Problem von Rikki - 21 Jahre

Er will Erfahrungen sammeln, ich nicht

Hallo liebes Kummerkastenteam,
ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll... ich bin seit ca. 2 Wochen single und habe das Gefühl die Liebe meines Lebens verloren zu haben. Ich wollte die Trennung nicht, auch wenn ich diese initiiert habe.

Aber jetzt mal von vorne... mein Ex-Freund und ich sind fast 3 Jahre zusammen gewesen, ich war damals 18 und er 19. Es war eine sehr schöne Beziehung, wir haben uns nie wirklich gestritten bzw angeschrien (sind beide nicht der Typ dafür) und haben größtenteils trotzdem offen kommuniziert. Wir haben zusammen unser erstes Mal gehabt, obwohl er sogar zwei Beziehungen vor mir hatte (für mich war es die erste). Alle sexuellen Erfahrungen haben wir zu zweit gemacht und miteinander erlebt. Als die Jahre vergingen haben wir aber auch angefangen darüber zu sprechen wie es wäre mir jemand anderen zu schlafen. Die Neugier war bei beiden da, aber wir haben es dann doch abgetan, weil wir dachten beide eifersüchtige Menschen zu sein und naja... weil es einfach gesellschaftlich auch nicht der Norm entspricht Freipässe zu geben oder gar eine offene Beziehung zu führen.
Aber das war nicht das einzige... wir hatten nicht sehr oft Sex am Ende der Beziehung (einmal die Woche). Ich wusste, das es für ihn nicht genug war, vor allem hatte er es auch schonmal gesagt, als ich ihn drauf angesprochen habe. Ich wollte einfach nicht so oft, ich hatte nicht das Bedürfnis danach. Aber trotzdem setze mich unser Sexleben unter Druck... was aber auch nie seine Absicht war. Er war immer sehr rücksichtsvoll beim Sex, zwang mich nie dazu, wollte, dass es mir gut geht, hat oft gefragt, ob mir was weh tut etc. (das hat den Sex sehr schön gemacht, aber der Druck war trotzdem da).

Soviel zur Vorgeschichte... mein Ex-Freund war dann an einem Wochenende bei einer Party zu der er mich auch eingeladen hat, ich aber abgesagte, da ich für die Uni ein Projekt fertig bekommen sollte. Trotzdem telefonierten wir, da er bei der Party niemanden kannte, er generell nicht so der Party-Mensch ist und manchmal Schwierigkeiten hat Leute kennen zu lernen. Ich machte ihm beim Anruf ein kleines Liebesgeständnis und sagte ihm auch, dass er zumindest versuchen solle Spaß zu haben. Ein "Ich liebe dich auch" kam von ihm.

Am Montag trafen wir uns dann und ich sagte ihm, dass ich über unsere Beziehung sprechen wollte (ich wollte den Druck ansprechen, der aufgrund unseres Sexleben entstanden ist). Er stimmte zu und sagte ebenfalls, dass er etwas ansprechen wollte: "Ich habe mich in letzter Zeit mit dem Thema offene Beziehung auseinandergesetzt und habe mich gefragt, ob das etwas für uns sein könnte", so erklärte er sich. Ich brach in Tränen aus und schickte ihn weg, denn ich war so verletzt. Ich wollte keine offene Beziehung... das war mir da schon klar.
Irgendwann haben wir uns dann ausgesprochen (tatsächlich mehrmals) und es stellte sich heraus, dass er sich nach Erfahrung sehnte. Nicht nur sexuell, sondern allgemein. Für ihn war klar, dass er das braucht, wieso genau und was er davon erwartete war ihm nicht klar und das hat er auch so kommuniziert. Er erzählte mir auch, wie er auf der Party eine Frau kennen gelernt hatte, die auf ihn stand und ihm auch klar gemacht hatte, dass sie auf ihn stand. "Das wäre die perfekte Gelegenheit gewesen mit ihr etwas zu starten, da ich sonst niemanden kannte und sie weit weg wohnt" meinte er nur. Wie sich später herausstellte hatten sie sich auch geküsst, was ich aber nicht über ihn erfahren habe, sondern über einen gemeinsamen Freund (später mehr dazu).
Ich erklärte ihm wiederrum, dass ich keine offene Beziehung haben wollte, dass ich zwar neugierig darauf war, wie es wäre mit jemand anderen zu schlafen, aber die Neugier bei mir nicht das Bedürfnis nach Erfahrungen auslöst. Für mich war es auch keine Lösung die 'offene Beziehung' auszuprobieren, da es eine Beziehung so kaputt machen kann, dass sich die Partner im schlechten trennen und man mit der Beziehung nur negatives verknüpft... man setzt die Bindung zueinander aufs Spiel, das wollte ich nicht.

