Problem von Oliver - 32 Jahre

Ehe am Ende

Hallo,
ich bin zurzeit in einer absolut verzweifelten Situation und bitte um Rat.
Meine Frau und ich (beide Anfang 30) sind seit 12 Jahren zusammen, seit 6 Jahren verheiratet, und haben zwei kleine Kinder. Meine Frau war von Beginn an die Liebe meines Lebens, wir haben uns ein gutes Leben aufgebaut, geheiratet, Haus gebaut, zwei Kinder bekommen.
Beide haben wir aber auch eine schwierige Biografie, teilweise resultierend aus unseren Elternhäusern, da möchte ich nicht näher drauf eingehen. Es geht um ungesunde Bindungen, fehlende Bindungen, Schuld, schlechtes Gewissen und geringes Selbstwertgefühl.
Es besteht ein sehr schwieriges Verhältnis zu meinen Eltern, sowohl seitens meiner Frau als auch von mir. Sie haben sich nicht immer korrekt verhalten, es gab auch einen Kontaktabbruch von zwei Jahren meinerseits. Man hatte sich wieder angenähert, meine Eltern hatten sich auch für vieles entschuldigt, es entwickelte sich ein „vorsichtiger Kontakt“ zu Geburtstagen und sonstigen Anlässen. Ich war der Meinung, wir sind auf einem guten Weg. Trotzdem waren meine Eltern immer und immer wieder ein schlimmer Streitpunkt in unserer Ehe. Obwohl ich meiner Meinung nach immer zu 100% zu meiner Frau und meiner Familie gestanden habe, wurde mir stets vorgeworfen, ich würde meine Eltern immer in Schutz nehmen. Ich bin anderer Meinung – ich versuche, nach gesundem Menschenverstand so neutral und objektiv zu sein, wie es bei den eigenen Eltern eben möglich ist. Ich habe versucht, einen Weg zu finden, meinen Eltern zu verzeihen und sie lieben zu dürfen, ohne meine Ehe zu belasten. Bis jetzt ist mir dies nicht gelungen.
Meine Frau und ich hatten ein sehr (!) gutes Verhältnis zur Mutter meiner Frau. Diese ist leider in diesem Jahr viel zu früh und plötzlich verstorben. Seitdem sind unsere Probleme, die wir schon vorher hatten, völlig eskaliert. Meine Frau überhäuft mich bei den kleinsten Kontakten, die ich mit meinen Eltern habe, mit schlimmen Beschimpfungen. Einmal hat sie mir eine geknallt. Die Anlässe sind für mich nicht oder nur schwer nachzuvollziehen. Sie hat eine unbändige Trauer in sich, die ich ihr zugestehen will und auf die sie ein gutes Recht hat. Todeswünsche für meine Eltern jedoch, verbunden mit Beschimpfungen (H*rensohn, W*chser,…) sind für mich aber nur schwer zu ertragen. Der Hass macht mich fertig. Ich versuche zu beschwichtigen, zu erklären, sie runter zu bringen, aber die Spirale dreht sich weiter. Es reicht, dass ich mit meinem Vater telefoniere – der Inhalt ist völlig egal, jede Äußerung von ihm (oder mir) wird als Verrat, als Frechheit, als Vertrauensbruch gewertet. Ich könnte mit ihm übers Wetter reden, das wäre auch zu viel. Sie wird völlig hysterisch, ist nicht zu bremsen.
Letzte Woche ist es eskaliert. Sie hat behauptet, kein Schwein würde nach unseren Kindern fragen, sie wären meinen Eltern egal. Ich sagte, dass sie jedes Mal, wenn wir telefoniert haben, nach den Kindern gefragt haben. Man muss dazu sagen, dass meine Frau derzeit keinerlei Kontakt mit meinen Eltern will, sie nicht sehen will, und auch nicht will dass unsere Kinder sie sehen. Also eigentlich paradox. Sie warf mir jedenfalls vor, ich hätte ihr das verschwiegen, es folgten wieder schlimme Beschimpfungen. Ich versuchte, normal mit ihr zu reden, ihr platzte der Kragen, sie schrie dass ich ihr immer sämtliche Schuld gebe (was nicht stimmt), warf alle Stühle um, versuchte den Tisch umzuwerfen. Ich wollte nur raus aus der Situation, rannte in die Garage, wollte weg bevor es noch mehr eskaliert. Sie stürmte hinterher, schrie dass sie sich umbringen will, legte ihre Hände an ihren Hals und drückte zu, schrie ich soll sie jetzt umbringen, war völlig außer sich. Ich schrie sie soll aufhören, einfach aufhören, sie tat es nicht, schrie weiter dass sie sich umbringt, und da habe ich ihr eine gescheuert.
Ich war so erschrocken und geschockt von mir selbst, dass ich es nicht in Worte fassen kann. Für mich war die Ehe in diesem Moment quasi beendet, denn auch wenn es im Affekt geschah und ich meine Frau nicht verletzen, sondern nur diesen Irrsinn durchbrechen wollte, war mir natürlich klar, dass das GAR nicht geht und nun der absolute Tiefpunkt erreicht ist.
Ich habe mich vor mir selbst geekelt, und tue es immer noch. Meine Frau will jetzt eine Eheberatung machen (schwankt aber täglich zwischen „bringt eh nichts, ich kann mir denken was die da sagen“ und „vielleicht gibt es noch Hoffnung“). Dazu muss man sagen, dass ich schon vor Monaten eine Eheberatung wollte, sie jedoch nicht, also bin ich alleine zur Beratungsstelle. Dort wurde mir geraten, auszuziehen, wenn es für mich nicht mehr erträglich ist.
Ich liebe meine Frau, sogar sehr. Ich bereue, dass unsere Ehe nicht viel gefestigter war, als dieser Schicksalsschlag passiert ist. Es kommt alles zusammen – die individuelle Geschichte von jedem von uns, die letzten Jahre, die Probleme mit meinen Eltern, der Tod der Mutter. Letzteres sicherlich mit einer Heftigkeit, die auch meine Frau völlig aus den Socken gehauen hat.
Ich würde so gerne an eine Zukunft glauben, die uns glücklich macht. Die Frage ist nur, ob das bei diesem Scherbenhaufen noch möglich ist. Denn was getan ist, ist getan. Was gesagt ist, ist gesagt. Die Uhr lässt sich nie zurückdrehen. Ich habe das Gefühl, mein Leben sackt unter meinen Füßen weg. Und ich schäme mich, dass ich meinen Kindern solch eine Ehe vorlebe. Ich fühle mich wie ein Mann ohne Ehre, ohne Stolz, ohne Wert. Es ist alles weg, und in mir existiert nur noch leere und Verzweiflung.
Haben wir überhaupt eine Chance?

