Problem von Belle - 14 Jahre

Ich habe Angst vor dem älter werden.

mein Problem an der ganzen Sache ist ich habe einfach Angst alt zu werden dass ich nicht mehr geliebt werde das alle mich verlassen und ich mich selbst einfach nicht mehr mag. Alle anderen haben ein viel besseres Leben und können mit sich selbst umgehen und sind so erwachsen, ich kann das alles gar nicht sein ich möchte einfach ich bleiben am besten sogar die jüngere Version von mir aber ich kann leider so das nicht hinbekommen.

Nuala Anwort von Nuala

Liebe Belle,

du hast eine interessante Sichtweise offenbart. Danke für deine Zuschrift.
Hhm, hast du denn eine Idee, was genau dir beim Älterwerden Angst macht? Es kann dir sehr helfen, wenn du das mal im Detail anschaust. Streng genommen könnte es ja sein, dass du deine aktuellen Ängste, die du quasi schon die ganze Zeit hast, auf die Zukunft überträgst. Oder warum meinst, sollten sich irgendwann in ein paar Jahren deine geliebten Menschen von dir abwenden? Also: Versuche, ganz genau herauszufinden, woher das kommen könnte! Das allein schwächt deine Angst schon ab, weil du sie erforschst und sie dir nicht mehr wie ein dunkles Schreckgespenst vorkommen muss. Dazu kann ich dir empfehlen, ganz viel aufzuschreiben, z.B. per Tagebuch, und mit deinen Liebsten darüber zu sprechen. Weinen bringt auch ganz viel; allgemein das Zulassen deiner Empfindungen.

Ich glaube, vielen jungen Menschen geht es manchmal so wie dir. Besonders im Lebensabschnitt Pubertät sind solche Befürchtungen anzutreffen, weil sich einerseits in dir als Heranwachsende viel verändert und sich zugleich auch in unserer Welt so unglaublich viel regt, was mitunter absolut furchteinflößend daherkommt. Die Medien und die sozialen Netzwerke sind leider auch nicht die hilfreichsten Begleiter, was einen achtsamen Umgang mit Ängsten anbelangt. Häufig wird sehr einseitig und negativ berichtet, was Ängste befeuern kann. Desweiteren zeigen Social Media nur geschönte Ausschnitte aus Realitäten, die oft gar keine sind. Dass das stark verunsichern kann, wenn man als Jugendliche:r sowieso schon sehr mit sich zutun hat und die "inneren Dämonen" anrücken, ist leicht naheliegend.

Grundsätzlich: Ängste haben die allermeisten Menschen mehr oder weniger intensiv. Daher vermute ich, dass du einer Illusion nachhängst, dass andere so erwachsen seien und mit allem so gut klarkämen. Hast du denn bei deinen Mitmenschen so intime Einblicke, dass du das beurteilen kannst?
In Wahrheit hat jeder Mensch mindestens ein Päckchen zu einem Zeitpunkt zu schleppen; meistens sind es mehrere. Einige brechen unter der Last sogar fast zusammen, bemühen sich aber immer noch um eine tolle Fassade nach außen. Du glaubst gar nicht, wie viele Leute da draußen damit beschäftigt sind, einen bestimmten Eindruck bei ihrer Umwelt zu erzeugen und bloß keine Probleme sichtbar werden zu lassen! Einfacher wäre es, wenn wir alle offener damit umgehen würden: Dass wir weder makellos noch immer zufrieden sind. Dass wir Lebewesen mit Gefühlen, Gedanken und verschiedenen Wahrnehmungen haben und vielfach sehr viel gleichzeitig bewältigen müssen.

Wir leben in Zeiten des Umbruchs, in denen Verunsicherungen ständig zu den persönlichen Themen hinzukommen. Umso wichtiger sind Beziehungen und allgemein ein soziales Miteinander, in dem man aufeinander bauen kann.
Ich möchte dir ein wenig die Sorge nehmen, dass all deine geliebten Menschen aktiv von dir weggehen könnten. Denn - das ist unrealistisch. Eher wirst du dich damit abfinden müssen, dass es normale Abschiede geben wird, vor allem durch das Sterben und auch durch natürliche Entfremdungen, weil sich Menschen anders entwickeln. Das betrifft häufig freundschaftliche Bindungen, die sich lockern oder ganz vergehen. Nichtsdestotrotz kannst du im Herzen eines Menschen deinen Platz haben. Das Kommen und Gehen spiegelt sich allein schon in der Natur wider: Schau dir die Jahreszeiten an oder Ebbe und Flut oder den Menstruationszyklus. Nichts bleibt beständig, dafür kommen neue Dinge, Lerninhalte, Personen. Es gibt Kontakte von früher, die ich gerne noch haben wollen würde. Es gibt Entscheidungen, die ich im Nachhinein anzweifle. Es gibt Erfahrungen, die fand ich hart. Doch ich glaube, es ist alles gut so wie es ist.

