Problem von Nelly - 15 Jahre

Freundinnen in Not!

Liebes Kummerkasten-Team,

allem voran möchte ich euch ein dickes Lob aussprechen, da ihr euch für die vielen, vielen, zahllosen, großen und kleinen Wehwehchens Zeit nehmt und euch wirklich einfühlsam mit den Problemen aus aller Welt auseinandersetzt. =o) Wirklich super von euch!!!

So, und nun folgt mein persönliches Problem. Zugegeben: es gibt wirklich einige Beiträge zu diesem, aber da alles mit der Zeit etwas viel wurde, hab ich mich dazu entschlossen, mich an euch zu wenden:

Nun gut, die ganze Geschichte zu erzählen würde zu viel Zeit in Anspruch nehmen, deshalb fasse ich mich kurz. Meine Freundin (17 Jahre, ich nenne sie hier "Corinna") war früher auf dem Gymnasium, bis sie in der 7. Klasse sitzen blieb und auf die Realschule in meine Klasse versetzt wurde. Sie hat zwei ältere Geschwister, beide hochbegabt und von strebsamen Gemüt. Ihre Eltern sind als Lehrer an einer Grundschule tätig und finden weder Zeit, noch Verständnis für sie. Das Verhältnis zwischen Kindern und Eltern kann man durchaus als mangelhaft und vernachlässigt bezeichnen. Dennoch messen die beiden Eltern meine Freundin, Corinna, mit ihren beiden talentierten Geschwistern (in meinen Augen ein unnötiges Schubladendenken). Und diese wird den Ansprüchen der Eltern nicht gerecht: kein Abi, keine Note 1 in Mathe, einmal blieb sie sitzen.

Vor kurzem hat sie sich in unseren Deutschlehrer verliebt und ihm, auf meinen Rat hin, ihre Zuneigung offen gestanden. Seither hat sich nichts gebessert, Corinna hat sich geritzt (nicht richtig, ?nur? mit dem Fingernagel, aber dennoch ein Grund zur Besorgnis), isst nur noch mäßig und verfolgt krankhaft Selbstmordgedanken, sie hat jegliches Selbstwertgefühl verloren. Nur sehr wenigen Personen konnte sie sich anvertrauen (darunter mir, wir sind wirklich die besten Freundinnen, auch, wenn sich seit Beginn unserer Freundschaft alles nur um sie dreht). Auslöser für ihre Depressionen sind wohl verschiedene Faktoren: zum einen ihre Eltern, die sie nicht verstehen. Zum anderen der Deutschlehrer, der ihre Liebe nicht erwidern kann. Zwar haben die beiden sehr oft das Gespräch gesucht, in dem der Lehrer mehrmals betont hat, dass nichts aus den beiden werden kann (er angehende 50, glücklich verheiratet und zwei Söhne in etwa meinem Alter) und welche Alternativen ihr zur Verfügung stehen, um sie aus dieser Depression zu retten (Therapie, Vertrauensperson, etc. ... sie hat es mit der Therapie versucht, die nicht angeschlagen hat. Sie hat aufgrund der finanziellen Mittel abgebrochen).

Ich stehe die ganze Zeit an ihrer Seite, telefoniere oft mit ihr, verbringe so viel Zeit mit ihr, wie nur möglich, bewahre sie vor weiterem Unheil, vor weiteren Taten, die sie später bereuen könnte. Als sie sich geritzt hat, wurde ich ausgesprochen wütend auf sie und habe sie erpresst: "Entweder das Ritzen oder unsere Freundschaft." Zum Glück hat sie sich für Letzteres entschieden. Ich mache mir wirklich riesige Sorgen um sie, das kann man absolut nicht ausdrücken. Allerdings hört Corinna nie auf meine gut gemeinten Ratschläge. Sie fasst keinen Mut, obwohl ich weiß, dass sie es kann. Viele meiner Freundinnen haben mir schon direkt ins Gesicht gesagt: ?Ihr geht es nicht gut. Aber sie ist in der Lage, sich selbst zu helfen. Sie hat dir ihre Narben vom Ritzen doch breitwillig vorgezeigt (was wirklich stimmt, wie ich im Nachhinein festgestellt hab).?

