Problem von Rebecca - 29 Jahre

Unzufriedenstellende Arbeits- und Familiensituation

Hallo liebes Kummerkasten-Team,

ich melde mich bei euch, weil ich gerne mal mit einem Außenstehenden über mein Anliegen sprechen möchte.
Erst einmal kurz zu mir: Ich bin 29, verheiratet und Mutter einer einjährigen Tochter. Klingt alles ziemlich perfekt, oder ? Ist es eigentlich auch. Aber eben nur eigentlich.

Mich plagen momentan ziemliche Zukunftsängste. Mein Arbeitsvertrag lief ziemlich genau zu der Geburt meiner Tochter aus, seitdem bin ich zu Hause und mein Mann verdient die Brötchen. Er ist in seinem Job allerdings nicht sehr glücklich. Sein Team ist eher wenig optimal (neue Kollegen kündigen binnen kürzester Zeit, weil der Teamgeist fehlt), die Arbeit unterfordert ihn, er darf aber auch die Abteilung nicht wechseln und was anspruchsvolleres machen (da ja alle neuen Kollegen kündigen und sie daher unterbesetzt sind). Bestrebungen, sich beruflich zu verbessern, werden vom Chef nicht gewünscht und schlecht bezahlt ist der Job auch. Wir kommen zwar finanziell über die Runden, aber sollte im nächsten Jahr eine Mieterhöhung anstehen (was aus verschiedenen Gründen wahrscheinlich ist), wären wir wohl auf Wohngeld oder ähnliches angewiesen.

Hinzu kommt, dass ich TOTAL GERN wieder arbeiten gehen möchte. Versteht mich nicht falsch, ich liebe mein Kind über alles und verbringe auch gerne Zeit mit ihr. Aber ich bin trotzdem unglücklich. Ich bin unterfordert, vermisse ernste Gespräche und habe die Monotonie satt. Jeder Tag läuft exakt gleich ab, mit wenigen kleinen Ausnahmen. Putzen, kochen, spielen, Bücher gucken, spazieren gehen...

Mein Mann und ich sind vor drei Jahren wegen meiner alten Arbeit hierher gezogen, kennen also kaum Leute hier und durch Corona konnte man ja auch schlecht welche kennen lernen. In meinem Freundeskreis in meiner alten Heimat bin ich die einzige mit Partner und Kind. Das sorgt natürlich dafür, dass bei gemeinsamen Treffen früher oder später immer darüber gesprochen wird, was gerade auf Arbeit ansteht und welche Weiterbildung man anstrebt. Da habe ich natürlich wenig beizusteuern, obwohl ich gerade tatsächlich eine Weiterbildung absolviere. Dennoch genieße ich diese Gespräche irgendwie, das es mal "was anderes". Meine "Muttibekanntschaften" wiederum verstehen meine Sorgen gar nicht. Sie sagen, ich solle die Zeit zu Hause genießen. Da haben sie ja auch recht, aber das ist leichter gesagt als getan.

Meine Tochter ist inzwischen etwas über ein Jahr alt. Nach ihrer Geburt hatten wir beschlossen, sie mit zwei in den Kindergarten zu geben. Das Kitajahr beginnt im August, bis die Eingewöhnung vorbei ist dauert es ebenfalls ein paar Wochen. Wir haben also allerfrühestens in einem Jahr eine geregelte Betreuung. Als wir sie für die Kita angemeldet hatten, war sie ein halbes Jahr alt. Wir konnten uns damals einfach nicht vorstellen, ein so kleines Kind schon mit eins in die Kita zu geben. Nun ist sie allerdings ein so aufgewecktes und fröhliches Mädchen, das jeden anlächelt und auch gerne mit anderen Kindern spielt. Ich kann sie auch problemlos einige Zeit allein (bzw. bei Oma und Opa) lassen. Ich merke, wie gut ihr der Kontakt mit anderen Kindern tut und merke gleichzeitig, dass ich allein ihr nicht auf Dauer gerecht werden kann. Außerdem habe ich Angst, dass sich der letzte Herbst / Winter wiederholt (Stichwort Lockdown). Damals war ich psychisch sehr labil, weil alle Änderungen um mich herum (Muttersein, keine Arbeit, keine Freizeitaktivitäten, keine Freunde vor Ort) mich sehr heruntergezogen haben. Die Vorstellung, noch ein Jahr zu Hause zu bleiben, ist für mich momentan unerträglich. Nachträglich eine Betreuung für unsere Tochter zu organisieren, ist allerdings unmöglich. Die Kitaplätze werden zentral von der Stadt vergeben und wer sich bis zum Anmeldeschluss nicht angemeldet hat, ist für das Kitajahr raus. Tagesmütter haben ebenfalls keine Kapazitäten mehr. Zudem ist es nicht einmal sicher, ob wir nächstes Jahr eine Betreuung bekommen, da wir diese theoretisch ja auch privat organisieren können (ich habe ja keinen Arbeitgeber, der auf meine Rückkehr wartet). Da müssten wir im äußersten Notfall den Rechtsweg wählen...

