Problem von Anonym - 17 Jahre

Konvertieren wegen Liebe?

Hallo erstmal,
ich bin jetzt schon seit knapp 5 Monaten mit meinem (ersten) Freund zusammen. Wir lieben uns wirklich beide unendlich und wollen später auch einmal heiraten und eine eigene Familie gründen. Natürlich sorgt das Liebeshormon ein wenig für dieses extreme verliebt sein, dennoch weiß ich, dass er der Mensch ist mit dem ich den Rest meines Lebens gerne verbringen würde. Das klingt bis jetzt noch alles ziemlich schön, aber jetzt zu meinem/unserem Problem... seine Familie sind strenggläubige Muslime (ahmadiyya). Ich wollte zuerst keine Beziehung mit ihm eingehen, da ich wusste, dass wir keine Zukunft haben (ich bin Christin). Dennoch hat er mich überredet und gesagt, dass seine Familie uns keine Probleme machen wird. Vor ca. 2 Monaten habe ich dann nochmal auf das Thema heiraten usw abgesprochen. Aufeinmal kam raus, dass ich konvertieren müsste, wenn wir heiraten wollen. Ich war total geschockt, aber würde es machen, solange es nur auf dem Papier so ist. Ich habe ihm ausdrückliche gesagt, dass ich niemals in die Moschee gehen werde und beten werde, ich würde auch kein Kopftuch tragen. Er hat zugestimmt. Dann einige Zeit später sagte er plötzlich, dass ich so einen Schal um meinen Hals tragen müsste und wenn ich in der Moschee bin oder vor seiner Familie, müsste ich es auch hoch machen über meinen Kopf. Ich bin darauf nicht eingegangen und wir haben das Thema erst einmal "vergessen". Mein Gedanke war immer: wir sind erst paar Monate zusammen, wir werden nicht morgen und auch nicht in den nächsten 2 Jahren heiraten. Also warum jetzt schon Schluss machen? Vielleicht lieben wir uns nach 6 Monaten schon nicht mehr, also warum unser Liebesglück vorzeitig beenden? Naja jetzt sind wir wie gesagt schon 5 Monate zusammen und ich bete, dass wir uns in 1 Monat nicht mehr lieben, da bekanntlich das Liebeshormon nach 6 Monaten nachlässt.
Nach der 1. Auseinandersetzung wegen dem konvertieren, ging es mir schlecht. Ich habe geweint, nichts gegessen und viel geschlafen. Ich dachte es könnte mir nicht schlecht gehen...falsch gedacht!
Ich habe seine Eltern noch nicht kennengelernt und fürchte mich ehrlich gesagt davor da sie 1. Kein Deutsch sprechen und 2. Nur Menschen mit ihrem Glauben und Ansichten akzeptieren. Immer wieder wollte mein Freund mich seinen Eltern vorstellen. Ich hatte immer Ausreden parat. Vor ca 1 Woche hat er mich wieder eingeladen und ich habe mich wieder verweigert, denn ich weiß, dass ich eh nicht mit ihm zusammenbleiben kann und im Falle der Trennung würden die Eltern irgendwas über mich finden um mich und meine Familie schlecht zu reden. So dann habe ich ihn ein 2. Mal auf unsere Lage angesprochen und ihm etklärt warum ich seine Familie nicht kennenlernen will. Darauf schreibt er: "keine Sorge ich werde dich schon von unserem Glauben überzeugen." Als er das gesagt hatte wurde mich schlagartig schwarz vor Augen und ich spürte wie mir fast mein Essen hochkam. Meine ganzer Körper zitterte und ich bekam keine Luft. Mir liefen unzählige Tränen über meine Wangen und ich weinte stumm in meinem Bett, denn meine Familie soll davon nichts mitbekommen!!! Ich war so sauer auf ihn und habe ihm alles vorgeworfen, aber vorallem war ich sauer auf mich und meine naive Art. Ich dachte ich müsste sterben, ich konnte mit diesem Gefühl nicht leben... ich habe ihn geschrieben, dass wir eine Lösung finden werden. In diesem Moment hatte ich Suizidgedanken, ich kann und will nicht ohne ihn leben müssen. Wie schon gesagt dachte ich, dass der Schmerz den ich nach der 1. Auseinandersetzung verspürt hatte, wäre der Schlimmste. Doch nach dieser 2. Auseinandersetzung wusste ich, dass es immer schlimmer werden würde, ich wusste auch, dass ich ihm nach dem 6. Monat trotz fehlender Liebeshormon immer noch abgöttisch lieben würde. Ich will nicht nochmal auf dieses Thema bei ihm ansprechen, denn ich glaube eine 3. Auseinandersetzen würde mich wortwörtlich umbringen.
Ich hoffe so sehr, dass Sie mir einen Rat geben können, denn meine Freunde und Familie können mir nicht helfen (Freunde waren noch nie verliebt und sagen ich soll einfach Schluss machen und Familie würde das gleiche sagen).

