag auf den anderen. Wichtig ist, dass du dich wohl fühlst. Höre mal in dich hinein und schau, ob du dir lieber Zeit lassen oder es schnell hinter dich bringen möchtest.


Das persönliche Gespräch beim Outing

Im persönlichen Gespräch wäre es gut, wenn du ganz bei dir bleibst und erzählst, wie du dich siehst, was du fühlst und wie du das alles erlebst. Das hilft deiner Familie, dich besser zu verstehen. Das kann sehr schwer fallen, das kann ich mir vorstellen. Vielleicht könntest du auch jemanden an deiner Seite haben, der dich so gut kennt. Das stärkt dich nochmal.

Erkläre deiner Familie, was es für dich bedeutet transgender zu sein. Wie siehst du dich selbst? Was ist dein Selbstverständnis?
Teile unbedingt mit, dass es für dich nicht einfach nur ein Trend oder eine Phase ist, schließlich weißt du schon seit du 12 bist, dass du eben ein Junge und kein Mädchen bist. Also bereits 10 Jahre und das ist eine lange Zeit!

Welche Wünsche und Bedürfnisse hast du? Beispielsweise möchtest du eben auch nach außen hin deine Geschlechtsidentität ausleben und eher als Mann wahrgenommen werden und darum auf Kleider verzichten. Teile deiner Familie auch mit, was du dir von ihnen wünscht und was nicht. Und unbedingt solltest du ihnen auch sagen, dass ihre Reaktionen dich verletzt haben und etwas in dir auslösen und du daher auch Angst hattest, dich zu outen.
Je mehr du deiner Familie von deiner Geschlechtsidentität mitteilst, desto mehr hilft es ihnen auch, dich zu verstehen und Vorurteile und Ängste mehr und mehr abzubauen.

Du musst das aber auch nicht auf persönlichem Wege machen, einen Brief zu schreiben kann auch Vorteile haben. Dann kannst du genau überlegen, was du mitteilen willst und du lässt damit auch deiner Familie Zeit, das sacken zu lassen.

Es mag deine Familie sehr überrumpeln und vielleicht braucht sie dann auch etwas Abstand und Zeit, um das zu verarbeiten. Sei ihnen deswegen nicht böse, gebe ihnen Zeit, die neue Situation zu verarbeiten.

Hier ist eine Soforthilfe bezüglich des Themas Coming-Out. Das mag zwar jetzt nicht direkt auf dein Thema zugeschnitten sein, aber kann dir trotzdem wertvolle Anregungen geben. Schau doch gern mal rein:
https://mein-kummerkasten.de/Soforthilfe/42/Coming-Out-Eo-Zu-sich-selbst-stehen.html

Ein Outing ist meist doch ein längerer Prozess und es kann sein, dass du dich in deinem Leben immer wieder outest, wenn du neue Leute kennenlernst. Doch mit der Zeit wird es auch einfacher werden. Anfangs wird es vielleicht sehr anstrengend werden, aber auf lange Sicht kann es befreiend sein, endlich mal ehrlich zu sein. Du wirst dich auch besser fühlen und die Arbeit wird sich lohnen.


Du bist nicht allein: Unterstützung suchen

Wie sieht es eigentlich mit anderen vertrauten Personen wie Freunden aus? Wissen sie davon? Wenn ja, könntest du dich auch mal ihnen unterhalten und ihr überlegt gemeinsam, wie du dich outen könntest.

Vielleicht hilft es dir auch, dich mit Gleichgesinnten auszutauschen, die ähnliche Erfahrungen und Probleme haben oder gehabt haben. Im Internet gibt es einige Anlaufstellen, aber vielleicht auch eine Ortsgruppe in deiner Nähe. Das kann ungemein unterstützend wirken und du wirst merken, du bist damit nicht allein, es gibt viele andere, denen es ähnlich gibt und du kannst dir jederzeit Unterstützung suchen.

Es könnte dir helfen, eine Beratungsstelle aufzusuchen oder begleitend eine Psychotherapie zu machen. Das lege ich dir wirklich sehr ans Herz, da du mit der ganzen Situation ganz offensichtlich nicht zurecht kommst und überfordert bist. Das ist keine Schande und geht vermutlich vielen Betroffenen so. Du musst dich dafür auch nicht schämen. Solche Angebote sind dazu da, dir zu helfen.


Ich finde auch, dass es einige interessante und hilfreiche Tipps auf den folgenden Seiten gibt. Dort findest du Anregungen, was dir auch beim Comingout helfen könnte:
https://www.regenbogenportal.de/informationen/comingout-als-trans-oder-transsexuell
https://www.transwelcome.ch/de/coming-out/tipps-fuer-trans-menschen/

Ich habe dir noch einmal paar ähnliche Beiträge verlinkt, die dir Anregungen geben können:
https://www.trans-ident.de
https://mein-kummerkasten.de/333218/Outing-Familie.html
https://mein-kummerkasten.de/325636/Outing.html
https://mein-kummerkasten.de/330552/Wie-sollte-ich-mich-am-besten-outen.html
https://de.wikihow.com/Dich-als-Transgender-outen
https://queer-lexikon.net/2020/03/29/kummerkastenantwort-345-ich-bin-trans-und-meine-eltern-akzeptieren-mich-nicht/
https://www.vice.com/de/article/z3v975/drei-jugendliche-erzahlen-wie-sie-sich-vor-ihrer-familie-als-trans-geoutet-haben

Hier wäre noch eine Ratgeber für Angehörige von Transmenschen:
https://www.ilga-europe.org/sites/default/files/stark-transratgeber.pdf


Ich wünsche dir wirklich alles Gute und hoffe, dass du deinen Weg gehen wirst, mit dem du zufrieden bist. Ich glaube ganz fest an dich und möchte dir ganz viel Mut und Hoffnung auf deinen Weg mitgeben.
Wenn du noch etwas auf dem Herzen hast, melde dich gerne.

Beste Grüße,
Lan