Problem von lea - name geändert :) - 15 Jahre

Wurde vergewaltigt/ Freund hat Schluss gemacht.

Okay also. Ich habe mich schon auf den anderen Kategorien versucht umzuschauen, aber auch nach langer Suche habe ich kein Problem gefunden was meinem entspricht.

Ich fange am besten einfach mal von vorne an.
Ich war fast ein Jahr mit meinem Freund zusammen (nennen wir ihn Liam), aber es war anders. Ich wohnte ca eine halbe Stunde mit dem Auto entfernt und bin JEDES Wochenende ca 2 mal zu ihm gefahren. Mit dem Bus ist das ca eine Stunde weg. Ich bin auch zu ihm gegangen und habe mein Training und alles geschwänzt. Ich habe diesen Jungen mehr als geliebt. Dieses Gefühl hatte ich noch nie. Ich hatte vor seiner Begegnung die Krankheit „Verbitterungsstörung“. Da sie Posttraumatisch war, hatte er sie „geheilt“ sag ich jetzt mal so. Natürlich ist da noch viel dran, aber auch meine Therapeutin meinte er wär ein sehr guter Umgang für mich. Er hat mir einen Grund fürs Leben gegeben und ich habe mich endlich einmal sicher im Leben gefühlt.
Ich hatte sonst keinen Kontakt zu anderen Jungs und wenn, hatte er mir das erlaubt. Bis auf diese eine Nacht.
Vor genau 2 Wochen bin ich einfach mal auf einen Geburtstag von Freunden gegangen. Das hatte ich öfters nicht mehr gemacht, weil Liam das nicht wollte, aber ich dachte mir, das verdiene ich einfach mal. :) Ich hatte nämlich viele Freunde auch verloren, da ich sonst nie draussen war.
Natürlich hatte Liam mir abgeraten dorthin zu gehen, war aber nicht gross dagegen.
Ich habe dort etwas getrunken, aber nur wenig, war also nur leicht angetrunken.
Dann am Abend sehr spät hatte mich die ganze Zeit ein Junge angestarrt den ich schon kannte. Er wollte schon lange was von mir. (Nennen wir ihn Tim) Liam hasste Tim und kannte ihn auch durch mich usw.
Tim hat sich die ganze Zeit neben mich gesetzt und ich habe mich unwohl gefühlt. Ich habe Liam öfters geschrieben aber er meinte die ganze Zeit „du hättest nicht hingehen sollen, deine Schuld“ also habe ich ihm dann nicht mehr geschrieben.
Nun... wir sind dann etwas rausgegangen und dann kam dieser Punkt der alles kaputt gemacht hat.
Die wollten alle so ein „Wettrennen“ machen und Tim hat nicht mitgemacht. Ich wollte auch nicht, musste aber mitmachen damit ich nicht alleine mit Tim war. Er hatte mich aber festgehalten als alle losgerannt sind. Er hat ganz fest zugedrückt. Ich wollte das nicht und wollte erstmal die Situation beruhigen. Ich habe erst gelacht, bis er mich mit wohin gezogen hat. Ich habe ihm gesagt er soll das lassen und habe auch öfters versucht meine Hand wegzuziehen aber es ging nicht. Er zog mich 2 Strassen weiter wo keine Häuser mehr waren, sondern so eine Art „Park“ mit einem Labyrinth. Ich habe immernoch die Narben an meinem Handgelenk wie sehr er mit seinen Nägeln reingedrückt hatte. Als er mich gegen eine Wand gedrückt hatte wollte er mich ausziehen und ab diesem Punkt war ich völlig erstarrt. Ich konnte mich nicht wehren. Es ging nicht, wie sehr ich es versuchte. Nun. Fazit: Er hatte mich vergewaltigt und nachdem auf den Boden geworfen und mehrmals auf mich eingeschlagen. Er meinte wenn ich ihn anzeige würde er das wieder tun, wenn nicht sogar schlimmer. Ich hatte Angst. Mehr als Angst. Ich weiss noch genau ich lag dort noch ein bisschen über eine Stunde weinend auf dem Boden. Ich wusste nicht mehr wie ich nach Hause kommen sollte, da es schon 3 uhr nachts war und meine Mutter mich abholen wollte und auch mehrmals angerufen hatte wie ich auf meinem Handy gesehen habe. (Meine Mutter war aber dann schon am schlafen bzw. ich konnte sie nicht mehr erreichen)
Ich habe aber dann die Schwester von Liam angerufen, da sie ein Auto hatte und sie hatte mich Gottseidank abgeholt. Ich habe mich bei Liam ins Bett gelegt und direkt geweint. Ich wollte leise sein, damit er nicht aufwachte. Er sah so süss aus haha. Aber er hatte es nach ca 10 Minuten schon verstanden bzw ist aufgewacht, da ich die ganze Zeit nach Luft geschnappt hatte. Ich war so nervös.
Dann kam der Fehler den ich machte: Ich sagte ihm nicht, dass ich vergewaltigt wurde, sondern dass ich fremdgegangen bin. Mir war es einfach zu peinlich und ich habe mich geschämt jedes mal als ich ihm in die Augen gesehen habe. Er hat sich ungedreht und ist wieder eingeschlafen. Ich glaube er war enttäuscht.
Am nächsten Tag bin ich ohne was zu sagen nach Hause gegangen. Er hatte natürlich Schluss gemacht. Von dem Tag aus an habe ich jeden Abend geweint. Auch in der Schule als ich ihn sah. Mein vater hat mich oft von der Schule abgeholt weil ich heulkrämpfe hatte und es kamen wieder diese Gefühle hoch, die ich mit den Verbitterungsstörungen hatte. Ich wollte nicht, dass diese Phase wiederkommt, also habe ich ihn nach 2 Wochen angeschrieben und ihm erzählt, dass ich an diesem Abend vergewaltigt wurde. Er hat es mir geglaubt und hat auch erst geschockt reagiert, meinte aber dann: Ich interessiere mich garnicht mehr dafür wie du dich fühlst oder wie es dir geht, ich liebe dich nicht mehr.
Er hat mich provoziert wo er nur konnte, so vielen Mädchen geschrieben.
Ich kann nicht in Worte fassen wie kaputt ich bin. Ich habe das auch alles jetzt knapp gehalten, aber bitte ich flehe euch an. Hilft mir. Ich will nicht, dass meine damalige Krankheit wiederkommt. Ich fühle mich nur noch unsicher, kann keinem mehr Vertrauen und bin so vorsichtig. Alles Symptome für Verbitterungsstörungen. Ich will diese Phase nicht noch einmal durchnehmen, lieber Gott mach, dass es alles aufhört.

