Problem von Ina - 29 Jahre

Ich hasse es wie ich mit anderen Menschen umgehe (ständig und schnell genervt von allen)

Hi zusammen,

Ich bin heute aus dem Urlaub zurückgekehrt, wo ich mit einem guten Freund war, der sich im letzten Jahr als sehr wichtige Person für mich herausgestellt hat. Wir haben uns sehr auf die Woche in der Sonne gefreut und die ersten Tage war auch alles gut. Ich habe ihm auch von Anfang an mitgeteilt, dass es mir nicht einfach fällt so lange am Stück mit einer Person auf so engem Raum zu leben und dass es sein kann, dass ich mich zwischendurch zurückziehen werde. Er schien es nicht verstanden zu haben, denn er meinte nur "Na ich hoffe, dass das mit MIR nicht notwendig sein wird", was ich dann natürlich klargestellt und ihm nochmal klar gemacht habe, dass das in so einem Fall nicht persönlich gemeint ist.

Wir haben viel unternommen, was wunderbar war, aber wenn wir dann morgens und abends in der Unterkunft waren, wollte er nichts ohne mich machen. Wollte er zum Pool und ich nicht, ist er neben mir sitzen geblieben und hat neben mir so wie ich sinnlos in seinem Handy rumgescrollt. Habe ich gesagt ich gehe in den Pool (was ich in dem Fall gerne alleine gemacht hätte), hat er sich sofort angeschlossen und es nicht verstanden, dass ich alleine gehen wollte. Bin ich in mein Zimmer gegangen, weil er mir dorthin ja nicht folgen konnte, hat er unten darauf gewartet, dass ich fertig mit "Alleinsein" bin. Habe ihn mehrfach drauf aufmerksam gemacht, dass ich auch gerne alleine etwas machen würde und er dann doch bitte auch selbstständig für sich was unternimmt, aber anstatt sich selbstständig zu unterhalten, hat er eher gewartet bis ich fertig bin, was mich unter Druck gesetzt hat. Vielleicht stelle ich das auch gerade sehr überdramatisiert dar, weil ich was das angeht ein wirklich SEHR empfindlicher Mensch bin und nur ein Tag mit jemandem auf engem Raum mich unglaublich triggern kann.

Er ist ein super Kerl, einfühlsam, verständnisvoll, zuvorkommend und er hat vermutlich sein Bestes gegeben, um mir meine Auszeit zu gönnen, aber für mich war es trotzdem zu wenig und es hat mich trotzdem einfach alles so unglaublich sauer gemacht. Früher hätte ich angefangen nur noch total patzig und genervt mit der Person zu reden, und mir ist auch definitiv der ein oder andere patzige Satz rausgerutscht, aber da ich dieses Verhalten meinerseits super arschig finde, habe ich irgendwann gelernt in so einer Situation einfach die Klappe zu halten und die Person einfach zu ignorieren, damit mir nichts falsches rausrutscht. Ich kann aber einfach nichts dagegen tun, dass ich irgendwann innerlich rase und mich irgendwann einfach ALLES an der Person nervt, wie sie isst, wie sie atmet, wenn sie mich anschaut. Ich habe mich zwischendurch mächtig bei meiner besten Freundin ausgekotzt wie nervig ich meine Urlaubsbegleitung fand und wie schlimm ich es finde, dass sie meine Bedürfnisse nicht verstanden hat. Im Nachhinein habe ich ein unglaublich schlechtes Gewissen deshalb, weil so lästern einfach eine ekelhafte Eigenschaft ist und weil ich nun den halben Urlaub über sehr genervt, schlecht gelaunt und still war, obwohl wir uns ja sehr darauf gefreut haben.

Jetzt sitze ich hier und denke mir ich habe den armen Kerl zu einem Urlaub mit einer sozial inkompetenten Person genötigt. Er hat Geld dafür bezahlt und seine Freizeit geopfert, nur um die ganze Zeit das Gefühl zu haben, dass ich ihn super nervig finde und ihn vielleicht auch gar nicht mag, so wie ich mich teilweise verhalten habe, und mit einer Person den Urlaub zu verbringen, die die ganze Zeit eine Fresse zieht. Ich denke mir ich hätte auch genauso gut alleine fahren können bei dem Anspruch an "Zeit für mich", den ich habe, der wirklich enorm hoch ist.

