Problem von Ina - 25 Jahre

Emotionaler Missbrauch vom Vater

Vielen Dank für die Möglichkeit mich hier mitteilen zu dürfen.
Kurz zu meiner Kindheit: mein Vater war selten da, hat sich nur für Geld und Arbeit interessiert, mich immer angeschrien, klein gemacht und mich nicht wahrgenommen.
Dann bin ich mit 12 Jahren mit meiner Mutter weggezogen, nach der Trennung.
Er begann mich telefonisch zu belasten, mit Sätzen wie er habe nur noch 3 Monate zu leben und er ist so arm... alles Lügen. Nun bin ich mit 14 Jahren zu ihm gezogen, weil er mir so leid tat. Dort angekommen war ich wieder Luft, er nur am arbeiten, ich wurde mit seiner Neuen alleine gelassen, und wenn er mal zu Hause war wurde ich wieder nur angeschrien und schlecht geredet. Alles was ich tue ist falsch, ich bin zu dumm für alles...
Mit 17 Jahren konnte ich flüchten, indem ich zu meinem Freund gezogen bin. Das selbe Theater erneut, er hat mich terrorisiert dass ich ihn im Stich lasse, den falschen Weg gehe, mein Freund der schlimmste Mensch der Welt sei... Dann bin ich jede Woche zu ihm gerannt, um mir sein Leid anzuhören, wie schlecht es ihm geht... er hat nie nach mir gefragt, wenn ich mal was erzählt habe, dann war ich immer selbst schuld oder habe alles falsch gemacht.
Nun zur aktuellen Situation: jetzt mit 25 Jahren musste ich den Schritt gehen ins Ausland zu ziehen, um diesem emotionalen Missbrauch zu entkommen, weil ich selbst nach einer Psychotherapie immer noch ständig am weinen war und mir Vorwürfe gemacht habe usw.
Nachdem natürlich mein Vorhaben wegzuziehen wieder schlecht geredet wurde, bin ich ein letztes Mal zu ihm gefahren, um mich erstmal zu verabschieden: er ist komplett ausgerastet, hat mich angeschrien mich würde es nicht interessieren wie es ihm geht (nachdem ich jahrelang sein Leid angehört habe und er nie nach mir gefragt hat) , daraufhin bin ich gegangen und er rief mir nach, ich solle mich nicht mehr blicken lassen.
Nun im neuen zu Hause angekommen, gehen die Nachrichten wieder los: es war ein Abschied auf immer, weil er bald sterbe, seine Tage sind gezählt, seine Türe stünde auf bis zum letzten Atemzug usw.
Nun meine Frage: wie soll ich mich verhalten?
Zum einen hat er mich komplett kaputt gemacht mit negativen Glaubenssätzen und zum anderen bin ich so emotional gefangen, dass ich Mitleid und Schuldgefühle habe.
Obwohl er weder zu meiner Hochzeit gekommen ist oder sich sonst in irgendeiner Weise für mich interessiert hat. Selbst die Ausbildungsversicherung, welche er für mich abgeschlossen hatte, hat er selbst behalten und sich ein neues Auto gekauft.
Wieso habe ich da noch Schuldgefühle und Mitleid ihm gegenüber?
Ich hoffe sehr, hier eine Antwort zu finden und freue mich über jeden Tipp :-)

Lan Anwort von Lan

Liebe Ina,

vielen lieben Dank, dass du uns geschrieben und uns dein Vertrauen geschenkt hast.
Erst einmal möchte ich dich ganz lieb drücken, schön, dass du so mutig warst und uns diese Einblicke gewährt hast.

Du hast es nicht verdient und du bist auch nicht schuld daran, dass dir so etwas widerfährt. Du musst dich auch gar nicht schuldig fühlen, aber das wurde dir in der Therapie sicherlich schon öfter gesagt. Du hast alles richtig gemacht, sogar versucht, für deinen Vater da zu sein. Mehr geht nicht. Und du bist jetzt an deine Grenzen gekommen.

Ich finde es großartig, dass du dir professionelle Hilfe gesucht hast, das war sicherlich nicht einfach, aber absolut notwendig. Und auch, dass du den Kontakt minimiert hast und ins Ausland gezogen bist, war ein notweniger Schritt.

Ich weiß nicht, ob du das während der Therapie auch als Schwerpunkt hattest: dein eigenes Selbstwertgefühl ausbauen und entwickeln. Der jahrelange Missbrauch hat dir Kummer beschert, aber auch deiner emotionalen Gesundheit und deinem Selbstwertgefühl geschadet. Sehr wahrscheinlich fühlst du dich nicht liebenswert und nicht wertvoll. Doch nichts, was dir dein Vater da gesagt hat, ist wahr.
Vielleicht kannst du, wenn du merkst, dass du schlecht von dir denkst, diese negativen Gedanken in positive umwandeln. Beispielsweise denkst du dir: "Ich kriege nichts hin". Höre auf dir, das einzureden und schaue auf das, was du erreicht hast.

Vielleicht hilft es dir, auch ein Tagebuch zu schreiben, um deine Gefühle zu entwirren und auszudrücken? Das eignet sich sehr gut, wenn du momentan niemanden hast, mit dem du darüber reden kannst. Das hilft dir, zu verstehen und herauszufinden, wie es dir geht.

Gibt es eine Selbsthilfegruppe in deiner Nähe, die sich mit emotionalem Missbrauch beschäftigt? Dort könntest du auch Hilfe und Unterstützung finden.

Ich kann nur vermuten, dass du diese Schuldgefühle und Mitleid ihm gegenüber durch die ganzen negativen Glaubenssätze seinerseits entwickelt hast. Er hat dich gewissermaßen im Denken manipuliert, dass du dich schuldig fühlst, obwohl er dir das angetan hat. Und vielleicht hat er es geschafft, dass du denkst, dass er dich braucht. Aber so scheint es nicht zu sein. Denn wenn du bei ihm gewohnt hast, hat er sich nicht um dich gekümmert. Also woher noch all die Schuldgefühle und das Mitleid? Das müsstest du für dich herausfinden.

Hattest du schon einmal darüber nachgedacht, den Kontakt komplett abzubrechen? Ich kann mir vorstellen, dass dir das wahnsinnig schwer fällt, da du noch von Schuldgefühlen und Mitleid geplagt wirst. Aber selbst jetzt, wo du gar nicht mehr in Deutschland wohnst, hört der Psychoterror einfach nicht auf.
Dein Vater tut das sehr wahrscheinlich wohlwissend, um in dir Schuldgefühle auszulösen. Doch du weißt auch, dass das, was er sagt, nicht stimmt.
Ein weiterer Kontakt selbst über diese Distanz ist immer noch schwer für dich zu ertragen. Darum glaube ich, dass ein Kontaktabbruch die erhoffte Befreiung für dich bedeuten könnte.
Mit ihm weiter zu reden, bringt nicht wirklich etwas, er scheint unbelehrbar zu sein und nicht einzusehen, was er mit seinem Verhalten anrichtet.

Den Kontakt abzubrechen, ist hart, definitiv. Aber auch notwendig, damit es dir wieder besser gehen kann. Denn wenn du den Kontakt weiter aufrecht erhälst, wird dir das mehr schaden. Solch eine destruktive und toxische Beziehung zu führen, bringt dir nichts.
Frage dich mal: Warum hälst du den Kontakt trotzdem? Weil dir dein Vater wichtig ist? Du ihn trotzdem liebst? Oder ist es nur wegen der Schuldgefühle und des Mitleids? Sei ehrlich zu dir selbst.

Und frage dich selbst: Was wäre, wenn du den Kontakt jetzt einfach abbrechen würdest. Wie würdest du dich damit fühlen?
Du kannst das gerne auch mal aufschreiben, um Klarheit zu gewinnen.

Hier sind einige Beiträge verlinkt, die dir Anregungen geben, wie du mit dem emotionalen Missbrauch umgehen kannst:
https://de.wikihow.com/Mit-emotionalem-Mißbrauch-durch-die-Eltern-umgehen-(für-Jugendliche)
https://mein-kummerkasten.de/333720/Ich-bin-so-muede.html
https://divine-glow.com/emotionalen-missbrauch-heilen/


Ich hoffe, ich konnte dir weiterhelfen und wünsche dir ganz viel Kraft und Mut, deinen Weg zu gehen.

Viele Grüße,
Lan