Problem von Helena - 31 Jahre

Lebensplanung/ Kinderwunsch ohne Vertrauen und Intimität in Beziehung

Lieber Kummerkasten,

ich bin schon seit einiger Zeit in einer verzwickten Lebenssituation und weiß mir einfach nicht mehr zu helfen. Ich stecke fest und habe keine Ahnung, wie es weiter gehen soll und was ich möchte.

Es geht um meine Beziehung, um mich und um mein zukünftiges Leben.

Ich bin seit 7 Jahren mit meinem Freund zusammen, seit 6 Jahren wohnen wir zusammen. Wir verstehen uns zwischenmenschlich schon sehr sehr gut, haben denselben Humor, die selben Ziele im Leben, die selbe Weltanschauung. Was wir nicht haben und nie wirklich hatten ist Vertrauen und Intimität. Da wir beide sehr unsichere Menschen sind, haben wir es nie geschafft uns fallen zu lassen. Wir hatten, obwohl zumindest ich ein sexueller Mensch bin, seit ca. 4 Jahren keinen Sex mehr. Küssen und Kuscheln gibt es auch nicht. Am Anfang unserer Beziehung war das schon vorhanden. Aber das hat dann immer mehr abgenommen und da sich kein wirkliches gegenseitiges Vertrauen aufgebaut hat, ist es ganz zum Stillstand gekommen.

Ich weiß leider nicht, wie lange ich/wir das noch so aushalten. Ich brauche Nähe und Intimität, ich denke er auch, aber sobald er sich mir nun nähert, reagiert mein Körper richtig erschreckt und abweisend. Ich kann das nicht bewusst steuern.

Nun möchte er gern ein Kind. Ich möchte das nicht unbedingt jetzt, aber wenn ich mehr Vertrauen in ihn und mich und unsere Beziehung hätte, würde ich dem eine Chance geben. Zudem ich Probleme an den Eierstöcken habe und es unklar ist, wie lange die Chance noch besteht, Kinder zu bekommen. Doch das gehört in meine Lebensplanung definitiv dazu.

Jeden Tag, seit Monaten, wache ich total unmotiviert und depressiv auf und weiß nicht was ich machen soll. Wir wollen bzw. müssen umziehen, wohin, das steht uns völlig frei, da wir beruflich ungebunden sind. Nur lohnt sich ein Umzug in eine andere Stadt...in ein anderes Leben...der ganze Aufwand, um überhaupt erst rauszufinden, wo wir uns wohlfühlen könnten und dann noch die ganzen Kosten, wenn ich gar nicht weiß, ob unsere Beziehung bestand hat?

Ich bin so unglücklich in der Beziehung, habe keine Freunde mehr, da mein Partner ein Einzelgänger ist und andere Menschen oft immer "schlecht" bzw. nicht gut genug sind. Er hat nur mich. Und wir hängen seit Jahren 24/7 aufeinander, arbeiten beide von zu Hause aus. Er ist ein Mensch, der innerlich sehr sehr reich ist, aber es kaum zeigen kann. Ich könnte es nicht verkraften, ihn zu verlassen, denn meine Welt würde das auch zerstören. Ich würde ihn zerstören. Ich weiß einfach nicht was ich machen soll. Eine Paartherapie kommt leider aus finanzielle Gründen nicht in Frage, zudem er eh keinen anderen Menschen vertraut.

Ich frage mich...kann man Kinder kriegen, ohne diese Intimität? Sollte man? Ich will nicht eine Beziehung einfach so wegschmeissen. Ich will ja eine Beziehung mit ihm...noch lange lange, aber nicht so. Wir stecken fest...wie kann ich oder können wir lernen Vertrauen aufzubauen, intim zu werden? Oder ist der Zug abgefahren nach 7 Jahren ohne aufgebautes Vertrauen? Ich kann mir kein Leben ohne ihn vorstellen, aber auch nicht ohne Vertrauen / Intimität / Sex. Ich frage mich, was werde ich später im Leben mehr bereuen...kein Kind geboren zu haben, oder meine Jugendzeit bzw. Zeit, wo mein Körper noch richtig gut in Schuss und ich gesund und sehr attraktiv war nicht genutzt zu haben für ein erfülltes Liebesleben? Nach einem Kind sehe ich eben nicht mehr so knackig aus, darauf weist mein Freund mich auch des öfteren hin. Er hat Angst, dass meine Brüste dann zu schlaff sind, meine Haut ausleiert und ich untenrum nach der Geburt auch ausleier, weswegen ich seiner Meinung nach besser einen Kaiserschnitt machen solle. Zu lange Stillen wäre dann auch nicht gut, und wenn doch, solle ich über eine Bruststraffung nachdenken. Er meint das nicht böse, er hat nur Angst vor sich selbst, Angst dass er mich eklig findet, ohne dass er was dagegen machen kann. Sein Gehirn funktioniert leider so. Er kann optische Signale nicht ausblenden.

