Problem von Anonym - 21 Jahre

Diskussionen durchs zocken

Hallo liebes Kummerkasten-Team,

und zwar geht es darum, dass ich vor vier Jahren meinen Ex Partner durch seine Zocksucht verloren habe. Er wollte mich damals immer weniger sehen, hing nur noch an seinem PC und nach einer Vergewaltigung, weil ich nicht mehr mit ihm schlafen wollte, folgte dann die Trennungen. Sein damaliger bester Freund (mein jetziger Freund) hat alles mitbekommen (habe ihm alles erzählt) und daraufhin den Kontakt zu meinem jetzigen Ex abgebrochen. Seit 1 1/2 Jahren sind mein Freund und ich jetzt ein Paar, wir verstehen uns auch super, reden gemeinsam über alles und sind sehr glücklich. Wäre da nicht wieder das Thema zocken. Mein Freund zockt selbst seit Jahren, was mir vor der Beziehung nicht wirklich bewusst war, da ich Ihn erst während der Beziehung richtig gut kennengelernt habe. Früher hat er durchaus mehr gezockt (auch mal 90 Stunden in zwei Wochen), nach einem großen Streit vor einem Jahr haben wir uns dann darauf geeinigt, da ich dauernd das Gefühl hatte, dass er das zocken mir vorzieht und ich meine Vergangenheit nicht nochmal durchmachen möchte, dass er in zwei Wochen nicht mehr als 20 Stunden zocken darf (Diese Regel kam von ihm selbst). Allerdings hat er diese Regel einmal gebrochen (20.4 Stunden), wodurch mein Vertrauen in die Brüche ging. Mir ist natürlich bewusst, dass 20 Stunden in 14 Tagen nicht wirklich viel sind, aber trotzdem komme ich damit nicht zurecht, was er auch weiss, von ihm kommt aber immer nur, er wird es nicht ändern und ich soll mehr Verständnis für ihn haben (Verständnis für was? Der einzige soziale Kontakt in seinem Leben bin ich, sonst hat er nur "Freunde" im Internet, mit denen er zockt, sein Leben bekommt er auch nicht wirklich auf die Reihe, er macht zwar gerade eine Weiterbildung für seinen Beruf, aber im Grunde wurde ihm sein ganzes Leben von anderen nur vor die Füße gelegt). Auch wenn ich ihm versuche zu helfen, komme ich nicht wirklich weiter. Könnt ihr mir einen Tipp geben bzw helfen? Das Zocken macht mich echt fertig, mal mehr mal weniger (Alpträume). Auch weiss ich, dass er negative Gefühle kaum empfinden kann, weil er sie verdrängt bzw abgestumpft ist (Viele Umzüge, immer wieder Freunde verloren). Er gibt selbst zu, dass ihn das PC spielen ablenkt. Auch weiss ich, dass Liebe für ihn nicht so wichtig ist, wie für mich (ich bin sehr emotional, habe manchmal das Gefühl, dass er denkt "Meine Freundin ist für mich selbstverständlich).
Ich hoffe mal der Text war jetzt nicht zu durcheinander und man versteht irgendwie mein Problem...

Danke schonmal

Anna Anwort von Anna

Liebe Unbekannte,

vielen Dank für Dein Vertrauen und für Deine Geduld. Manchmal gehen Probleme ein bisschen unter, aber ich hoffe, dass ich Dir jetzt weiterhelfen kann.

Dass das Thema "Zocken" für Dich eine reine Belastung geworden ist, kann ich gut nachvollziehen und besonders belastend muss es sein, dass Du das Ganze nun zum zweiten Mal miterleben musst.
Zunächst einmal: ich kann Dein Problem nicht nur nachvollziehen, ich denke sogar, dass Du da absolut im Recht bist, wenn Du es einfach nicht gut findest, wenn Dein Partner so viel zockt. Ich denke auch, dass 20h in 14 Tagen schon eine ganze Menge ist. Relativiert wird diese beträchtliche Stundenanzahl aber nur, weil sie für Deinen Partner das MINIMUM ist, an das er sich halten soll; das heißt, wenn es ganz nach ihm ginge, würde er ja noch viel mehr spielen. Daher denke ich, dass man da schon von einer richtigen Sucht sprechen kann. Und am Ende ist es oft egal, um welche Sucht es sich handelt - die Angehörigen sind immer auch die Leidtragenden, die damit zurecht kommen müssen, dass ihr Partner, der ja eigentlich fest an ihrer Seite stehen und das Leben mit ihnen bewusst erleben sollte, ständig irgendwie "wegfällt" und abwesend ist, weil er eben noch seiner Sucht frönen muss. Daher denke ich, ist der erste Schritt wirklich zu akzeptieren, dass Dein Freund tatsächlich einer Sucht verfallen ist, die man ernstnehmen muss. Das bedeutet aber auch im nächsten Schritt, dass Du da nicht einfach mit klarkommen musst; Du musst sein Spielverhalten nicht runterreden, nicht entschuldigen und auch auf keinen Fall den Fehler bei Dir suchen.
Zocken ist natürlich ein sehr beliebtes Hobby und die Zocker selbst sind in ihren Online-Kreisen anerkannt und vielleicht auch beliebt, klar, sie verbringen ja viel mehr Zeit mit anonymen Internetkontakten als mit "wirklichen" Menschen. Außerdem, wie Du ja schon sagtest, kann man dabei super abschalten und Probleme und schlechte Gefühle verdrängen. Kein Wunder also, dass der/die Süchtige sich in dieser zweiten Realität richtig wohlfühlt. Er muss seine Probleme nicht spüren und bekommt von seinen Mitspielern oder Online-Kontakten positives Feedback. Dinge, die man eigentlich in der richtigen Welt haben sollte.