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Lea,

ich darf dich beglückwünschen zu deinem Mut: Du hast dir deine Geschichte von der Seele geschrieben. Ich glaube, wir dürfen es als Auszeichnung betrachten, dass du uns dieses Vertrauen entgegen bringst. Und ich hoffe, dass ich dieses Vertrauen nicht enttäuschen werde.

Du hast das, was du fühlst, als "Verbitterungsstörung" beschrieben. Es hat zweifellos seinen guten Nutzen, Lea, deinem Leiden einen Namen zu geben - genauer gesagt, es unter eine Diagnose zu fassen -, wenn dir das hilft, deinen Alltag zu bestehen. Andererseits hast du nichts darüber geschrieben, ob du dir diese Diagnose selbst gestellt hast, oder ob deine Therapeutin dir diesen Begriff an die Hand gegeben hat. Daher rate ich zur Vorsicht: Denn wenn du das, was du fühlen und erleben musst (und du hast es dir ja ganz bestimmt nicht ausgesucht!) als "Störung" beschreibst, erweckt das in dir möglicherweise das Gefühl, das mit dir etwas falsch wäre. Du darfst aber nicht vergessen: Dir ist Gewalt angetan worden, und diese Gewalt wurde dir aufgezwungen. Nicht mit dir ist etwas falsch, sondern mit den beiden Jungen - dem einen, der sich selbstsüchtig an dir befriedigt hat, und dem anderen, der dich im Stich gelassen hat, als du ihn am nötigsten brauchtest. Das Problem liegt nicht bei dir als Person - du musst darunter leiden, was andere Personen dir an Problemen geschaffen haben. Wenn dir in deinem Tageslauf ständig die Worte "Verbitterung" und "Störung" vor Augen stehen, dann entsteht in dir vielleicht irgendwann der Wunsch, alles einfach zu vergessen, zu verdrängen, abzuschließen... nur damit diese Begriffe nicht mehr auf dich zutreffen. Aber wenn du das alles einfach in dir wegschließen würdest, Lea, wäre das das Schlimmste, was dir nur passieren kann. Denn dir ist ein ungeheures Unrecht geschehen, und du hast ein Recht darauf, jetzt nicht funktionieren zu müssen, sondern den Schmerz zuzulassen. Nur wenn du das, was du leidest, nicht unterdrückst, sondern es aus dir herausfließen lässt, dich nicht dafür schämst, sondern anklagst - dann hast du eine Chance, irgendwann wieder aus der Dunkelheit aufzutauchen. All dieser Schmerz, diese Trauer und Wut müssen sich Raum schaffen dürfen - sie sind gerecht. Was du erlebt hast, wird dich wahrscheinlich dein Leben lang begleiten. Aber es gibt Möglichkeiten, wie es trotzdem ein glückliches werden kann.

