Problem von Anonym - 17 Jahre

Esstörung

Hallo,
Ich schreibe, weil ich nicht mehr weiter weiß. Eine sehr gute Freundin (16) von mir  hat eine Esstörung und will sich nicht helfen lassen. Es fing alles vor über einem Jahr an. Wie aus dem nichts schrieb sie mir, dass sie unter einer Esstörung leidet. Ich hatte vorher noch keine Erfahrung mit sowas und habe mich erstmal informiert. Ich dachte auch eigentlich, dass es sie nicht schlimm getroffen hätte... aber nun sehe ich es anders. Sie ist dort reingerutsch, weil aus ihrer Sportmannschaft ein Mädchen auch eine Esstörung hatte bzw hat (ich weiß nicht ob zwischen ihnen noch Kontakt besteht). Meine Freundin hat mir erzählt, dass sie dann auch mal ausprobieren wollte ganz wenig bzw gar nix zu essen und es sofort etwas gebracht hätte. Ich finde, dass sie so etwas überhaupt  nicht nötig hat, weil sie in keinster Weise   "fett" ist, so wie sie sich immer betitelt. Also wollte sie so ca vor genau einem Jahr ständig über essen schreiben  und wie viele Kalorienen sie an dem Tag erst gegessen hätte... ich war da einfach immer genervt!. Ich habe ständig versucht ihr klar zu machen, dass man auch abnehmen kann, wenn man sich gesund ernährt und dazu Sport macht. Davon wollte sie aber nichts hören.
Dann kam eine Sache die wahrscheinlich  nocheinmal alles verschlimmert hat. Ein Mädchen aus unserer Klasse hatte eine zweite Instagramseite auf der sie auch über Esstörungen und so Bilder gepostet hat und sowas.. diese Seiten sind ja wahrscheinlich  bekannt. Zurück zum eigentlichen Thema: ein anderes Mädchen aus unserer Klasse hat diese Seite entdeckt und sie überall rumgezeigt, als das andere Mädchen einen Tag nicht in der Schule  war. Viele haben sich über sie lustig gemacht und die meisten waren sich sicher, dass das nicht echt wäre. Es war aber echt und dieses Mädchen leidet auch noch unter einer Esstörungen  oder vielleicht  sogar unter mehr. Nun zurück zu meiner Freundin. Dadurch das unsere Klasse bzw eher die Mädchen der Klasse darauf aufmerksam geworden sind wurde noch eine Seite entdeckt. Diese sollte angeblich meiner  Freundin, um die es hier geht gehören. Dort stand halt, dass sie auch eine Esstörung hätte und in eine Lehrerin verknallt wäre. Es waren klare Zeichen, dass sie wirklich ihr gehört hätte, weil kleine Details gepasst haben, aber sie meinte, dass sie es nicht sei. Ich weiß  bis heute nicht, ob ich ihr wirklich glauben soll, dass sie ihr nicht gehört hat. Allerdings  hat sie mir dann noch ihre echte zweite Seite gezeigt auch zum Thema Esstörung. Eine aus der Klasse hat das dann verbreitet und meine Freundin war voll down. Sie war dann aber so mutig und hat mit denen geredet die davon wussten und gesagt, dass sie es nicht sei. Danach war das Thema eigentlich  geklärt und ich habe nie wieder jemanden über die zweite Seite  reden hören. Sie war aber der Meinung alle würden über sie lästern, obwohl das nicht der Fall war.  Sie hat sich dann einer Lehrerin  anvertraut und die wollte ihr helfen eine Beratungsstelle für sie rauszusuchen. Was sie dann auch getan hat und meine Freundin hat dann eingesehen, dass es vielleicht  doch besser wäre ernsthafte Hilfe anzunehmen. Und schon kam das nächste Problem: ihre Eltern. Ihr Vater hält sich eigentlich aus allem raus, aber ihre Mutter kann ganz schön aufbrausend sein.
Sie hat kein gutes Verhältnis  zu ihrer Mutter, ständig erzählt sie mir, sie würden sich immer streiten. Auch über belanglose Dinge. Aus meiner Sicht kann ich sagen, dass beide ziemliche Sturrköpfe sind und sich dann an den kleinsten Sachen hochschaukeln. Ihre Mutter soll wohl schon ihre Anziehsachen aus dem Fenster geschmissen haben und sie meckert wohl ständig rum, wenn das Zimmer nicht aufgeräumt ist. Ihre Mutter hat dann wohl raus gefunden, dass mit ihr etwas nicht stimmt und hat sie zur Rede gestellt. Als meine Freundin dann gesagt hat, dass sie eine Esstörung hat, hat ihre Mutter gemeint, sie wolle sie doch nur verarschen und würde sie anlügen. Dann vergingen ein paar Monate in denen meine Freundin gar nicht über das Thema geredet bzw geschrieben hat. Sie hätte aber fast ihren Abschluss in der 10. Klasse nicht geschafft, weil sie die Abschlussprüfungen verhauen hat. Ich denke, sie hat die hauptsächlich verhauen, weil sie unkonzentriert war  und einfach nicht bei der Sache war.  Seit ca. 2-3 Monaten ist das Thema bei ihr  aber wieder "aktuell". Sie schreibt wieder mit mir darüber und ich habe wieder das Gefühl, dass ich gegen eine Wand renne, wenn ich versuche normal mit ihr zu schreiben. Sie hört mir überhaupt nicht zu, wenn ich ihr sage, dass es besser für sie ist, wenn sie provessionelle Hilfe annimmt. Außerdem  schreibt sie mir mindestens  1 mal in der Woche, dass sie sich wieder mit ihrer Mutter  gestritten hätten. Sie sagt mir ihre Mutter würde sie beleidigen  und ihr sagen, dass sie fett ist. Jedoch hat mein Reden scheinbar doch etwas gebracht, weil sie vor ein paar Wochen einen Termin bei einer Beratungsstelle gehabt hat. Sie hat dort aber nix von ihren Problemen Zuhause also die Streitereien mit ihrer Mutter erwähnt. Zwischendurch  habe ich geglaubt sie sei auf dem richtigen Weg. Aber jetzt gerade sagt sie, dass sie  keine Hilfe will und nichts dagegen unternehmen  sondern weiter mit dieser Variante abnehmen will. Es fällt in der Schule auf, dass sie wenig bzw manchmal auch gar nichts isst. Ich finde man sieht ihr auch an, dass sie schon dünner geworden ist.
Sie hört einfach nicht auf mich, wenn ich ihr sage, dass sie doch schon auf dem richtig Weg war mit der Beratungsstelle und auf dem Weg aus der Esstörung raus bleiben soll.
Ich weiß nicht wie ich ihr helfen soll. Immer öfter diskutieren  wir darüber und danach ist sie sauer, weil ich sie nicht verstehe.
Ich hoffe ich kriege hier ein paar Ideen wie ich ihr helfen kann. Ich habe das Gefühl, dass unsere Freundschaft dadurch zerbrechen  wird und das will ich nicht, weil sie mir echt viel bedeutet.
Im voraus schon mal danke.