Dazu kommt, und ich könnte mir vorstellen, dass das das Ganze noch viel belastender für Dich macht, dass Du Ähnliches schon einmal erleben musstest. Du hast erfahren, wie daran an eine Beziehung zerbrechen kann. Und noch viel schlimmer, im Zuge dieser Streitigkeiten musstest Du noch eine Vergewaltigung erleben. Ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass das emotional für Dich irgendwie zusammen gehört. Du hast Missachtung Deiner Gefühle, Deiner Grenzen, Deines Körpers und Deiner Sexualität erfahren von jemandem, der Dir ganz ganz nahe stand, dem Du eigentlich vertrauen wolltest und der Dir gezeigt hat, dass er sich selbst viel wichtiger ist als Du ihm. Du hast es zwar geschafft, Dich von ihm zu trennen, aber das Ganze bestimmt noch nicht verarbeitet. Dazu kommt noch, dass Dein jetziger Partner auch irgendwie aus dieser Welt stammt, er war immerhin sein bester Freund. Ich glaube, dass seine Zocksucht in Dir all die schlimmen Erinnerungen und Erfahrungen immer wieder aufs Neue weckt und Du Dich gar nicht richtig sicher bei ihm fühlen KANNST.

Jetzt steht die Frage offen, wie Du damit umgehen könntest. Ich weiß nicht, ob es der richtige Weg wäre und ich glaube auch nicht, dass Du krank bist, aber ich denke, dass es eine gute Unterstützung für Dich sein könnte, wenn Du mit einem Therapeuten über Deine Gefühle und Deine Situation sprichst. Vor allem auch über die Vergewaltigung, die Du erleben musstest. Alleine deswegen schon. Es ist sehr wichtig, solche Erfahrungen aufzuarbeiten, denn sonst drängen sie sich in Form von Alpträumen und schlechten Gefühlen das Leben lang immer wieder in den Vordergrund. Außerdem könnte er Dir helfen in Deiner jetzigen Situation, in der Dich vieles an früher erinnert, besser zurecht zu kommen und zu überlegen, wie Du damit umgehen könntest.
Ein weiterer Schritt wäre, und ich weiß, das klingt radikal, von Deinem Freund zu verlangen, das Zocken wenigstens vorerst einzustellen. Ich glaube nicht, dass er wirklich weiß wie sich das für Dich anfühlt, auch, wenn er es Dir beteuert. Natürlich sind Süchte sehr stark, aber von Dir zu verlangen mehr Verständnis dafür zu haben, ist nicht der richtige Weg, Dir zu zeigen, dass er Dich versteht. Du kannst Dich bei ihm nicht sicher fühlen, das Vertrauen fehlt. Das ist sicher nicht allein seine Schuld und rührt auch stark von Deinen Erfahrungen in der Vergangenheit her, aber ich sehe keine Möglichkeit, dass Du diese Angst überwindest, wenn er nicht wirklich ganz auf Dich zukommt und auch bereit ist, das Zocken erstmal sein zu lassen. Oder wenigstens noch weiter zu reduzieren. Ich denke, das Schlimme ist das Gefühl, dass Du ihm egal sein könntest. Ich bin mir sicher, dass das nicht der Fall ist, er hat ja schon Liebe und Loyalität bewiesen, in dem er den Kontakt zu Deinem Exfreund abgebrochen hat und sich beim Zocken für seine Verhältnisse sehr einschränkt. Trotzdem glaube ich, kann es für Dich so nicht weiter gehen.
Ich finde es aber sehr reflektiert und nachdenklich von Dir, dass Du versuchst zu verstehen, warum er so viel spielt. Dass er Probleme verdrängen will, mit denen er nicht gut zurecht kommt. Vielleicht kannst Du da für ihn ein Ansprechpartner sein, mit ihm zusammen ergründen, was ihn so belastet und wie er da weiterkommen könnte. Unternehmt viel zusammen! Auch das lenkt ab, bringt einander aber auch näher und schafft Raum für Gespräche, wo ihr euch gegenseitig über eure Ängste unterhalten könnt. Dazu muss ich aber sagen: Du solltest nicht weiterhin sein einziger Ansprechpartner sein. Dass er im richtigen Leben keine anderen nahestehenden Menschen hat, ist auf jeden Fall ein schlechtes Zeichen. Ihm zuhören - ja, ihm Hilfe anbieten, wenn es in Deiner Macht steht UND wenn er danach fragt - ja, aber Dich nicht für ihn aufopfern und versuchen, ihn zu verändern. Dadurch verlierst Du nur mehr und mehr den Bezug zu Dir selbst und das ist der Grund, warum Du schreibst. Nicht, weil Du Dich um ihn sorgst, sondern weil Du selbst mehr und mehr drohst unterzugehen an seiner Seite. Gehe dagegen an, indem Du Deine Ängste und Sorgen aufschreibst, in dem Du selbst mit Freunden oder Deiner Familie darüber sprichst.

Ich wünsche Dir auf jeden Fall alles alles Gute und schreibe uns ruhig wieder, wenn Du Hilfe brauchst.

Viele liebe Grüße,
Anna


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