Problem von Tina - 22 Jahre

Erste gemeinsame Wohnung mit dem Freund und schlimmes Heimweh

Ich bin vor 2 Tagen mit meinem Freund in unsere erste gemeinsame Wohnung gezogen. Ich wollte von Anfang an noch etwas warten weil ich gerne noch bei meine Eltern geblieben wäre, da ich hier in einer Einliegerwohnung gewohnt hatte und sehr viel Privatsphäre hatte. Er war aber die treibende Kraft und schließlich sind wir jetzt nach 3 Monaten renovieren zusammen gezogen. Die erst Nacht in der Wohnung war der reine Horror für mich ich habe ständig geweint und wollte einfach nach Hause da ich mich in der Wohnung einfach nicht wohl fühle. Meine Eltern wohnen eigentlich nur ca 300 Meter weg von uns (Die Wohnung gehört sogar meine Eltern) Aber ich halte es dort nicht aus. Ich habe Angst das alles nicht zu schaffen, ich war noch nie interessiert in Haushalt wie Kochen und Putzen ist für mich eine lästige Pflicht. Auch das jeden Tag etwas zu essen auf den Tisch soll überfordert mich noch gewaltig und nach einen 40 Stunden Bürojob möchte ich gerne einfach am Wochenende meine Ruhe und nicht die Hausfrau spielen. Nebenbei arbeite ich bei meine Eltern im Betrieb auch mit und seit dem Umzug muss ich immer weinen wenn ich sie sehen, kann nicht mal richtig sprechen wenn sie da sind. Ich versuche das jetzt schon immer vor ihnen zu verstecken aber lange halte ich das nicht mehr durch.

Lan Anwort von Lan

Liebe Tina,

vielen Dank für dein Vertrauen und deine Nachrichten.

Ich lege dir folgende Beiträge ans Herz. Bitte lies sie dir aufmerksam durch:
https://mein-kummerkasten.de/320384/Schlimmes-Heimweh-und-Reue-nach-Auszug.html
https://www.zeit.de/zett/2016-10/ich-will-wieder-zu-mama-wenn-studierende-ploetzlich-heimweh-bekommen?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.de%2F
https://www.refinery29.com/de-de/heimweh-was-tun-gegen-einsam-alleine-sein

Natürlich möchte ich aber auch auf dein ganz eigenes individuelles Problem eingehen.

Dass du Heimweh hast und deine Familie schrecklich vermisst, ist allzu verständlich und total normal! Auch wenn du inzwischen erwachsen bist. Dafür musst du dich auch nicht schlecht fühlen und schämen.

Denn das ist gerade eine Ausnahmesituation für dich: Für dich hat mit dem Auszug ein vollkommen neuer Lebensabschnitt begonnen. Vermutlich hast du auch noch nicht allein gewohnt, nehme ich an. Das ist eine Situation, die dein Leben gerade gehörig auf den Kopf stellt. Es klingt auch so, als ob das Zusammenziehen mit deinem Freund eher von ihm kam. Fühlst du dich denn überhaupt bereit dazu? Du hättest vermutlich lieber gewartet, vielleicht war es auch eine zu schnelle Entscheidung.

Ich sehe jetzt zwei Probleme, die sich gegenseitig verstärken:
1. Du warst vermutlich noch nicht bereit, um mit ihm zusammenzuziehen. Außerdem fühlst du dich vermutlich eingeengt und nicht wohl, weil du mit der gemeinsamen Wohnung weniger Privatsphäre und auch Freiraum für dich hast. Korrigiere mich bitte, wenn ich falsch liege.
2. Du hängst vermutlich sehr an deiner Familie und deinem Zuhause, was ja an sich super ist. Du scheinst sehr familienorientiert zu sein. Aber steckt vielleicht auch eine gewisse Abhängigkeit und Angst vor dem Loslassen der Familie, dem alten Leben und dem neuen Leben als erwachsener Mensch dahinter?

Eine erste Wohnung stellt einen vor große Hürden, die für dich sehr belastend sind. Dazu gehört, dass man den Haushalt macht, selbst für sich und sein Leben verantwortlich ist. Das kann belastend sein, wenn man dann auch noch einen harten Job hat.

Ich denke mal, dass die wenigsten Lust haben, gerne den Haushalt zu schmeißen. Für viele ist es einfach auch ein notwendiges Übel. Doch was wäre jetzt die Alternative, sich darum nicht zu kümmern? Du könntest beispielsweise auch den Haushalt weniger machen oder dich mit deinem Freund einigen, dass ihr euch dabei aufteilt oder er vielleicht ein paar Sachen mehr macht und du dich dafür um andere Dinge wie Finanzen kümmerst? Oder ihr engagiert eine Haushaltshilfe, die das übernimmt, sollte es euch beiden gar nicht behagen. Dafür braucht es natürlich entsprechend Geld. Entweder entscheidet man sich dafür, Zeit zu investieren und alles selbst zu machen oder eben Geld, damit es jemand anderes übernimmt.

Ich lese heraus, dass dahinter die Angst vor Überforderung steckt, vielleicht auch fehlendes Vertrauen in dich selbst, dass du dieser Herausforderung mit der eigenen Wohnung nicht gewachsen bist. Frage dich mal: Woher kommt diese Angst denn? Wie war es früher bei deinen Eltern? Hast du dich sehr auf sie verlassen, musstest du auch mal etwas im Haushalt machen oder nicht? Möglicherweise wurdest du nicht ordentlich darauf vorbereitet, mal auf eigenen Beinen zu stehen. Dann ist es klar, dass du diese Ängste hast.

Ich würde dir raten: Gehe deinen Ängsten und deinem Heimweh auf den Grund.
Warum fehlt dir dein Zuhause und deine Eltern so? Was steckt wirklich dahinter? Was vermisst du? Und wovor hast du Angst? Vor der Unsicherheit? Vor dem Ungewissen und Neuen?

Lerne, mit deinen Unsicherheiten umzugehen und Wege zu finden, mehr Vertrauen zu entwickeln. Du bist eine junge und erwachsene Frau mit Stärken. Nutze diese. Traue dir das selbst zu. Du bist nicht mehr ein Kind und auch nicht nur die Tochter deiner Eltern. Du bist mehr als das, du bist toll und kannst es schaffen!

Jetzt stehst du vor einer Entscheidung:
Wirst du diesem neuen Leben eine Chance geben oder wieder zurück in dein altes kehren, zu deinen Eltern zurückziehen?
Die Entscheidung kann und will ich dir nicht abnehmen.

Ich denke, dass du für dich herausfinden musst, ob das Zusammenleben mit deinem Freund etwas für dich ist oder nicht. Vielleicht braucht es mehr Zeit, bis du bereit bist oder dich daran gewöhnt hast.

Wichtig wäre, falls du dich für das neue Leben entscheidest: Lass dich darauf ein, sei geduldig mit dir selbst und lass dein Heimweh zu und all die damit verbundenen Gefühle. Sie wollen gefühlt werden. Heiße sie willkommen und akzeptiere sie, versuche sie zu verstehen.

Ich kann dir ja gern von meinen Erfahrungen erzählen: Ich bin nach dem Abi und mit meinem ersten Freund zusammengezogen und hatte recht schnell Heimweh. Das lag aber auch daran, weil ich mich in der neuen Stadt einfach nicht wohl gefühlt und keinen sozialen Anschluss gefunden hatte. Dann wurde ich einsam, auch wenn ich meinen Freund hatte. Doch dann veränderte ich mein Leben, lernte die neue Stadt kennen und lieben und knüpfte proaktiv Freundschaften. Ich habe mir sozusagen einen Platz im neuen Leben erarbeitet. Und ich denke, dass das für viele funktionieren kann und vielleicht auch für dich. Wenn du den Fokus jetzt weniger auf das legst, was verloren geht und eher auf das, was du gewinnen kannst. Also ein Perspektivwechsel könnte helfen.

Rede mit deinem Freund, deinen Eltern und Freunden über dein Heimweh. Schaff dir mit deinem Freund und deinen Eltern gemeinsame Rituale, die geben dir jetzt auch Sicherheit und Geborgenheit in einer Zeit, in der du dich unsicher fühlst, weil alles neu ist.

Sprich mit deinem Freund auch über ausreichend Zeit für dich und Freiräume. Vielleicht hilft dir das auch schon mal sehr, um dich wohler in der gemeinsamen Wohnung zu fühlen. Wie viel Privatsphäre brauchst du? Wie viel Zeit für dich?

Richte eure neue Wohnung ein und schmücke sie mit Sachen, die dir vertraut sind und noch mehr Geborgenheit spende. Besuch deine Eltern, aber übertreibe es auch nicht. Ein Mittelweg wäre gut. Triff dich auch mit Freunden, lade sie zu euch nach Hause ein. Stück für Stück wird die neue Wohnung dann auch zu deinem neuen Zuhause, wenn du es auch akzeptierst. Indem wir das neue Zuhause mit positiven Momenten verknüpfen, entwickeln wir immer mehr das Gefühl des Angekommenseins.

Ich denke das ist eine große Chance für dich, über dich hinauszuwachsen, wenn du dich auf dieses neue Leben einlässt. Nur dann kannst du auch lernen, eigenständig zu werden und langsam das Vertraute und die Eltern loszulassen. Das gehört nämlich auch zum Erwachsen werden dazu.

Ich hoffe, dass ich dir einige Denkanstöße geben kann.

Ich wünsche dir ganz viel Liebe, viel Geduld, Kraft und alles Gute.

Viele Grüße,
Lan