Problem von Sandra - 46 Jahre

Benötige objektive Meinung, Mail 2 (Feedback für Paul)

Hallo Paul,

herzlichen Dank für Deinen ausführlichen Rat vom 12.02.19.
Noch am gleichen Tag habe ich "ihm" einen Brief an seine Firma geschrieben. Diesen Brief habe ich sehr kurz gehalten: Ich schrieb lediglich, wie ich ihn "entdeckte", daß ich ihn gerne näher kennen lernen möchte u. wo ich wohne. Weitere Infos über mich stellte ich ihm in Aussicht, wenn auch er Interesse an einem Kennenlernen hat. Denn ich wollte ihn nicht sofort mit sämtl. Fakten zu meiner Person zumüllen. Zur Kontaktaufnahme gab ich ihm meine Anschrift, meine EMail-Adresse u. meine Handynummer. Des Weiteren fügte ich ein Foto von mir bei.

Da ich immer die Erfahrung machte/mache, daß die meisten Männer Weicheier sind u. keinen/wenig Anstand/Benehmen haben, rechnete ich auch bei ihm von Anfang an nicht mit seiner Antwort. Ich sollte recht behalten, denn bis heute kam keine Reaktion. Mein Bauchgefühl sagt mir, daß das weder an meinem Aussehen liegt noch daran, daß er evtl. liiert ist. Ich denke vielmehr, daß er es "strange" fand, einen solchen Brief zu erhalten u. nicht wußte, ob/wie er darauf reagieren soll. Naja, u. irgendwann war wohl halt zeitmäßig der Zug abgefahren.
Ich denke: Egal, was ihn dazu bewogen hat, ein Kennenlernen mit mir auszuschließen. Mein Mut, ihm diesen Brief zu schreiben u. der normale Anstand hätte es "verlangt", daß er sich wenigstens für den Brief bedankt u. mir sagt, daß er keinen Kontakt wünscht. Aber auch dazu haben die meisten Männer nicht den Arsch in der Hose u. stellen sich einfach tot, weil sie sich vor evtl. Diskussionen scheuen u. denken, daß Frau sie weiterhin kontaktiert, wenn sie erst mal eine Handynummer/Email-Adresse usw. von ihm hat.
Naja, auch wenn ich vom Verstand her weiß, daß ich das negative Verhalten vom sog. starken Geschlecht nicht ändern kann, ärgert es mich maßlos, weil ich selbst ganz anders erzogen bin.

Beste Grüße

PaulG Anwort von PaulG

Liebe Sandra,

zunächst: Ich beglückwünsche Sie zu Ihrem Mut, den Kontakt gesucht zu haben - und es tut mir sehr leid, dass Sie damit nicht erfolgreich waren. In der Tat, Sie haben völlig Recht: Ab einem bestimmten Zeitpunkt hat eine Gelegenheit sich verflüchtigt. Das spüren Sie ja auch bei sich selbst: Sie sind nun nicht mehr bereit, ihm mit derselben Offenheit zu begegnen, eigentlich überhaupt nicht mehr. Dann sollte er es lieber gleich bleiben lassen, selbst wenn er nun auf einmal Interesse bekommen (oder sich entscheiden sollte, einem vorhandenen nachzugehen).

Was der Grund für sein Schweigen ist, werden Sie vermutlich nie wissen; das müssen Sie aber auch nicht, wie Sie richtig sagen. Denn das Wesentliche haben Sie nun erfahren: Er ist nicht willens oder in der Lage, sich erwachsen zu verhalten. Wozu - worin ich Ihnen vollkommen beipflichte - gehört hätte, Ihnen in angemessener Weise sein Desinteresse zu erklären. Dies ist keine Frage von persönlicher Bereitschaft, sondern eine Anstandspflicht - der dieser Mann nicht folgen will. Da das in seinem Alter nun wirklich nicht entschuldbar ist (auch in meinem streng genommen nicht, denn man hat ja eine sogenannte "ordentliche Erziehung" genossen, oder eben nicht), können Sie es mit Recht auf sich beruhen lassen.

Wichtig ist nun, dass Sie sich vor allem auf das konzentrieren, was Ihnen diese Unternehmung - trotz allem verständlichen Frust - eingebracht hat: Erstens, hat sie Ihnen Klarheit eingebracht. Sie können nun mit Sicherheit sagen, dass dieser Mann, aus welchen Gründen auch immer, für ein Kennenlernen nicht zur Verfügung steht. Und dass - selbst wenn das so wäre - sich ein solches vermutlich nicht gelohnt haben würde. Damit ist eine Vorwärtsentwicklung eingetreten, da Sie diese Bekanntschaft jetzt für sich abhaken können, ohne sich in Zukunft fragen zu müssen, ob er womöglich eine Bereicherung - oder vielleicht gar der Mann fürs Leben - gewesen wäre. Wenn Sie jetzt verärgert sind, ist das nur heilsam. Doch zeigen Ihr Ärger und Frust eben auch, wie viel Hoffnung Sie (in Unwissenheit dessen, was kommen würde) in diesen Kontakt gesetzt haben. Zweitens lässt sich also folgern: Diese Geschichte hat gezeigt, dass Ihr Bedürfnis nach einer Bindung dennoch vorhanden ist, und dass es Ihnen zu schaffen macht, dass es nicht erfüllt ist.

