Problem von Anonym - 42 Jahre

Schuldgefühle

Als ich 12 war hatte ich zwei Kaninchen.
Im Nachinein weiß ich nicht mehr warum aber manchmal habe ich sie feste in die Ohren gezwickt, bis eines auch mal geschrien hat.
Meine Mutter war zu dieser Zeit nicht oft zuhause, sie hat sich um meine Oma gekümmert die auch kurz darauf gestorben ist. An einem Tag habe ich die beiden Hasen in unserer Badewanne gebadet. Anfangs sind sie noch selbst geschwommen, haben dann aber Panik bekommen. Ich habe sie dann rausgenommen und abgetrocknet, vorsichtig trocken geföhnt. Den entstandenen Schock haben sie aber nicht überwunden. Ich habe die Geschichte nicht ganz vollständig und in harmloser Variante später auch meiner Mutter erzählt und dann ganz lange alles einfach verdrängt. Ich habe ein paar Jahre später ein autoaggressives Verhalten entwickelt, das bis heute in verschiedenen Ausprägungen vorhanden ist und aktuell habe ich eine depressive Episode, in der dieses Erlebnis wieder stark ins Bewusstsein gerückt ist.
Ich habe enorme Schuldgefühle, das klingt jetzt wahrscheinlich wie eine Verteidigung, soll es aber nicht sein: es ging mir nie darum den beiden Tieren weh zu tun, ich habe keinen „Kick“ oder so was ähnliches empfunden. Es war das Gefühl, derjenige zu sein, der Ihnen wieder helfen kann, derjenige zu sein der gebraucht wird. Ich habe davor und auch danach nie jemand Leid zugefügt.
Ich kann mir im Nachhinein nicht erklären warum das passiert ist und möchte aber, da ich finde dass ich mit 12 schon alt genug war um auch Konsequenzen meines Handeln abzuschätzen, irgendwie Verantwortung übernehmen ich weiß aber nicht wie und habe so viel Angst, so etwas beispielsweise meiner Therapeutin oder jemand anderem zu erzählen.
Aber die Schuldgefühle sind sehr stark und lähmen mich auch. Dann denke ich aber auch dass das ja nur die gerechte Strafe ist und mir das komplett recht geschieht.
Ich weiß nicht, ob ich wirklich auch konkret eine Frage habe bzw ob sich überhaupt etwas dazu sagen lässt oder das jemand etwas antworten will aber an irgendeiner Stelle muss ich das einfach mal erzählen.

Lan Anwort von Lan

Liebe Ratsuchende,

ich danke dir für deine Nachricht und dein Vertrauen.

Du hast geschrieben, dass die Hasen den Schock nicht überwunden haben. Was genau meinst du damit? Hat sich bei ihnen etwas geändert? Sind sie daran gestorben?

Ich lese stark heraus, dass du dir die Schuld dafür gibst, was mit den Hasen passiert ist.
Ich glaube dir wirklich, wenn du schreibst, dass du den Hasen und auch anderen nicht weh tun willst. Und ich glaube dir auch, dass du damit nur einen Weg finden wolltest, anderen wieder zu helfen und gebraucht zu werden. Allerdings ist das natürlich auch nicht unbedingt eine Entschuldigung, jemanden in eine unangenehme Situation zu bringen. Aber das weißt du vermutlich selbst.


Jeder macht mal Fehler

Ich finde es stark von dir, dass du Verantwortung für dein Verhalten übernehmen willst. Denke mir aber auch gleichzeitig, dass du damals eben noch mit 12 ein Kind warst. Als Kind macht man viele Dinge, die man später nicht versteht oder die man selbst in dem Moment dann nicht versteht. Als Kind macht man viele dumme Dinge, aber das ist eben so. Du warst eben ein Kind, du konntest nicht wissen, was passieren würde, wenn du dies oder jenes tust.
Außerdem finde ich, hast du als Kind mit zwei Hasen schon eine sehr große Verantwortung. Woher sollst du wissen, wie du dich um sie kümmern sollst, wenn da niemand ist, der dir zur Seite steht. Vielleicht warst du auch einfach überfordert, was total normal ist.


Schuldgefühlen auf den Grund gehen

Du schreibst, dass du später ein autoaggressives Verhalten entwickelt hast. Hat es vielleicht auch mit den Hasen zu tun gehabt?
Fühlst du dich so schuldig für das, was du mit ihnen gemacht hast und verletzt du dich deswegen selbst, um es quasi wieder gut zu machen?
Es scheint dich immer noch gefangen zu halten. Obwohl es inzwischen schon 40 Jahre her ist, prägt es dich noch heute.
Ich bitte dich, in dich zu gehen und dich folgendes zu fragen: Wieso fühlst du dich schuldig, wofür? Was bringt es dir, dass du weiter so fühlst?

Gehe nochmal in dich und versuche das Ganze mal aus einer anderen Beobachterposition zu betrachten: Wie schlimm war es wirklich, was du getan hast? Was war wirklich in deiner Verantwortung? Lass deine Selbstvorwürfe mal sein.

Schuldgefühle sagen nicht unbedingt, dass du etwas falsch gemacht hast. Sie entstehen, weil du denkst, dass du etwas getan hast, was du nicht tun solltest oder weil du etwas nicht getan hast, das du hättest tun sollen. Und darum würde ich dich bitten, diese auch mal zu hinterfragen.

Wie hast du dich gefühlt, bevor du dich verhalten hast? Was hast du damals gedacht und beabsichtigt?

Gibst du dir womöglich mehr Verantwortung, als du damals als Kind hättest tragen können? Wie hättest du wissen sollen, dass die Hasen das nicht verkraften können?

Versuche dich nicht zu sehr aufs Vergangene zu versteifen, sondern schau in die Zukunft: Was kannst du daraus lernen? Wie kannst du künftig solche Fehler vermeiden?


Fehler akzeptieren und Frieden finden

Das, was passiert ist, das kannst du nicht mehr ungeschehen machen. Das ist leider so.
Was du aber durchaus in der Macht hast, ist, wie du heute damit umgehst und was du daraus machst.

Ich denke mal, dass es nicht sinnvoll wäre, dich ewig deswegen schuldig zu fühlen. Dass du so fühlst, ist wahrscheinlich schon Strafe genug. Doch wenn du dich jetzt weiter damit quälst und dir nicht verzeihen kannst, wird dich das weiter belasten. Und das soll es nicht. Du siehst es heute ein, dass es vielleicht nicht richtig war, was du damals getan hast. Aber du hast daraus gelernt, du hast sonst niemandem weh getan, du fühlst dich schuldig und willst ein besserer Mensch werden. Das lese ich stark heraus. Und das ist toll, dass du dich bessern willst. Aber ich glaube, dass es nicht gut wäre, wenn du dich weiter so fertig machst, für etwas, was schon so lange zurückliegt.

Ich lege dir sehr ans Herz: Schließe damit ab. Finde den Frieden in dir. Jeder macht mal Fehler, mal kleinere, mal größere. Aber das ist menschlich. Außerdem warst du eben nur ein Kind, du wusstest es nicht besser. Du hast es nicht getan, weil du den Hasen etwas Böses wolltest. Vielleicht warst du neugierig, gelangweilt oder eben auch einfach überfordert. Und wenn es so war, dass du es getan hast, weil du gebraucht werden wolltest, war es an sich eine eher gute Absicht. Du wolltest helfen, wenn Hilfe gebraucht wird.


Vergebe dir selbst

Du solltest damit abschließen und dir selbst vergeben. Das ist nicht leicht, aber diese Schuldgefühle machen nichts ungeschehen und bringen dir die Hasen auch nicht mehr zurück. Es bringt nichts, sich weiter Vorwürfe zu machen. Du kannst es wieder gut machen, indem du Frieden in dir findest und es besser machst. Und am besten, indem du dir selbst verzeihst und dich nicht weiter verletzt.