Im Endeffekt ist das nicht das Leben, wie ich es haben möchte. Ich möchte dem Vater meines Kindes mehr vertrauen können, mich mehr fallen lassen können. Aber ich bin ein schwacher Mensch, der Konflikte nicht erträgt und Harmonie sucht. Ich könnte ihn niemals verlassen. Zudem weiß ich nicht, ob ich zeitnah nochmal einen Partner finden würde, der mir zusagt und dem ich zusage. Die meisten in meinem Alter sind doch schon gebunden oder haben Familie. Ich weiß auch kaum, wo ich neue Leute kennenlernen sollte, da ich durch eine Angststörung nicht viel rausgehe und auch keinem Beruf nachgehe, wo ich Leute kennenlerne. Heute denke ich, ich muss den Mut aufbringen und mit ihm darüber reden, mit dem Risiko, dass die Beziehung schnell vorbei ist und in er Hoffnung, dass ich nicht an dem Schmerz zerbreche. Am nächsten Tag denke ich dann, ach irgendwie wird das schon, ist ja ganz angenehm mit ihm der Alltag. Ich gehe den Weg des geringsten Widerstandes, und habe das Gefühl, dass ich ausserhalb meiner Komfortzone sterbe. Kann ich so überhaupt Entscheidungen treffen? ich weiß es einfach nicht. Weiß nicht vor und nicht zurück, weiß nicht wo ich ansetzen soll.

Vielleicht habt ihr ja einen Tipp, der Steine bei mir ins Rollen bringen könnte. Ich würde mich sehr über eine Antwort freuen. Viele Grüße

Anna Anwort von Anna

Liebe Helena,

vielen Dank für Dein Vertrauen uns gegenüber und vielen Dank für die sehr detaillierte und intime Erzählung. Mit Deinen Worten fällt es mir leichter, mich in Deine Situation zu versetzen, aber ich könnte mir auch vorstellen, dass ein so langer Text für Dich selbst befreiend war oder Klarheit gebracht hat. Zumindest bin ich sehr beeindruckt davon, wie gut Du Deine Gefühle in Worte fassen konntest und denke, dass Du doch einen sehr guten Überblick über Deine Situation hast.