In meiner Branche werden regelmäßig Bewerber gesucht und die Arbeit ist auch relativ gut bezahlt. Das Wissen, dass ich tatsächlich eine reelle Chance auf einen Job habe und unsere finanzielle Situation deutlich verbessern könnte, macht es natürlich nicht einfacher für mich. Neulich bekam ich Besuch von einer ehemaligen Kollegin, die meinte, dass meine alte Abteilung mich sehr vermisst. Auch das ist einerseits erfreulich, andererseits natürlich auch irgendwo belastend. Ich kann aber nicht erwarten, dass mein Mann kündigt, damit ich arbeiten gehen kann. Er arbeitet in einer Branche, in der Jobs rar und Festverträge eine Seltenheit sind. Zu kündigen, ohne eine andere unbefristete Stelle in Aussicht zu haben, wäre naiv. Und unbezahlten Urlaub oder Elternzeit wird er nicht genehmigt bekommen, da sein Büro wie gesagt unterbesetzt ist.

Es ist einfach frustrierend, dass wir beide mit unseren jeweiligen Situationen unzufrieden sind und wir einfach keine Lösung finden...

Jetzt ist es tatsächlich länger geworden als ich dachte und ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ihr mir helfen könnt, aber es tat gut, alles einmal runterzuschreiben. Vielen Dank, dass ihr euch die Zeit nehmt!

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Rebecca,

danke für dein Vertrauen in uns. Ich hoffe, dass es dir ein wenig geholfen hat, deine Gedanken und Gefühle auszuschreiben - und vielleicht kann ich dir ja ein paar Impulse bieten.

Ich kenne dich und deinen Mann nicht und bin daher natürlich nicht in der Lage, zu übersehen, wie genau es eigentlich zu dieser Situation gekommen ist. Da mögen ganz verschiedene Punkte eine Rolle spielen. Tatsache ist doch aber, dass du nicht nur mit der jetzigen Situation sehr unglücklich bist, sondern dass du in der Vergangenheit auch schon feststellen musstest, dass deine Belastungsgrenzen real sind. Weder dir noch deinem Mann kann daran gelegen sein, dass du erneut in eine seelische Krise abrutschst und womöglich nicht nur deine Gesundheit, sondern auch eure Beziehung und - last but not least - deine Tochter darunter leiden. In Bezug auf die Stabilität deiner Familie und in Bezug auf deine eigene Gesundheit schilderst du etwas, das bedrohlich ist. Und ich bitte dich deshalb, deine Probleme nicht auf die lange Bank zu schieben oder dir einzureden, dass es ja "eigentlich perfekt" und Luxusnöte seien. Das sind sie spätestens dann nicht mehr, wenn das Problem dich bezwingt - statt umgekehrt.

Benennen wir doch einfach mal ein paar Fakten, Rebecca: 1., dein Mann und du seid in der Lage, euer Leben zu bestreiten, wenn nur einer arbeiten geht - sofern dessen Einkommen ausreichend ist. 2., du hast den dringenden Wunsch, wieder arbeiten zu gehen, weil du Freude daran hast, deinen Beruf magst und im Moment weder geistig noch sozial ausgelastet bist. 3., wärst du die Alleinverdienerin, würde dir das nicht nur psychisch enorm gut tun, sondern ihr wärt auch finanziell besser aufgestellt. Und schließlich - 4. - dein Mann ist in seinem Arbeitsumfeld bereits unglücklich, was weder ohne Auswirkungen auf sein Seelenleben, noch, indirekt, auf eure Beziehung bleiben kann.

Ich denke, es überrascht dich nicht wirklich, wenn ich dir sage, dass doch im Grunde genommen alles dafür spricht, dass nicht dein Mann, sondern du "die Brötchen verdienst". Zweifellos stellen auch seine beruflichen Chancen und Möglichkeiten einen Faktor dar, den man nicht einfach ignorieren kann. Aber ganz davon abgesehen, dass dein Wiedereinstieg euch als Familie offenbar mehr Sicherheit bieten könnte - wenn du nur in den Kategorien von Geld und Verträgen denkst, bleibt das außer Acht, worum es eigentlich gehen sollte: Eure Gesundheit. Es so zu handhaben, wie ihr es jetzt gerade tut, ist für alle Beteiligten ungesund. Das Dasein als Hausfrau und Mama bietet dir nicht die Auslastung und Abwechslung, die du brauchst und dir wünschst, während dein Mann trotz der kräftezehrenden Atmosphäre nicht versprechen kann, euch davor zu bewahren, Wohngeld in Anspruch zu nehmen. All das ist eine ungute Gemengelage, die so nicht mehr gegeben wäre, wenn du wieder berufstätig wärst.