Nach tagelanger Überlegung und Ratschlägen meiner Schwester wusste ich was zu tun war: "Ich möchte, dass wir Schluss machen und absolut keinen Kontakt zueinander haben. In einem halben Jahr, an Silvester, treffen wir uns wieder und tauschen unsere Standpunkte aus. Das heißt nicht, dass wir dann wieder zusammen kommen, aber vielleicht auch schon, vielleicht werden wir auch einfach nur Freunde... falls das dann überhaupt geht."
Er war damit zunächst nicht zufrieden. Klar, es war nicht das was er wollte. Aber ich erklärte ihm, dass er nicht beides haben kann, mich und die Erfahrungen. "Okay ja, du hast natürlich Recht. Das wäre egoistisch von mir. Aber du musst wissen, dass ich dich liebe und mich die Vorstellung irre macht dich nie wieder in meinem Leben zu haben.", sagte er. "Ich liebe dich doch auch, aber das musst du riskieren. Ich kann dir nur Silvester geben. Außerdem kannst du bessere Erfahrungen machen, wenn du komplett ungebunden bist, frei bist.", antwortete ich.

Naja... und so trennten wir uns. Es folgte nur dann noch ein Gespräch, als ich erfahren hatte, dass er sie geküsst hatte. Ich war eigentlich kochend vor Wut in das Gespräch reingegangen, ich habe ihm auch einen langen Brief geschrieben in dem ich ihm meine Wut zu spüren gelassen habe, ihm sehr vieles vorgeworfen habe... aber ich bin wieder 'gelassen' aus dem Gespräch gekommen. Ich verstand, dass er gelogen hatte und um ehrlich zu sein bin ich manchmal sogar auch der Meinung, dass es besser für mich gewesen wäre es nie zu erfahren. Aber manchmal denke ich das auch nicht, da ich absolute Ehrlichkeit wichtig finde...

Schlussendlich war es die richtige Entscheidung uns zu trennen und durch einen Kontaktabbruch emotionalen Abstand zu gewinnen, das weiß ich. Trotzdem bin ich innerlich zerissen. Ich habe begonnen ein Tagebuch zu führen und habe sogar angefangen ein bisschen zu zeichnen. Drei Bilder sind in meinem Tagebuch zu finden: ein anatomisch genau gezeichnetes Herz mit einem Riss, eine schreiende Gestalt und ein meditierendes Mädchen mit offenem ganzen Herzen. Das anatomische Herz symbolisiert wie ich mich eigentlich fühle... es symbolisiert, dass der Schmerz ein permanenter Begleiter ist, mal größer, mal kleiner, aber im Herzen, als Riss. Die schreiende Person in meinem Kopf ist nur selten da, und eigentlich nur da, wenn der Schmerz seinen Höhepunkt erreicht. Vielleicht ist das innerliche Schreien ein Ventil, um den Schmerz zu lindern.
Das meditierende Mädchen mit offenem ganzen Herzen ist eher ein Wunschdenken: Ich möchte innerlichen Frieden, den Schmerz als Begleiter los werden.

Versteht mich nicht falsch, es geht mir nicht komplett schlecht und ich weiß, dass ich die Zeit nicht vertrödeln sollte. Ich habe meine Pläne, ich werde eine eigene Tanz-Choreo erstellen, anfangen mehr zu singen, mehr Sport machen, alleine verreisen und auch mehr mit Freunden machen... und natürlich auch sexuelle Erfahrungen machen, sobald ich mich bereit dazu fühle (was gerade nicht der Fall ist). Aber das ist nicht was ich eigentlich will, eigentlich will ich ihn... auch wenn ich das nicht haben kann, und es auch nicht gut für mich und meine eigene Entwicklung wäre. Trotzdem ist das nicht was ich will...
Ich weiß, dass bei mir die Hoffnung immer bestehen bleiben wird, dass wir wieder zusammenkommen und ich weiß, dass er sie auch hat. Ich weiß auch nicht, ob ich mit der Hoffnung klar komme, denn ich habe so Angst wieder verletzt zu werden. Gleichzeitig habe ich auch Angst die Hoffnung nicht zu haben. Ich bin hin und her gerissen... ich weiß, dass ich nicht in die Zukunft schauen kann und alles möglich ist. Eins weiß ich aber... ich werde erst komplett über ihn hinweg kommen, wenn für ihn klar ist, dass wir kein Paar sein können.

