Problem von Anja - 47 Jahre

Keine Gefühle für den Ehemann mehr? / Niemanden zum Reden / Beziehungsgestört?

Lieber Kummerkasten,

Ich muss kurz erwähnen, dass mein "Problem" verglichen mit anderen hier geschilderten Problemen, wirklich nichtig erscheint. Aber - und damit kommen wir auch zu einem weiteren Problem - Ich habe niemanden wirklich zum Reden.

Zu meiner Situation: Ich bin verheiratet, habe einen Sohn (12), gehe Teilzeit arbeiten. Mein Mann ist Ingenieur, Vollzeit arbeitend.

Meine Geschichte: Ich komme aus sehr schwierigen Familienverhältnissen. Meine Eltern liessen sich scheiden, als ich 12 war. Meine Mutter war Alkoholikerrin. Meine beiden älteren Schwestern und ich blieben bei meiner Mutter. Die Schwestern schafften dann aber irgenendwann den Absprung von zu hause. Ich blieb zurück im Elend und Armut (sehr viele unschöne Erinnerungen, die ich jetzt nicht alle aufschreiben kann), aus der mir meine Oma half. Mit sie hatte dann die Vormundschaft über mich, als ich 14 war.

Heute geht es mir ja eigentlich gut. ZZt. keine Geldsorgen, ein gesundes Kind, einen "treusorgenden" Ehemann. ABER: Ich glaube mittlerweile, dass ich irgendwie Beziehungsgestört bin. Wenn ich mich mit anderen vergleiche, habe ich keine richtigen Freunde. Keine, denen ich ein Geheimnis anvertrauen könnte. Ich habe meinen Mann, der mich sicher liebt und auch fürsorglich zu uns steht. Aber wir haben wenig wirkliche "Nähe". Im Alltag kaum Zärtlichkeiten und auch nicht diese "Seelenverwandtschaft".

Aber seit einiger Zeit bin ich immer unzufriedener in meiner Beziehung. Ich kann seine Macken und Marotten (die ja sicher jeder hat) überhaupt nicht mehr ertragen. Ich bin fast immer entgegen gesetzter Meinung wie er. Viele alltägliche Dinge stören mich immer wieder.
Vor einem Monat hat er eine Woche Urlaub ohne meinen Sohn und mich gemacht (das war so geplant, aus beruflichen Gründen konnte er dieses Jahr nicht in den Ferien Urlaub nehmen). Und ich habe ihn ÜBERHAUPT NICHT vermisst. Im Gegenteil. Ich habe es sehr genossen, allein zu sein.

Ich würde gerne wieder etwas für ihn empfinden. Denn ich weiß, dass es wirklich gemein ist, wie ich fühle, bzw. nicht fühle. Das hat er nicht verdient. Aber wie ich schon oben schrieb, ich glaube, ich bin emotional gestört. Ich habe schon als Kind mir manchmal gewünscht, ich wäre der einzige Mensch auf diesem Planeten. Und ich wäre nur von gutmütigen Tieren umgeben und hätte ansonsten meine Ruhe. Ich habe auch nie wirklich jemanden von meiner besch*** Kindheit und Jugend erzählt. Ich habe einfach so getan, als wäre alles ok.

Ich liebe meine Sohn total, aber das ist auch schon die einzige Emotion, die ich teilweise habe. Ausser tonnenweise Selbstmitleid manchmal. Ich beneide viele meiner Bekannten, die gute Freunde haben. Die sich gegenseitig bei einander ausheulen usw. Zu mir hat niemand ein engeres Verhältnis. Vermutlich spüren sie alle meine innere Distanziertheit. Vielleicht bin ich auch einfach unsympathisch dadurch.

Dabei habe ich mir schon oft Mühe gegeben. Habe spontan jemanden im Krankenhaus besucht. Habe Nachrichten geschrieben, versucht mich zu verabreden. Aber es ist meistens alles irgendwie im Sande verlaufen und keine engere Verbindung entstanden.
Dabei wünsche ich mir wirklich sehr, eine richtig enge Freundin zu haben, der ich zB das hier alles erzählen kann. Die mir vielleicht mal den Kopf gereade rücken könnte. Die mir helfen würden, wieder etwas für meinen Mann zu empfinden. usw.

Gibt es "Therapien" oder andere Möglichkeiten, wie man aufgeschlossener werden kann? Ich fühle mich in letzter Zeit traurig und einsam. Dabei weiß ich genau, dass das nur eine "hausgemachte" Einsamkeit ist. Ich habe schon die Befürchtung Depressionen zu bekommen. :-(

Christina B. Anwort von Christina B.

Liebe Anja!
Danke für dein Vertrauen dem Kuka Team gegenüber! Es war bestimmt nicht leicht, über den eigenen Schatten zu springen und hierher zu schreiben und sowas erfordert schon eine gehörige Portion Mut. Ich kann mir gut vorstellen, dass das eine sehr schwierige und komplizierte Situation für dich sein muss. Dass du jetzt kaum noch Gefühle für deinen Ehemann hast und aber eigentlich nicht verstehst, warum, muss sehr belastend sein. Eigentlich geht es dir gut, schreibst du und du hast alles, was du im Leben so brauchst. Aus irgendeinem Grund, hast du beschrieben, kannst du für deinen Ehemann nichts mehr empfinden, obwohl er dich umsorgt und liebt. Seine Macken fallen dir so auf den Geist, dass du es nicht erträgst. Nun, es ist in einer Ehe, denke ich, ganz normal, dass einen alltägliche Dinge am anderen stören - aber es kommt drauf an, ob hinter diesen Dingen mehr steckt. Lässt er jetzt zum Beispiel immer die Zahnpastatube offen oder räumt nie sein Geschirr weg, sind das zwar Kleinigkeiten, können aber in manchen Fällen auch dazu führen, dass die Frau sich unwichtig fühlt - wenn sie ihrem Mann schon zigmal gesagt hat, dass er darauf achten soll - dann geht es darum, dem Bedürfnis nachzugehen. Alle kleinen Macken aber sollten nicht immer aufgerollt werden, denn es ist in einer Ehe auch unheimlich wichtig, dem anderen zu verzeihen. Man selbst hat ja auch immer irgendwelche Macken oder ist manchmal nicht ganz einfach und möchte ebenso, dass der andere einem verzeiht. Wie kann das gelingen? Ich denke mir, dass es eine Hilfe sein könnte, sich bewusst zu machen, dass der andere ein Geschenk ist - ein Privileg, er ist aus freien Stücken hier und das sollte man wertschätzen.

Du schreibst, du würdest gerne wieder etwas für ihn empfinden, weil du weißt, dass es nicht fair ihm gegenüber ist. Trotz meinem obigem gesagtem denke ich auch, dass man sich zu Gefühlen wie Liebe nicht zwingen kann. Es kann ja natürlich sein, dass man sich voneinander entfernt und dann aber wieder zueinander findet, aber es kann auch sein, dass die Liebe einfach abgeflaut ist und auch nicht mehr wieder kommt. Wenn einer den anderen nicht mehr liebt, dann ist es nämlich auch nicht fair, bei ihm zu bleiben, aus "Richtigkeit oder Moral", weil er doch jemanden finden könnte, der ihn wirklich liebt. Natürlich ist sowas viel komplizierter, wenn ein Kind im Spiel ist, das ist mir klar, doch es wäre wichtig, zu überlegen, ob du diese Gefühle nochmal wiederfinden kannst oder nicht, um deine nächsten Schritte zu setzen.