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Anonyme,

dein Problem ist alles Andere als einfach. Sicher wirst du verstehen, dass es auch für mich nicht leicht ist, dir einen Rat zu geben, der dir wirklich weiterhilft. In der Situation, in der du jetzt bist, musst du letztendlich ganz allein entscheiden. Niemand kann dir das abnehmen.

Wenn du sagst "Ich will und kann nicht ohne ihn leben", stellst du die Menschen, die dir helfen möchten - darunter auch mich - vor ein Problem. Denn die Bedingungen, die es dann zu erfüllen gilt, hat dein Freund genannt. Andererseits wirst du mir sicher zustimmen, dass es verantwortungslos von mir wäre, dir zu sagen "Konvertiere doch." Du stehst zwischen zwei Extremen. Ob es einen Mittelweg gibt, ist noch offen - aber die Chancen stehen nicht gerade gut. Dessen bist auch du dir bewusst.

Ich bin überzeugt, dass auch dein Freund dich liebt; wir können auch nicht sagen, ob er dem, was er von dir verlangt, im Herzen wirklich zustimmt - oder ob es seine Familie ist, die aus ihm spricht. Vielleicht fällt es ihm auch schwer, seine eigene Erziehung hinter sich zu lassen und zu sehen, dass du ganz anders aufgewachsen bist. All das nützt dir aber leider gar nichts, wenn es ans Eingemachte geht. Es wäre völlig irrational, zu glauben, dass seine Familie sich für die Lebenswirklichkeit öffnet, die du dein Leben lang hattest - und die du völlig zu Recht auch behalten willst. Dein Freund überspielt gewiss seine eigene Angst, seine Familie zu verlieren, wenn er nicht von dir fordert, was sie sich wünschen. Aber diese Angst kann ihn nicht rechtfertigen, wenn er so gedankenlose Sätze sagt wie "Ich werde dich schon noch von unserem Glauben überzeugen." Hast du gemerkt? Unserem Glauben, hat er geschrieben. In diesem Moment hat er sich mit seiner Familie gleichgesetzt. "Wir sind so - DU musst dich ändern." Nein, liebe Anonyme. Du musst gar nichts. In eurer Beziehung seid ihr zwei gleichberechtigt. Dein Freund hat nicht das Recht, von dir Dinge zu verlangen, die deiner Überzeugung, deiner Gewohnheit und jeder Notwendigkeit widersprechen. Es wäre etwas vollkommen Anderes, wenn du selbst dem Islam zuneigen würdest und er mit dem Vorschlag, zu konvertieren, bei dir offene Türen einrennen würde. Das ist jedoch nicht der Fall. Du möchtest bleiben, was du bist. Und das sollte er respektieren. Wenn er seine Loyalität zu seiner Familie über seine Liebe zu dir stellt, ist das seine Sache und durchaus nachvollziehbar. Aber er hat nicht das Recht, dich zu verbiegen.