DU bist das Opfer, Lea. Hör auf, dich wegen "Fehlern", die du angeblich gemacht hast, zu bedrücken. Dass es dir schwergefallen ist, nach der Vergewaltigung Liam sofort die Wahrheit zu sagen, ist ganz verständlich: Denn es kann nicht von dir verlangt werden, in diesem Moment völlig beherrscht und selbstbewusst zu sein. Du wolltest es womöglich selbst noch kaum wahrhaben - und warst zudem an Leib und Seele völlig erschöpft. Und noch etwas Anderes kommt hinzu: War es nicht Liam, der dir gesagt hatte, du hättest zu dieser Feier gar nicht gehen müssen, es sei "deine Schuld"? Also ist es deine Schuld, Lea, wenn du keine guten Freundschaften riskieren möchtest, wenn du sie pflegen möchtest - und deshalb auch mal in Kauf nimmst, mit einem Menschen zusammen zu treffen, den du nicht leiden kannst? Mit Sicherheit ist das keine "Schuld", schon gar nicht deine, sondern es ist eine vernünftige, erwachsene Denkweise: Ich kann nicht nur mit meinem Freund Zeit verbringen, ich muss auch mal meine alten Mädels wiedersehen, ich muss unter Leute kommen - und wenn das heißt, dass da eben auch jemand wie Tim ist, gut, solche gibt es immer. Man muss die Freunde der Freunde nicht unbedingt mögen. Sie sind aber noch kein Grund, die Freundschaft auf Eis zu legen. Und das hast du sehr richtig so gesehen, und bist deswegen zu dieser Party gegangen. Trotzdem hast du dich unwohl gefühlt, und wolltest Liam an deiner Seite haben. Du hast ihn gebeten, bei dir zu sein. Aber er wollte nicht. Er hat dir sogar daraus, dass du überhaupt hingegangen bist, einen Vorwurf gemacht: Nach dem Motto "Wenn du dir ein Problem schaffst, will ich damit nichts zu tun haben!" Liam wäre es also offensichtlich lieber, wenn du Freundinnen und Freunde verlierst, statt dass er selbst für seine Freundin etwas Zeit opfert und dich begleitet, damit du dich sicherer fühlst? Lea, das sagt sehr viel über ihn aus. Seine Liebe zu dir war offensichtlich in Selbstgerechtigkeit umgeschlagen - er glaubte, da ihr zusammen seid, müsste er den ersten Platz in deinem Leben einnehmen. Das ist aber nicht richtig. Einen Partner hat man nicht, damit sich das Leben nur noch um den- oder diejenige dreht, sondern damit der Partner einen unterstützt bei allen Dingen, die man nicht so gut machen - auch wenn man sie gerne macht. Und umgekehrt.

Liam hat dich nicht unterstützt, sondern es war ihm egal, dass du dich unwohl gefühlt hast, Angst hattest. Er war sich im Klaren darüber, dass dieser Abend für dich nicht schön war - obwohl er dir sehr wichtig war -, und hat das ignoriert. Was können wir daraus schließen? Wir können daraus schließen, dass Liam im Grunde erwartet hat, dass der Abend vielleicht NOCH schlimmer wird. Nicht, dass er mit der Vergewaltigung hätte rechnen können, das ist klar. Aber er hat dir unmissverständlich klar gemacht, dass für ihn alles Schlechte, was du an diesem Abend empfunden hast, deine Schuld war - und darin schwingt mit, dass du (seiner Meinung nach) auch kein Mitgefühl verdienst. Als du ihm dann, nachdem alles vorbei war, erzählt hast, du seist ihm fremdgegangen: Lea, wenn wir es mal genau betrachten, hast du da doch genau die Darstellung wiederholt, die Liam dir eingeprägt hat - du bist schuld, du hättest es nicht haben müssen, es ist mir egal. Wie gesagt - natürlich hat Liam nicht davon ausgehen können, dass etwas so Entsetzliches geschieht. Trotzdem war er es, der dir eingegeben hat, wie du diesen Abend zu deuten hast: Als etwas, wo DU dich "schuldig" gemacht hast, weswegen all dein Schmerz ihn nichts angeht. Und da du von ihm wusstest, dass er so denkt, Lea, genau deshalb hast du es auch nicht über dich gebracht, ihm die Wahrheit zu berichten. Du hast stattdessen alles so dargestellt, wie es seiner Behauptung entsprochen hat: "Ich habe einen Fehler gemacht, ich habe kein Mitleid verdient." Deine Lüge, dass du ihn betrogen hättest, wiederholt offensichtlich das Muster, das du von ihm bekommen hast: Du hast einen Fehler gemacht, komm damit zurecht. Da du von deinem Freund kein Verständnis erwarten konntest, sondern dich schuldig gefühlt hast, hast du auch nicht um Verständnis gebeten, sondern eine Schuld zugegeben. Auch wenn Liam nicht ahnen konnte, was passieren würde, hat seine Kälte und Verständnislosigkeit den Boden für deine Lüge bereitet - und damit ist er auch indirekt mitverantwortlich für deinen Schmerz, deine Selbstzweifel und das Ende eurer Beziehung. Zwar war er es, der sich getrennt hat, aber er hat zuvor selbst die Saat ausgesät, die dafür gesorgt hat, dass zwischen euch keine Nähe und kein Vertrauen mehr war; und weil das beides nicht mehr da war, warst du überhaupt bereit, ihm die Unwahrheit zu sagen.