Ja, richtig: Du wirst nie wieder so sein wie vor ein paar Monaten oder Jahren. Und das wird immer so sein. In deiner Jugendzeit wird dir das sicherlich zum ersten Mal bewusst; viele wünschen sich die angeblich so unbeschwerte Kinderzeit zurück, weil es natürlich erstmal krass ist, mit zunehmendem Erwachsenwerden mehr zu erkennen, zu wissen, mehr Verantwortungen zu erhalten. Auf der anderen Seite sind das auch immer Chancen und Möglichkeiten!
Solche Phasen kommen als Erwachsene auch immer mal. Das Bedauern, wie die Dinge sind. Dem Vergangenen nachtrauern. Etwas herbeisehnen, was mal so schön war. Glaube mir, das ist total normal und menschlich. Wir bekommen heutzutage nur so selten Gelegenheit dazu, mit Anderen solche Gespräche zu führen. Wir sollten uns öfter abends zusammensetzen und reden - und schweigen. Mehr Raum für Stille und Intimität. Auch das verbindet.

Die Wahrheit ist, dass du das Schöne in der Gegenwart verpasst, wenn du traurig an Vergangenheit und Zukunft denkst. Du bist damit nicht allein. Wir können uns da alle an die Nase fassen und lernen, mehr im Hier und Jetzt zu sein. Dann lernen wir auch zu schätzen, was wir alles haben, anstatt uns permanent zu sorgen und uns zu ängstigen, was wir alles verlieren könnten. Wir sind so viel reicher, als wir es uns je zugestehen würden!

Ich schreibe dir das mit viel eigener Erfahrung. Ich kenne die jugendliche Melancholie, den Weltschmerz, das Vergleichen mit Mitmenschen, die Verlustangst. Meine Vermutung ist, dass viele junge) Menschen das gar nicht so in Worte fassen können bzw. eher versuchen, es eher mit sich selbst auszumachen. Vielleicht mischt es sich auch mit den anderen prägnanten Herausforderungen, sodass ein "Klarsehen" schwieriger wird.
Doch es geht vorbei. Das Leben ist wie ein sich beständig drehendes Rad mit Aufs und Abs. Und wir entscheiden, wie es uns in den natürlichen Tiefphasen geht, also ob wir sie mit Zuversicht meistern wollen oder uns in Angst und Selbstmitleid verstricken und es damit schlimmer werden lassen, als es eigentlich ist. Wir können so viel ertragen, auch Tod, Schmerz, Verlust.

Und die ganzen wundervollen Momente, denen wir so gerne nachtrauern - ja, sie werden nie wieder exakt so wiederkehren. Dafür kommen neue! Und darauf kannst du dich freuen, während du dein Leben in der Gegenwart genießt.


Weil es hier so passend ist, kommt zum Abschluss noch eines meiner Lieblingsgedichte von Eugen Roth:


~ Optische Täuschung ~

Ein Mensch sitzt stumm und liebeskrank
Mit einem Weib auf einer Bank:
Er nimmt die bittre Wahrheit hin,
Daß sie zwar liebe, doch nicht ihn.
Ein andrer Mensch geht still vorbei
Und denkt, wie glücklich sind die zwei,
Die - in der Dämmrung kann das täuschen -
Hier schwelgen süß in Liebesräuschen.
Der Mensch in seiner Not und Schmach
Schaut trüb dem andren Menschen nach
Und denkt, wie glücklich könnt ich sein,
Wär ich so unbeweibt allein.
Darin besteht ein Teil der Welt,
Daß andre man für glücklich hält.



Ich wünsche dir einen angenehmen Jahresausklang!
Alles Liebe,
Nuala