Ich stelle es einfach mal so provokant in den Raum: Warum sollte nicht ER alles, was er kennt, für dich aufgeben? Man könnte hier argumentieren: Deine Familie würde sich leichter (wenn auch gewiss unter größten Schmerzen) damit abfinden, wenn du in eine andere Kultur hinüberwächst, als seine es würde, wenn er das tut. Aber seien wir ehrlich: Diese Überlegung ist unvernünftig und gefährlich. Du kannst eine Beziehung nicht auf den Wünschen anderer Menschen aufbauen. Ihr wollt heiraten, liebe Anonyme. Ihr wollt eine gemeinsame Wohnung, zusammen alt werden, zusammen Kinder bekommen. Die Frage, die sich dir jetzt stellt, wird immer und immer wieder kommen: Dürfen deine Eltern zu deiner Hochzeit kommen? Wie werden deine Kinder aufwachsen? Wie werden seine Eltern dich behandeln? Was wirst du in deiner Ehe dürfen, wenn du schon zu Anfang das tun musst, was Dritte euch diktieren? Bitte, mach dir das klar: Es ist ganz allein deine Entscheidung. Wenn deine Liebe zu ihm stärker ist, als der Wunsch, so zu leben, wie du siebzehn Jahre lang gern gelebt hast und eigentlich immer weiter leben wolltest, dann musst du die Konsequenzen tragen. Aber das wirst du nicht können, denn du siehst schon jetzt: Im Zweifel ist ihm die Meinung seiner Familie wichtiger als deine Bedürfnisse. Wer garantiert dir, dass es je anders sein wird?

Warum warst DU es denn, die ihm geschrieben hat "Wir werden schon eine Lösung finden" - und nicht er? ER ist derjenige, der sich in keiner Weise umstellen müsste, wenn du zum Islam konvertierst. Natürlich, wir dürfen nicht vergessen: Auch islamische Ehen prägen keineswegs nur Gewalt und Verachtung. Vielmehr sind viele, viele traditionelle Ehen auf dieser Welt auf großen gegenseitigen Respekt und tiefe Liebe der Partner gebaut. Aber das ändert in deiner Situation leider überhaupt nichts daran, dass - solltest du konvertieren, mit den schrecklichen Gefühlen, die du gegenüber diesem Schritt hast -, dass dann bereits der elementare Grundsatz der Gleichberechtigung zerstört wäre. Denn mit der Gleichberechtigung verhält es sich so: Entweder, du konvertierst - dann aber aus Überzeugung und nicht aus Zwang, auch wenn dieser Zwang "nur" ein emotionaler ist und "nur" in dir selbst entsteht, weil du ihn liebst. Was immer aus Zwang entsteht, kann nicht gut Bestand haben. Entweder, du konvertierst aus wirklicher, innerer, aus dir selbst kommender Überzeugung. Oder, er entscheidet sich für ein Leben in deiner Welt - und bricht dadurch vielleicht die Brücken zu seiner Familie ab, zwingt sie aber andererseits, sich damit auseinanderzusetzen, dass es mehr als ihre eigene Tradition und Gewohnheit gibt. Oder aber: Ihr schließt einen Kompromiss. Wie der aussehen könnte, kann ich dir nicht sagen. Aber du jedenfalls hast klar formuliert: Du wirst und willst dich dem Regelwerk einer Tradition nicht beugen, die du nicht bejahst. Und daran solltest du unbedingt festhalten.

Es ist nämlich so, liebe Anonyme: Dein Freund muss sich fragen lassen, ob ER in einer so schwierigen Situation dir den Vorzug geben würde. Oft wird gesagt "Liebe kann alle Grenzen überwinden!" Das stimmt wohl auch. Aber in eurem Fall würde sich nur einer überwinden, und das wärst du. Er würde gar nichts tun, sondern darauf warten, dass du dafür sorgst, dass alles bleiben kann wie es ist. Wenn er die Wahl hat dazwischen, dich zum Weinen zu bringen oder seine Mutter - für wen hat er eher Verständnis? Bisher jedenfalls nicht für dich. Wie willst du ihm da glauben, dass du das Wichtigste für ihn in der Welt bist? Vielleicht würde deine Mutter weniger weinen als seine. Aber du, du würdest im schlimmsten Fall dein Leben lang weinen wegen einer Entscheidung, die nur getroffen hast, weil du Angst hattest, jemanden zu verlieren. Jemanden, der nicht bereit war, für dich dasselbe zu tun.