Insofern möchte ich sagen, es ist zwar eine gute Sache, dass Sie die Schuld keineswegs bei sich suchen oder in Traurigkeit verfallen. Das wäre unverdient und falsch. Weniger gut ist dagegen, dass Ihr Ärger sich in gewisser Weise auf die männliche Menschheit insgesamt richtet: Denn so gut ich nachvollziehen kann, dass sie Ihrem Ärger Luft machen möchten, besteht doch immer die Möglichkeit, dass Sie in der näheren Zukunft eine Chance verpassen - weil Ihr Misstrauen Ihnen den Blick darauf verstellt. Auch wenn das aufgrund meines jüngeren Alters und meiner entsprechend geringeren Erfahrung vielleicht anmaßend klingen mag, glaube ich doch, mir vorstellen zu können, wie Ihre momentane Gefühlslage aussieht: Da ist nicht allein der Ärger über die Enttäuschung, die Ihnen jetzt bereitet wurde, sondern auch vergangene Enttäuschungen werden lebendig. Sie spüren, dass alte Wunden wieder schmerzen, und dieser Schmerz resultiert in Wut auf das "starke" Geschlecht. Ich will Ihnen all das keineswegs verbieten; es ist sogar fundamental wichtig, das zu durchleben. Aber am Ende würden Sie sich nur selbst schaden, wenn Sie länger als nötig an diesen Gefühlen festhalten würden. Ich möchte Ihnen daher raten, sich auf keinen Fall damit "abzukapseln", sondern weiterhin, wenn das Ihr Wunsch ist, Kontakte zu suchen.

Es ist denkbar (ich kann darüber keine Aussage treffen), dass es in Ihrer Altersgruppe eine Vielzahl von Männern gibt, denen die Beziehung zu einer selbstständigen, selbstbewusst handelnden Frau - wie Sie es sind - suspekt ist. Ich würde nicht sagen, dass jene es "strange" finden - sie wissen oder spüren zumindest, dass das, was Sie darstellen, nicht dem entspricht, worauf sie selbst aus sind: Eine Partnerin, die nicht in dem Maße ihr Recht und ihren Raum einfordert, wie es eine weniger lebenserfahrene oder eigenständige Frau tun würde. Widerspruch und Konfliktbereitschaft sind in jedem Alter schwer auszuhalten - für die Altersgruppe, in der viele vielleicht schon einmal im Leben ein "für immer und ewig" zugesagt haben und damit gescheitert sind, gilt das in verstärktem Maße. Was Sie sich wünschen, Sandra, können Sie nur selbst wissen - aber ein Wesentliches haben Sie genannt: Sie wünschen sich Ehrlichkeit und Offenheit in Bezug auf die eigenen Gefühle, von Anfang an. Ich habe keine Ahnung, wie leicht oder schwer es ist, einen solchen Mann zu treffen, aber ich bin fest davon überzeugt, dass er auf Sie wartet (beziehungsweise: Sie finden wird, was zu wünschen wäre). Verlieren Sie daher wegen dieser Angelegenheit nicht den Mut, sondern fassen Sie sie so auf, wie es für Sie selbst am gesündesten ist: Als Beweis Ihrer Bereitschaft zur Initiative und zum Bestehen auf den Werten und Verhaltensweisen, nach denen Sie selbst leben. Und daher auch als den Beweis, dass Sie jederzeit in der Lage wären, eine Beziehung auf eine gesunde Basis zu stellen, wenn nur der Mann an Ihrer Seite ist, der bereit ist, auch die nötige Kritikfähigkeit und Ehrlichkeit mitzubringen. Sie können eine herrliche Zeit mit jemandem gestalten, der Ihnen persönlich und geistig gewachsen ist - der Mann, der Grund für Ihre erste Zuschrift war, ist das jedoch nicht. Auf eine bestimmte Art hat er Ihnen das signalisiert. Nehmen Sie es als Zeichen von Schwäche, Feigheit oder Bequemlichkeit eines Menschen, von dessen Typ es viele geben mag; aber nehmen Sie es nicht als allgemeinen Standard an, den das ist es sicher nicht. Und davon auszugehen, würde Ihnen unnötige Bitterkeit und Zweifel in Ihren Alltag tragen, unter denen Sie am Ende viel mehr leiden würde, als dieser Mann unter seinem Versagen (wenn es ihn überhaupt beschäftigt). Und das, Sandra, seien wir ehrlich, darf auf keinen Fall die Folge dieser Angelegenheit sein! Denn damit würde die Falsche unter einem Fehlverhalten leiden, für das sie nichts kann: Sie.

Ich wünsche Ihnen - so schwer es im Augenblick fallen mag, was ich vollauf verstehen kann -, dass es Ihnen gelingt, diese Erfahrung in ein Stück Selbstbewusstsein für sich umzumünzen. Und dass Sie weiterhin offenen Herzens für das sein können, was Ihnen in privaten Dingen vorschwebt: Ob Sie nun nach einer Beziehung suchen, nach neuen Freundschaften, ob Sie begehrt werden möchten oder einfach wertgeschätzt - all das ist noch immer möglich. Und ich hoffe, dass es bald in dem Maße in Ihr Leben treten wird, in dem Sie es verdienen: In großem.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul