Problem von Anonym - 18 Jahre

Zwischen Ehrgeiz und Selbstfindung

Hallo, liebes Kuka-Team!

Ich habe ein Problem, das mich in den letzten Jahren immer mehr belastet.
ich bin in der 13. Klasse und mache bald Abitur.

Mir ist die Schule sehr, sehr wichtig und ich lerne auch viel. Als Resultat habe ich auch gute Noten, im Durchschnitt 14.
Ich bin sehr ehrgeizig und ärgere mich innerlich daher schon, wenn ich mal "schlechtere" Noten als 13 schreibe.
Ich prahle nicht mit meinen Ergebnissen und versuche immer, zu helfen, wenn ich z. Bsp. in Mathe nach etwas gefragt werde.

Ich weiß nicht, wie es an anderen Schulen ist, aber bei uns sind diejenigen, die immer im Einserbereich schreiben auch diejenigen, über die am meisten gelästert wird.
Zum Beispiel gelte ich im Allgemeinen als Lieblingskind der meisten Lehrer, da ich auch gute mündliche Noten bekomme. Dabei bin ich auf dieser Ebene sowieso schon sehr vorsichtig und unterhalte mich mit meinen Lehrern ausschließlich im Unterricht über den entsprechenden Stoff.
Ich habe immer das Gefühl, dass mich andere für ihre schlechteren Ergebnisse verantwortlich machen, mir meinen Erfolg nicht gönnen, da die Notengebung ja so ungerecht ist.

Ich fühle mich immer mehr in die Ecke gedrängt, traue mich nicht mehr, meine Meinung zu sagen (zum Beispiel, dass ich eine Klausur schwer fand), weil es sonst heißt: "Ach DU, du hast doch eh wieder 14".
Auch meine Freunde reagieren da empfindlich und verstehen mich nicht. Sie sagen mir indirekt, dass ich mich viel zu arg verrückt mache und mich bei den Noten nicht so anstellen soll. Ich weiß nicht mehr, ob sie vielleicht Recht haben...

Jetzt ist es soweit, dass ich merke, dass ich unter enormem Druck stehe. Meine Ansprüche an mich selbst werden immer höher, ich habe immer mehr Angst vor Klausuren und Panik vor dem schriftlichen Abitur in 8 Wochen, die ich aber wegen oben beschriebenen Reaktionen niemandem mitteilen kann.
Vielleicht übertreibe ich auch? Bin ich ZU ehrgeizig?
Ich habe das Gefühl, dass ich mich nur noch über schulischen Erfolg definiere. Ich fühle mich nur dann in mir selbst wohl, wenn ich 14 Punkte zurückbekomme, nur dann habe ich mein Leben ein Stück weit unter Kontrolle.

Vielleicht hängt es damit zusammen, dass ich mich auf privater Ebene eher als Looser fühle. Ich fühle mich in meinem Körper sehr unwohl und habe im zwischenmenschlichen Bereich ziemliche Hemmungen.
Ich habe das Gefühl, dass mich niemand versteht, fühle mich isoliert von der "normalen" Welt.
Auch die männliche Welt um mich scheint sich nicht im geringsten für übertrieben zielstrebige Frauen zu interessieren, vielleicht auch deswegen, weil ich immer mehr an liebenswertem Inhalt verliere :,(

... Manchmal wünsche ich mir auch, ich wäre um den Preis von ein paar guten Noten offener für die anderen Facetten des Lebens, die, die nichts mit Schule zu tun haben, doch leider fühle ich mich in denen so verloren, dass ich z Bsp. in jeder Disko ein Nervenbündel bin, das nicht weiß, was es zu tun hat, da es keine Regeln gibt, an die man sich halten kann, kein Schema zum abhaken.

Das letzte was ich will ist arrogant wirken, ich habe meine Freunde sehr gern, mir ist es völlig egal, was sie für Noten schreiben oder dass sie ihre Prioritäten anders setzen. Aber warum lassen sie mich nich nicht so sein, wie ich bin, warum darf und kann ich nicht stolz auf mich sein? Oder haben sie Recht?
Wie bekomme ich mein Leben wieder in den Griff?

Anwort von Micha

Hey du,

Die Ursache für deinen Kummer ist, so schlicht es sein mag, die Macht der Gesellschaft.
Es wird prinzipiell das als "normal" angesehen, was den allgemeinen Wertetheorien entspricht.
So erzeugt dein Fleiß, in Verbindung mit dem entsprechenden Resultat, in vielerlei Hinsicht Reaktionen.
Die einen Reagieren mit Neid und die anderen mit Unverständnis für deine Art, Prioritäten zu setzen.
Ganz sicher nicht alle, aber ganz bestimmt viele.
Und so geschieht das, was allgemein immer passiert wenn man sich von der Gesellschaft abhebt (die bei allem Respekt, gerade in diesem Alter nicht mehr so viel Wert auf Bildung legt). Man wird schlicht zum Ausenseiter.
Dieses Gefühl weckt in den Betroffenen oft ein Gefühl der Selbstzweifel, da sie, obwohl sie es eigentlich besser wissen, zu Glauben gezwungen sind, sich selbst nicht als Normal anzusehen, da sie nicht sind wie die meisten anderen.
In vielen Dingen ist es ein großer Unterschied, was der Verstand und was das Herz einem sagt.
So weiß dein Verstand das alles was du bezüglich der Schule machst, vollkommen richtig ist und einen Sinn hat, doch dein Herz sehnt sich nach Dingen wie Beliebtheit und Annerkennung.
Unweigerlich schleicht sich die überzeugung in deinen Kopf, das beide Dinge niemals zuvereinbaren sind.
Aber das ist nicht richtig! Doch werde ich dir nicht den Gefallen tun und sagen, du wärst bezüglich deiner mangelnden sozialen Kompetenz unschuldig, weil das nicht stimmt!
Genau wie Mathematik und Geschichte etc. bedarf es auch dem Umgang mit Menschen an Übung und Fleiß, doch denke ich das du genau jenen Aspekt des Lebens, wenn auch nicht vergessen, zumindest vernachlässigt hast.
Doch ist es dafür nicht zu spät...doch lernen wirst du es nur wenn du dich mit Menschen umgibst und Erfahrungen sammelst.
Aber keine Angst du wirst dich wundern, es ist leichter als Mathe ;-)
Den was hast du zu verlieren? Geh einfach mal in die Disko und Rede Leute an. Versuche allgemein offener zu Menschen zu sein und du wirst sehen, wie du dich diesbezüglich veränderst.
Der Rest, kommt dann ganz von alleine.
Jedoch eines darfst du niemals vergessen:
Verändere dich nicht um der anderen Willen!
Jeder Mensch hat es als innerstes Ziel zur Selbstfindung zu kommen, jedoch würdest du, da lehne ich mich nicht zu weit aus dem Fenster, weit aus unglücklicher sein ein Leben hinter einer Maske zu führen, als wenn du dich über ein paar Leute ärgern musst, die dich nicht verstehen.

Also:

-Zweifel nicht an dir oder an dem was du bist, nur weil es in der Öffentlichkeit keine Resonanz findet. Lebe dein Leben und versuche deinen Weg zu gehen.

-Gehe offen auf Menschen zu und vernachlässige nicht das Lernen sozialer Fähigkeiten

-Verstelle dich niemals um anderer Willen, da dich das niemals Glücklich machen wird (siehe Punkt 1 ;-)

Ich wünsch dir alles Gute und halt die Ohren steif.

Gruß
dein Micha

ps: Würd mich freuen von dir zu hören.