Problem von Anna - 24 Jahre

Teufelskreis

Liebe Kummerkastentanten und - onkels,

mein Problem fühlt sich außerordentlich an und ist dennoch so banal, dass es sich in jeder Vorabendserie wiederholt.
Ich bin seit vielen Jahren mit meinem ersten Freund zusammen. Wir wohnen nicht zusammen, aber er hat mich all die Zeit über mit stets der gleichen liebenswürdigen, aufmerksamen, romantischen und hilfsbereiten Art auf Händen getragen. Viel haben wir miteinander durchgestanden und doch gab es nie eine ernsthafte Krise. Bis vor vier Jahren, als ich mich in meinen 12 Jahre älteren, verheirateten Chef verliebte!
Das entwickelte sich ganz allmählich. Über harmlosen gemeinsamen Feierabendausgängen kamen wir uns näher - lange Zeit nur in Freundschaft. Er war und ist nämlich nicht der typische Fremdgeher, ist eher schüchtern, introvertiert und egozentrisch. Ich fürchte, das Abenteuer suchte eher ich. Da mein Freund etwas jünger ist als ich, fühlte ich mich gerade von seiner vaterartigen Souveränität und seinem Intellekt angezogen.
Irgendwann brach der Damm und mit ihm verloren wir jegliche Vernunft: nach einem Opernbesuch verbrachten wir eine filmreife Nacht unterm Vollmond zusammen, wir verreisten heimlich, planten enthusiastisch unsere Zukunft, liebten uns so leidenschaftlich, dass ich jeden Tag mit glücksseligem, aufgeregtem Herzklopfen begann (obwohl es Passanten gab, die uns nachriefen: "der kann sichs wohl leisten!"). Einer Trennung von meinem Freund wollte er erst die Lösung aus seiner 20-jährigen Ehe (aus der zwei Kinder hervorgingen) vorangehen lassen, um sich mir erst zu beweisen. Und tatsächlich: er gestand seiner Frau "die Liebe seines Lebens" getroffen zu haben (ich fand die Wortwahl herzlos), kam früher aus dem Familienurlaub zurück und suchte sich schließlich eine Wohnung. Die Frau, von der er angenommen hatte, dass sie ihm inzwischen gleichgültig gegenüber stehe, war tief verletzt, kämpfte wie eine Löwin, erinnerte ihn an sein Ehegelübde, betonte ihn zu brauchen und ging schlußendlich in seinem neuen Domizil häufiger aus und ein als ich - was ich schmerzhaft begriff, als ich dort z.B. auf ihr Schminkzeug stiess.
Ein entsetzlicher Leidensdruck baute sich auf. Die Romantik bröckelte unter der Realität. Die schönen Gespräche endeten oft in Vorwürfen, er fühlte sich für mich wegen all der Zukunftsversprechen verantwortlich, wollte aber zugleich seiner Familie nicht in den Rücken fallen, deren Vorwürfe ihm genauso weh taten.
Vor der wochendlichen typischen Warteposition der Geliebten bewahrte mich mein Freund, der trotzdem ich ihm die Wahrheit eröffnet hatte, geduldig ausharrte und mit mir Zeit verbrachte, obwohl mich die herzensmäßige Unsicherheit oft wortkarg, abweisend und einmal auch schwer krank hatte werden lassen.
Die Treffen mit meinem Chef wurden seltener, der Beruf und die zeternden Nachforschungen seiner Frau hatten ihm allen Mut zu uns zu stehen genommen. Das Wechselbad der Gefüle verstärkte sich: herrliche, elegante Mittagspausen liessen mich enttäuscht zurück, weil er mich weder küsste, noch wie einst Perspektiven aufzeigte. Ich wollte ihn dann stets wieder für mich gewinnen, buhlte um Treffen, wo ihn erst übermäßiger Weingenuß in alter Weise auftauen liess. Dann sagte er am nächsten Tag etwa "ich liebe Dich, Du liebst mich, daraus entsteht ein Anspruch", um dann 3 Wochen mit seiner Frau in den Urlaub zu fahren ohne mich auch nur einmal anzurufen.
Mein Herz verging vor Sehnsucht, wollte nicht verstehen und doch holte es sich zugleich ungeniert die Geborgenheit an der Schulter des steten Freundes.
Am Ende war ich mit mir selbst nicht mehr im Reinen. Es widerte mich an, dass ich nach diesen Treffen gierte, bei denen ich doch nur meinen Stolz verkaufte, indem ich mich ihm als Geliebte antrug (vielleicht auch um selbst einer Entscheidung enthoben zu sein).
Wenn ich aber dann auf Abstand ging, fand er in der Arbeit immer eine Möglichkeit sich zu mir zu gesellen und mich allmählich wieder aufzutauen ohne ein einziges gewichtiges Wort zu sprechen. Regelmäßig malte er sich dann Ausflüge und Unternehmungen aus, aus denen nie etwas wurde und wenn ich nachhakte, liess er sich eher widerwillig auf ein Treffen ein, bei dem er kein Hehl mehr machte aus meiner "Obsessivität" und seinem sich fügen in ein selbstheraufbeschworenes Dilemma. Die Wohnung hatte er längst aufgegeben.
Nun beginne ich mich endlich zu lösen, plane mit meinem Freund zusammenzuziehen, sehne mich nach stillem, kampflosem Glück, das mir früher zu langweilig war. Als ich meinem Geliebten (so muss ich ihn wohl nennen) davon erzählte, meinte er nur, er sei dann endlich wieder handlungsfähig, könne ohne Repressalien seitens seiner eifersüchtigen Frau fürchten zu müssen, wieder ausziehen und zu meinem Hausfreund werden. Dieser Plan des einst so hochmoralischen Mannes stiess mich endgültig vor den Kopf. Als er vor zwei Wochen sonntags anrief um mir zu sagen, dass er mich am vereinbarten Tag kürzer als abgemacht sehen könne, war ich ganz hart. Sagte, dass ich mich nicht mehr einpassen liesse, dass er aus meinem Leben gehen solle und ich auch nicht mehr seinen "Pausenclown" in der Firma machen würde, wenn er nicht verbindlicher mir gegenüber werde. Sein letzter Satz verletzte mich nochmal: "dann lassen wirs - da kann ich nichts falsch machen!".
Im ersten Augenblick war ich erleichtert, doch nun beutelt es mich hart. Der einst mit ihm ausgefüllte Alltag ist die Hölle. Kein Blick, kein Gruß, verschlossene Tür - wie ich es wollte. Er vergräbt sich mißmutig und fahrig in Arbeit. Einerseits bin ich ihm dankbar um die Konsequenz, auf der anderen Seite vermisse ich unsere Vertrautheit und frage mich, wie er es aushält, hat er doch noch vor kurzem gesagt, ich sei seine einzige Vertraute, ohne die er sich das Leben nicht mehr vorstellen könne.
Ich muss stark bleiben, will ihm zeigen, dass ich nicht nur hündisch verehren, sondern auch stolz "genug!" sagen kann. Ich will ihm nicht geben, was er sich wünscht, die Gesellschaft, das Ohr... weil er mir auch nicht gibt, was ich mir wünsche, den früheren Stellenwert. Auf das Leben mit meinem Freund, der sich Kinder wünscht, freue ich mich. Es ist beileibe keine Flucht. Er unterstützt mein Ego, anstatt es zu zerschreddern. Am besten wäre ein Jobwechsel, aber der Arbeitsplatz ist sicher und gut bezahlt.
Ich habe Angst: davor, dass ich diese geschlossene Tür irgendwann nicht mehr ertrage. Mir denke: draussen pfeifen die Vögel, er mag mich, ich ihn, nach uns die Sintflut. Vermisst er mich denn gar nicht, kann er so einfach zur Tagesordnung übergehen, Jahre nichtig werden lassen?
Meine Mutter sagt dazu: "andere können nach einem ganzen Leben zum Zigaretten holen gehen und nie mehr wiederkehren".

Ich sehe dem gespannt entgegen, was ihr dazu meint.

Liebe Grüße!

Anwort von Sabine

Hallo!

Ich denke nicht, dass er es einfach so wegstecken kann. Er wird auch seinen Teil daran zu knabbern haben. Da er jedoch die Initiative ergriffen hat und das Wort ergriffen zur Entscheidung, fällt es ihm vielleicht ein wenig leichter. Männer sind da sowieso ein wenig anders als Frauen. Sie zeigen nicht gerne ihre Gefühle. Es könnte ja Schwäche bedeuten.

Ihr beide habt gewußt, wie schwer es werden kann. Er verheiratet und Du in einer Beziehung. War es nicht von Beginn an eine Frage der Zeit, wenn keiner sich so richtig entscheiden mag.

Wie es weitergeht, dass kann ich Dir nicht sagen. Vielleicht wieder eine Zeit der Frage, bis ihr vielleicht noch einmal zueinander findet. Es sei denn, einer von beiden geht und ihr seht euch nicht mehr.

Ich weiß es nicht, Anna. Wahrscheinlich muß man in der Situation stecken um zu entscheiden, denn jeder entscheidet für sich, was am besten ist.

Lieben Gruß