Du suchst derzeit in diesen Schuldgefühlen irgendwie eine Art Selbstbestrafung, um das, was passiert ist, wieder gut zu machen. Aber es gibt andere gesündere Wege, wie du damit abschließen kannst. Bitte sieh nicht nur diesen ein Weg als möglichen an. Ich finde es ehrlich gesagt unverhältnismäßig, wenn du dich dein Leben lang dafür bestrafst. Klar, war das nicht so in Ordnung, aber du solltest dir selbst verzeihen und nicht dein Leben dafür geben.

Sage laut: "Ich bin bereit, mir zu verzeihen." Und zwar immer dann, wenn dich seine Selbstvorwürfe einholen und du dich selbst verletzen willst.

In Selbstvorwürfen zu verharren wird dich nicht weiterbringen. Du fühlst dich damit nur schlecht, es lähmt dich, du kannst nicht handeln. Darum wäre es besser, eben diese loszulassen und dich eher auf das, künftig sein wird, zu konzentrieren.


Jeder darf Fehler machen und trotzdem glücklich sein

Akzeptiere, dass du eben auch etwas falsch machen darfst, aber du darfst trotzdem weiter leben und dir erlauben, glücklich zu werden. Du musst nicht dafür ewig büßen.
Du hast vielleicht etwas nicht Gutes getan, hättest es anders tun sollen.
Aber deswegen bist du kein schlechter Mensch, der nur noch schlechtes verdient.
Du lernst aus deinen Handlungen und willst ein besserer Mensch werden. Das ist total toll und reicht doch auch.

Bitte verzeih dir selbst, sei nicht zu streng mit dir. Du bist wie jeder andere ein toller Mensch, der es ja gut meinte. Wir sind alle fehlbare Wesen, machen auch mal etwas Dummes und schlechtes. Doch wir haben es alle verdient, dass wir eine zweite Chance bekommen, wir dürfen alle daraus lernen und wir dürfen trotzdem glücklich werden. Erlaube dir das.


Liebevoller Umgang mit dir

Was dir fehlt, ist, der liebevolle Umgang mit dir selbst. Vielleicht steckt in dir der starke Kritiker, der dich weiter quälen will, für das, was du früher getan hast. Aber du solltest dich nicht allein darauf reduzieren lassen. Du bist ganz sicher ein toller Mensch mit vielen guten Seiten. Du hast es verdient, geliebt zu werden. Und vor allem, hast du es verdient, dass du selbst gut zu dir bist. Bitte höre auf dich weiter zu quälen. Kümmere dich um dich selbst, sei liebevoll zu dir. Stell dir vor, du wärst du wärst dir selbst ein Freund. Wie würdest du mit dir selbst umgehen?


Mit Therapeutin darüber reden

Am besten wäre es, wenn du eben doch mit deiner Therapeutin darüber sprechen würdest. Ergründe mal, warum du so eine große Angst davor hast, es ihr zu erzählen. Was hemmt dich so sehr? Und was würde passieren, wenn du es doch tun würdest? Würde sich das nicht befreiend anfühlen?


Ich habe dir noch ein paar hilfreiche Links zusammengestellt. Schau doch gern rein:
https://de.wikihow.com/Mit-Schuldgefühlen-umgehen
https://zeitzuleben.de/schuldgefuhle-uberwinden/

Außerdem empfehle ich dir als Akut-Ratgeber die Nummer gegen Kummer (116 111 oder unter https://www.nummergegenkummer.de/und die Telefonseelsorge (0800.1110111 oder 0800.110222 oder unter der Webseite https://www.telefonseelsorge.de). Diese wahren Anonymität, wodurch es leichter werden kann, die Hilfe zu suchen. Die Berater können gut einschätzen, welche Hilfe notwendig ist.


Ich wünsche dir von Herzen, dass du dir selbst vergibst und deinen Frieden findest. Und dass du künftig auch liebevoller mit dir sein kannst. Alles alles Gute!


Liebe Grüße,
Lan