Problem von Daniel - 30 Jahre

Aus Angst nicht zum Bewerbungsgespräch

Hallo liebes Kummerkasten-Team,
bisher habe ich auf der Seite immer mitgelesen und ich finde, dass ihr einen tollen Job macht. Heute schreibe ich euch, weil ich ein Problem habe, welches mich sehr stört und mich auch bedrückt.
Ich habe jahrelang im falschen Beruf gearbeitet (und auch eine Ausbildung darin absolviert, einfach weil es damals hieß, eine Ausbildung bricht man nicht ab) und hatte letztes Jahr den Mut gefasst, meinen Job zu kündigen und eine berufliche Weiterbildung anzutreten, welche bisher auch gut gelaufen ist und ich jede Prüfung bestanden habe.
In einigen Wochen habe ich meine finale Prüfung und beim bestehen werde ich den Titel und das Zeugnis endlich in der Hand halten.
In der Zwischenzeit habe ich mich auch für mehrere Jobs in einer fachfremden Branche beworben und viele Absagen bekommen. Dies hat mich allerdings nicht bedrückt, sondern ich habe mich einfach weiterhin beworben, bis ich zu einem Vorstellungsgespräch einer großen Firma mit viel Weiterbildungsmöglichkeiten und guten Zukunftsaussichten eingeladen wurde.
Ich habe mich natürlich gefreut, dass mein Profil und Lebenslauf gut rüberkommen und habe auch schon ein erstes Gespräch absolviert, welches einen guten Eindruck gemacht hat und ich in die nächste Bewerberrunde eingeladen wurde, die aus einem komplexeren und tiefgründigeren Gespräch bestehen wird. Die Firma arbeitet sehr datenbasiert und hat einen besonderen Bewerbungsprozess, arbeitet also mit Zahlen und Daten.
Leider hat mich in den letzten Tagen die Angst gepackt, dass ich doch nicht gut für diese Firma bin und mich in der nächsten Runde blamieren werde oder einfach verurteilt werde, wenn ich doch nicht die gewünschte Performance bringe. Ich habe mich so sehr von der Furcht leiten lassen, dass ich mich bei der Vorbereitung für die Runde nicht gut fokussieren konnte und einfach eine Blockade hatte.
Die Angst wurde von Tag zu Tag größer und nun habe ich meine Bewerbung zurückgezogen und abgesagt. Ich bin sehr verärgert über mich und ich werde auch von Schuldgefühlen und einer Traurigkeit geplagt. Ich wollte all die Jahre raus aus meinem alten Berufsfeld und jetzt - wo ich zumindest die Chance habe - überkommt die Angst über mich.

Ich habe auch das Gefühl eine Enttäuschung zu sein und weiß nicht, was ich meiner Familie und Freunden nur erzählen soll. Mein Verhalten wird sicherlich zu Unverständnis und auch fassungslosigkeit führen. Ich weiß mit meinen 30 Jahren auch, dass man sein Verhalten nicht komplett auf seine Eltern schieben soll, aber ich hatte leider keine einfache Kindheit und Jugend, da ich von meinen Eltern nie Wertschätzung bekommen habe und ich nicht meinen Wünschen und Zielen nachgehen durfte (ich wollte immer in einen kreativen Beruf und habe mich damals auch für den gestalterischen Zweig in der Realschule anmelden wollen - was mir dann verboten wurde von meinen Eltern). Und das ist wieder der Haken, einerseits bin ich mit meinen 30 Jahren selber für mein Leben verantwortlich und schiebe ungerne die Schuld in die Schuhe der anderen, aber andererseits wurde mir eben im Leben vieles verboten und ich musste immer das nachgehen, was meine Eltern machen wollten.

Ich weiß, dass es weitergeht irgendwie, aber das ist eben eine Chance, die ich selber kaputt gemacht habe und auch wenn meine Gedanken mir ständig sagen, es wäre sowieso nichts geworden und du wärst nicht weitergekommen - ärgert mich einfach nur die Chance die Erfahrung in dem Bewerbungsprozess dieses etablierten und renomierten Unternehmens nicht gemacht haben zu können.

Ich danke euch sehr, selbst wenn ihr nicht antworten solltet. Zumindest hat jemand meine Worte gelesen, denn ich kann einfach mit meiner Familie oder Freunden darüber nicht sprechen.