Generell ist das leider keine einmalige Sache gewesen, denn ich bin im Allgemeinen wirklich extrem schnell genervt von Leuten und neige dazu mich bei anderen über Menschen auszukotzen, weil sich da einfach so viel Wut und Unverständnis in mir aufbaut, dass ich es irgendwo rauslassen muss. Dadurch sind auch viele Beziehungen von mir gescheitert, weil meine Partner mir einfach nicht dieses unglaublich riesige Bedürfnis nach Raum für mich geben konnten, weil es gefühlt einfach so viel höher als bei anderen Menschen ist und sie es nicht verstehen konnten und es persönlich genommen haben. Ich ärgere mich darüber, dass ich nicht einfach ruhig bleiben und mich normal verhalten konnte . Meine Toleranzgrenze ist einfach so niedrig und selbst wenn die Leute super nett zu mir sind, kann mich eine Kleinigkeit so tierisch triggern, dass es wie nun in der vergangenen Woche dazu führt, dass ein Urlaub für mich fast schon zur Hölle wird. Ich gebe Menschen dadurch natürlich auch das Gefühl, dass mit ihnen irgendwas nicht stimmt und sie sich schlecht fühlen wegen mir, was eigentlich ganz und gar nicht meine Absicht ist.

Dazu kommt, dass ich mich und mein Verhalten anderen gegenüber dadurch selbst hasse und mich frage was mit mir falsch ist und warum ich nicht einfach normal mit Menschen umgehen kann und immer lästern muss und nicht einfach mal eine Person schätzen und mit ihr Zeit verbringen kann. Ich. Ich habe wirklich versucht es dieses Mal nicht in diese Richtung ausarten zu lassen und mich zusammen zu reißen nicht so genervt von meinem Kumpel zu sein, aber es hat einfach nicht funktioniert. Ich fühle mich auch sehr oft sehr einsam, einfach weil ich eben nicht so viel Zeit mit anderen Menschen verbringen kann, aber ich natürlich auch nur ein Mensch bin, der soziale Bedürfnisse hat. Es ist wie ein Teufelskreis und ich weiß nicht, was ich dagegen machen kann. Ich würde so gerne einfach ein funktionierendes Sozialleben haben.

Vielen Dank fürs Zuhören und über eine Antwort würde ich mich natürlich sehr freuen.

Beste Grüße,
Ina

Lan Anwort von Lan

Liebe Ina,

ich danke dir für dein Vertrauen und deine Nachricht. Es tut mir leid, dass es mit der Nachricht jetzt so lang gedauert hat. Ich hoffe trotzdem, sie erreicht dich und hilft dir weiter.

Das Problem, was du da schilderst, kann ich gut nachvollziehen. Ich denke, dass jeder Mensch einfach Raum für sich braucht und allein sein will. Manche Menschen haben einfach ein größeres Bedürfnis danach, manche weniger, das ist total normal. Da gibt es auch kein Richtig oder Falsch. Ich finde es total in Ordnung, wie du das deinem Freund mitgeteilt hast. Du hast ihn darauf aufmerksam gemacht, dass du etwas allein machen willst und er die Zeit dann auch für sich nutzen kann.

Doch dein Freund hat nicht darauf reagiert und sich stattdessen weiterhin auf dich fokussiert. Für mich wirkt das so, als wäre er entweder super besorgt um dich oder einfach nur sehr anhänglich. Auch wenn er es vielleicht nur gut gemeint hat, bedeutet das nicht, dass es auch gut gemacht ist.

Er hat trotz mehrfacher Hinweise deine Grenzen und dein Bedürfnis nach Alleinsein nicht beachtet. Und auch wenn er dich mal allein lassen musste, hat er eigentlich nur darauf gewartet, wieder mit dir sein zu können. Das wirkt auf mich sehr bedenklich und ich frage mich, was dahinter steckt. In Ordnung ist das auf jeden Fall nicht und in einer Freundschaft ist es auch wichtig und richtig, auch Grenzen zu kommunizieren, die eingehalten werden sollen.

Ich finde es lobenswert, dass du auch an deiner Reaktion, wenn jemand dir keinen Freiraum lässt, arbeitest. Die Person zu ignorieren mag für dich die bessere Lösung sein, die nicht so viel Schaden anrichtet, als alles an der Person auszulassen. Aber ich glaube, dass das Ignorieren auch viele Fragen aufwerfen, irritieren und wahrscheinlich auch verletzen kann.

Ich denke, dass der bessere Weg wäre, deine Gefühle klar zu kommunizieren, ohne deine Wut an dem anderen auszulassen. Das ist nicht immer leicht und bedarf auch viel Arbeit, aber es ist machbar. Vielleicht solltest du das nicht unbedingt dann machen, wenn du auf 180 bist, sondern dich etwas abreagiert hast. Insofern wäre es keine schlechte Idee, erstmal Abstand zu gewinnen, dich zu entspannen, um runterzukommen. Dann kannst du vielleicht auch kontrollierter agieren und sprechen und nochmal darauf eingehen, warum dir das zu viel wird, wenn jemand die ganze Zeit bei dir ist. Vielleicht könntest du das mal versuchen.

