Problem von L. - 27 Jahre

Ich seh den Abgrund

Hallo.
Seit ich neulich das Gespräch hatte, dass ich nach der Ausbildung nicht übernommen werde, was sehr lange aufgeschoben wurde seitens der Geschäftsleitung, geht es mir so mies. Tag der Prüfung ist bekannt, ich werde wohl sicher auch bestehen. Psychisch gesehen wäre es besser die Prüfung in einem halben Jahr zu wiederholen. Schiebt aber auch nur auf und ich will auch nicht absichtlich durchfallen, schon gar nicht bei meinem Lebenslauf.
Ich werde dann auch so gut wie keine Sozialkontakte haben in der Stadt.

Ich fürchte mich davor, gnadenlos zu versacken, obwohl ich mir eigentlich viel vorgenommen habe an Bildungsangeboten und Sport...
Dass mich die Depression wieder einholt, der ich mit der neuen Perspektive, nach langer Ausbildungsplatzsuche zu entkommen geglaubt hatte, und mich so sehr lähmt, dass ich wohl längere Zeit arbeitslos bleibe, erst Recht in dieser beschissenen Wirtschaftslage gerade, es gibt kaum Stellen und ich bin frisch aus der Ausbildung und daher eh 3. Wahl.
Sinnlos zuhause rumsitzen, das hab ich schon im Urlaub nicht ausgehalten.

Ich werde regelrecht trauern, um meine Kollegen, das weiß ich jetzt schon, denn wir waren fast wie eine Familie, und es ging mir so gut dort, ich fühlte mich wie zum ersten Mal im Leben angekommen. es tut ihnen echt leid, dass ich nicht bleiben darf und sie verstehen es nicht. Jeder von ihnen war überzeugt dass ich übernommen würde, ich habe gute Arbeit geleistet wurde viel gelobt und hatte auch gute Noten.
Ich vermute dass es wohl einfach mein Charakter ist, weswegen ich nicht bleiben kann, auch wenn der offizielle natürlich ein anderer ist . Und das ist schlimm.
Das würde nämlich bedeuten dass ich nirgends länger als nötig geduldet werde.

Ich weiß nicht wie ich damit klarkommen soll.

Lan Anwort von Lan

Liebe L. oder lieber L.,

danke für deine Nachricht.

Das ist erstmal sehr frustrierend, dass du erfahren hast, dass dich dein Ausbildungsbetrieb nicht übernehmen wird. Gerade wenn du frisch mit der Ausbildung fertig bist, kaum Erfahrungen hast und dann am Arbeitsmarkt loslegen musst, macht das nicht wirklich Mut und tut auch deinem Selbstvertrauen nicht gut.

Aber wie du am Ende deines Textes schon geschrieben hast: Es kann nicht daran liegen, dass du ein schlechter Azubi warst. Und ich glaube dir auch, dass du gut warst und gute Leistung gezeigt hast.

Ob es nun an deinem Charakter liegt oder nicht, das kann ich dir nicht sagen, aber ich vermute mal ganz stark, dass es nicht so war. Hast du dafür Belege? Hat dir das jemand gesagt? Solche persönlichen Angelegenheiten sollten bei der Frage, ob jemand übernommen wird oder nicht, keine Rolle spielen. Und wenn es das tut, dann war es nicht der richtige Betrieb, wenn du mich fragst.


Doch Chance auf Übernahme?

Was war denn der "offizielle" Grund?
Besteht vielleicht nicht doch noch einmal eine Chance, übernommen zu werden? Hast du vielleicht jemanden bei deinen Ausbildern, mit denen du reden kannst und dich erkundigen kannst, ob es nicht doch eine Chance für dich gibt? Wenn du wirklich bleiben willst, dann würde ich an deiner Stelle es einfach nochmal versuchen. Gibt es vielleicht einen Betriebsrat bei dir, der prüfen kann, ob auch alle Regelungen eingehalten wurden?

Ich merke, dass du dich sehr auf deinen jetzigen Ausbildungsbetrieb fixiert hast. Das verstehe ich auch, denn du fühlst dich richtig wohl und dort gut aufgehoben. Du kennst dich gut dort auf, hast dich gut eingearbeitet, kennst die Abläufe. Das ist für dich ein vertrautes Umfeld geworden. Die Kollegen sind dir sehr ans Herz gewachsen und wichtig geworden. Verständlich, dass du da nicht weg willst und dass du so enttäuscht und traurig über die nicht geplante Übernahme bist.

Aber je mehr du dich davon herunterziehen lässt, desto schwerer wird es für dich, nach vorne zu schauen. Und gerade das ist so wichtig. Ich lese heraus, dass du ohne Hoffnungen bist, denkst, dass du irgendwo anders keine Chancen hast, dich keiner nehmen will.


Eine Zukunft haben

Aber das steht doch in total Gegensatz zu dem, was du über dich als Azubi geschrieben hast. Du hast doch gezeigt, dass du das, was du gelernt hast, gut kannst. Dann sollten das auch die Betriebe, bei denen du dich bewerben könntest, auch sehen. Sie sehen doch dann dein Zeugnis oder auch deine Arbeit, falls du bei ihnen Probe arbeiten solltest.

Ich weiß, es fällt dir jetzt vielleicht schwer, nach vorne zu schauen. Du hängst sehr an deinem aktuellen Betrieb, willst nicht loslassen, weil er dir so ans Herz gewachsen ist. Total verständlich. Aber wenn es wirklich nicht vermeidbar ist und du auch keine Übernahme aushandeln kannst, wäre es für dich am besten, zu versuchen, das Beste daraus zu machen. Das ist schwer, das glaube ich dir gern.

Aber nur weil du nicht übernommen wirst, ist das nicht das Ende deiner Karriere, auch wenn du es gerade so siehst. Wer sagt denn, dass du die 3. Wahl bist? Wie kommst du auf diesen Gedanken? Versuche das mal zu hinterfragen. Stimmt das wirklich so? Frage auch mal deine Ausbilder oder betrachte dich mal selbst aus einer objektiven Perspektive und schau dir deine Noten an. Die sprechen wahrscheinlich ein anderes Bild.


Neue Chancen sehen

Du solltest schauen, was jetzt zu tun ist und was du tun kannst, um doch einen guten Start ins Arbeitsleben zu bekommen. Du solltest dich auf jeden Fall gleich bei der Arbeitsagentur dann als arbeitslos melden. Umso schneller kannst du Arbeitslosengeld und eine Vermittlung in Anspruch nehmen. Beides Dinge, die wichtig sind in der Phase zwischen Ausbildung und einem neuen Job. Man weiß nie, wie lange es dauert, bis du einen Betrieb findest. Es kann sein, dass es schneller geht, aber auch länger, muss aber nichts über deine Fähigkeiten als Person aussagen.

Lass dich von der Tatsache, dass du nicht übernommen wirst, nicht entmutigen. Es mag wie ein Schock für dich sein, der dich lähmt. Das kann ich verstehen und so würde es jedem anderen in deiner Situation auch gehen.
Aber länger passiv zu bleiben und darüber zu trauern, bringt dich leider nicht voran und tut dir auch nicht gut. Damit verschließt du dich vor neuen und wertvollen Chancen.

Stattdessen wäre es besser, wenn du die Tatsache versuchst, zu akzeptieren. Ich weiß, das ist hart, aber es führt leider kein Weg daran vorbei. Akzeptieren ist der erste Schritt zur Besserungen. Und wenn du lernst, das zu akzeptieren, eröffnen sich dir neue Wege. Du kannst dann aktiv werden und solltest das auch bald tun.

Du kommst frisch aus der Ausbildung. Zwar magst du jetzt nicht so mit Erfahrungen und Wissen wie andere ältere punkten. Aber dafür gleichst du das mit anderen Dingen aus: Dein Wissen, was du erworben hast, ist frisch. Du bist lernwillig, du kannst dich wahrscheinlich auch leichter einarbeiten und dich eher anpassen als ältere Arbeitnehmer. Du bringst sehr wahrscheinlich auch mehr Durchhaltewillen und Motivation mit. All das, was vielleicht andere, die länger dabei sind oder länger arbeitslos sind, vielleicht nicht mehr so haben.


Neue Stellen suchen

Darum starte sobald wie möglich mit der Arbeitssuche, schaue dich nach Stellen um, die dich ansprechen.

Du sprichst auch eine berufliche Weiterbildung an. Auch etwas, was du in Angriff nehmen kannst und solltest, wenn du auf Arbeitssuche bist. So nutzt du die Zeit sinnvoll aus. Weiterbildung ist eine gute Möglichkeit, die Zeit bis zur nächsten Festanstellung zu nutzen und damit die eigenen Chancen dafür zu erhöhen. Viele Weiterbildungen werden von der Arbeitsagentur gefördert, dazu kannst du dich leicht informieren oder beraten lassen.

Wenn es vielleicht kein Stellenangebot mit Festanstellung gibt, kannst du dich auch nach Praktika umsehen. Da kannst du noch mehr Erfahrung in deinem Beruf sammeln. Achte auch da darauf, dass Geld und Arbeitsbedingungen stimmen.

Dein Text liest sich so, als gäbe es entweder nur die Möglichkeit der Übernahme, die absolut positiv wäre und dann das andere Extrem: Dass dich keiner dann nehmen will, weil du bereits nicht übernommen wurdest. Aber versuche nicht so in Extreme zu denken. Da gibt es sicherlich auch noch mindestens einen dritten Weg, nämlich, dass du woanders genommen werden kannst. Das kann auch durchaus sein und die Chancen stehen sehr gut, wenn du deine guten Noten hast und die Prüfung auch gut besteht.

Mache dir bewusst: Du bist nicht allein. Du bist nicht der erste und auch nicht der letzte (gute) Azubi, der nicht übernommen wurde. Das kommt eben vor. Aber vielleicht gibt dir das Trost: Die meisten Azubis, die sich nach der Ausbildungszeit arbeitslos melden, haben etwa drei Monate später einen anderen Job gefunden. Du hast gute Chancen, woanders zu kommen. Und wer sagt, dass der Betrieb und die Kollegen nicht auch gut sein können? Gib ihnen doch bitte eine Chance. Nur weil du nicht übernommen wurdest, bist du deswegen kein Verlierer, es muss ja nicht mal an dir liegen und das glaube ich sehr stark.


Mehr Vertrauen in dich selbst

Ich vermute, dass du selbst nicht so sehr an dich glaubst. Aber dazu besteht kein Grund. Ich bin mir sicher, dass du viel kannst und deine Noten belegen das auch. Also bitte, habe mehr Vertrauen in dich und deine Stärken. Du machst das toll und solltest das auch an dir wertschätzen und deine Erfolge feiern.

Ich kann deine Angst nachvollziehen, in ein Loch nach Ausbildungsende zu landen. Du denkst, dass du keine Motivation hast und dich eben davon runterziehen lässt, dass du bei deinem Wunschbetrieb nicht übernommen wurdest.


Psychologische Hilfe suchen

Du schreibst, dass du bereits eine Depression erlebt hast, nachdem du lange nach einem Ausbildungsplatz gesucht hast. Das ist dann natürlich richtig schwer und hart zu verkraften, dass dir sozusagen deine neue Perspektive wegfällt. Ich verstehe, dass dich das wieder sehr herunterzieht.
Wie wäre es, wenn du dir auch psychologische Hilfe suchst oder zu einer Beratungsstelle, wenn du merkst, dass du es allein nicht mental packst? Das könnte dir helfen und dich wieder stabilisieren.

Dass du traurig bist, weil du deine Kollegen dann nicht mehr täglich siehst, verstehe ich. Aber nur weil ihr dann nicht mehr zusammenarbeitet, heißt das doch kein Abschied. Ihr könnt doch trotzdem privat Kontakt halten. Was spricht dagegen, wenn ihr euch so gut versteht, dass ihr sozusagen eine Familie geworden seid?

Was deine Prüfung betrifft: Du solltest da wirklich auf dich und deinen Körper hören. Fühlst du dich in der Lage, die Prüfung zu machen? Schaffst du das? Du solltest dir nichts zumuten, was dich an deine psychischen Grenzen bringt. Wenn du merkst, du kannst dich nicht konzentrieren und würdest dann vielleicht durchfallen, dann wäre es besser, die Prüfung ein halbes Jahr später zu machen.

Ich hoffe, dass ich dir einige Anregungen und Hoffnung geben konnte. Ich glaube fest an dich! Ich wünsche dir von Herzen viel Mut, Durchhaltewillen und alles Gute für deinen weiteren Lebensweg.

Liebe Grüße,
Lan