Eine Sache, welche mich auch sehr beschäftigt ist, dass ich weiß, dass ich nicht so gehandelt hätte wie er. Vor allem der Kuss... er selbst meinte, dass er nicht wusste, dass er dazu in der Lage wäre mich so zu hintergehen. Bedeutet es dann schlichtweg, dass ich in mehr liebe oder er mich nicht genug liebt? Ich habe ihn damit zwar auch schon konfrontiert und gemerkt, dass ich ihm wichtig bin: er ist in Tränen ausgebrochen und meinte, dass ich die wichtigste Person in seinem Leben sei, dass ich ein unglaublicher Mensch bin. Aber es macht für mich dann keinen Sinn, warum er mich dann gehen lässt und mich verletzt zurücklässt...
Ich weiß auch, dass er mit dem Mädchen auf der Party Kontakt hat... zwar nur sporadischen und miteinander geschlafen haben sie auch nicht, aber das bricht mir ebenfalls das Herz, vor allem, weil ich mich zwangsläufig dann doch die Frage stelle, ob eine oder mehrere Eigenschaften an ihr besser sind als an mir. Ich weiß auch, dass sie irgendwann miteinander schlafen werden (höchstwahrscheinlich)... ich hoffe, es ist wird nur beim Sex bleiben...
Ich frage mich auch manchmal, ob ich nicht etwas 'besseres' verdient hätte... jemanden, der alles für mich tun würde... jemand ohne belastende, gemeinsame Vergangenheit, unverblümt... aber das Leben ist halt leider nicht so einfach und sich nach dem perfekten zu sehenen ist normal, aber einfach unrealistisch.
Ich weiß nicht was richtig und was falsch ist, aber das ist auch ok so. Und ich weiß, dass es nicht nur eine 'Liebe des Lebens' gibt... aber die Aussage macht mir eher Angst, als dass es mich beruhigen würde.

Ich möchte mir jetzt eigentlich nur nochmal eine neutrale, objektive Meinung dazu anhören... und es hat gut getan das alles nochmal runterzuschreiben. Da merke ich wieder, dass es eine gute Idee ist ein Tagebuch zu führen.

Ich bedanke mich schonmal sehr bei euch :D

Nuala Anwort von Nuala

Liebe Rikki,

ich habe lange nachgedacht, was ich dir alles antworten möchte.
Es wird sicherlich eine längere Antwort werden - und ich wünsche mir, dass du aus meinen Zeilen etwas für dich ziehen kannst.

Zunächst einmal hoffe ich, dass du gerade halbwegs "stabil" bist. Eine Trennung ist sehr kräftezehrend und hochemotional. Ich hoffe außerdem, dass du ausreichend Beistand in deinem Umfeld hast - Menschen, die einfach bei dir sind, mit dir Zeit verbringen und dir zuhören. Vielleicht hast du auch Haustiere, welche dich trösten. Und ja: Das Führen eines Tagebuchs sowie Zeichnen sind etwas ganz Wunderbares. Da hast du dir schon eine Kraftquelle erschlossen :)

Möglicherweise hat sich seit dem Einreichen deiner Zuschrift schon wieder einiges verändert. Nichtsdestotrotz gehe ich davon aus, dass meine Gedanken "nicht umsonst" geschrieben sind.

Eines möchte dich dick unterstreichen: Unabhängig von den letzten Entwicklungen gibt es den Blick zurück auf euren Werdegang als Paar. Ihr hattet eine schöne Beziehung, so wie du es beschreibst. Das wird euch niemand nehmen können! Also egal wie traurig du bist, egal was dein Ex-Freund tut oder nicht tut - es ändert nichts am reichen Erfahrungsschatz, den ihr zusammen habt.