Du hast deine Zuschrift in die Kategorie "Liebeskummer" eingeordnet. Das ist vollkommen verständlich, denn du bist verlassen worden und fühlst also großen Liebeskummer. Trotzdem fordere ich dich auf, hier etwas zu hinterfragen: Zwar war es deine Aussage, dass du fremdgegangen wärst, die es ausgelöst hat, dass Liam sich von dir trennte. Doch seine geringschätzige Behandlung, seine Achtlosigkeit gegenüber deinen Wünschen und deinen Ängsten, waren es, die das Umfeld geschaffen haben, indem zu dieser Aussage überhaupt bereit warst. Vielleicht wird ihm selbst das nie klar werden, aber wir müssen trotzdem festhalten, dass diese Beziehung zum Zeitpunkt der Trennung nicht mehr das war, was sie zu ihren glücklichsten Zeiten war: Liam hat dich nicht so behandelt, wie du es verdient hast. Und schlimmer noch, er hat dir erfolgreich eingeredet (oder zumindest stark dazu beigetragen), dass da bei dir eine "Schuld" liegen würde. Das ist nicht wahr. Du bist vergewaltigt und bedroht worden, Lea, etwas, was man niemandem wünscht. Selbst wenn Liam dich nicht mehr liebt - worauf man letztlich nie einen Einfluss hat - würden es doch trotzdem der Respekt und der Anstand gebieten, nicht vor deinen Augen so auffällig mit anderen Mädchen zu flirten, um dich noch zusätzlich zu verletzen. Entweder heißt das nämlich, dass er dich wirklich noch liebt - dann hat er offenbar falsche Vorstellungen davon, was du jetzt brauchst. Nämlich mit Sicherheit nicht, eifersüchtig gemacht zu werden und vermittelt zu kriegen, dass er dich leicht ersetzen könnte, sondern du bräuchtest Trost und Beistand - dein Freund sollte einfach DA sein. Er will nicht? Nun, dann ist es im Wesentlichen egal, ob er Gefühle für dich hat oder nicht, denn was sollst du mit einem Jungen, der dich nicht so behandelt, wie du es brauchst und verdienst? Oder aber, wenn Liam dich nicht mehr liebt: Lea, es sagt auch sehr viel über einen Menschen aus, wie er mit jemandem umgeht, den oder die er einmal geliebt hat. Denn wenn ich bereit bin, eine Person zu demütigen und zu missachten, in die ich einmal verliebt war, dann trample ich damit ja auf meiner eigenen Geschichte herum. Außerdem: Keine Liebe vergeht jemals vollständig. Jede wahre Liebe bleibt ein Teil von dir, formt dich zu einer Person, führt zu dem, was du jetzt bist. Wenn Liam also bereit ist, sich selbst aufzugeben, um dir Schmerz zuzufügen, zeigt uns das, dass er äußerst achtlos ist und in Kauf nimmt (oder sogar will), dass eure gemeinsame Zeit für dich immer in schmerzhafter Erinnerung bleibt. Er behandelt ein Mädchen, die ihm einmal alles bedeutet hat, bewusst schlecht - das sagt am Ende nur etwas über ihn aus. Er beweist - auch wenn dein Herz dir im Moment vielleicht noch etwas Anderes sagt, Lea - dass er nicht der Richtige für dich ist. Es vielleicht nie war - oder wenn, dann für eine gewisse Zeit. Er hat seine Aufgabe erfüllt, jetzt sieht er offenbar seine neue Aufgabe darin, dich zugrunde zu richten. Das darfst du ihm nicht erlauben.

Es wird seine Zeit brauchen, dich langsam wieder ins Leben zurück zu tasten. Und diese Zeit solltest du dir geben. Ich möchte dir an dieser Stelle auch ans Herz legen, noch einmal über einen stationären Aufenthalt nachzudenken. Bis dahin ist vor allem eines wichtig: Halte nicht zurück. Wenn du weinen musst, dann ist das nicht ein Zeichen von Schwäche, sondern ein Zeichen, dass du dich noch nicht aufgegeben hast. Völlig gebrochene Herzen haben keine Gefühle mehr. Wenn etwas aus dir heraus will, dann lass es heraus - und schäm dich nicht dafür, dass es überhaupt da ist. Alles hat seine Zeit - und nun ist die Zeit, um zu trauern, sei es um deine Fröhlichkeit, sei es um Liam. Du hast nur bedingt Einfluss darauf, ob du ihn liebst oder nicht; es ist aber wichtig, dir die Trauer nicht zu verkneifen, damit du irgendwann verärgert sein kannst über das, was er getan hat - und ihn irgendwann, zu einem späteren Zeitpunkt, loslassen. Das Gleiche gilt für Tim und das noch viel Größere, was er dir genommen hat, nämlich deinen leichten Sinn, deinen Schlaf, dein Vertrauen... all diese Dinge sind nicht völlig tot, Lea, aber sie müssen langsam wieder genährt und gepflegt werden. Zieh dich, wenn du es irgendwie kannst, nicht völlig vom Leben zurück, sondern mach kleine Unternehmungen: Bitte eine Freundin, dich auf einem Spaziergang in der Frühlingssonne zu begleiten, oder setz dich in eine Café, das du schon lange kennst, und in dem du dich sicher fühlst, um dich einfach eine Stunde oder zwei zu verweilen. Suche solche Plätze auf, die dir Geborgenheit vermitteln, und wähle Menschen zu deiner Begleitung, die dir wichtig sind und denen du vertraust - deine beste Freundin, dein Vater; vielleicht ist jetzt auch der richtige Zeitpunkt, um mal wieder deine Großeltern zu sehen, oder dir ein neues Haustier zuzulegen, oder ein paar Blumen zu setzen, oder ein Fotoalbum anzulegen... wichtig ist: Bleib in Bewegung, aber mach nicht zu große Schritte! Es ist klar, dass es deine Therapie braucht - und vielleicht auch nicht nur in Form von Gesprächsterminen - um langsam, ganz allmählich wieder in einen üblichen Rhythmus zurück zu finden. Diese Zeit musst du dir geben. Aber du kannst Einiges dazu tun, um es dir nicht schwer zu machen - indem du nämlich weder das Leben meidest, noch von dir erwartest, große und anstrengende Unternehmungen zu tun. Handle so, wie es deinem aktuellen Belastungsgrad entspricht - mute dir nicht zuviel zu -, aber kapsle dich, wenn du es irgendwie schaffst, auch nicht ein. Denn die größte Genugtuung, die du deinem Peiniger geben könntest, wäre, dich völlig gebrochen zu haben, Diesen Gefallen darfst du ihm nicht tun. Das ganze Leben wartet noch auf dich, Lea - und auch die Liebe, da bin ich sicher. Irgendwann wird der Junge vor dir stehen, der dich wie eine Prinzessin behandelt und von dem du nicht fürchten musst, mit einem "das ist dein eigenes Problem, das ist deine Schuld" allein gelassen zu werden, noch dass er deinen Körper missbraucht. Die Liebe ist mehr - und sie ist immer noch da draußen. Sie wartet auf dich. Glaube fest daran - und glaube vor allem immer daran, dass du in dieser Geschichte die Leidtragende bist, dass du überhaupt keine Schuld hast. Denn die hast du nicht, Lea. Und ich hoffe, das konnte ich dir klar machen.

Ich wünsche dir sonnige Tage und alle Zuversicht, die du haben kannst. Daneben wünsche ich dir die richtigen Menschen an deiner Seite, die dir sagen können, was ich nur schreiben konnte: Du bist es wert, ein glückliches Leben zu haben, und du wirst es dir erobern. Wenn es dir hilft, dem Kummerkasten zu schreiben, darfst du das gerne jederzeit wieder tun.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul