Lohnt es sich noch um die Beziehung zu kämpfen?
Hallo.
Ich schreibe hier in erster Linie gar nicht wirklich aus dem Grund, weil ich einen Rat brauche, sondern weil ich einfach mit niemanden über mein Problem reden kann und nun hat sich alles gestaut und ich würde es gerne los werden.
Ich bin seit etwas mehr als einem Jahr mit einem Jungen zusammen. Der Anfang war etwas schwer. Ich hatte davor eine 6 jährige Beziehung, die kein gutes Ende hatte... Mein Ex-Freund hat mich betrogen und ich hatte ziemliche Probleme jemanden wieder zu vertrauen und wollte keine Beziehung mehr eingehen. Dann kam aber mein jetziger Freund. Unsere Beziehung fing freundschaftlich an. Wir haben uns übers Internet kennengelernt, weshalb wir eigentlich erstmal den Charakter von dem anderen kennengelernt haben. Ich mochte ihn sehr, fühlte auch mehr als nur Freundschaft, aber ich konnte nicht sagen, ob es wirklich Verliebtheit war. Erschwert hat mir auch, dass er ziemlich übergewichtig ist und ich (leider) eine oberflächliche Person bin. Er musste viel Überzeugungsarbeit leisten, bis ich auf ihn wirklich eingegangen bin. Er hat sich wirklich sehr viel Mühe gemacht. Dazu muss ich noch sagen, dass er vor mir keine Freundin hatte. Ich hatte zwar auch nur 2 Freunde vor ihm, aber ich war von jedem die erste und das hat mir etwas Sorgen bereitet, ob er wirklich weiß, was auf ihn zukommt, wenn er überhaupt keine Erfahrung hat.
Wie auch immer, wir haben uns dann getroffen, wo ich erstmal etwas schockiert war, wegen seinem Übergewicht halt. Aber wir hatte viel Spaß, er war genau so wie übers Internet und ich konnte letztendlich meine Oberflächlichkeit überwinden. Gut, dabei hat er einen großen Teil beigetragen, denn er hat wirklich nie etwas über sein Gewicht gesagt. Manche sind dann ja schüchtern und sagen "Ja, ich werde dir bestimmt nicht gefallen, weil ich so dick bin", aber er hat so etwas niemals gesagt, was ich sehr sehr sympatisch an ihm fand.
Wir waren dann ca. knapp 3 Monate zusammen und wie naiv man halt bei der ersten Liebe ist und besonders wenn man verliebt ist, wollte er zu mir ziehen. Das war kein kleiner Schritt, denn er musste über 800 km weiter wegziehen.
Leider hat es dann nicht geklappt, die Geschichte wäre zu lang, wenn ich das ganze auch noch erläutern würde. Es geht auch um die Geschehnisse danach.
Ich weiß den genauen Grund nicht mehr, aber urplötzlich wollte er mit mir Schluss machen, weil er meinte, dass es besser für mich wäre und ich dann glücklicher wäre. Er war der felsenfesten Überzeugung, dass er mich traurig macht. Hat er auch manchmal, aber ich weiß, dass es nun einmal zu einer Beziehung dazugehört, dass man sich gegenseitig traurig macht. Ich habe ihn angefleht, dass er zur Vernunft kommen soll, ich bin sogar zu ihm gefahren, ohne dass ich wusste, ob er mich überhaupt reinlässt. Letztendlich meinte er, dass er es eingesehen hat, dass er mich doch braucht und wir haben die Beziehung fortgeführt. Natürlich war aber Redebedarf und dabei hat er mir sein Geheimnis erzählt, seitdem alles schwieriger geworden ist... Er ist halt mit sich selber in einem Dilemma, weil er seit vielen Jahren mit dem Gedanken spielt, eine Frau zu werden. Er meinte, meistens ist es nur sexuell, aber manchmal will er als Frau leben. Ich war natürlich überrascht, habe ihn aber nicht verurteilt oder ihn weggestoßen, ich habe ihm erklärt, dass ich ihn trotzdem liebe.
Ein paar Monate danach ist alles schlimmer geworden. Er ist generell eher der Typ, der nicht gerne spricht, was sehr schwer für mich ist, weil ich eh merke, wenn mit ihm etwas nicht stimmt und ich lieber über Probleme rede, als dass ich sie totschweige. Er meinte an einem Tag, dass das Gefühl viel schlimmer geworden ist, dass es ihn sehr belastet. Letztendlich konnte ich ihn dazu bewegen, dass er zum Psychologen geht, ob das aber etwas hilft, daran glaube nicht einmal ich wirklich...