Deine Entscheidung mit der Trennung klingt für mich nach einer Verstandesentscheidung. Doch was will dein Herz? Ich kann dir den Tipp geben, den Verstand nicht alles komplett entscheiden zu lassen. Denn letztlich tust du dir keinen Gefallen, wenn du eigentlich sehr gerne eine Beziehung mit deinem Ex-Freund führen würdest, aber es dir vom Kopf (und Ego) her verbietest.
Du kannst einmal tief in dich hineinhorchen, wie stimmig sich alles zum aktuellen Zeitpunkt für dich anfühlt - und das Hineinfühlen immer wieder durchführen. Damit meine ich nicht, dass du eines Tages zu deinem Ex-Freund zurückkehren "musst". Sondern dass es ungemein hilfreich ist, Herz und Verstand gleichermaßen für Entscheidungen zu Rate zu ziehen. Und ja, mitunter gibt es eine klare Herzenswahrheit, auch wenn es äußerlich unklug wirken würde, sich danach zu richten.
In diesem Zusammenhang kann ich dich ermuntern, auf deine Träume zu achten. Die Bildsprache der Träume kann dir sehr viel verraten und dich weiterbringen, als es der Verstand bei Tag oft vermag.

Möglicherweise tut euch die Pause auch sehr gut. Vielleicht könnt ihr euch gegenseitig eines Tages neu begegnen. Vielleicht zum Jahreswechsel, vielleicht auch gar nicht mehr. Vielleicht habt ihr aber auch schon wieder zueinander gefunden.

Ich spüre eine große Angst bei dir. Angst vor Verletzung, Angst vor der eigenen "Wertlosigkeit", Angst vor Vertrauensbrüchen. Das ist einerseits alles nachvollziehbar. Und gleichzeitig ist diese Angst gefährlich und streng genommen auch sinnlos. Wir brauchen die Angst in sehr wenigen Momenten unseres Lebens. In den allermeisten Fällen ist sie unangebracht und erzeugt erst das Leid, das wir eigentlich so tunlichst von uns fernhalten möchten.
Angst ist auch das Gegenteil von Liebe. Echte Liebe ist "unkaputtbar", edel - und für alle da. Liebe ist unendlich und schafft das scheinbar Unmögliche. Liebe macht sich nicht fest an äußeren Merkmalen, einem "Wert", einem bestimmten Verhalten. Du kannst einen Menschen tief lieben, weil du sein Innerstes erkannt hast. Völlig unabhängig davon, wie sich dieser Mensch benimmt.
Und dann ist da noch die Liebe zu uns selbst, zu dir selbst! Sie steht an erster Stelle. Die Selbstliebe hilft beispielsweise, uns da zu schützen, wo es wahrlich nötig ist. Sie hilft, unsere Wünsche zu erkennen und daraus Ziele für ein schönes Leben abzuleiten.
Wie sehr liebst du dich? Wie sehr machst du deinen Wert von äußerlichen Merkmalen abhängig?
Dein Ex-Freund könnte mit Hunderten anderer Personen schlafen und dich dennoch immer lieben! Er kann sich für andere Leute begeistern und gleichzeitig immer wissen, was er an dir hat.

Verletzungen sind im Übrigen unvermeidlich. Die glücklichsten Verbindungen sind nicht frei von Verletzungen. Liebe bedeutet nicht, dass es nicht auch Schmerz geben kann - solange Liebe nicht mit Schmerz gleichgesetzt wird! Liebe ist einfach; ohne Wenn und Aber.
Ich gebe dir dazu ein Beispiel, das für mich kürzlich sehr eindrücklich war: Eine enge Freundin hatte mir etwas mitgeteilt, was ich als persönliche Ablehnung hätte interpretieren können. Doch in Wahrheit war sie so ehrlich, wie sie sein konnte und war dabei auch noch umsichtig. Sie hat mir ihre echten Empfindungen mitgeteilt, auch wenn ich das nicht hören wollte, weil ich mir eine andere Antwort auf meine Frage gewünscht hatte. Letztlich war es ein großes Geschenk, auch wenn es an der Oberfläche geschmerzt hat. --> Schmerz bringt uns nicht um. Wir sind in der Lage, ihn zu durchschreiten wie einen Sturm, um dahinter in die Weite zu treten.

Ich möchte nun einige Punkte aus deinem ersten Teil, eurer Vergangenheit, ansprechen.
Der erste Aspekt, den ich aufgreifen möchte, ist die Häufigkeit eures Sex. Nun - wer definiert denn, was viel und was wenig ist? Reicht es nicht zu konstatieren, dass dein Ex-Freund häufiger Sex wollte als du? Einmal in der Woche Sex ist ein Fakt, mehr nicht. Ich warne davor, dass zu einer allgemeingültigen Aussage zu machen. Sex sollte nicht quantifiziert werden. Es zählt doch, was ihr damit verbunden habt. Und so wie du es beschreibst, war da viel Zuwendung und Zärtlichkeit mit im Spiel.
--> Das führt mich zu dem Aspekt mit dem Druck. Hast du dich einmal gefragt, warum du diesen Druck verspürt hast? Und hast du einmal hinterfragt, ob es einen Zusammenhang zwischen diesem unangenehmen Gefühl und deiner Trennung geben könnte? Für mich wäre es z.B. plausibel, dass du sowieso schon sehr verletzlich beim Thema Sex warst und die weiteren Vorkommnisse da einen riesigen Krater hinterlassen haben.

So ganz grundsätzlich sehe ich den Wunsch nach Erfahrungen deines Freundes nicht als das eigentliche Problem an. Immer mehr Menschen entdecken bei sich selbst, dass sie andere Lebens - und Liebeskonzepte spannend finden und es zumindest einmal versuchen möchten.
Er hat dich hintergangen - DAS ist problematisch. Nicht sein Wunsch nach neuen Erfahrungen! -
Das Belügen bzw. Hintergehen passiert leider gerade in monogamen Beziehungen recht häufig.
Die Gründe für Seitensprünge sind vielfältig. Einer davon liegt im Bereich der Erwartungen. Die hohen Erwartungen, die oftmals im Raum stehen, können nur schwer erfüllt werden. Allein schon aus der Tatsache heraus, dass es an sich schon heikel ist, (permanent) Erwartungen an den:die Partner:in zu stellen.
Lieben aus tiefstem Herzen findet ohne Erwartungen und Bedingungen statt! Nur haben wir Menschen der westlichen Kulturkreise das größtenteils verlernt und müssen uns das wieder "erarbeiten".
Aber darüber hinaus sind Erwartungen und Wünsche, die sich auf eine einzige Person beziehen, schwerlich in Gänze erfüllbar. Es ist vergleichbar mit Kumpel:inen, Freund:innen, Verwandten - eine einzige Freundin kann z.B. niemals alle Interessen teilen und alle Bedürfnisse verstehen bzw. annehmen. Warum sollte es dann ein einziger Liebespartner können?

Verstehe mich nicht falsch: Monogamie hat selbstverständlich ihre Berechtigung, wenn sie aus einer tiefsten inneren Überzeugung beider Parteien gelebt wird. Dann fällt es auch leichter, sie aufrecht zu erhalten. Nur setzt sie eben genauso viel Engagement voraus wie auch eine geöffnete Beziehung. Und ohne Ehrlichkeit und das Kommunizieren von Sehnsüchten, Bedürfnissen und Geschehnissen wird auch eine monogame Partnerschaft Fallstricke herausbilden.
Bei einer offenen Beziehung zeigt sich deutlicher, wie wichtig das stetige Miteinander-in-Kontakt-Sein ist. Doch eigentlich ist es unerheblich, welche Beziehungsform gelebt wird: Wenn das Fundament wackelig ist, ist jede Beziehung früher oder später bedroht.

Zurück zum Ideal der Monogamie: Wenn eine der beiden Personen merkt, dass sie von strikter Monogamie nicht felsenfest überzeugt ist, wird es schwierig. Dann sollte eine Trennung in Erwägung gezogen werden, bevor das Kind sprichwörtlich in den Brunnen fällt. In eurem Fall wäre es gut gewesen, wenn dein Ex-Freund sich auf der Party zurückgenommen, dich also nicht betrogen hätte. Und danach so aufrichtig zu sich und dir gewesen wäre, die Karten auf den Tisch zu legen. So wäre eine Trennung ohne diese eigentlich sehr unnötige Verletzung bei dir möglich gewesen; halbwegs ruhig und achtsam.

Ich finde es ganz wichtig, dass du den ursprünglichen Wunsch deines Ex-Freundes nach einer offenen Partnerschaft abgrenzt von seinem Vertrauensbruch. Das sind zwei getrennte Aspekte, die bei euch nur sehr unglücklich zusammengelaufen sind (bzw. sich tragisch entwickelt haben).
Allzu oft wird eine offene Beziehung mit Seitensprüngen in einen Topf geworfen, was sehr schade ist und an den Tatsachen vorbeigeht. Gerade WEIL sich ein Paar vertraut und gemeinsam über die Wünsche und Bedürfnisse im permanenten Austausch steht, ist eine offene Beziehung realistisch. Sie ist kein Freifahrtschein für Lügen. Dann ist es auch nicht mehr als offene Beziehung zu sehen. Ich denke, alle Menschen, die offen lieben bzw. vielleicht sogar polyamor sind, stimmen mir dahingehend zu. Ohne gegenseitiges Vertrauen und Rücksicht geht es nicht!