Du hast beschrieben, du seist "emotional gestört" und "beziehungsgestört", weil du keine richtigen Freunde hast und niemanden, mit dem du reden kannst. Du hättest dir als Kind schon gewünscht, allein auf der Welt zu sein. Du versinkst oft im Selbstmitleid und hast aber wenige soziale Beziehungen, die dich auffangen, weil du das Gefühl hast, dass andere deine innere Distanziertheit spüren und du deshalb unsympathisch wirkst. Doch obwohl du dir Mühe gibst, den Leuten "hilfst" (dein Beispiel vom Krankenhaus) und ihnen eine gute Freundin sein möchtest, entstehen keine Freundschaften. Ich habe dazu zwei Hypothesen in meinem Kopf, die ich dir gern erzählen möchte. Es sind nur meine Ideen, die mir dazu gekommen sind, es muss nicht heißen, dass das wirklich stimmt - aber ich denke mir, dass du das am besten beurteilen kannst. Einerseits habe ich mir gedacht, dass deine fehlende Emotionalität mit deiner Vorgeschichte aus deiner Kindheit zusammenhängen könnte. Du hast beschrieben, dass du aus schwierigen Familienverhältnissen mit Alkoholismus, Elend und Armut kommst.
Du hast dir damals gewünscht, du wärst alleine auf der Welt, umgeben von lieben Tieren und hättest ansonsten deine Ruhe. Es war als Kind eigentlich dein stiller Hilfeschrei - du hättest dir einen Weg gewünscht, wie das alles aufhört. Angesichts deiner Geschichte ist das auch völlig normal, so zu empfinden. Ich könnte mir vorstellen, dass du die emotionale Distanziertheit im späteren Jugend und Erwachsenenalter entwickelt hast, weil du die Folgen deiner Kindheit nie wirklich verarbeitet hast. Du hast selbst geschrieben, dass du niemanden jemals von alldem erzählt hast, sondern einfach so getan hast, als wäre alles in Ordnung. Doch es war und ist immer noch nicht in Ordnung. Solche Erfahrungen lösen sich nicht einfach in Luft auf - und wenn man sie nicht be und verarbeitet und sie auflöst, dann können sie einen Jahre und Jahrzehnte später noch beeinflussen und steuern. Es gibt heutzutage viele therapeutische Möglichkeiten, um inneren Schmerz, der sich aufgestaut hat und Erfahrungen, die nicht verarbeitet worden sind oder ungelöste Traumata zu verarbeiten - Psychologen, Psychotherapeuten oder auch Energetiker - da gibt es viele Möglichkeiten. Ich könnte mir gut vorstellen, dass du, wenn du das erstmal verarbeitet und aufgelöst hast, auch andere Zugänge zu deinen Emotionen bekommst. Es ist eine Form der Selbsthilfe und des Selbstschutzes, wenn man seine Emotionen unterdrückt und wegsperrt - ich könnte mir vorstellen, dass du das aufgrund deiner Erfahrungen unbewusst getan hast, um nicht noch mehr verletzt zu werden. Daher haben aber auch deine Freunde gespürt, dass du eigentlich deine Emotionen wegsperrst und du warst ihnen gegenüber womöglich nicht mehr authentisch. Womöglich hast du dir eine innere Mauer ums Herz gebaut. Die Mauer lässt dann zwar den Schmerz draußen, aber auch alle positiven Gefühle wie Liebe, Freundschaft, Freude und mehr. Viel mehr kann man sich ein Schutzschild ums Herz bauen, dass man vor Verletzungen gefeit ist, aber die positiven Gefühle dennoch zulässt. Als kleines Symbolbild (:

Eine zweite Hypothese, die mir in den Sinn gekommen ist, ist die, dass du womöglich durch deine innere Distanziertheit ausstrahlst, dass du eigentlich nicht wirklich fühlst und dich gegenüber Freunden zwar "bemühst", aber es mehr mit dem Kopf, als mit dem Herzen tust. Könnte das vielleicht unbewusst so passieren?
Du hast außerdem geschrieben, dass du aufgeschlossener werden willst und welche Möglichkeiten es dafür gibt. Therapien gibt es mittlerweile wie Sand am Meer - ganz viele verschiedene und es kann immer helfen, wenn man eine Therapie anfängt, egal, ob jetzt um irgendetwas zu verarbeiten oder aber auch nur, um an sich selbst zu arbeiten und etwas zu verbessern - und auch wenn du nur aufgeschlossener werden willst, ist das doch super! Du willst etwas an dir verändern, du willst nicht mehr so fühlen, wie du dich jetzt immer fühlst und bist bereit, aktiv etwas dagegen zu unternehmen! Das ist der erste Schritt und damit kann es nur noch bergauf gehen (:

