Problem von Anonym - 37 Jahre

Ich kann nicht abschließen

Hallo!
das Thema fing rund 2010 an, als sich unsere Eltern getrennt haben. Mein Vater zog aus in eine Mietwohnung. Seit dem ging es nur noch abwärts. Er trank immer mehr, verviel in Selbstmitleid und wurde immer ruhiger. Wir (meine Geschwister und ich) haben ihn regelmäßig besucht, er ließ aber niemand so richtig an sich ran.
Und dann März 2017 war er nicht mehr erreichbar. Niemand hat die Wohnungstür geöffnet, niemand ging ans Handy, bei der Arbeit ist er nicht mehr erschienen, wir haben die Krankenhäuser abtelefoniert...
Suizid!
Kein Abschiedsbrief, keine Andeutungen, das TV Heft lag noch von Sonntag offen auf dem Tisch, die Cola-Mix Flasche stand halb voll daneben, ein leeres gebrauchtes Glas dabei. Auf dem Küchentisch das Handy, Geldbeutel mit 5 Euro und das Päckchen Zigaretten.
Dieses Bild sehe ich immer und immer wieder vor mir und unendlich viele Fragen nach dem WARUM!
Das Problem ist, ich komme hier für mich auf keine Antworten. Auch über 4 Jahre später bin ich nicht weiter.
Habe mit meinen Geschwistern geredet, habe mit meinem Onkel (Bruder meines Vaters) geredet, aber anstatt dass ich hier für mich weiter komme, bleibt alles beim Alten. Ich finde keine Antworten und verstehe das Warum nicht.
Es fehlt mir ihm das alltägliche zu erzählen, er hat immer gerne am Auto geschraubt, gerne hätte ich ihm erzählt, wie ich eine Anhängerkupplung selbst eingebaut habe. Solche Dinge haben ihn immer sehr interessiert.
Auf den Friedhof kann ich nicht gehen, das schaffe ich persönlich einfach nicht.
Inzwischen kann ich damit leben ihn nicht mehr zu sehen, aber immer wieder beschäftigen mich diese Gedanken nach der Frage Warum.

Lan Anwort von Lan

Lieber Ratsuchende,

ich danke dir, dass du dich uns anvertraust.

Es ist schrecklich, dass du deinen Vater verloren hast, das ist eine sehr schlimme Erfahrung. Du hast mein vollstes Mitgefühl.

Das ist für die Verbliebenen wie dich und deine Familie immer schrecklich, wenn der geliebte Mensch, der geliebte Vater, einfach so das Leben aufgibt. Er hat dich zurückgelassen mit vielen Fragen, aber vor allem das "Warum" quält dich gerade sehr. Und das kann ich sehr gut nachvollziehen. Und vermutlich plagen dich auch ganz unterschiedliche Gefühle wie Trauer, Wut, Angst, Schuld. Jemanden wichtigen zu verlieren, ist hart, aber noch schlimmer, wenn derjenige selbst aus dem Leben gegangen ist. Das ist noch viel komplexer und schwieriger damit umzugehen.

Sein Tod kam plötzlich, du hast damit nicht gerechnet. Wie denn auch? Dadurch folgten vielleicht auch Schuldgefühle und Fragen, die dich belasten: Hätte ich etwas ahnen können, hätte ich etwas tun können, um das zu verhindern? Es ist das "Warum", was dich so quält und dich nicht mehr loslässt, was dich daran hindert, wirklich loszulassen und abzuschließen. Es ist ein riesiges Loch, was gefüllt werden muss, damit du selbst deinen Frieden finden und loslassen kannst.


Trauern braucht Zeit - Lass die Trauer zu

Doch eins will ich dir ans Herz legen: Es ist vollkommen verständlich, dass du trauerst und dass es auch länger dauert. Es gibt kein Richtig oder Falsch beim trauern. Manche kommen schneller damit zurecht, manche brauchen länger und das ist okay. Jeder hat sein eigenes Tempo zu trauern. Es fällt bei so vielen offenen Fragen sehr schwer, abzuschließen. Du hast deine Vater verloren, der Verlust liegt immer noch schwer, das ist nur verständlich.

