Problem von Anonym - 34 Jahre

Alles falsch gemacht

Hallo liebes kummerkasten-team,

Ich habe trotz besserem Wissen alles falsch gemacht was man falsch machen kann. Jetzt ist meine mama tot. Abgesehen davon, dass sie mir unheimlich fehlt, fühle ich mich für ihren Tod verantwortlich. Sie hat mir die richtigen Werte beigebracht, trotzdem habe ich falsch gehandelt. Sie war Psychisch sehr angeschlagen. Ich habe drei Jahre lang mein bestes versucht, aber ich hab alles nur schlimmer gemacht und als es immer mehr Streit zwischen uns gab und ich irgendwann nicht mehr konnte, bin ich weit weg gezogen um dem ganzen zu entfliehen. Ich hab sie im Stich gelassen und jetzt ist sie tot. Und ich kann nichts mehr wieder gut machen, ich kann nichts mehr rückgängig machen. Ihre letzten sechs wochen war ich zwar bei ihr, habe sie beim sterben begleitet, so wie sie es wollte, aber was sind sechs wochen, wenn ich sie vier jahre lang allein gelassen habe? Meine mama war ein herzensguter mensch und sie hat mich so sehr geliebt und ich hab sie einfach im Stich gelassen. Und dass sie das nicht so gesehen hat und mich trotz allem bedingungslos geliebt hat, bis zum Schluss ohne mir jemals Vorwürfe zu machen, macht es noch schlimmer. Sie hat in den letzten Wochen alles ihr mögliche getan um es mir so leicht wie möglich zu machen. Auf meine Bitte hin hat sie noch ein par audios für mich aufgenommen, in der einen nennt sie mich, ihre immer da gewesene Tochter, aber ich war doch gar nicht immer da. Sie hatte doch niemanden mehr und es ging ihr schlecht. Und ich bin einfach abgehauen. Ich kann mir das nicht verzeihen. Wie soll ich mit dieser Schuld weiter leben? Das wäre alles nicht passiert, wenn ich das richtige getan hätte. Wenn ich nicht so feige und egoistisch gewesen wäre. Ich hasse mich dafür. Und da es keinen Weg gibt, es rückgängig oder wieder gut zu machen, kann sich daran auch nichts ändern. Ich bin der schlechteste Mensch auf der Welt. Ich habe meine mama getötet.....den einzigen menschen, der mir und dem ich wichtig war. Ich verstehe nicht, warum ich, obwohl ich es doch hätte besser wissen müssen, so gehandelt habe. Was nutzt einem zu wissen was richtig ist, wenn man es trotzdem falsch macht. Wie schlecht muss man sein, wenn man es trotzdem falsch macht? Fehler aus Unwissenheit zu machen ist eine Sache, es zu wissen und trotzdem falsch zu machen, ist böse. Ich wollte nie böse sein....wie soll ich damit leben, dass ich jemand bin, den ich hasse?

Danke schonmal fürs lesen.

Arvid Anwort von Arvid

Liebe Hilfesuchende,

schön, dass Du Dich mit Deinem Anliegen an uns wendest.

Zunächst einmal möchte ich Dir für den Tod Deiner Mutter mein tiefstes Mitgefühl aussprechen.


Ich merke, dass Dich die Frage nach der Schuld sehr belastet. Aber im Grunde geht es nicht um Schuld, denn Du bist nicht für den Tod Deiner Mutter verantwortlich.

Diese Tatsache solltest Du Dir jetzt klar vor Augen führen: Es ist nicht Deine Schuld.


Meinen Standpunkt möchte ich zum besseren Verständnis in ein paar Abschnitte unterteilen:


1. Wir alle machen Fehler, aber sie sind manchmal auch gut für uns

Es mag stimmen, dass Du möglicherweise Fehler gemacht hast, welche Du nun bereust. Und es mag auch stimmen, dass Du Deine Mutter allein gelassen hast, obwohl es ihr sehr schlecht ging.

Aber das ist in Ordnung so. Du hattest Deine Gründe und hast das getan, was Du in diesen Momenten für richtig empfunden hast. Du bist weggezogen, weil Dich die Beziehung zu Deiner Mutter krank gemacht hat. Du warst nicht mehr glücklich. Und als Konsequenz daraus und um Dich selbst zu schützen, hast Du das Weite gesucht. Das ist völlig legitim.