Aber ich möchte den Worten meiner Freunde keinen Glauben schenken. Natürlich geht es ihr nicht gut! Vielleicht ist auch etwas dran, dass sie sich die Aufmerksamkeit durch Probleme erkämpft (was sie eigentlich gar nicht nötig hat! Sie ist allen Seitens beliebt!). Sie hat sich erst mit ihren Eltern auseinandergesetzt, als ich zu ihr sagte: ?Corinna, DU willst etwas ändern. Also musst auch DU den ersten Schritt wagen! Wenn du möchtest, begleite ich dich bei diesem Gespräch. Wenn nicht, dann sprechen wir im Nachhinein darüber. Aber bitte, bitte unterhalte dich mit ihnen über deine Ansichten. Denn sie wissen nicht, was in dir vorgeht.?
Sie hat sich mit ihren Eltern unterhalten, was bedauerlicherweise nichts bewirkt hat. Es hat sich außerdem herausgestellt, dass sie sich weiter ?ritzt? (es ist eigentlich kein Ritzen, aber dennoch beunruhigt mich ihr Verhalten!!) und in ihren Depressionen vor sich hinschwelgt. Unsere Freundschaft verwelkt allmählich, mir fehlt die Kraft, ich hab mich stets darauf konzentriert, Corinna aus dem Loch zu helfen. Bis heute! Ich habe öfters weinend in meinem Bett gesessen und hing meinen Leidklagen nach, wie ich ihr nur helfen könnte (Und anschließend hab ich mich für mein Selbstmitleid nicht mehr ausstehen können!). Bei meinen anderen Freundinnen stieß ich auf Unverständnis (?Sie ist nie für dich da, wenn es dir mal schlecht geht? ?Sie schauspielert nur? ?Sie heult dir irgendetwas vor, damit du dich um sie kümmerst? ...).

Meine andere Freundin (auch 17 Jahre alt, ich nenne sie hier ?Sabrina?) leidet an Hautkrebs. Erst kürzlich verstarb Sabrinas Opa, mit dem sie immer sehr gut in Kontakt stand, ich hab ihr Verhältnis als ?freundschaftlich? bezeichnet. Ihre Eltern leben getrennt, sie unter dem Dach ihrer Mutter. Auch mit Mama und Papa versteht sie sich ausgezeichnet. Hin und wieder kommt es zu Differenzen, aber das scheint ja mehr als nur normal, zumindest in der Pubertät =o) . Als Sabrinas Opa verstarb, saß sie alleine zu Hause, rief mich an und weinte bitterlich. Auch für diese Freundin war und werde ich immer als offenes Ohr und die angenehme Schulter zum Anlehnen gelten, wie für all meine Freundinnen. Aber auch Sabrina bewegt sich in einem tiefen Loch, aus dem es kein Entkommen scheint. Ich bin oft mit ihr weggegangen, um sie abzulenken, um auf andere Gedanken zu kommen, oder um eben einfach Spaß zu haben. Wir sind wirklich super befreundet, aber auch bei ihr mache ich mir wahnsinnige Sorgen! =o(


Die letzte Freundin, von der ich euch erzählen möchte, nenne ich hier ?Anja? (15 Jahre alt, kalendarisch ist sie ein paar Monate jünger als ich). Sie führt eine feste Beziehung mit einem Jungen, den sie selbst nicht einmal richtig kennt (was sie allerdings strikt von sich behauptet ... keine Einsicht der Dinge). Er dealt mit Drogen und verkehrt nur mit Mädchen, um sie auszunutzen (als Betthäschen, um es noch einigermaßen ?schön? auszudrücken?), das haben mir mehrere seiner Exfreundinnen beteuert und mir geraten, Anja die Wahrheit zu offenbaren. Ich hab ihr auch sofort meine eigene Meinung anvertraut und ihr davon abgeraten, sich weiterhin mit dem Jungen zu treffen. Na ja, seither verstehen wir uns nicht mehr. Immer war ich für sie da, in guten und in schlechten Tagen. Wie es eben einer Freundschaft entspricht. Sogar die Telefonate um 01:00 Uhr in der Nacht hab ich angenommen, wenn sie mir heulend ihre Wehklagen anvertraut hat. Ich hab ihr verziehen, wenn sie mich verletzt hat, ich hab ihr immer und immer wieder eine Chance gegeben, wenn sie mich unfreundlich oder verletzend behandelt hat (in meinen Augen hat die Freundschaft IMMER Chancen verdient). Eigentlich spricht sie die meiste Zeit, wenn wir uns Unterhalten, ich höre zu und gebe hin und wieder einen beratschlagenden Kommentar von mir. Aber jetzt verachtet sie mich und behauptet, ich hätte mich nie für sie aufgeopfert und SIE hätte mir stets zur Seite gestanden, wenn es mich irgendwo gedrückt hätte (was absolut nicht zutrifft, ganz, ganz ehrlich!!! Ich bin eigentlich ein liebevoller Mensch, der jedem mit Respekt und Mitgefühl sowie Verständnis entgegentritt, aber sie ist definitiv zu weit gegangen). Und trotzdem bin ich so verzweifelt, da ihr Freund sie schon sehr bald verletzen wird! Er wird sie ausnehmen, er wird sie gegebenenfalls sogar mit in eine Drogengeschichte verwickeln, sie hat sich schon einmal von ihm verleiten lassen, zwei Joints hintereinander zu rauchen. Ich bin so ratlos, wie nie zuvor!

Das waren jetzt nur drei Probleme von vielen. Aber ich denke, ich bin mit meinem Latein am Ende. Meine Freundinnen stehen (teilweise) aufrichtig hinter der Freundschaft, andere lassen sie verkümmern. Im Grunde bin ich doch machtlos und kann nichts bewirken, oder?!

Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit und dass ihr euch meinen (eigentlich nichtigen) Problemen annehmt. Ich weiß, ihr seit bis über den Kopf mit Arbeit und Papierkram eingedeckt ... vielleicht könnt ihr mir auch gar nicht richtig helfen. Tut mir Leid, dass ich so ausgeschweift bin! =o(

Eure Nelly =o)

Anwort von Mirjam

Hallo Nelly!
Ich finde es toll, dass Du Dir so viele Gedanken um Deine Freundinnen machst, aber eine Sache ist mir doch aufgefallen: Du scheinst immer ziemlich abzurechnen, wer wieviel in eine Freundschaft einbringt - und Deinem Gefuehl nach gibst Du immer, ohne etwas zurueck zu bekommen. Das mag so sein. Aber pass auf, dass Du nicht Deinen Freundinnen diese Rechnung zu oft unter die Nase reibst, sonst koenntest Du als ziemlich egoistisch ankommen... Und gerade dieses aufrechnen, wer sich fuer wen mehr aufopfert ist fuer Freundschaften sehr schaedlich!
Nun zu Deinen Freundinnen.
"Corinna" - es ist etwas sehr haeufiges, dass juengere Geschwister von hochbegabten Kindern in der Schule jede Leistung verweigern, einfach, weil sie Angst haben, an den aelteren Geschwistern gemessen zu werden, und sie da natuerlich nur verlieren koennen. Da ist es dann einfacher, sich gar keine Muehe zu geben, als mit letzter Kraft immer zu versuchen, so gut wie der tolle grosse Bruder oder die tolle grosse Schwester zu sein. Das sollten auch ihre Eltern wissen, und gerade als Lehrer sollten sie damit umgehen koennen und Corinna vermitteln koennen, dass sie selbst als Mensch einen Wert hat und nicht nur die Summe ihrer guten (oder eben schlechten) Noten ist. Du hast gesagt, sie hat schon mal mit ihren Eltern gesprochen und das hat nichts gebracht, aber etwas anderes kann ich Dir auch nicht raten. Erzaehl ihr von dieser mail, und dass sie ihren Eltern wirklich klar machen muss, dass sie sich vernachlaessigt und unverstanden fuehlt und dass sie sehr darunter leidet. Ritzen ist in der Tat bedenklich, aber damit hat sie ja jetzt aufgehoert? Auch darueber, die Therapie wieder aufzunehmen sollte sie mal nachdenken, sowas wird oft von der Krankenkasse uebernommen, dann muss sie sich auch keine Sorgen darum machen, wie teuer es ist.
"Sabrina" - auch da kannst Du nur fuer sie da sein, versuchen, sie abzulenken, oder eben ihr zuzuhoeren.
"Anja" - tja, gegen Liebe ist kein Kraut gewachsen. Du solltest ihr schon sagen, wenn Du das Gefuehl hast, dass ihr Freund schlecht fuer sie ist (und das klingt in der Tat so), aber Du solltest auch fuer sie da sein, wenn sie es irgendwann selbst einsieht, und dann auf gar keinen Fall irgendwas sagen wie "hab ich Dir doch gesagt!"
So. Der langen Rede kurzer Sinn: Sei fuer Deine Freundinnen da - immer, egal wieviel zurueck kommt. Freu Dich, dass Du im Moment keine Probleme von ihrer Sorte hast, aber verlass Dich drauf, dass sie auch fuer Dich da sein werden, wenn Du mal die Probleme haben solltest! Denn dafuer sind Freunde da.
Alles Gute!