Janine Wochnik Anwort von Janine Wochnik

Lieber Oliver,

ich bedanke mich sehr für dein Vertrauen.
Deine offenen und ehrlichen Worte sind wirklich großartig.
Danke.

Eure Situation ist wirklich sehr verfahren und in diesem Maße nicht mehr tragbar.
Weder für dich, deine Frau oder deine Kinder.
All das was zwischen euch passiert, betrifft auch 1:1 eure Kinder!
Das müsst ihr euch unbedingt beide bewusst machen.

Ich sehe bei euch viele Dinge, die gleichzeitig geschehen und wie eine Art Sintflut sind.
Ihr könnt entweder als gestärktes Paar daraus hervorgehen, oder daran zerbrechen.
Letztendlich kommt es auf euch beide an. Wie stark jeder Einzelne ist.
Und auch wie ihr zusammenhaltet und agiert.

Euch beide verbindet sehr viel und ich denke fehlende Liebe ist kein Problem. Was ein riesen Vorteil ist.
Noch dazu gebt ihr euch beide offensichtlich viel Mühe, was wirklich großartig ist.
Außerdem für gute Chancen sorgt.
Die Voraussetzungen sind also gut.

Meiner Meinung nach solltet ihr folgende Dinge versuchen:

1. Solltet ihr beide für euch etwas tun. Zum Beispiel eine Therapie. Zumindest deine Frau ist sehr in ihren Problemen gefangen. Bei dir wird es sicherlich ähnlich sein. Eure Vergangenheit war nicht schön, wenn man nicht daran arbeitet um damit zurecht zu kommen, dann kommt es in schlimmen Momenten zum tragen.
Und das kann nur jeder für sich selber bearbeiten.

2. Eine Paartherapie ist eine sehr gute Idee. Deine Frau hat sich damit einverstanden erklärt, auch wenn sie skeptisch ist. Dies ist aber auch normal.
Dennoch zeigt es, dass sie die Probleme auch sieht. Und das sie die Ehe ebenso retten möchte wie du.
Ihr solltet beide nicht mit zu hohen Erwartungen an die Sache gehen. Aber ihr solltet es als Chance sehen.
Für euch, eure Kinder, eure Liebe.
Ehrlich sein ist oberstes Gebot.

