Problem von Jessi - 24 Jahre

Feedback an Paul

Lieber Paul,
du hast mir neulich auf mein "Problem" geantwortet. Was du geschrieben hast, habe ich mir in der letzten Zeit oft durch den Kopf gehen lassen und möchte mich von Herzen dafür bedanken. Ich bin überwältigt, wie intensiv du dich mit meinen Gedankengängen auseinandergesetzt hast und wirklich versucht hast, jeden kleinsten Aspekt ins große Ganze einzuordnen und darauf einzugehen. Und ja, du hast absolut recht, dass ich mit "Überforderung" wahrscheinlich ein falsches Wort im Titel gewählt habe. Ich wusste einfach nicht, mit welchem Schlagwort ich all meine Gedanken und Gefühle zusammenfassen sollte. Ich wollte auf keinen Fall, dass es wie eine Klage oder Gejammer rüberkommt, denn, das möchte ich noch mal betonen, ich lebe zur Zeit wirklich ein glückliches Leben, habe einen tollen Job und tolle Leute um mich herum, bin meistens fröhlich und ausgeglichen. Und das weiß ich auch sehr zu schätzen! Aber genau das hatte mich eben irritiert, denn wenn ich um mich herum geschaut habe oder darüber nachgedacht habe, wie ich mir früher das Leben einer 24-Jährigen vorgestellt habe, dachte ich immer, du musst doch jetzt andere Prioritäten, andere Ziele haben. Klar, eigentlich hätte ich mir das selbst auch beantworten können, dass an meinem Leben ja nicht so viel falsch laufen kann, solange ich damit zufrieden bin. Trotzdem hat es sehr gut getan, auch von einer anderen und, wie ich auf der Homepage gelesen habe, auch noch gleichaltrigen Person zu hören, dass man deswegen nicht komisch ist und nicht anfangen muss, an seinem Weg zu zweifeln. Danke für diese Bestärkung, lieber Paul, die du mit deinen sehr einfühlsamen und sorgfältig ausgewählten Worten, Zitaten, Vergleichen,.. rübergebracht hast. Das hat mich Sicherheit sehr viel Arbeit gemacht, deshalb möchte ich dass du weißt, es hat sich gelohnt :)
Liebe Grüße, Jessi

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Jessi,

ich freue mich wirklich sehr über dein Feedback und dein großes Lob! Das nehme ich auf jeden Fall als positive Bestätigung meiner Arbeit mit. Es ist immer wieder schön, zu hören, dass die eigenen Worte einem Menschen helfen, sich selbst mit freundlicheren Augen zu betrachten. Denn das ist das Ziel, das ich mir gesetzt habe.

Deshalb ist mir auch wichtig: Vergiss nicht - auch wenn es immer Menschen gibt, deren Probleme gerade heftiger, krasser, bedrohlicher sind als die eigenen, heißt das noch lange nicht, dass die eigenen Probleme eigentlich keine sind und keine wirkliche Berechtigung haben. Selbstverständlich kann ich immer jemanden finden, der sich dazu eignet, ihn mir als Spiegel vorzuhalten und mir zu sagen "Was jammerst du... stell dir vor, es wäre SO..." Natürlich. Aber was nützt das? Aus kleinen Unsicherheiten können große werden, wenn sie nicht bearbeitet werden, aus kleinen Zweifeln werden mit der Zeit vielleicht Lebenskrisen, wenn sie sich vermehren. Man kann das nie wissen. Dich hat etwas beschäftigt - oder tut es immer noch -, du hast dir einen Rat erbeten, und dabei bist du mit Sicherheit nicht im Mindesten als wehleidig oder undankbar erschienen. Mir jedenfalls kein bisschen. Und ich denke, auch niemandem sonst, der den Kuka mitliest.

Die eigenen Probleme nicht zu ignorieren, für dich zu sorgen, Antworten zu wollen, zeigt gerade, dass du alles tust, was du tun kannst, damit es dir besser geht. Du tust all das, was nicht selbstverständlich ist und dich stolz machen darf. Dann können andere Leute auch tun, was du selbst gerade nicht kannst, um dir zu helfen. Man muss nicht alles allein können. Ein verbreitetet Zug in unserer Zeit ist es, dass alle glauben, sie müssten glücklich sein, und sich vergleichen - im Positiven wie im Negativen -; wenn das Glücklich-sein dann einmal nicht klappt, entsteht Unruhe. Alle suchen nach Wegen zum perfekten Leben, machen sich Druck, und oft genug beschwindelt man sich selbst und andere, um nicht als unfähig dazustehen. Eine Mitstudentin sagte einmal "Ich glaube, alle tun nur so, als ob sie ihr Leben im Griff hätten!" In der Tat - so ist es. Alle wollen Erfüllung, aber wer sie nicht findet, wird geringschätzig angesehen. Deine Geschichte ist also durchaus Ausdruck einer tieferliegenden Unsicherheit in unserer Gesellschaft, und es ist keineswegs ratsam, sie als harmlos zu betrachten. Dass du deinen Gedanken und Sorgen Ausdruck verliehen hast, war insofern eine sehr wichtige und mutige Protesthandlung - und wenn sie dir geholfen hat, umso berechtiger. Es hilft nicht nur dir, sondern es hilft auch uns allen, unsere Alltagswelt mit realistischeren Augen zu sehen, hinter die Fassaden zu blicken und uns zu ermahnen, dass ein oberflächlich "perfektes" Leben noch nichts aussagt. Du bist jetzt an einem Punkt, an dem du Dankbarkeit und Zuversicht fühlst - aber hättest du es gekonnt, wenn du dich nicht ausgesprochen hättest? Und diese Entscheidung hast du allein getroffen. Wenn du nicht offen gewesen wärst, dich selbst im größeren Bild zu sehen, hätte ich sagen können, was ich gewollt hätte... es hätte wenig genutzt. Also beglückwünsche dich selbst: Es ist deine eigene Weisheit, die dir geholfen hat! Und ich hoffe und wünsche dir, dass du dein großes Glück finden wirst, worin immer es besteht.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul