Problem von Marcel Stella - 20 Jahre

Meine gestorbene Schwester

Hi

Wie schon in der Überschrift von meinem Problem steht, ist meine Schwester gestorben:(.

Sie ist an ihrem scheiß Krebs gestorben. Sie ist am 1. auf 2. November gestorben.

Sie hat diese Seite gefunden und ihr Problem hingeschickt und hat auch eine Antwort von Dana bekommen (vielleicht könnt ihr euch ja noch an die Mail erinnern), die sie aber leider nicht mehr lesen konnte weil sie in dieser Nacht gestorben ist.

Ich komme mit ihrem Tod und mit meiner Trauer einfach nicht klar. Seit sie gestorben ist geht alles schief.
Ich kann mit meinen Freunden nicht darüber reden. Ich gehe so oft es geht an ihr Grab.
Auch wenn es blöd klingt, aber ich rede mit ihr wenn ich am Grab bin, ich erzähle ihr einfach alles.

Ich habe meine Schwester über alles geliebt, und sie geht einfach weg, lässt mich im Stich.
Wir standen in einer sehr guten Beziehung zueinander.

Ich habe auch Angst zu vergessen wie sie aussieht. Ich vermisse ihr lachen, ihr vertrautes Gesicht und einfach ihr starke Persönlichkeit.

Sie war etwas ganz besonderes. Sie hat so lange und so stark gegen ihren Krebs angekämpft, es hat nichts gebracht. Sie hat es nicht verdient.

Ich weiß das sie nicht mehr lebendig wird. Ich weiß abr echt nicht mehr wie ich mit meiner Trauer umgehen kann.

Ich war ein paar mal in einer Gruppe wo Leute ähnliches erlebt haben, aber ich bin irgendwann nicht mehr hingegangen weil ich dort nicht darüber reden kann.

Was soll ich denn machen?
Vielleicht habt ihr noch eine Idee wie ich mit meiner Trauer umgehen kann.
Ich würde mich über eine Antwort sehr freuen!!!

PS: Dana, meine Eltern waren sehr Dankbar über deine Antwort.

Ihr seid echt suuper!!

Dana Anwort von Dana

Grüße Dich, Marcel!

Ja, ich kann mich an die Mail erinnern, sehr gut sogar. Mir ging und geht es sehr nahe - auch wenn ich sie und ihre Familie nicht kenne. Es klingt immer wie eine abgedroschene Phrase, aber es ist wirklich so: Es tut mir sehr Leid. Wir hier im Kummerkasten waren und sind sehr getroffen. Wir können Euch das Leid, die Trauer nicht nehmen; aber wir nehmen Anteil. Und das sage ich nicht, weil man es eben so sagt.

Es fällt mir auch nicht leicht, Dir zu antworten. Nicht, weil ich es nicht möchte und mich 'drücken möchte'. Sondern, weil ich fürchte, die richtigen Worte nicht zu finden. Und die richtigen Worte sind jetzt für Dich so wahnsinnig wichtig. Die Goldwaage ist immer dabei und jeder gut gemeinte Satz kann eine riesige Welle auslösen.

Ich kenne die Gefühle, die der Tod auslösen kann, sehr genau. Auf der einen Seite die unendliche Trauer, die sich auch in körperlichem Schmerz zeigen kann; das Sehen einer Sinnlosigkeit, die Einsamkeit, obwohl man nicht allein ist. Und auch die Verzweifelung, weil man einfach nicht mehr weiß, wie es nun weitergehen kann. Und manchmal sogar fast ein schlechtes Gefühl, weil es weitergeht - aber irgendwie leider nicht für alle. Ich denke, Du weißt, was ich meine. Und dann ist da diese Wut, die sich wie ein Faustschlag in den Magen anfühlt. "Einfach abhauen, mich hier allein gelassen! Mach es Dir doch nicht so verflucht einfach! Du kannst nicht gehen und mich hier mit allem allein lassen!" Und diese Wut kommt auch auf, wenn jemand so nebenbei sein Beileid ausspricht. Jedenfalls ging es mir vor inzwischen vielen Jahren so. "Ich weiß, wie Du Dich fühlst..." Und ich wollte ihn anschreien: Woher willst Du das wissen? Du gehst jetzt nach Hause, ziehst Dich wieder um und apätestens ab morgen schon ist Deine Welt wieder in bester Ordnung!

Ich habe keine Schwester oder Bruder verloren, sondern einen der tollsten, liebsten Männer, die mir je begegnet sind. Früher habe ich mir manchmal gewünscht, ich hätte ihn nie kennengelernt. Denn dann wäre mir sehr viel Trauer und Leid erspart geblieben. Heute bin ich dem Leben, dem Schicksal, welcher Macht auch immer unsagbar dankbar für die Zeit, die wir hatten. Und diese Zeit war den Schmerz wert. Ich hätte den dreifachen ertragen, wenn doch nur...

Du wirst ihr Gesicht niemals vergessen. Fast klingt es wie eine Drohung; ist aber keine. Glaube mir, so viel Zeit kann gar nicht ins Land gehen, als dass wir jemanden vergessen könnten, der uns so nahe war und auf eine Art immer sein wird. Es wird sich wandeln und verändern, ihr Gesicht vor Deinem inneren Auge wird nicht immer diese Trauer hervorrufen oder die Wut. Von "Scheiße, dass Du fort ist" wird es zu einem "Schön, dass Du da warst". Diesen langen, bitteren Weg habe ich bereits hinter mir und Du hast ihn vor Dir. Ich wünsche Dir dafür alle Kraft; Du wirst sie brauchen.

Jetzt überlege ich gerade, wodurch ich es geschafft habe. Gibt es das eine, wozu ich Dir heute raten könnte, damit es für Dich leichter wird? Oder war es das gesamte. Ich denke, es war die Zeit, mein Denken, meine Tränen, meine Schreie, mein Erzählen und das langsame Loslassen einer wundervollen Zeit. Irgendwann konnte ich wieder nach vorne sehen und da war gar nicht alles so schwarz und dunkel. Nein, da gab es Hände, die sich mir entgegenstreckten, Arme, die mich hielten und das Wissen, dass er es gewollt hätte, dass ich weitergehe und nicht vor lauter Trauer auf der Stelle bleibe.

Deine Schwester würde sich für Dich das gleiche wünschen, da bin ich sicher. Sie schrieb uns, dass sie nur noch für ihre Familie kämpft. Und daher weiß ich, dass sie euch Glück und Kraft wünschen würde.

Das Reden über sie schnürt Dir förmlich die Kehle zu, oder? Allein ihren Namen auszusprechen, drückt Dir die Luft weg. Versuche es ruhig immer und immer wieder, es wird funktionieren. Und niemand ist um Dich, der es Dir nachträgt oder vorwirft, wenn Dir die Tränen in die Augen schießen. Da bin ich mir sicher. Ich denke, Deine Umwelt versteht Dich besser als Du vielleicht denkst. Oft wissen die Menschen um einen Trauernden nicht, wie sie reagieren sollen und sind sehr unsicher. Sprich ruhig aus, was Du erwartest. Sag, wenn Du allein sein möchtest und auch, wenn Du jemanden um Dich brauchst. Scheue nicht zurück, nach einer Hand und einem Arm zu greifen. Sie werden dankbar sein, wenn Du ihnen ein Stück auch zeigen kannst, wie sie für Dich da sein können.

Ich kann Dir den Kummer nicht nehmen. Ich habe kaum einen Trost. Ich fürchte, der Schmerz wird Dich eine lange Zeit begleiten und ganz verschwinden wird er nie. Wie gesagt, es wird sich wandeln und leichter werden. Es wird ein stiller Schmerz, der nicht jeden Tag belastet; der sich nur dann und wann nach außen bohrt.

Ich finde es klingt überhaupt nicht blöd, wenn Du mit ihr sprichst. Wer sagt, dass sie Dich nicht hören kann? Auf irgendeine Weise, die wir hier auf dieser Seite des Lebens nicht kennen? Es hilft und gibt ein Stück Trost und Kraft. Und deshalb ist es nicht blöd. Wenn Du Deine Gefühle an ihrem Grab herauslassen kannst, ist das sogar sehr gut. Alles, was Du herauslassen kannst, kann sich innen nicht mehr gar so sehr festfressen.

Ich habe ihm damals Briefe geschrieben und an sein Grab gelegt. Vielleicht hilft Dir das auch? Manchmal kann man Dinge nicht aussprechen; aber man kann sie aufschreiben. Und das hilft auch, der Seele wieder Luft zu verschaffen.

Ich kann mir vorstellen, dass die Trauer gerade zu Weihnachten und Silvester richtig bitter zugeschlagen hat. Familienfeste und die Erinnerungen an andere Tage... eine kleine, große Hölle. Versuche es in Worte zu fassen, bleibe nicht allein damit.

Die Lösung einer Selbsthilfegruppe finde ich sehr gut. Vielleicht war es für Dich einfach noch zu früh? Du kannst diesen Weg jederzeit wieder neu aufnehmen. Lass es nicht ganz außer acht. Wenn Du für Dich sagst, nicht vor diesen Menschen, die ebenfalls in dieser dumpfen Trauer stecken und nicht, wenn es doch relativ viele sind, dann suche Dir einen Gesprächspartner, der dann nur für Dich da ist. Das kann u.a. ein Arzt, ein Therapeut sein. Vielleicht hast Du an diesen Weg auch schon gedacht? Glaube mir, es kann helfen. Entscheide für Dich, ob Du es versuchen möchtest.

Die Zeit ohne sie kommt Dir wahrscheinlich schon wahnsinnig lang vor. Für mich -von außen- ist sie kurz. Es ist zu viel verlangt, wenn Du schon wieder in geraden Bahnen sein und all die Gefühle besser ordnen möchtest. Lass Dir selbst mehr Zeit. Weine, wenn Dir nach weinen ist. Tränen sind auch ein Weg, etwas rauszulassen.

Ich habe nach einer Internetseite gesucht, die ich Dir empfehlen könnte. Aber leider nichts passendes gefunden.

Es tut mir Leid, dass ich Dir nicht besser helfen konnte. Alles, was beim Verarbeiten hilft, ist das Reden und Erzählen. Eine andere Methode kenne ich leider nicht. Die Zeit wird Dir auch beistehen und Dir zeigen, dass der Blick nach vorn immer lohnenswert ist. Du kannst jederzeit wieder schreiben; Dir alles von der brennenden Seele schreiben. Ich bin hier und werde es auf jeden Fall lesen und auch beantworten.

Jede Menge Kraft!
Dana