Ich respektiere deine Liebe und ich glaube auch, dass es für deinen Freund alles Andere als einfach ist. Aber das alles nützt dir nichts. Was du brauchst, ist eine wirklich, wirklich ehrliche Antwort von ihm auf die Frage: "Wenn ich sage: Nein, ich werde nicht konvertieren, nein, ich werde kein Kopftuch tragen, nein, ich werde nicht auch nur einen Abend lang zu Hause bleiben, weil deine Familie es verlangt, nein, ich werde meine Kinder nicht so erziehen, wie sie es für richtig halten, sondern nur so, wie ich es will... wenn ich all das sagen würde: Würdest du dich für mich entscheiden?"

Die Antwort, die er dir spontan auf diese Frage geben wird, wird vermutlich ein "Ich weiß nicht" sein, ein "Das kann ich jetzt nicht beantworten", ein "Du machst es mir aber schwer", ein "Darüber kann ich so direkt nichts sagen"... such es dir aus. Und, liebe Anonyme: Wenn das kommt, musst du ihm schreiben "Nein, du bist nicht ehrlich." Denn das ist er nicht. Er ist in dieser Familie aufgewachsen. Er weiß ganz genau, womit zu rechnen wäre, er weiß genau, was er sich erlauben kann und was nicht. Menschen, die einmal so alt sind wie eure Eltern - oder meine - ändern sich selten noch einmal von Grund auf. Er hat dir die wirklich ehrliche Antwort schon gegeben: "Nein" - er würde es nicht tun. Denn sonst hätte er es nicht dir überlassen, zu sagen, ihr würdet eine Lösung finden. Dann hätte er nicht Dinge aufgezählt, die du tun müsstest, um ihn lieben zu dürfen. Dann wäre er nicht davon ausgegangen, dass er dich "schon überzeugen" würde. Dieses "Ich werde dich schon noch von unserem Glauben überzeugen" könnte man nämlich auch ganz anders formulieren.

Diese Formulierung würde etwa lauten: "Ich habe nicht das Rückgrat, mich vor meiner Familie zu dir zu bekennen, zur Not auch gegen sie. Ich werde es schon schaffen, dich so zu verbiegen, dass ich das Beste von allem haben kann: Dich zu meiner Freundin - oder zu meiner Frau - und die Achtung der Menschen, die mich erzogen haben. Und eigentlich sehe ich die Welt ja auch so wie sie. Denn wenn ich über den Tellerrand schauen würde, würde ich ja nicht denken, dass du früher oder später einsehen wirst, dass meine Welt die bessere ist."

Es liegt auf der Hand, dass es für dich wesentlich schwerer wäre, in seine Welt überzugehen - denn in deinem Fall betrifft es nicht nur dein Umfeld und wie sich Verwandte und Freunde zu dir stellen, sondern auch deine eigene Person. Auch wäre es möglicherweise aus religiösen Gründen ein Weg ohne Rückkehr. Solange er mit dir nicht einmal diskutiert, ob er vielleicht auch das tun könnte, was er ohne viel Federlesens von dir erwartet, solange wirst du dich fragen müssen, ob er dich so liebt, wie du ihn. Dann kann es dir auch nichts einbringen, ihn noch so sehr zu lieben - was anders macht eine Liebe wertvoll, wenn nicht, erwidert zu werden? Du bist keine Heldin in einer Geschichte, die sich aus Liebe opfert. Abgesehen davon gibt es keinen Grund, sich zu opfern, denn es besteht kein Grund für ihn, das von dir zu verlangen. Alle Bedingungen, die er dir als unumgänglich verkaufen will, sind in Wirklichkeit seine eigenen Bequemlichkeiten.

Das alles heißt nicht, dass er dich nicht liebt. Das tut er sicher. Aber frage dich: Wie hoch würde er seine Liebe verkaufen? Und wenn du ihn so sehr liebst - warum soll der Preis, den DU verlangst, geringer sein?

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul