Problem von Adriano - 19 Jahre

Offenes Ohr gesucht!

Hallo liebes Kummerkasten-Team,

es ist halb vier am frühen Morgen des 23.12.2006, ein Tag vor Heiligabend. Eine der schönsten, vielleicht die schönse Zeit (neben dem Sommer!) des Jahres. Ich habe in dieser Nacht nicht wirklich Schlaf finden können. Aber vielleicht stelle ich mich erstmal vor. Ich heisse Adriano, bin 19 Jahre jung/alt -wie man's nimmt- und stecke zur Zeit in etwas, was mich beschäftigt, was mir schon so manche schlaflose Nächte bereitete. Suche ich Rat von euch? Ich weiss nicht. Je nachdem, ob ihr diesen Beitrag überhaupt lesen/beantworten könnt (gerade in der vorweihnachtlichen Zeit, dem bevorstehenden Jahreswechsel, Urlaubsreisen (?)). In erster Linie suche ich eigentlich nur ein offenes Ohr oder aber jemand, der sich meine Lebenssituation durchliest und im besten Falle sogar einige unterstützende Worte findet. Leider weiss ich jetzt nicht so wirklich, wo ich anfangen soll oder aber wie ich mein Problem am schnellsten auf den Punkt bringen kann. Aber eigentlich gibt es gar keinen einzigen Punkt. Ich habe in diesem Jahr mein Abitur erfolgreich erworben. Ich lebe in einer schönen, mich erfreuenden Familie mit üblichen Problemen, wie sie jede Familie mal durchsteht. Ich habe einen größeren Bruder, er ist 3 Jahre älter. Wir haben vieles gemeinsam unternommen und ich liebe ihn vom ganzen Herzen. Seit mehreren Jahren oder gar Weihnachten ist er allerdings nicht mehr zu Hause. Er geriet auf die falsche Bahn, baute Mist, verbringt den Jahreswechsel nun schon zum vierten Mal im Gefängnis. Die Tatsache, dass mein Bruder nicht mehr im Nebenzimmer schläft, dass ich meinem großeren Bruder Probleme nicht mehr anvertrauen kann, begleitete mich die letzten Jahre immer wieder und sorgte in meinem Leben nicht selten dafür, dass ich antriebslos in den Tag startete, oft verschlafen habe oder aber depressiv durch den Tag ging. In diesem Jahr, wie gesagt, habe ich dennoch mein Abitur erworben. NQ von 3.0, nicht wahrlich berauschend, ich weiss. Es wäre mehr drin gewesen, hätte ich mich desöfteren auf den Hosenboden gesetzt. (Ein Wink an alle Schulgänger, die sich meinen Beitrag durchlesen: Lernt für euren Erfolg!) Während ich also 13 Jahre lang auf mein Abitur hinarbeitete (natürlich mit der festen Absicht zu studieren, was heute doch ein wenig anders aussieht!), durchlebte ich einen besonderen Wandel meiner Sexualität. Ich kann mir gerade nur schwer vorstellen, wie das bisher Geschriebene auf Sie/Dich/euch wirken muss, wie blöd sich das anhören mag. Doch vielleicht sollte ich darüber nicht nachdenken, sondern einfach schreiben. Wie gesagt, in den letzten Jahren durchlebte ich einen Wandel meiner Sexualität. Oder aber, ich wurde mir erst über sie bewusst. Ich möchte mich nicht als überaus gutaussehenden Superhengst beschreiben. Doch wurde ich immer als niedlicher Junge bezeichnet, bei den Mädchen weckte ich ab und zu auch Interesse und mit meinen 175cm Körpergröße und 63 Kilogramm scheine ich auch so recht gesund zu sein. Worauf will ich hinaus? Ja, habe ich früher alles versucht, um Mädchen kennen zu lernen, entdeckte ich während meiner Jugend das Interesse für das gleiche Geschlecht. Zu beschreiben, wie sehr ich mit mir selbst gekämpft habe und wie stark mich diese andere Neugier beschäftigte, würde den Rahmen dieser ohnehin schon langen Message nur noch weiter sprengen. Im Januar 2006, meldete ich mich nach langem Hin und Her bei einer Internet-Community an, in der ich meinen heutigen festen Freund kennen lernte. Nach dem Abitur folgte mein erstes Treffen mit ihm (Eine weltliche Herausforderung für mich!), eine Woche später die Einberufung in die Bundeswehr. Während ich in der Bundeswehr war, kam ich mit ihm zusammen, wir wurden ein paar, das in einer Fernbeziehung ihre Liebe unter Beweis stellen muss. Heute, am 23.12.2006, sind wir beide nun schon seit 5 Monaten zusammen. Mit Höhen und Tiefen, wobei die Tiefen bedingt durch das lange Nichtsehen, die Trennung durch die Kilometer entstanden sind. Doch irgendwie hat dennoch unsere Liebe gesiegt, in die wir viel Geduld und Geld investierten. Nach drei Monaten Bundeswehr passierte es dann, dass ich das Handtuch warf. Ich hatte keine Lust mehr, Waffen zu gebrauchen. Ich hatte keine Lust mehr auf dieses anarchistische System, keine Lust mehr 800 Kilometer an den Wochenenden zu pendeln, keine Lust mehr darauf, frühs am Morgen aufzustehen, nur um bescheuerten Ritualen oder aber Arbeitstätigkeiten nachzugehen. Klar, ich verdiente gutes Geld, doch die (wahrlich!) geistige Unterforderung, das tägliche gleiche Schema, das Alleinsein auf Stube, das Getrenntsein vom Partner und vom zu Hause, machten mir doch mehr zu schaffen, als ich zum Dienstantritt dachte. Nach der Bundeswehr folgten eigentlich immer wieder herbe Rückschläge für mich, für die ich auch meine verflachte Initiative verantwortlich mache. Meinem Bruder wurden weitere Gerichtsurteile angehängt, meiner Mutter wurde der Arbeitsplatz bis zum nächsten Jahr im Mai versprochen (Sprich: Arbeitsplatzwechsel nach Hamburg von Nöten, 300 Km), die finanzielle Lage verschlechterte sich auch bei mir, Zivildienstplatz suche begann, Zeiten des Nichtstuns und Nachdenkens standen an der Tagesordnung. Was lag hinter mir? Das Abitur, die begonnene aber abgebrochene, nervenzerreissende Bundeswehrkarriere, das schwierige Coming-Out bei meinen Eltern, der Kampf um eine junge Beziehung, das Gefühl, man hänge irgendwie in der Luft. Was kam dann? Ein starker, bis zum Februar anhaltender finanzieller Engpass, die Peinlichkeiten, die einem durch Geldmangel entstehen (Geburtstagsgeschenke können nicht gekauft werden, die Reisen zur Liebe sind nicht mehr machbar, etc.), das ewige Suchen nach einem Nebenjob (bis heute unbeantwortet oder aber erfolglos), das Aufschieben der beruflichen Planung durch die Wehrpflicht, das Sehen, wie sehr sich meine Eltern bemühen, Rechnungen und Lebensstandards abzugleichen und aufrechtzuerhalten und das Erkennen (wohl durch Depressionen!), dass ich mein eigenes Leben zur Zeit richtig scheisse finde. Mein Freund, der mich bis gestern noch besuchen war, hinterließ mir auf meinem Tisch ein Weihnachtsgeschenk. Zwei Tage vor Weihnachten. Wie sehr seine Augen funkelten, als er mir sagte, dass er ein Geschenk für mich habe und ich es nicht vor Weihnachten öffnen soll. So schön diese Geste auch war, so schmerzhaft war es dann wiederum festzustellen, dass Ich ihm, zwei Tage vor Weihnachten, zum Fest der Liebe, kein Geschenk machen konnte. Nicht etwa, weil ich es vergaß, sondern, weil es mir zur Zeit nicht möglich ist, irgendwelche Ausgaben zu machen. Er weiß davon, er weiß über meine Lage Bescheid, dennoch ist sie für mich sehr beschämend. Er befindet sich in einer Ausbildung, übt fleißig für seinen Führerschein, hat Beschäftigung. Freunde von mir gehen teilweise studieren, arbeiten, sind noch beim Bund, oder aber stagnieren auch in der Problematik Wehrpflicht und der damit verbundenen Aufschiebung der Karriereplanung. Die Schulzeit ist vorbei, der Sommer voller Spaß hinüber, trister Winter kehrt ein, und ich fühle mich überhaupt nicht wohl in meiner Haut. Wie Sie erkennen, lässt sich aus meiner Schilderung kein wirkliches einzelnes Problem genau finden. Eher ist es eine Aneinanderkettung verschiedenster Ereignisse vergangener Tage, Wochen, Monate, Jahre, die mich in die wohl tiefste Lage meines bisherigen Lebens führten. Emotional gesehen. Ich fühle mich schlecht, bin auf meine Eltern angewiesen, finanziell. Muss mit Einschränkungen meiner nicht unbedingt anspruchsvollen Lebensweise klar kommen, und alles nur aufgrund der Tatsache, dass ich die Wehrpflicht und ihre Sinnlosigkeit (für meine Empfinden!) kennen lernte.