Christina B. Anwort von Christina B.

Hallo liebe Anonyme!

Danke, dass Du Dich mit Deinem Problem an uns gewandt hast. Ich kann gut verstehen, dass Du Dich überfordert mit der Situation fühlst und verzweifelt bist. Am liebsten möchtest Du Deiner Freundin nur helfen, und alles, was Du tust oder sagst, macht das Ganze nur noch schlimmer und eure Freundschaft leidet darunter. Sie bedeutet Dir anscheinend sehr viel und Du willst ja nur, dass es ihr gut geht. Doch sie kann das nicht sehen. Das ist eine verzwickte Situation und ich finde, dass Du sie bisher bravourös gemeistert hast! Auch wie liebevoll Du Dich um sie kümmerst, finde ich rührend. Du machst Dir wirklich viele Gedanken und bist anscheinend ein sehr hilfsbereiter und aufmerksamer Mensch. Das sind Qualitäten, die nicht jeder hat. Und ein weiterer mutiger Schritt war der, dass Du uns geschrieben hast!

Nun war Deine beste Freundin ja eigentlich schon auf dem richtigen Weg mit der Beratungsstelle. War sie denn dort nur einmal oder ist sie öfter hingegangen? Was könnte denn der Grund gewesen sein, warum sie jetzt damit aufgehört hat? Ich glaube, Deine Freundin ist auch überfordert mit der Situation. Vielleicht fühlt sie sich gedrängt, "das richtige" zu tun und hat den Eindruck, es wäre nicht mehr ihr freier Entschluss. Wenn Menschen sich zu etwas gezwungen fühlen, in diesem Fall zu einer Beratungsstelle zu gehen, weigern sie sich oft, weil sie nicht das Gefühl haben wollen, jemand anderes hätte die Kontrolle über sie. Offensichtlich belastet Deine Freundin der Mutter-Tochter-Konflikt sehr, wenn sie Dich damit immer wieder konfrontiert und Dir von den Streitereien erzählt. Wie reagierst Du, wenn sie das tut? Denn oft benötigen Freunde in solchen Fällen einzig und allein Verständnis für ihre Situation, weniger einen Lösungsvorschlag.
Essstörungen, vor allem die Magersucht, sind immer mit dem Thema Kontrolle verbunden. Bei der Magersucht ist es häufig so, dass das dahinterliegende Problem ein Mutter-Tochter-Konflikt ist. In manchen Fällen sieht die Mutter die Tochter als Rivalin gegenüber dem Mann an, manchmal kommt eine Mutter auch nicht damit klar, dass die Tochter jetzt erwachsen wird, kein Kind mehr ist und jetzt plötzlich eine zweite Frau im Haus wohnt, da ist das Thema manchmal "Weiblichkeit steht in diesem Haus nur mir zu.". In anderen Fällen ist das dahinterliegende Problem ein Nicht-Loslassen-Können der Mutter/Eltern. Zu starke Kontrolle löst dann natürlich etwas bei den betroffenen Jugendlichen aus. Daher rutschen sie in die Magersucht, denn das Essen, die Ernährung ist der einzige Bereich ihres Lebens, den sie voll unter Kontrolle haben, den ihnen niemand wegnehmen kann. "Ich esse so, wie ich will - keiner kann mich hier steuern." Wenn Jugendliche sehr viel von anderen kontrolliert und gesteuert werden, dann ist das oft der einzige Ausweg, den sie sehen. Das Ganze geschieht natürlich unbewusst!

Könnte das bei Deiner Freundin der Fall sein? Vielleicht ist Deine Freundin nur Dir zuliebe zu der Beratungsstelle gegangen, damit Du "endlich Ruhe gibst." Denkst Du, könnte es eine Veränderung bewirken, wenn Du das Thema mal nicht ansprichst bzw. nicht mit ihr darüber diskutierst und ihr rätst, zu einer Beratungsstelle zu gehen? Denn für mich klingt es, wenn ich Deinen Text lese, sehr danach, als wäre das euer momentanes Thema in nahezu jedem Gespräch. Natürlich meinst Du es nur gut mit Deiner Freundin, Du willst nur das beste für sie, aber ich könnte mir vorstellen, dass sie eher bereit wäre, sich Hilfe zu holen, wenn sie sich nicht dazu gedrängt und gezwungen fühlt. Ich glaube, was sie benötigt, ist Verständnis, Zuhören und Einfühlungsvermögen. Mitfühlen kann in solchen Fällen sehr heilend wirken und Deine Freundin der Lösung ein Stück näher bringen.

Wie schätzt Du denn die Lage ein? Du schreibst, es fällt schon auf, dass sie dünner geworden ist. Was bedeutet das? So dünn wie ein Zahnstocher? Oder eben einfach dünner als früher? Siehst Du sie manchmal noch essen? Denn normalerweise verstecken Magersüchtige gerne ihr "Problem". Sie tragen dann schlabberige T-Shirts, weite Hosen, große Pullis, damit man nicht bemerkt, wie dünn sie in Wirklichkeit schon sind. Sie vermeiden es, in der Öffentlichkeit oder mit Freunden zu essen - erfinden Ausreden wie "Ich hab schon daheim gegessen. Ich habe keinen Hunger." usw. Und umgekehrt, wenn sie zuhause gefragt werden, ob sie schon etwas gegessen haben, wird geflunkert und behauptet, sie hätten mit der Freundin unterwegs gegessen usw. Wenn Du solche Symptome bemerkt hast, dann ist es höchstwahrscheinlich, dass Deine Freundin die Essstörung Magersucht hat. Ab wann die Magersucht aber lebensbedrohlich wird, kann ich Dir in Deinem Fall nicht sagen, das musst Du einschätzen. Für mich klingt es noch nicht danach, als wäre Deine Freundin schon schlimm gefährdet - was nicht bedeutet, dass das Problem nicht sehr gravierend ist, denn das ist es. Ob man minderjährige als Elternteil zu einem Klinikaufenthalt zwingen kann, weiß ich nicht, aber da kannst Du Dich bestimmt an die Beratungsstelle wenden. Diese Beratungsstellen bieten auch fast immer Hilfe für Mitbetroffene Freunde oder Angehörige an.

Hier findest Du einen sehr ausführlichen Artikel zum Thema Magersucht: http://nedoschill.de/essstoerungen

Mein Tipp an Dich: Sei eine verständnisvolle, einfühlsame Freundin. Zeig ihr, dass Du für sie da bist und ihr zuhörst. Gib ihr Zeit, die Entscheidung selbst zu treffen. Aber: Mach ihr klar, dass Du nicht ihre Kummerkastentante bist. Wenn sie Dich immer wieder mit Nachrichten und Anrufen bombardiert, sag ihr klar, dass Du für diese Probleme als Freundin nicht genug Rat geben kannst und sie sich diesbezüglich bitte an jemand professionellen wenden soll. Wenn sie es nicht verstehen will und Dich weiterhin zutextet, dann halte ein bisschen Abstand. Du darfst ihr auch rückmelden, dass es Dich auch belastet, wenn sie Dir immerzu von ihren Problemen erzählt. "Ich hab dich gern und bin auch für Dich da, aber ich kann und will nicht rund um die Uhr Deine Kummerkastentante sein."

Ich hoffe, ich konnte Dir mit meiner Beratung weiterhelfen.
Solltest Du noch Fragen haben, kannst Du uns gerne erneut kontaktieren.
Alles Liebe wünsche ich Dir!
Herzliche Grüße,
Christina