Zunächst einmal tut es mir sehr leid für Dich, dass Du Dich in Deinem Leben zur Zeit so gefangen fühlst. Nicht vor und nicht zurück zu können, ist ein schreckliches Gefühl. Zum Einen wagst Du nicht den Schritt nach vorne, weil Du durch Gewohnheit und der damit verbundenen Sicherheit zu große Angst vor einer unbekannten fremden Zukunft hast, aber auf der anderen Seite sehnst Du Dich nach Veränderung, wiel Du befürchtest, dass früher oder später Deine Seele erheblichen Schaden nimmt, wenn Du weiter so in dieser Beziehung bleibst. Diese Ängste kann ich sehr gut nachvollziehen. Dass Du dazu noch unter einer Angststörung leidest, macht es nur noch schwerer, den Stein ins Rollen zu bringen.
Nun - obwohl ich denke, dass Du schon einen ganz guten Überblick über Deine Lebenssituation hast, so solltest Du diesen Überblick einmal richtig systematisieren; das heißt am besten aufschreiben, was wie wann wo passiert und wie es momentan IST. Schreibe einmal auf ein Blatt Papier alle Namen von Freunden und Bekannten auf, die Dir einfallen und sortiere sie danach wie nahe sie Dir stehen. Schreibe zu jedem Einzelnen Deine Gefühle und Gedanken auf, zum Beispiel, ob Du Dich wohl bei der Person fühlst, wie euer Verhältnis war und wie es jetzt ist, was Du Dir von der Person wünschst usw.
Dasselbe solltest Du auch über Deine berufliche Situation machen, wie zufrieden Du dort bist, was Du Dir wünschst usw. und wenn Du es von Freunden und Bekannten trennen willst, auch über Deine Familie. Möglicherweise wäre auch ein Mindmap eine gute Möglichkeit, die Stichpunkte zusammenzutragen. Aber die wichtigsten Bereiche kommen erst noch. Einmal ein Blatt mit einer Übersicht über DICH - was Dich ausmacht, was Du an Dir magst/ nicht magst, welche Wünsche und Träume Du hast, wofür Du Dich interessierst usw. und dann schließlich ein Blatt über Deine Beziehung.
Ein ebensolches Blatt hast Du mit Deiner Zuschrift quasi schon geschrieben.
Eine Übersicht über die eigene Situation aufzuschreiben, kann einem schwarz auf weiß verdeutlichen, wo genau die Probleme liegen und auch, wenn es sich im ersten Moment wie eine kindliche Aufgabe anhört, kann es doch Wunder wirken, was das Bewusstsein über bestimmte Mechanismen angeht.
Hier noch mehr dazu: http://www.zeitzuleben.de/die-angst-vor-der-veraenderung-warum-ist-es-schwierig-etwas-im-leben-zu-veraendern/
Oder hier: http://www.zeitzuleben.de/ich-kann-eh-nichts-dran-andern/

Die Beschreibung Deiner Beziehung ist sehr ambivalent. Zum Einen seid ihr seit 7 Jahren zusammen, ihr versteht euch eigentlich ganz gut, mehr noch - ihr seid euch irgendwie ähnlich und teilt viele Vorstellungen über das Leben, die Zukunft und die Welt. Doch andererseits scheinen die romantischen Gefühle zu fehlen. Auf seine (sexuelle) Nähe hin reagiert Dein Körper sehr abweisend, zwischen euch fehlt Intimität und das damit einhergehende Vertrauen.
Wenn ich Deinen Text so lese, kommt mir mehr und mehr der Gedanke, dass ihr eigentlich befreundet seid. Befreundet, aber nicht mehr. Du magst ihn, irgendwie brauchst Du ihn auch und sicher beruht das irgendwie auch auf Gegenseitigkeit, aber dann ist etwas geschehen, was eure intimen Gefühle füreinander erkalten und erlöschen ließ. Gab es denn vor ungefähr vier Jahren ein einschneidendes Erlebnis, das euch beide sehr geprägt hat? Erinnerst Du Dich noch daran, als Du zum ersten Mal das Gefühl hattest, sexuell nicht bei ihm sein zu wollen? Oder erinnerst Du Dich daran, als diese Abweisung zum ersten Mal von ihm ausging? Habt ihr darüber gesprochen? Euch gestritten?
Und wie war es, als Du ihn kennengelernt hast, als ihr zusammen gekommen seid? Warst Du Dir von Anfang sicher mit ihm oder gab eine Stimme der Unsicherheit?
Ich denke auf jeden Fall, dass Dein Körper die klarsten Signale gibt, auf die Du auch hören solltest. Nähe und Intimität kann man nicht erzwingen, indem man die eigenen Gefühle überhört und denkt, aber es muss doch so und so sein. Es sollte so sein, ja, aber es wird nicht einfach so, nur weil man das will und ich weiß auch nicht, ob es Tipps, um so ein Verhältis zueinander in Gang zu bringen, wenn gar nichts mehr da ist.
Ob Du mit Deinem Freund nur noch aus Gewohnheit und Angst vorm Alleine sein zusammen bist, kannst Du nur herausfinden, in dem Du Dich auf kurz oder lang von ihm trennst (und wenn es erstmal nur 3 Tage sind). Da das für Dich aber nicht in Frage kommt und Du weißt, dass Du das eh nie durchziehen würdest, würde ich Dir empfehlen, ganz langsam und Schritt für Schritt Distanz aufzubauen. Diese muss ja nicht negativ sein, sondern kann ja für Dich auch mit einem schönen Erlebnis einhergehen, in dem Du Dich zum Beispiel mit einer Bekannten verabredest, die Du lange nicht mehr gesehen hast und nochmal etwas ohne ihn unternimmst. Beobachte aber auch Deine Gefühle dabei. Welche Gefühle löst der Gedanke an ein Erlebnis ohne ihn in Dir aus? Welche Gefühle hast Du, wenn Du dann tatsächlich weggehst?
Vielleicht ist es Dir ja auch möglich, Deinen Job teilweise außer Haus zu verlegen, um dadurch etwas Distanz zu Deinem Partner zu gewinnen? Oder Du organisierst Dir ein Hobby, das außer Haus stattfindet, wie Schwimmen zu gehen, ein Yoga-Kurs etc.
Über diese Distanz kannst Du herausfinden, ob die Liebe zwischen Dir und Deinem Freund wirklich erloschen ist oder vielleicht einfach nur eingerostet. Je mehr Zeit man mit dem anderen verbringt, desto schwerer ist es manchmal, ihn ganz betrachten zu können, geschweige denn die Gefühle oder das Verhältnis, das man zu ihm hat.

Der nächste wichtige Schritt ist es auf jeden Fall, ihn darauf anzusprechen. Vielleicht denkt und fühlt er ja genauso wie Du und hat aus verschiedenen Gründen einfach Angst davor mit Dir darüber zu sprechen? Konflikte in der Beziehung lösen sich durch mehrere lange Gespräche oft auch ganz von alleine. Dass es bei euch so einfach wird, denke ich nicht, aber ich könnte mir vorstellen, dass das die ersten Steine ins Rollen bringt.

Liebe Helena, ich kenne es aus eigener Erfahrung wie schwer es ist, einen Neuanfang zu wagen. Zu wissen, dass man nicht einfach wegkann, weil man sich gefangen fühlt - dass man nicht mit, aber auch nicht ohne den anderen kann. Und ich weiß auch von der Hilflosigkeit, die damit einhergeht und den depressiven Phasen, die immer schlimmer werden, je länger man damit wartet, etwas zu verändern. Manchmal hatte ich einfach Glück und die Steine kamen von ganz alleine ins Rollen. Manchmal wurden mir schwere Entscheidungen abgenommen und es war befreiend mit der neuen Situation klarkommen zu müssen, auch, wenn es sich erstmal furchtbar angefühlt hat. Und ich glaube, dass Du das Problem ganz gut erkannt hast - und das ist der Stillstand. Wenn ein See stagniert, weil keine frische Luft mehr rein kommen, wenn man aus eigener Kraft nicht vor und nicht zurück kann. Man sollte sich erst gar nicht in dem Sinne unter Druck setzen, dass man glaubt, man könnte von jetzt auf gleich alles ändern. Aber solange man unzufrieden ist, darüber nachdenkt, darüber schreibt und, wie Du es getan hast, aus Dir herausgekommen bist und Dich mit Deinen Gefühlen quasi "an die Welt gewandt" hast, dadurch bringst ganz langsam und ganz vorsichtig etwas in Bewegung. Wichtig ist es, langsam mal hier mal da einige kleine Steine zu entfernen, hier und da anzustubsen, zu begutachten, wo was hinfällt, wenn Du hier und da schiebst und dann kann es passieren, dass ganz automatisch was ins Rollen kommt.

Vielleicht helfen Dir ja noch diese beiden Heftchen:
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https://www.amazon.de/Das-kleine-%C3%9Cbungsheft-durchatmen-Bibliothek/dp/3941837710/ref=sr_1_31?ie=UTF8&qid=1475165073&sr=8-31&keywords=das+kleine+%C3%BCbungsheft

Ich wünsche Dir auf jeden Fall alles, alles Gute für Deine Zukunft und wünsche Dir vor allem viel Kraft, Mut und Zuversicht, diese selbst zu gestalten! :-)

Viele liebe Grüße,

Anna