Dass Du weggezogen bist, war völlig in Ordnung. Es ist nun mal so, dass sich Wege trennen, wenn man miteinander nicht auskommt. Das kann auch die eigenen Eltern betreffen.

Was Du also als Fehler siehst, war vielleicht die einzig richtige Lösung für Dich selbst. Das heißt nicht, dass es unbedingt die beste Lösung gewesen sein muss. Aber es war die beste Entscheidung, welche zu zu dieser Zeit treffen konntest.

An dieser Stelle kann ich Dir ein Video von Peter Beer empfehlen, welches das auf den Punkt bringt: https://www.youtube.com/watch?v=Q1UQqABMUgk

Er spricht dabei auch etwas ganz Entscheidendes an: Die Situation, welche in uns Schuldgefühle auslöst, ist bereits Vergangenheit.


2. Es ist Vergangenheit

Rein rational betrachtet, macht es keinen Sinn, sich wegen Ereignissen in der Vergangenheit schlecht zu fühlen oder sich die Schuld dafür zu geben. Unabhängig davon, ob wir tatsächlich Schuld haben. Denn es ändert nichts mehr.

Wir können die Vergangenheit nicht ändern.

Und genauso wenig ändert unserer Reaktion darauf irgendetwas an ihr.

Deswegen steht uns frei, wie wir dieser Vergangenheit begegnen, gerade, weil sie so bleiben wird, wie sie ist.

Du hast also die Möglichkeit, den eigenen Fehlern ewig nachzutrauern und Dir Vorwürfe zu machen. Du hast aber auch die Chance, all das als Lernerfahrung zu akzeptieren.

Denn etwas anderes als Akzeptanz bleibt Dir nicht übrig, weil sich an der Vergangenheit nichts ändern wird.

Das ist nicht leicht. Auch ich habe manchmal Momente, da wünsche ich mir, es hätte anders machen zu können. Ich bin auch manchmal verzweifelt darüber, dass ich bestimmte Fehler gemacht habe. Aber ich habe mit der Zeit gelernt zu erkennen, dass sich dadurch nichts ändert.
Also versuche ich, die Vergangenheit abzuschließen. Das heißt nicht, sie zu vergessen. Denn man sollte sie nicht vergessen, damit sie als Lernvorlage dienen kann. Aber es muss der Zeitpunkt kommen, an dem wir sie trotzdem hinter uns lassen können.

Es ist richtig und wichtig, einen schweren Verlust zu betrauern. Denn das vermittelt uns auch Demut vor der Vergänglichkeit des Lebens.
Doch es muss auch ein Ende haben, weil man sich sonst selbst nach und nach zerstören und nicht mehr glücklich werden kann.

Trauerbewältigung kann auf verschiedenste Weise erfolgen und auch jeder Mensch verarbeitet so etwas anders. In Deinem Fall und weil Du auch eine sehr schwere Zeit durchmachst, möchte ich Dich bitten, dass Du Dir therapeutische Hilfe suchst.

Mithilfe einer Psychotherapie hast Du die Möglichkeit, diese Vergangenheit aufzuarbeiten und die Trauer zu bewältigen. Das ist momentan vermutlich die sinnvollste Lösung.
Nach Therapeuten in Deiner Nähe kannst Du hier suchen: https://www.therapie.de/therapeutensuche/


3. Dein Selbstbild

Deine Mutter hat Dir keine Vorwürfe gemacht. Für sie warst Du eine tolle Tochter.

Ich glaube nicht, dass sie gewollt hätte, dass Du Dich für ihren Tod verantwortlich und schuldig fühlst. Sie wird nicht gewollt haben, dass Du in eine depressive Phase abrutscht und so stark an Dir selbst zweifelst. Sie wird gewollt haben, dass Du auch ohne sie glücklich bist.

Und genau deswegen solltest Du ihr die Ehre erweisen und selbst wieder ein gutes und glückliches Leben führen.

Der Weg dorthin beginnt mit Trauerbewältigung und Akzeptanz Deiner Vergangenheit und der Fehler, die Du vielleicht gemacht hast.

Aber auch Dein negatives Selbstbild sollte sich ändern. Die Gründe, weshalb es sinnlos ist, schlecht von sich selbst zu denken, habe ich oben aufgeführt.

Auch hierbei wäre ein Psychotherapeut die sinnvollste Anlaufstelle. Denn es geht bei einer Therapie nicht nur darum, über seine Ängste, Sorgen und Probleme zu sprechen, sondern auch darum, eine Persönlichkeitsentwicklung anzustoßen. Denn im Grunde hängt alles mit allem zusammen. Jede Entscheidung, welche wir treffen, jeder Gedankengang, den wir haben: Alles hat eine enge Verbindung zu unserem Selbst und wer wir sind.

Wir sollten uns selbst lieben lernen. Denn durch Selbsthass sägen wir genau den Ast ab, auf welchem wir sitzen. Durch ein negatives Selbstbild zerstören wir uns selbst. Und genau das zieht unser Verderben nach sich.

Um uns selbst zu schützen braucht es bedingungslose Selbstliebe und die Akzeptanz der eigenen Schwächen.

Ein essentieller Faktor hierbei ist Vergebung. Sich selbst vergeben zu können, ist meist eine unglaubliche Herausforderung. Aber es ist meist der einzige Weg, mit seinen Fehlern leben zu können.

Zu diesem Thema kann ich Dir weitere Videos von Peter Beer empfehlen:
https://www.youtube.com/watch?v=74qOJMejdno
https://www.youtube.com/watch?v=v_KB7Q7q4Hg
https://www.youtube.com/watch?v=Ff2c5-tehRA
https://www.youtube.com/watch?v=S7-nqhG6K-U


4. Klartext

Im letzten Abschnitt möchte ich nochmal das deutlich machen, was Dir so fern erscheint: Du trägst keine Schuld am Tod Deiner Mutter. Du stehst nicht in der Verantwortung.

Was Du getan hast, war aus jetziger Sicht vielleicht nicht das beste. Vielleicht waren das echt unkluge Handlungen und unschöne Fehler.

Aber nüchtern betrachtet hast Du Dich selbst geschützt, als Du merktest, dass Dich die Beziehung zu Deiner Mutter zu viel Kraft kostet. Dir ging es doch selbst nicht mehr gut und deswegen brauchtest Du Abstand.

Glaubst Du, Du hättest Dich so unglücklich um sie kümmern können? Du hättest Dich doch bestimmt noch weiter kaputt gemacht.

Es gibt eine einfache Regel: Wir können für andere nur dann da sein, wenn es uns selbst gut geht. Geht es uns schlecht oder sind wir krank, müssen wir uns erst einmal selbst gesund machen, bevor wir andere gesund machen können.

Ja, vielleicht hättet ihr alles auch gemeinsam aufarbeiten können, nach Lösungen suchen können und es wäre Euch beiden besser gegangen.

Aber so ist es nicht passiert. Die Realität sieht anders aus.

Und deswegen solltest Du lernen, diese Realität anzuerkennen. So wie sie ist. Und Du solltest lernen, damit zu leben. Denn das ist die einzige Möglichkeit für Dich wieder ein besseres Leben führen zu können.



Liebe Hilfesuchende, auch schwere Zeiten gehen einmal vorbei. Sieh Deine Fehler als Lernaufgabe und sei nicht so hart zu Dir selbst. Denn das ändert nichts.
Bitte denke über eine Therapie nach, sodass Du alles was passiert ist, besser aufarbeiten kannst. Lern, Dich selbst zu lieben und vergebe Dir selbst für Dein früheres Verhalten. Und bitte mach Dir keine Vorwürfe mehr. Deine Mutter hat Dir auch keine Vorwürfe gemacht. Und es sind nur Deine Gedanken, welche Dich so verzweifeln lassen. Verzweifle nicht!

Und dann lebe Dein Leben.


Du kannst uns jederzeit wieder schreiben, wenn Dir etwas auf dem Herzen liegt.


Alles Gute,

Arvid

PS: Ich habe Dir hier weitere Literatur zusammengestellt, welche ggf. relevant sein könnte:
https://www.psychotipps.com/schuldgefuehle.html
https://www.psychotipps.com/selbsthilfe/schuldgefuehle.html
https://www.was-ist-depression.net/alles-falsch-gemacht