Ich kann gut verstehen, dass du traurig und einsam bist. Dennoch denke ich, dass es immer besser ist, das Glas halb voll als halb leer zu sehen. Du hast einen Sohn, den du über alles liebst (bei dem du die Emotion auch spürst, ist ja mal ein Anfang!) einen Job und einen Ehemann. Es geht dir noch nicht wirklich gut und das wird sich natürlich nicht über Nacht ändern, aber du bist auf dem Wege der Besserung, wenn du dir Hilfe suchst.
Was deine Befürchtung zur Depression betrifft, rate ich dir, einfach mal zu beobachten. Ist deine Grundstimmung generell immer negativ? Bist du immer traurig oder niedergeschlagen? Gibt es auch Momente oder Tage, an denen etwas gut läuft? Was ist an diesen Tagen anders? Könnte man mehr von diesen "anderen" Tagen einbauen? Eine Depression und eine depressive Verstimmung sind auch zwei verschiedene Paar Schuhe. Eine wirkliche Depression ist vom Arzt diagnostiziert und ausgetestet. Sie geht einher mit Symptomen wie Niedergeschlagenheit, innerer Rückzug, Konzentrationslosigkeit, Antriebslosigkeit, Lustlosigkeit und noch mehr Symptomen, du kannst sie hier nachlesen: https://psychische-hilfe.wien.gv.at/site/fakten/depressionen/anzeichen-und-symptome-von-depressionen/

Eine depressive Verstimmung hingegen kann einen schon mal überkommen, das sind einfach depressive Phasen, die jeder von uns im Leben mal hat - da könnte ich mir schon vorstellen, dass du das momentan durchmachst. Eine kleine Übung, um ein wenig aus der negativen Gedankenspirale zu kommen, ist das Dankbarkeitssymbol. Suche dir einen Stein, ein schönes Symbol für dich persönlich und lege ihn dir auf den Nachttisch. Jeden Abend vorm schlafen gehen nimmst du den Stein in die Hand und sagst dir vor, was heute alles gut war. Da darf alles dabei sein, von der Aufgabe, die dir im Job ganz leicht gefallen ist, von deinem Sohn, der dir eine Freude mit seiner tollen Note gemacht hat, bis hin zu der Verkäuferin, die dich angelächelt und nett mit dir geplaudert hat - alles soll da rein kommen. Du wirst überrascht sein, wie viel Gutes jeden Tag passiert, das einem gar nicht auffällt. Und wenn dir wirklich mal GAR NICHTS einfällt, dann kannst du immer noch dankbar für deinen Sohn, ein Dach über dem Kopf, und was zu essen sein.

Hier findest du Beratungsstellen:
https://www.suizidprophylaxe.de/

Hier Möglichkeiten zur Therapeutenfindung
psychotherapiesuche.de
therapie.de
oder google „Therapieplatzvermittlung“ und Dein Bundesland

und hier nochmal eine kurze Soforthilfe von uns zum Thema "Wie finde ich einen professionellen Therapeuten?"
http://mein-kummerkasten.de/Soforthilfe/31/Professionelle-Hilfe-Wie-finde-ich-einen-Psychotherapeuten.html

Ich hoffe, ich konnte dir ein bisschen weiterhelfen.
Wenn du noch Fragen hast, kannst du mich gerne erneut kontaktieren. Richte dazu deinen Text am Anfang "An Christina B.", dann wird mich die Nachricht erreichen.
Alles Liebe und herzliche Grüße,
Christina B.