Ich grüße euch recht herzlich,

Daniel

Arvid Anwort von Arvid

Lieber Daniel,

vielen Dank für Deine Zuschrift!

Ich hoffe, dass Dir meine verspätete Antwort trotzdem noch helfen kann.


Deine Angst vor Vorstellungsgesprächen kann ich gut verstehen. Etwas Neues zu wagen kann durchaus ein Sprung ins kalte Wasser sein. In vielen Menschen löst der Gedanke an eine Veränderung im Leben durchaus Unbehagen aus.

Doch nüchtern betrachtet ist diese Angst vollkommen unbegründet. Wenn Du das Leben betrachtest und wie kurz und schnelllebig es ist, gibt es nur wenige Dinge, die man nicht riskieren sollte, einen Basejump ohne Fallschirm zu Beispiel oder ein Bad mit hungrigen Krokodilen. Chancen, die für uns nicht gefährlich sind, sollte man daher nicht aus Angst loslassen.

Sich seiner Angst zu stellen ist ein Zeichen von innerlicher Stärke, und gerade durch Herausforderungen im Leben wächst man. Bleibt man beständig auf demselben Pfad, geht keine Risiken ein und stellt sich seiner Angst nicht, lebt man gern passiv und ohne wirklichen Sinn.

Notiz an Dich: Stell Dich Deiner Angst, solltest Du noch einmal eine ähnliche Situation erleben.

Die Angst nicht gut genug zu sein, entstammt oftmals einem schwach ausgeprägten Selbstwertgefühl. Man fühlst sich selbst wertvoll, schwach und unnütze.
Doch nur, weil man sich so fühlt, bedeutet das nicht, dass es auch so ist. Vielleicht hätte Dich die große Firma sehr gern genommen und Du wärst so gut gewesen wie Du bist.

Frage an Dich: Woher willst Du wissen, dass Du nicht gut genug bist, ohne den Bewerbungsprozess bis zum Ende geführt zu haben?

Du siehst, dass Deine Angst im Grunde völlig surreal ist. Angst vor etwas in der Zukunft zu haben macht doch keinen Sinn. Denn wir wissen nie, wie die Zukunft konkret eintreffen wird.

Notiz an Dich. Stell Dich Deiner Angst. Es gibt im Voraus nichts zu befürchten.



Es ist völlig in Ordnung, Fehler zu machen. Jedem Menschen passieren Fehler. Dazu zählt auch, dass Du Dich nicht zum Gespräch getraut hast.
Aber Du zeigst Reue und das ist sehr wichtig, um etwas zu verändern. Denn indem wir Fehler bereuen, streben wir danach, es beim nächsten Mal anders zu machen.

Aber es macht keinen Sinn, einen Sündenbock für seinen eigenen Fehler zu suchen. Wenn man Fehler macht, trägt man allein die Schuld. Es ist niemand anderes dafür verantwortlich, auch nicht Deine Eltern.
Aber man sucht nach den Gründen für sein Fehlverhalten und wenn man sie manchmal bei anderen findet, braucht man sich seine eigene Schwäche nicht eingestehen.

Das kann funktionieren. Doch ist es der richtige Weg?

Deswegen übernimm die Verantwortung für Dein eigenes Handeln. In Deinem Alter sollte das selbstverständlich sein. Denn indem wir die Verantwortung übernehmen, können wir erkennen, dass wir etwas verändern können und dass unser Schicksal nicht von anderen abhängt.

Diese drei Gedanken möchte ich Dir mitgeben:

- Angst ist in manchen Fällen begründet (z.B. bei Gefahr), in den meisten Fällen aber nicht
- jeder erwachsene Mensch ist für sein Leben allein verantwortlich
- aus Fehlern zu lernen ist sehr wertvoll, da wir durch sie wachsen können


Lieber Daniel, wenn Du das Gefühl hast, ein Problem zu haben, wende Dich gern an einen Psychotherapeuten. Gemeinsam könnt ihr die Ursachen für Deine Angst herausarbeiten und beseitigen. Ein Professioneller kann Dir deutlich besser helfen, als ich. Einen Versuch ist es auf jeden Fall wert, wenn Du Veränderungen in Deinem Leben, Deinem Charakter und Deinem
Handeln anstrebst.

Ich wünsche Dir alles Gute und einen gesegneten Weg zu mehr Selbstvertrauen und Mut.


Arvid