Problem von Michelle - 26 Jahre

Ich habe keine Lust auf Sex

Hallo zusammen

Ich komme gleich auf den Punkt: Ich habe keine grosse Lust auf Sex. Ich kann mich auch nicht erinnern, wann ich das letzte Mal wirklich Lust hatte. Wenn ich dann Sex mit meinem Freund habe, macht es mir auch Spass und ich geniesse es. Aber oft möchte ich einfach nicht. Ich fantasiere aber im echten Leben mich dazu zu überwinden, fällt mir schwer. Zum Leid meines Freundes.
Ich weiss einfach nicht woran es liegt. Im Allgemeinen bin ich Abends immer sehr müde. Manchmal mehr, da kann ich gar nichts mehr machen und manchmal weniger, da kann ich noch Haushalt machen. Tagsüber arbeiten wir unter der Woche.
Könnt ihr mir Tipps geben, wie ich die Lust bei mir anregen kann? Oder wieso och überhaupt so lustlos bin?
Danke :)

Nuala Anwort von Nuala

Liebe Michelle,

zuallererst: Es ist schwierig, aus der Ferne gute Tipps zu einer sehr komplexen Angelegenheit zu geben, weil viele Fragen auftauchen und ich fast nichts über dich und eure Partnerschaft weiß. Es können so viele Faktoren beteiligt sein, die z.B. im Rahmen einer Sexual - oder Paarberatung herausgearbeitet werden können. Daher rate ich dir schon vorab, im Zweifel eine Beratung vor Ort in Anspruch zu nehmen. Und: Einige finden die Bücher von David Schnarch sehr hilfreich.

Mir sind trotzdem ein paar Punkte ins Auge gesprungen, die näher beleuchtet werden könnten.

Sex sollte man haben _wollen_.
Willst du denn von Herzen gerne mehr Sex haben? Das wäre die erste wesentliche Frage.
Sex ist nichts, was man dem:der Partner:in zuliebe tun sollte und nichts, wozu du "verpflichtet" bist! Ich schreibe das deswegen so deutlich, weil dieser Glauben unterschwellig in vielen Beziehungen vorhanden ist und somit für Unfreiheit und Frust sorgt.

Es ist von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich, wie die Libido ausfällt. Bei manchen ist die konstant hoch und bei anderen konstant niedrig oder irgendwo dazwischen - und bei Vielen dürfte es sehr schwankend sein, weil die äußeren Umstände sehr begrenzend und ermöglichen wirken können.
Manche haben nur bei bestimmten Partner:innen viel Lust, weil die "Chemie" so stimmt, und/oder das Vertrauen sehr hoch ist, die sexuellen Vorlieben optimal zusammenpassen, etc.
Daher lautet eine meiner Fragen: Hat sich deine Libido jemals verändert, konntest du da schon konkrete Einflüsse feststellen?

Hier komme ich zum nächsten Punkt: In einem Menstruationszyklus ohne hormonelle Eingriffe gibt es unter Umständen ganz natürliche Schwankungen der Lust. Bei hormoneller Verhütung hingegen gibt es keine körpereigenen Schwankungen, weil alles unterdrückt wird. Es kann sogar zu einer chronischen Unlust kommen, darum empfehle ich dir, da genau hinzuschauen, sofern du hormonell verhütest.

Natürlich kann es sich auch lohnen, dich mal körperlich komplett untersuchen zu lassen inklusive Hormonstatus und eventuell vorliegendem Mineralstoffmangel!

Wenn du für sich feststellst: Ja, Sex bereichert meinen Alltag, ich will mehr davon (und selbst auch aktiver werden), dann ist das schon eine große Erkenntnis. Daran ließe sich anknüpfen.
Doch auch die andere Variante ist bedeutsam, nämlich dann, wenn du ehrlich für dich erkannt hast, dass du tief in dir spürst, dass Sex niemals einen hohen Stellenwert bekommen wird. Das wäre dann mit deinem Partner zu besprechen. Ohne Offenheit geht es nicht.

Wenn dieses Grundbedürfnis bei dir (vielleicht noch nie?) vorhanden war, tendierst du möglicherweise in das asexuelle Spektrum. Asexuelle Menschen haben mitunter Sex, aber die Bedeutung für ihr Leben ist u.U. viel geringer als bei nicht-asexuellen Menschen.
Informiere dich gerne zu Asexualität, z.B. hier: https://asexuell.info/

Zurück zur Möglichkeit, dass du Sex zumindest wichtig genug findest, um deinen/euren Alltag und euer Verhalten ggf. zu verändern.
Hier folgende Gedanken:
- Ziehe grundsätzlich alles in Betracht, was sich auswirken kann (Psyche, Körper, Lebensumstände, Prägungen, usw.). oft spielen gleich mehrere Faktoren zusammen - oder eine wichtige Sache (z.B. Asexualität; bestimmte sexuelle Vorlieben) wurden noch nicht erkannt bzw. bewusst "zugelassen".
- Wenn abends die Luft raus ist, solltet ihr schauen, ob ihr nicht auch tagsüber bzw. am frühen Abend Sex haben könntet. Zumindest am Wochenende gäbe es ja viel Spielraum. Andere Dinge wie Haushalt müssen dann eben warten. Und: Dein Partner sollte selbstverständlich mit dir zusammen den Haushalt erledigen! Das muss nicht zeitgleich erfolgen, aber eine faire Aufgabenteilung ist sehr wichtig für eine stabile Partnerschaft. Bleibt viel Zeug an dir hängen, ist es nicht verwunderlich, dass du überlastet und nicht gerade offen für Sexuelles bist.
- Untersucht zusammen bzw. auch du erstmal für dich, was bei dir/euch für Stress und Zeitdruck sorgt. Beides ist absolut sexfeindlich.
- Vielleicht wäre weniger arbeiten ein Ansatz für dich oder gar euch beide.
- Hormonelle Verhütung überdenken oder Präparat wechseln.
- Erkunde dich selbst: Was sind deine sexuellen Bedürfnisse im Detail? Wie kannst du dich selbst am effektivsten stimulieren bzw. einfach für Lust sorgen? Und wie kann dein Partner das tun?
- Sex muss weit gedacht werden und ist so viel mehr als Penis-Vagina-Geschlechtsverkehr.
- Es gibt viele Ansätze, sich spielerisch dem Bereich Sexualität und Erotik zu nähern. Dazu gibt es mittlerweile tolle Kurse, Workshops, Videoreihen usw.

Du siehst: Es ist ein weites Feld und eine spannende Entdeckungsreise. Ich wünsche dir viele neue Erkenntnisse, die dir helfen, dich besser zu verstehen und die zu einem erfüllteren Leben führen - ob mit mehr Sex, anderem Sex oder noch weniger Sex. Hauptsache, du fühlst dich wohl in deiner Haut.

Alles Liebe,
Nuala