Eine weitere wichtige Sache: Lass die Trauer zu, verdränge sie nicht und denke nicht, dass der Schmerz weg muss. Es ist ein langer und schwieriger Prozess, der nicht irgendwie beschleunigt werden kann. Nimm dir all die Zeit, die Trauer und den Verlust anzunehmen, das zu verarbeiten. Auch wenn ich gut nachvollziehen kannst, dass du endlich abschließen willst. Da ist immer noch so viel, was in dir brodelt, was vielleicht auch raus muss. Aber bitte sei mit dir selbst geduldig, gebe dir die Zeit, die du brauchst.

Du magst jetzt glauben, dass es nie wieder besser wird und immer weh tun wird. Es dauert lange und geht langsam, aber es wird auch wieder Zeiten geben, in denen du glücklich sein kannst und den Verlust besser verkraftest.

Ich finde es stark von dir, dass du dich auch anderen anvertraut hast wie deinen Geschwistern und deinem Onkel. Das Reden kann schon entlasten, aber ist, wie du geschrieben hast, nicht die komplette Lösung. Es frustriert dich, dass alles beim Alten bleibt und du immer noch keine Antworten auf das Warum bekommen. Das verstehe ich sehr gut.


Einen Brief schreiben

Vielleicht schreibst du mal alles, was dich bewegt auf. Vielleicht schreibst du auch deinem Vater einen Brief, den du behälst oder auch verbrennst. Du lässt alles raus, was da in dir ist. Vielleicht kann dir das Schreiben auch helfen, eine Antwort auf das Warum zu bekommen. Du wirst merken, dass du dich danach, auch wenn es vielleicht erst einmal weh tut, befreiter fühlst.


Anderweitig Hilfe suchen

Hast du schon mal in Erwägung gezogen, zu einer Selbsthilfegruppe für Hinterbliebene zu gehen? Die Betroffenen haben auch jemanden verloren, der ihnen wichtig ist. Das könnte für dich eine Möglichkeit sein, dich außerhalb deiner Familie mit anderen auszutauschen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Eventuell könntest du da eher Antworten auf das Warum finden.

Oder wie wäre es, wenn du einen Therapeuten aufsuchst? Das ist überhaupt nichts, wofür du dich schämen musst und es ist auch nicht schlimm. Siehe es als eine wichtige Möglichkeit, dir selbst zu helfen. Manchmal kommen wir an unsere Grenzen, wo wir uns nicht mehr helfen können, aber Hilfe brauchen. Und ich vermute mal, dass es bei dir auch so sein könnte. Du schreibst, dass dir der Trauerprozess noch immer schwer fällt, auch wenn du Fortschritte gemacht hast. Vielleicht brauchst du jemanden, der dir zuhört, der dir noch weitere neue Perspektiven und Möglichkeiten gibt. Das Reden in der Therapie könnte dir helfen, alles zu ordnen und auch da vielleicht Antworten auf das Warum zu finden. Du könntest es ausprobieren und wenn du merkst, das ist nichts für dich, dann wäre das auch in Ordnung.

Hier ist ein kleiner Leitfaden, der dir helfen kann, einen Psychotherapeuten zu finden:
https://mein-kummerkasten.de/Soforthilfe/31/Professionelle-Hilfe-Wie-finde-ich-einen-Psychotherapeuten.html

Auf der Webseite "www.hilfe-nach-suizid.de/" findest du wertvolle Hilfsangebote zusammengefasst: https://www.hilfe-nach-suizid.de/hilfsangebote

Ich habe dir noch andere Links zusammengestellt. Schau doch gern rein:

https://mein-kummerkasten.de/333053/Der-Suizid-meiner-besten-Freundin.html
https://mein-kummerkasten.de/331675/Ich-kann-nicht-mit-dem-Tod-von-meinem-Vater-abschliessen.html
https://mein-kummerkasten.de/index.php/260725/Papa-3.html
https://www.sueddeutsche.de/leben/suizid-des-vaters-noch-nie-habe-ich-mich-so-allein-gefuehlt-1.2799353


Abschließend lege ich dir noch einmal ans Herz: Gib dir Zeit, zu trauern. Es ist total okay, dass du noch immer keine Antworten gefunden hast. Ich glaube fest daran, dass du sie finden wirst. Wenn es zu schwer wird, scheue dich nicht davor, dir Hilfe zu suchen. Du bist nicht allein, es gibt Menschen, die dir jetzt beistehen und dich unterstützen können.

Ich wünsche dir alles Gute und ganz viel Kraft für deinen Lebensweg.

Viele Grüße,
Lan