Nebenbei werde ich geliebt, habe Freunde, die sich nach mir erkundigen, die mich zu Geburtstagen einladen usw. Doch irgendwie kann ich nur wenig zurückgeben, habe ich das Gefühl. Ich habe das Gefühl, dass ich aufgrund des mangelnden Geldes mehr und mehr in schlechte Launen verfalle, weil mir dadurch eben Dinge verwehrt sind, die ich sonst gerne täte. Mit Freunden weggehen, meine beste Freundin ins Kino einladen, zu einer Einladung für Silvester zusagen, meinem Freund ein Geschenk zu Weihnachten machen, eben alles Dinge, die andere machen, die gestisch auch sehr wertvoll sind. Wenn etwas nicht klappt, verfalle ich schnell in endloses Nachdenken. Über die verschiedensten, skurrilsten und vielleicht unbegründetsten Dinge. Ich bin mir darüber bewusst, dass ewiges Nachdenken schlecht ist, doch gibt es zur Zeit nichts aus der Liebe zu meinem Freund, das mir Lebensfreude spendet.

Was erwarte ich nun von Ihnen? Ich erwarte nichts. Ich bin Ihnen, wenn sie hier angekommen sind, schon sehr dankbar, dass sich jemand die Zeit genommen hat und ein offenes Ohr anbot. Viel mehr war es wohl wichtig für mich, meine Sorgen loszuwerden, sie mal auzusprechen, zuendezudenken, sie irgendwohin zu tun. Ich habe meine Gefühle noch niemanden anderen mitgeteilt, weil ich mich dafür schämen würde. Deswegen der doch anonymere Weg, was aber nicht heissen soll, dass ich Ihre Arbeit und ihre Unterstützung für andere Menschen für weniger wertvoll halte als im persönlichen Gespräch. Ganz im Gegenteil! Wenn Ihnen danach ist, wenn Sie vielleicht irgendwas denken, fühlen oder meinen sagen zu können, dann würde ich mich natürlich über eine Antwort sehr freuen. Egal, wie sie ausfällt, mir wäre zur Zeit alles recht. Sei es ein zurechtweisender Arschtritt, oder aber Lichtblicke.

Ich bedanke mich für ihre Aufmerksamkeit!

Dana Anwort von Dana

Grüße Dich, Adriano!

Eine Tüte Farbe wäre manchmal nicht schlecht, um sie einfach über das graue Leben zu kippen, was? Finanzieller Engpass, der Blick auf die berufliche Zukunft getrübt, eine Fernbeziehung, der Bruder verurteilt, ein schwieriges Coming Out, eine Abi, das besser hätte sein können... alles grau, trübe und nichts, was Dich motiviert...

Aber ist es wirklich so? Ist wirklich alles grau? Ich denke, die Farbe hast Du, Du musst sie nur noch sehen lernen. Ja, es ist traurig, wenn man den Freund nicht so oft sehen kann, wie man es vielleicht möchte. Aber ist es nicht schön, dass es diesen Menschen gibt? Ist es nicht ein schönes Gefühl, jemanden vermissen zu können?

Und müssen liebe Gesten und Geschenke, Aufmerksamkeiten im Alltag immer Geld kosten? Neulich habe ich mit meinem besten Freund und Trauzeugen telefoniert und er sagte mir, dass an seiner Wand das beste hängt, was man ihm je geschenkt hat... es ist ein Sonett von Shakespeare, das ich ihm aufgeschrieben habe (mit sehr viel Mühe und Liebe zum Detail). Gekostet hat das gute Stück nichts, außer Zeit und ein wenig kalten Kaffee, um das Papier alt aussehen zu lassen ;-) Und solche Dinge habe ich sehr oft verschenkt; anfangs weil auch mir der finanzielle Schuh drückte, später weil ich merkte, dass diese Dinge mehr geschätzt und geliebt werden als etwas Gekauftes. Denke darüber einfach mal nach... Liebe und Gefühle ausdrücken hat nichts mit Geld zu tun.

Und auch den trüben Blick in die berufliche Zukunft kann man etwas Positives abgewinnen: Es sind noch alle Türen da. Du hast die offene Entscheidung und musst nur noch den Allerwertesten hochbekommen und Dir eine von diesen Türen aussuchen, sie öffnen und staunen, was es gibt.

Du versackst ziemlich in diesem Gedankenkarussell und schaust Dir an, wie Dein Leben ist und weißt, dass Du es so nicht möchtest. Und wann fängst Du an, es zu gestalten nach Deinen Wünschen? Wann beginnst Du, jeden Abend auch mal an die schönen Dinge des Tages zu denken? Wann schätzt Du Dich glücklich, weil Du hast, was Du hast und lässt die Gedanken an das, was nicht da ist einfach sausen?

Alles Gute!
Dana