Du sagst, dass du nichts dagegen tun kannst, wenn du innerlich rast. Wenn man Gefühle fühlt, ist das meist wirklich schwierig, sie zu kontrollieren. Wenn sie da sind, sind sie da. Aber wie du damit umgehst, daran kannst du durchaus arbeiten. Dafür wäre wichtig, die Gefühle wahrzunehmen und auch zu akzeptieren. Es sind nicht die Gefühle, die destruktiv sein können, sondern die Handlungen, die dadurch ausgelöst werden, wie mit jemanden streiten und den Frust rauslassen.

Lästern ist sicherlich nicht toll, vor allem, wenn man das über einen guten Freund macht. Aber ich kann dich teilweise auch verstehen und es hatte ja auch etwas gutes für dich, einfach mal Dampf abzulassen. Vielleicht wolltest du das auch einfach nicht an ihm auslassen. Hattest du ihm das gesagt, wie du dich fühlst und dass dich das alles belastet, wenig Zeit für dich zu haben? Wenn nicht, wird es höchste Zeit.

Ich kann deine Sorgen und deine eigene Enttäuschung verstehen, aber bitte mach dich selbst nicht fertig. Du schreibst so, als wärst du jetzt die Böse von euch beiden. Du hast meiner Ansicht nach nichts falsch gemacht. Du hast ein großes Bedürfnis nach Alleinsein und das wurde nicht ausreichend gesehen und gestillt. Da kann es vorkommen, dass dann Frust und Wut auftauchen und deine Laune runterziehen. Auch eine total verständliche Reaktion. Du warst sehr unzufrieden, dass du nicht ausreichend Zeit für dich hattest.

Genau genommen hat keiner von euch wirklich schuld. Das Problem ist einfach nur, dass ihr ganz unterschiedliche Bedürfnisse nach Nähe habt. Dein guter Freund braucht scheinbar viel Nähe und kann wohl schlecht allein sein. Du dagegen brauchst ganz viel Raum für dich und nicht so viel Nähe. Da ist es doch logisch, dass es zu Konflikten kommt. Dafür kann auch keiner was, wenn ihr da so unterschiedlich tickt. Du hast versucht, es ihm zu erklären, hast also versucht, einen Mittelweg zu finden, was total gut war. Aber er hat es nicht verstanden und damit deine Grenzen überschritten. Und das wiederum ist nicht gut gewesen. Wenn er deine Grenzen respektiert hätte und sich auch mal um sich gekümmert hätte, wärst du ganz anders gewesen und dann wäre der Urlaub sehr wahrscheinlich besser gelaufen.


Gründe für Genervtheit finden

Du schreibst, dass du allgemein sehr schnell genervt von anderen Menschen bist. Hast du dich schon mal gefragt, woran das liegen könnte? Warum nerven dich andere? Was nervt dich an anderen Menschen?
War das schon immer so? Oder gab es auch mal eine andere Zeit? Und gab es ein Ereignis seitdem du so auf andere reagierst?

Ich kann dir leider nicht sagen, woher das kommt, ich kann nur Vermutungen anstellen. Es könnte verschiedene Gründe haben, denen du nachgehen könntest. Horch mal in dich hinein, was vielleicht auf dich zutreffen könnte:

Vielleicht bist du einfach ein sehr introvertierter Mensch. Introvertierte brauchen enorm viel Zeit für sich, aus dem Alleinsein schöpfen sie ihre Energie. Zeit mit anderen zu verbringen geht zwar auch, aber nur begrenzt, denn das saugt ihnen Energie raus. Da kann es passieren, dass du dich erschöpft fühlst, wenn du Zeit mit anderen verbracht hattest.
Vielleicht bist du aber auch sehr sensibel und reagierst deswegen enorm auf Reize von außen, vor allem auf Menschen? Auch das kann anstrengend sein und erschöpfen, weswegen du viel Zeit für dich brauchst, um deine Akkus wieder aufzuladen.

Bei dir wird relativ schnell Wut aufgebaut. Da würde mich interessieren, welche Gedanken dahinter stecken, vielleicht so etwas wie: Die sind schon wieder so nervig. Können die mich nicht einfach mal in Ruhe lassen?

Vielleicht reflektierst du auch nochmal, was für Erwartungen du an andere hast. Erwartungen haben wir immer. Aber sich diese auch bewusst zumachen, ist nochmal eine andere Geschichte. Prüfe mal, ob diese Erwartungen vielleicht etwas zu hoch sind. Dann wäre es nur logisch, dass andere diese nicht erfüllen können und du deswegen so leicht gereizt bist.