Jetzt zu dem Hauptproblem: Ich habe mal erwähnt, bevor ich überhaupt davon wusste, dass ich niemals mit einer Frau zusammen sein könnte. Jetzt versucht er halt, so sagt er es, immer dieses Gefühl zu unterdrücken. Von dem lebensfrohen, selbstbewussten Mann ist nicht mehr viel übrig. Er ist fast jeden Tag betrübt und wir reden nicht viel. Natürlich erschwert es die Fernbeziehung auch noch, denn wenn wir zusammen sind, sehen wir unsere Mimiken und Gestiken, somit ist einiges einfacher und es läuft auch etwas besser...
Zusätzlich kommt es mir so vor, als ob ich ihm nur noch eine Last wäre und er quasi "besessen" von mir ist. Er fragt mich, was er tun soll, damit er so ist wie ich es mir wünsche (das hat bestimmt auch mit seiner Unerfahrenheit zu tun) und jedes mal, wenn ich ihn frage, was er machen möchte, sagt er mir, dass er machen möchte, was ich möchte, denn er ist glücklich, wenn ich glücklich bin. Manche denken sich jetzt bestimmt "Soll die Frau doch froh sein, dass der Junge sich bemüht und alles macht, was sie möchte", aber das macht mich nicht glücklich. Ich merke, wie schwer es auf ihm lastet und es ist einfach ein schreckliches Gefühl, dass ich ihn von MIR AUS nicht mehr glücklich machen kann.
Ich habe auch Angst, dass er mich irgendwann deswegen auch nicht mehr liebt (wenn es nicht schon passiert ist), weil er seinen "Zwang" auf mich reflektiert und vielleicht denkt, dass ich das so haben möchte und es ihm zu anstrengend ist.
Des Weiteren gibt er mir, obwohl er sich so sehr bemüht, nicht mehr das Gefühl, dass er mich wirklich braucht. Ich wäre tot traurig, wenn schluss mit uns wäre, aber ich bin mir nicht sicher, ob er traurig über meinen Verlust wäre, oder über den Verlust seiner "Aufgabe" mich glücklich zu machen.
Ich muss seit langer Zeit sehr viel darüber nachdenken und es zerrt an meinen Nerven. Ich denke oft, dass es besser wäre, wenn ich schluss mache, für ihn und für mich. Dann könnte er frei entscheiden, ob er ein Mann oder eine Frau sein möchte und kann tun und lassen, was er will.
Andererseit liebe ich ihn ja und er ist sehr rücksichtsvoll, nicht nur im Alltag, auch im Bett. Außerdem haben wir den gleichen Hobby und wenn er er selbst ist, ist er für mich einfach der tollste Mensch auf der Welt.
Falls der Rat ist, dass ich mit ihm reden soll: Wie ich schon erwähnt habe, spreche ich selber gerne Probleme an. Er aber leider nicht. Und ich weiß nicht, ob er stur ist oder was das sonst ist... aber ich kann ihn einfach nicht davon überzeugen, dass er mehr auf sich achten sollte und das es für mich vollkommen okay ist. Er will mir einfach immer ALLES recht machen, was ihm aber niemals gelingen wird.
Falls jemand diesen Post liest und sogar beantwortet, danke für die Geduld und das Interesse. Falls nicht, ist es auch nicht schlimm, letztendlich weiß ich selber, dass ich eine Entscheidung treffen muss und mir niemand dabei helfen kann.
Anwort von Christina B.
Hallo liebe Babsi!
Danke für dein Vertrauen und dass du dich mit deinen Sorgen und Problemen an uns gewandt hast. Ich kann mir gut vorstellen, dass das eine sehr schwierige Situation für dich sein muss. Ich finde es schön, zu lesen, dass du es geschafft hast, nach der sechsjährigen Beziehung, die kein gute Ende genommen hat, weil du betrogen worden bist, dich wieder auf jemanden einzulassen und jemandem zu vertrauen. Das schaffen nicht viele und daher kann ich nur sagen: Hut ab! Außerdem finde ich sehr bewundernswert von dir, dass du es geschafft hast, den oberflächlichen Teil in dir zu überwinden, und dich auf eine Beziehung mit diesem Mann eingelassen hast, obwohl er übergewichtig ist. Auch das ist eine großartige Leistung und da wirkst du auf mich sehr selbstlos und wie jemand, der wirklich auf den Charakter eines Menschen achtet. Ich finde es wirklich toll von dir, dass du erkannt hast, dass Aussehen nicht alles ist. Ihr seid dann ziemlich schnell zusammengezogen und offenbar dann auch recht bald wieder auseinander - jetzt führt ihr also eine Fernbeziehung und seht euch am Wochenende, nehme ich an?
Natürlich kommt es hin und wieder vor, dass in einer Beziehung einer den anderen traurig macht und verletzt. Aber das wichtigste ist natürlich Kommunikation, dass man über die Probleme, die man miteinander hat, spricht und versucht, eine Lösung zu finden. Ihr habt die Beziehung dann fortgeführt und da hat er dir dann anvertraut, dass er gerne eine Frau wäre. Das muss für dich ziemlich schockierend gewesen sein und ich muss nochmal betonen, dass es sehr respektvoll und großartig von dir war, dass du ihn nicht verurteilt oder weggestoßen hast. Es ist bestimmt nicht leicht, mit dieser Situation umzugehen. Da er aber anscheinend ja nicht der Typ ist, der über Probleme spricht, war es sicher sehr schwer für ihn, dir das anzuvertrauen. Das muss man ihm auch zugute halten. Ich finde es auch toll von ihm, dass er eingewilligt hat, zum Psychologen zu gehen. Offenbar steckt da dieser Wunsch in ihm, aber gleichzeitig will er dich nicht verlieren, wenn er jetzt beschließen würde, eine Frau zu werden - und daher unterdrückt er diesen Wunsch, wie du bemerkt hast. Natürlich wirkt sich das auf seine Stimmung aus und er ist betrübt und ihr redet nicht mehr viel. Leider ist es gerade in einer Fernbeziehung unheimlich wichtig, dass man so viel und so oft miteinander redet wie nur möglich, denn sonst verliert sich die Beziehung. Er scheint dich auch wirklich zu lieben und dich nur glücklich machen zu wollen. Ich kann gut verstehen, dass es dich belastet, wenn er dir sagt, dass er nur glücklich ist, wenn du glücklich bist und er dich fragt, was er machen soll, damit du glücklich bist, damit er glücklich ist. Das ist sehr kompliziert und erzeugt außerdem einen hohen Druck bei dir - weil du eigentlich nur möchtest, dass er EINFACH SO glücklich ist - ohne etwas besonderes für dich zu machen. Er soll einfach mit DIR als Person glücklich sein. Er wiederum hat wahrscheinlich den Druck, dass er glaubt, diesen Wunsch in ihm, den er womöglich als "Fehler" sieht, wieder gut machen und ausgleichen zu müssen, indem er dir jeden Wunsch von den Augen abliest und der beste Freund ist, den es gibt. Er versucht, alles zu machen, damit du glücklich bist - wahrscheinlich, um diesen Wunsch in ihm, eine Frau sein zu wollen, zu unterdrücken, zu verdrängen oder zu kompensieren. Mich hat deine Aussage stutzig gemacht, dass es dich traurig macht, dass er dich nicht mehr braucht. Hast du manchmal das Gefühl gehabt, dass er, wenn er "Ich liebe dich" gesagt hat, eher gemeint hat "Ich brauche dich"? Denn in einer Partnerschaft sollte man den Partner nicht "brauchen" im Sinne des "Ich kann nicht ohne dich.", er sollte einen einfach nur NOCH glücklicher machen, als man schon ist, aber er sollte nicht der Inbegriff des Glücks sein. Glücklich muss man schon alleine sein, mit dem Partner kann sich das noch steigern. Aber man sollte den Partner nie von seinem eigenen Glück abhängig machen - und ihm somit die Verantwortung dafür übertragen.
Du denkst, dass es besser wäre, Schluss zu machen - für dich und für ihn, weil er dann frei entscheiden könnte, ob er ein Mann oder eine Frau sein möchte. Auch wenn ich mir die Antwort denken kann, frage ich es dich trotzdem: Wäre es für undenkbar, mit ihm eine Beziehung weiterhin zu führen, wenn er sich umoperieren würde und zur Frau werden würde? Denn sein Charakter würde ja gleich bleiben. Ich will mit dieser Frage keinen Druck auf dich ausüben. Ich denke, wenn das für dich ein klares "Ja, es ist undenkbar für mich, ich kann mit einer Frau keine Beziehung führen." ist, dann denke ich, weißt du, was zu tun ist. Ich glaube, dass er dir zuliebe diesen Wunsch nicht auslebt - wenn ihr getrennt wärt, würde er dem wahrscheinlich nachgehen. Für dich wäre es insofern auch nur fairer, wenn du jemanden finden könntest, der sich mit seinem Körper wohl fühlt und auch mit dir glücklich ist, ohne dieser Situation wie oben beschrieben (dass er nur glücklich ist, wenn du glücklich bist). Natürlich ist das eine sehr schwierige Entscheidung und du hast schon selbst gut erkannt, dass nur du alleine diese Entscheidung treffen kannst. Ich denke, du musst da einfach das Für und Wieder abwägen. Aber auch wenn du ihn liebst und er rücksichtsvoll ist und ihr die gleichen Hobbys habt - manchmal reicht die Liebe nicht aus für ein erfülltes Zusammenleben. Ich denke einfach, dass ihr beide jemanden verdient habt, der euch das geben kann, was ihr braucht. Er hat es eigentlich verdient, seinen Wunsch auszuleben und als Frau zu leben und du hast eigentlich jemanden verdient, der sich wohl fühlt in seinem Körper als Mann und mit dir glücklich ist - ganz von alleine. Was mich auch stutzig gemacht hat: Ihr habt bereits zusammengewohnt und seid dann wieder auseinander gezogen. Offenbar hat ein gemeinsames Zusammenleben nicht funktioniert. Doch eine langfristige Beziehung zielt ja immer darauf ab, dass man irgendwann ein gemeinsames Leben teilt, oder nicht? Daher frage ich mich, warum ihr weiterhin zusammen geblieben seid, als ihr gemerkt habt, dass ein gemeinsames Zusammenleben nicht funktioniert?
Du hast geschrieben, dass er nicht gut über Probleme sprechen kann bzw will. Ich denke, du könntest es mal mit einem Brief versuchen. Schreibe ihm genau auf, was du denkst und fühlst und schicke ihm diesen Brief vielleicht mit der Aufforderung, er könnte, wenn er es nicht schaffen würde, darüber zu reden, dir auch einen Brief zurück schreiben, indem er auf das eingeht, was du geschrieben hast. So gibst du ihm Zeit und Raum, seine Gedanken zu ordnen und zu sortieren. Vielleicht tut er sich damit leichter.
Was kannst du sonst für dich tun? Ich denke, dass es früher oder später unvermeidlich sein wird, eine Entscheidung zu treffen. Ich glaube nicht, dass er seinen Wunsch ausleben würde, selbst wenn du "Ja" sagen würdest. Ich würde ihn so einschätzen, dass er wahrscheinlich viel zu sehr spüren würde, dass du das nur seinetwegen tust und er es demnach auch nicht machen würde, weil er vielleicht spüren würde, dass es dich nicht glücklich macht. Aber ich glaube, dass du dich fragen musst, womit du leben kannst. Kannst du damit leben, dass er eigentlich lieber eine Frau wäre und seine Gefühle ständig unterdrückt? Kannst du damit leben, dass er so fixiert auf dich ist und diesen Wunsch kompensieren will, indem er da ständig versucht, dir alles recht zu machen? Manchmal helfen in solchen Situationen Pro und Kontra Listen.
Ich bin mir sicher, dass du die für dich richtige Entscheidung treffen wirst. Du wirkst auf mich wie eine sehr reife, kluge und bedachte Frau, und ich bin sicher, dass du das schaffen kannst. Ich hoffe, ich konnte dir mit meinen Gedanken, Überlegungen und Hypothesen weiterhelfen. Wenn du noch was brauchst oder mir was erzählen bzw meine Fragen beantworten willst, kannst du mich gerne erneut kontaktieren. Richte dazu einfach am Anfang deines Textes deine Nachricht "An Christina B.", dann wird mich die Nachricht erreichen. Alles Liebe und viel Glück wünsche ich dir!
Herzliche Grüße,
Christina B.