Letztlich kann man als Paar auch in eine offene Beziehung "hineinwachsen" (genauso natürlich umgekehrt). Voraussetzung meiner Ansicht nach ist allerdings größte Rücksichtnahme und die Bereitschaft, sich zurückzunehmen und es okay zu finden, wenn es monogam/offen bleibt (vielleicht mit etwas anderen Spielregeln, die gemeinsam ausgehandelt wurden).

Pärchen, die sich sehr bewusst auf eine offene und/oder polyamouröse Beziehung ausrichten, lernen meistens, sehr umsichtig und ehrlich miteinander umzugehen und klare "Spielregeln" zu vereinbaren. Der Umgang mit Eifersucht gehört auch dazu. Sie ist mehr oder weniger da und das ist in Ordnung. Dazu hier ein schönes Video über ein liebendes Pärchen in offener Beziehung: https://www.youtube.com/watch?v=ROdSj0Zl6Fs

Zu dem Punkt mit dem "Ich hätte anders gehandelt"... Ja, es ist ehrenhaft, dass du dich gegen den Betrug entschieden hättest. Doch weißt du nie zu 100%, wie du dich in einer echten Situation verhalten würdest. Das Leben ist zu komplex um das mit absoluter Gewissheit sagen zu können! In der Theorie bzw. in Gedanken kann man sich tadellos verhalten und sich für das Reine und "Richtige" entscheiden. Und in der Praxis kommt es manchmal ganz anders... Dein Ex-Freund hat möglicherweise auch gedacht, er würde das nicht tun. Und fühlt sich durch den Fehltritt wohl umso schlechter. Darum finde ich es wichtig, nachsichtig zu sein, auch wenn es schmerzt. Wir sind nur Menschen und machen dauernd Fehler, die wir bereuen.

Jetzt noch abschließend der Blick auf dich:
Ich lade dich ein, dir deine Ängste und Selbstwert-Herausforderungen ganz genau anzusehen. Wenn du da an dir selbst wächst, wirst du nicht nur auf dich bezogen profitieren, sondern auch mögliche neue Liebesverbindungen. Denn Ängste und ungelöste Konflikte verschwinden nicht einfach so und können in einer neuen Partnerschaft erneut auftreten.
Hier kannst du z.B. nach und nach reinlesen und über die Zeit hinweg bei Bedarf Veränderungen etablieren:
- https://www.danielapolenz.de/wie-dich-deine-selbstfindung-unterstuetzt-eine-glueckliche-beziehung-zu-fuehren/
- https://www.bowlofyoga.de/hooponopono-meditation/
- https://www.sinnsucher.de/blog/webinar-mit-vertrauensexpertin-eva-schulte-austum-vertrauen-kann-jeder
- https://www.dein-neuanfang.de/coaching/selbstliebe/
Literatur:
- "Die Macht der guten Gefühle. Wie eine positive Haltung ihr Leben dauerhaft verändert" von Fredrickson
- "Warum regst du dich so auf? Wie die Gehirnstruktur unsere Emotionen bestimmt" von Begley & Davidson
- "Positive Psychologie. Anleitung zum ,besseren' Leben" von Auhagen
- "Jetzt!" von Tolle
- "Wachse über dich hinaus! Mit kreativem Denken leidenschaftlicher leben" von Weikl
- "Das Kind in dir muss Heimat finden. Der Schlüssel zu (fast) allen Problemen" von Stahl
- "Wenn alles zusammenbricht. Hilfestellung in schwierigen Zeiten" von Chödrön


Du bist ein wertvoller liebenswerter Mensch, der sich im Kern nicht verändern muss, um gut zu sein. Du bist so schon gut und immer "gut genug"! Was du aber verändern darfst, sind ungesunde Denkweisen und Angewohnheiten. Versuche, dich ganz bewusst auf Lieben im Generellen zu besinnen. Erwartungsfrei und in Freude über das "Ich liebe!".

Dazu passend noch ein Gedicht von Erich Fried:

Es ist Unsinn, sagt die Vernunft
Es ist was es ist sagt die Liebe

Es ist Unglück, sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz, sagt die Angst
Es ist aussichtslos, sagt die Einsicht
Es ist was es ist, sagt die Liebe

Es ist lächerlich, sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig, sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich, sagt die Erfahrung
Es ist was es ist, sagt die Liebe



In diesem Sinne - alles Liebe!
Nuala