Fokus auf sich lenken

Die anderen kannst du leider nicht ändern. Doch du kannst die Art ändern, wie du auf sie reagierst. Wenn du also sehr schnell genervt bist, solltest du dich darauf konzentrieren, was dein Körper tut. Oftmals bist du dann vermutlich sehr angespannt und dann genervt und dann wieder angespannt. Das ist ein wahrer Teufelskreis, den du aber durch Entspannungsübungen brechen kannst.

Probiere es mal mit Atemübungen oder Meditation raus. Und wenn du dann wieder in so einer Situation bist, in der du ausrasten willst, weil dich andere nerven, erinnere dich daran. Atme paar mal tief ein und aus und versuche dich auf deinen Körper zu fokussieren und alles andere auszublenden. Und achte auch auf deine Gedanken. Lasse die negativen Gedanken, die andere bewerten, einfach ziehen. Das klingt leichter gesagt als getan, es braucht natürlich Zeit, Übung und Durchhaltevermögen, um gelassener zu werden.

Nicht sofort an die Decke zu gehen, tut nicht nur anderen, sondern vor allem auch dir gut. Immer wenn du merkst, okay, ich werde schon wieder wütend, dann versuche dich wieder auf dich und deinen Körper zu konzentrieren, weniger dich in Gedanken hineinzusteigern. Bleib bewusst und verfalle nicht wieder in diese Teufelsspirale, gleich wieder wütend zu werden und aggressiv zu reagieren. Sich aufregen schadet nämlich auf Dauer auch deinem Herzen und deinem Wohlbefinden.

Vielleicht führst du auch mal ein Dankbarkeitstagebuch, während du an deiner Gelassenheit arbeitest und schreibst täglich auf, was gut war und was du Gutes erlebt hast.

Hier habe ich dir einige Beiträge verlinkt, die dir weitere Anregungen geben können:
https://soulsweet.de/mit-diesen-gedanken-wirst-du-alles-gelassener-sehen/
https://www.refinery29.com/de-de/nervig-oder-sensibel

Ansonsten würde ich dir aber auch raten, falls noch nicht geschehen, deinen Mitmenschen das offen zu kommunizieren, dass du einfach enorm viel Zeit brauchst und das nicht persönlich genommen werden sollte. Menschen, die dich mögen und wollen, dass es dir gut geht, werden das auch verstehen.

Was Beziehungen betrifft, würde ich auch an deiner Stelle einfach offen drüber sprechen. Dass deine bisherigen Partner das nicht verstehen konnten, ist sehr schade, aber wenn sie deine Bedürfnisse nicht akzeptieren, dann ist das auch wiederum ein Zeichen, dass dir diese Beziehungen nicht hätten gut tun können. Dann waren es nicht die passenden Partner für dich.

Frage dich auch mal selbst, wie wichtig dir Beziehungen sind. ob du Beziehungen brauchst oder ob für dich nicht vielleicht auch andere Beziehungsmodelle als die monogame Beziehung in Frage kommen, solche Modelle wie Mingle, Freundschaft+ oder Affären, wo man relativ viel Freiraum und trotzdem Intimität, aber dafür wenig Verbindlichkeit hat. Da müsstest du für dich herausfinden, ob diese Modelle auch deinen anderen Bedürfnissen in Beziehungen gerecht werden.

Und nun zum Stichwort Selbsthass: Bitte hör auf, dich deswegen so abzuwerten. Ich kann es schon nachvollziehen, dass du dich deswegen schlecht fühlst und dir nichts mehr wünscht, als eben normal mit Menschen umzugehen. Aber was ist normal? Haben wir nicht alle irgendwie unsere Baustellen? Wir sind doch alle ganz unterschiedlich. Und es gibt ganz sicher auch mehr Menschen, denen es wie dir geht. Diese hast du nur vielleicht noch nicht getroffen. Vielleicht musst du auch nur erst den richtigen Umgang und das richtige Nähe-Distanz-Verhältnis zu anderen ausloten, um gut mit Mitmenschen klarzukommen. Das ist ein Prozess und braucht Zeit, gib dir die Zeit und das Mitgefühl, da weiterzukommen. Ich weiß, du kannst es schaffen.

Wenn dich das weiter belastet und du alleine nicht denkst, dass du es hinbekommst, wäre es absolut nicht verkehrt, dir professionelle Hilfe zu suchen. Vielleicht auch erstmal bei einer Beratungsstelle oder Lebensberatung? Ansonsten kannst du aber auch für dich schauen, eine Stelle bei einem Therapeuten zu finden. Das könnte dir auch helfen, wenn jemand von außen mit einem geschulten Blick auf deine Situation schaut.

Ich wünsche dir von Herzen alles Gute und ganz ganz viel Kraft, deinen Weg zu finden und zu gehen.

Viele Grüße,
Lan