Was also bleibt noch offen? Nun, ich würde sagen, zwei Punkte, Rebecca. Der erste betrifft deinen Mann: Wie hat er sich dir gegenüber verhalten, als du in der näheren Vergangenheit labil warst? Hast du das Gefühl, von ihm Verständnis zu erfahren? Ich frage das nicht deshalb, weil ich in dir Zweifel an deiner Beziehung oder gar an der Ehe säen wollen würde. Sondern deshalb, weil du - für mich überraschend - hierzu nichts weiter geschrieben hast, außer, dass ihr beide unzufrieden seid. Du hast aber erwähnt, dass du von deinem Mann nicht erwarten könntest, zu kündigen, "damit ich arbeiten gehen kann". Liebe Rebecca - dein Mann soll bestimmt nicht kündigen, damit du arbeiten kannst. Aber eventuell wäre es eine Überlegung wert, zu kündigen, damit die Frau, die er liebt, nicht mehr jeden Tag Angst haben muss und langsam, aber sicher in die Depresson abrutscht? Dies würde auch dann noch gelten, wenn von einem Rollentausch keine Verbesserung des Familieneinkommens zu erwarten wäre. Für deinen Mann scheint nicht in Betracht zu kommen, sich beruflich umzubilden, oder befristet zu arbeiten - von dir hingegen wird selbstverständlich erwartet, dass du deinen Beruf, den du liebst und der dir Befriedigung verschafft, im Großen und Ganzen aufgibst. Wenn du nun sagst, dass ich ihm Unrecht täte, hast du damit vermutlich vollkommen Recht. Ich drücke mich so aus, um "den Finger in die Wunde zu legen" - sprich, die Punkte anzusprechen, die unangesprochen bleiben. Was ja Ursachen haben muss. Als dein letzter Vertrag endete, erschien es nur folgerichtig, zu Hause zu bleiben (jedenfalls klingst du so)... aber warum eigentlich? Natürlich kann man sich immer sagen "später, wenn die Kleine im Kindergarten ist"... aber wer weiß, ob dann, wenn es so weit ist, nicht ein "später, wenn sie in der Schule ist" daraus wird? Ich kann es dir nicht sagen. Nur du kennst die Antworten. Und das gleiche gilt für den zweiten Punkt, nämlich, was deine Tochter betrifft: Traust du ihrem Vater nicht zu, sich um sie zu kümmern? Würde er sich dagegen wehren - obwohl das, was du "naiv" nennst, von ihm nicht mehr erwartet wäre, als von dir erwartet wird? Würden deine Bekannten es missbilligen (nachdem sie dir ja sagen, du sollst die Zeit, die für dich nunmal eine Qual ist, "genießen" - womit sie keinesfalls Recht haben, sondern das Problem, sicher ungewollt, verschlimmern)? Was sind deine Ängste, Rebecca? Du hast nur an der Oberfläche gekratzt. Was passiert, wenn du morgen einfach nicht mehr kannst, wenn die Dunkelheit dich überwältigt? Ich weiß es nicht, denn du teilst es nicht mit. Aber dass es dir schrecklich geht, das teilst du sinngemäß mit, und ich schreibe ja schließlich dir, nicht deinen Freunden, nicht deinem Mann. Was würde deine Tochter über Mama und Papa erzählen, wenn sie in der Lage wäre, uns zu schreiben? Was würde sie wollen?

Ich denke nicht, dass das, was ich schreibe, für dich bequem ist. Vielleicht ärgerst du dich ja sogar. Das müsste ich in Kauf nehmen. Denn worum es mir geht - und das hast du sicher schon gemerkt - ist vor allem dein Seelenleben und deine Gesundheit. Nicht alles, was du brauchst, muss dem entsprechen, was andere wollen. Aber ganz egal, ob du nun Hausfrau und Mutter bist, oder nicht - Bedürfnisse lassen sich nicht wegignorieren. Es gibt keinen Königsweg, aber ich möchte dich bitten, dich an dem zu orientieren, was für euch als Familie das Beste wäre - und ich meine emotional, nicht finanziell. Was das ist, kannst am Ende nur du wirklich wissen. Ich weiß nur, dass es nicht besser wird, wenn du noch viel länger mit Grübeln verbringst.

Ich stecke nicht in deinen Schuhen und ja - vielleicht maße ich mir zuviel an. Aber eines ist für mich klar, nämlich, dass es mehr ist als bloß "unbefriedigend". Es ist vielmehr so, dass du todunglücklich bist und alle Umstände nicht geeignet sind, daran etwas zu verbessern. Ich habe vor allem davor Angst, dass du fortfährst, deine Probleme kleinzureden und als Egoismus darzustellen, was aber falsch ist. Was immer die Lösung ist, Rebecca: Mach dich nicht klein, stemple dich nicht ab, weil du vom Leben mehr erwartest als das, was jetzt deine Tage ausfüllt. Trau dich, zu denken, dass das, was für dich gut ist, auch für andere gut sein könnte - wie auch immer ihr euch letztlich entscheidet. Das wäre mein Wunsch für und mein Rat an dich.

Nachdenkliche Grüße,

Paul