3. Ich weiß nicht inwieweit ihr beiden noch miteinander sprechen könnt.
Seid ihr dazu noch in der Lage, dann nutzt dies für euch.
Aber nicht nur über die Dinge, die nicht laufen. Oder die euch belasten. Sondern vor allem über die guten Dinge. Die, die euch betreffen. Euch beide.
Das was bei euch fehlt ist der normale Kontakt. Der liebevolle Kontakt. Das was euch beide verbindet.
Bei dem ganzen Theater, kommt so etwas zu kurz. Doch gerade dann braucht man es am dringendsten.
Wenn nur noch Ärger und Streit herrscht, wird man sich noch mehr zurückgewiesen fühlen. Man kämpft dann allein und das macht es noch schlimmer.

4. Warum deine Frau reagiert, wie sie es tut, ist dir klar.
Aber ich schreibe es nochmal. Sie hat ihre Familie verloren. Also keine Chance mehr etwas gerade zurücken.
Keine Chance mehr etwas liebes zu hören. Oder zu spüren, dass sie eure Kinder liebt.
Du hingegen hast das noch. Was für sie schwer zu ertragen ist.
Du kannst nichts dafür und deine Eltern auch nicht. Und wie sie damit umgeht ist nicht haltbar.
Sie wird es wahrscheinlich nicht ändern können. Zumindest nicht von heute auf morgen.
Einen Kompromiss zu schließen wäre eine Maßnahme, wenn sie eine ruhige Minute hat.
Doch ich befürchte auch das, wird zur Zeit nicht funktionieren.
Ich denke, deine Frau braucht eine Auszeit von allem. Um ein wenig trauern zu können. Um ein wenig aus ihrem Chaos heraus zu kommen. So im Alltag wird das wahrscheinlich nicht klappen.

5. Du hast deine Frau geschlagen. Und es setzt dir zu. Nur was hättest du in dem Moment tun sollen?
Du hast aus Panik gehandelt. Sich das vorzuwerfen bringt dir und ihr nichts.
Du kannst versuchen es ihr zu erklären. Du hattest wahnsinnige Angst und das ist vollkommen normal.
Nächstes Mal, nimm sie in den Arm. Ganz fest. So fest du kannst. Halte sie einfach fest. Auch wenn sie es nicht möchte.
Eigentlich möchte sie es.
Vor allem ist es tausend Mal besser als handgreiflich zu werden.
In dieser Situation war sowohl deine Frau, als auch du selbst vollkommen von Sinnen. Ihr hattet beide Angst. Habt beide nicht weiter gewusst und wart vollkommen überfordert.
Deine Frau hat keinen anderen Weg gefunden es dir zu zeigen. Du hast keinen anderen Weg gefunden sie zu stoppen.
Ihr müsst darüber reden, wie es euch in dieser Situation ging. Sowohl du, als auch deine Frau.
Wenn das zwischen euch steht, werdet ihr beide Angst vor der Reaktion des anderen haben.
Das wird auf Dauer nicht gut gehen.

6. Ihr steht vor einer unglaublichen Herausforderung und braucht jede Energie, die ihr bekommen könnt.
Die Person von der Eheberatung hatte absolut recht, als sie sagte, dass du gehen sollst, wenn du es nicht mehr aushältst.
Gehst du nicht, dann wird wieder etwas passieren, was nicht gut ist.
Oder du brichst zusammen. Keiner von euch wird das dann ohne Schaden überstehen, ob so oder so.
Manchmal ist es einfach besser die Notbremse zu ziehen, als es darauf ankommen zu lassen.

Ich glaube ihr beide habt eine Chance. Ihr müsst nur beide fest daran glauben. Außerdem müsst ihr beide mal für euch selber sorgen. Nicht nur für eure Kinder. Oder euch als Paar. Sondern jeder für sich.
Ihr braucht alles an Unterstützung was ihr bekommen könnt. Aber nicht nur ihr, sondern auch eure Kinder.
Nach Möglichkeit solltet ihr euch Entlastung verschaffen.
So, dass der Alltag weniger anstrengend wird und ihr mehr Kraft für die anderen Aufgaben habt.
Das was bei euch passiert ist, hat bei den Kindern sicherlich auch Spuren hinterlassen. Passt ihr nicht auf, dann werden auch sie die Bürden eurer Vergangenheit tragen.

Glaubt an euch.
Sorgt für euch.
Sorgt für eure Kinder.
Sucht euch Hilfe und nehmt diese an.
GEMEINSAM könnt ihr es schaffen!

Ich drücke euch von ganzem Herzen die Daumen.
Viel Glück und Erfolg.
Alles Gute.
Liebe Grüße,
Janine