Problem von Anonym - 15 Jahre

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Hi! Ich bin weiblich, 15 und führe ein nahezu perfektes Leben. Ich schreibe hauptsächlich gute Noten in der Schule, habe eine wunderbare Familie und tolle Freunde. Doch leider verstehe ich den Sinn des Lebens nicht. Wir werden geboren um zu sterben. Oder um die Evolution der Menschheit am Laufen zu halten. Toll, in ein paar Jahren bin ich tot und dann existiere ich nie wieder. Ich komme mit diesem Gedanken irgendwie nicht zurecht. Für mich macht mein Alltag irgendwie einfach keinen Sinn mehr. Vielleicht liegen meine wirren Gefühle auch daran, dass sich ein Freund von mir vor ein paar Wochen umgebracht hat. Es ist schwer für mich zu akzeptieren, nie wieder mit ihm reden zu können.
Ich selbst würde mich allerdings nie umbringen. Ich würde mich schuldig fühlen. Es gibt so viele Menschen auf dieser Welt, die nichts zu essen haben, die täglich schreckliche Qualen durchleben müssen, oder schwer krank sind. Und ich? Ich bin gesund, wohne in einem schönen Haus, bin nicht hässlich und trotzdem finde ich kein Glück. Ich denke immer viel zu viel darüber nach, dass mein Leben keinen Sinn hat. In so vielen Situationen.
Und dann habe ich wiederum schreckliche Angst vorm Älter-werden. Ich hasse Geburtstage jetzt schon, weil sie mich daran erinnern, dass ich dem Tod wieder ein Stückchen näher bin. Ich habe Angst, Sachen zu verpassen. Wenn ich einmal im Sterben liege und zurück denke, will ich Sachen erlebt haben. Doch ich weiß einfach nicht WAS!! Für mich ergibt momentan einfach nichts Sinn. Ich habe Angst, meine Jugend zu verpassen, obwohl ich doch mitten drin bin. Es ist ein schreckliches Gefühl, zu wissen, dass man eines Tages bereuen wird, dass man seine jungen Jahre nicht ausgenutzt hat.
Ich brauche einen Sinn.
Es tut mir leid. Vielleicht könnt ihr mich nicht verstehen. Ich verstehe mich ja selbst nicht. Ich bin nur gerade auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und ich dachte, vielleicht finde ich hier eine Antwort.

Bernd Anwort von Bernd

Hallo Unbekannte,

Seneca, der alte Römer hat mal etwas über "die Kürze des Lebens" geschrieben.

Zwei Stellen daraus möchte ich Dir zeigen:
"Jährliche Geschenke nimmt man sehr gerne an und opfert ihnen seine Anstrengung, seine Dienste, seine Sorgfalt; niemand aber achtet auf den Wert der Zeit; man gebraucht sie verschwenderisch, als ob sie nichts koste.
Betrachte aber dieselben Leute, wenn sie krank sind, wenn ihnen die Gefahr des Todes näher gerückt ist, wenn sie die Knie der Ärzte umfassen, wenn sie die Todesstrafe fürchten und bereit sind, ihre ganze Habe zu opfern, um fortleben zu können. So ein Widerspruch!"
Und die zweite Stelle ist:
"Das Leben teilt sich in drei Zeiten: die, welche war, die welche ist, und die, welche sein wird. Die wir verleben, ist kurz, die wir verleben werden, ist zweifelhaft, die wir verlebt haben, gewiss.
Denn diese ist es, an welche das Schicksal sein Anrecht verloren hat, die in keines Menschen Willkür zurückgebracht werden kann."

Camus schreibt über Sisyphos, der von den Göttern verdammt war, ohne Unterlass einen großen Stein einen Berg hinaufrollen zu müssen: "wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen".

Das mag Dir zeigen, dass die Suche nach dem Sinn unseres Lebens so alt ist, wie die Menschheit selbst! Es ist eine Frage, die irgendwann wohl jeder Mensch sich selber einmal stellen und für sich beantworten muss!?

Du schreibst nun, dass Du Angst hast, irgendwann einmal festzustellen, dass Du in Deiner Jugend nicht alles erlebt hast, was es zu erleben gibt? Deine jungen Jahre nicht "ausgenutzt"?

Vielleicht ist es Dir nicht direkt von Nutzen, wenn Dir ein Grufty erzählt, was er selber für sich als "ungelebt" empfindet?
Will Dir das auch nur deshalb erzählen, um Dir Deine Angst zu nehmen.

Mein Urlaub auf Bali war (eigentlich) eines der Highlights meines Lebens.
Dort habe ich einen Freund gewonnen: einen Balinesen, der unser Fahrer war.
Einen Satz von ihm werde ich niemals vergessen:
"Bernd, ich bin zwar froh, Dich kennengelernt zu haben. Aber irgendwie verstehe ich nicht, warum Du so viel Zeit und Geld darauf verwendest, hierhin zu reisen, statt es dafür zu verwenden, eine Frau zu finden, eine Familie und ein zuhause zu gründen".
I Ketut Sadana ist dieser Freund, dem ich die Erfahrung verdanke, eine Idee, die ich irgendwo schon vorher hatte, auch als Lebenssinn zu realisieren.
Hm :-( damals war ich bereits 32 Jahre alt.
Ist also schon eine Frechheit von mir, Dir mit Deinen 15 Jahren erzählen zu wollen, was im Leben zählt?!

Woran erinnere ich mich nun nach 60 Jahren? (Vielleicht kannst Du daran erkennen, was Du verpassen kannst?)

Ich bin traurig darüber, Ingenieur statt (wie ich es eigentlich wollte) Lehrer geworden zu sein. Ich habe zu wenige Schauspiele gesehen, zu wenige Konzerte besucht. Wollte gerne Gitarre spielen können.
Ansonsten habe ich wohl oft gedacht, etwas zu verpassen. Allein: wenn ich mich nun nicht mehr daran erinnern kann, kann es wohl nicht wirklich wichtig gewesen sein?
Was Ich Dir mitgeben will: erkenne Deine Interessen, Deine Fähigkeiten und Deine Berufung!
wenn Du irgendwo Deine Berufung siehst, solltest Du Dich niemals einfach davon abbringen lassen!


Du wirst Deinen Weg finden!

Das ist ganz gewiss!

Höre auf Dein Herz und lasse Dich nicht ohne gute Gründe davon abbringen, was Du für Dich als Richtig erkannt hast!

Alles Liebe,

Bernd