Problem von Anonym - 17 Jahre

Mutter nur noch agressiv

Liebes Kummerkasten Team,
Ich bin 17 Jahre alt, besuche ein Gymnasium und habe eine Schwester. Vor einem Jahr haben sich meine Eltern geschieden. Schon vor der Scheidung war es so, das meine Mutter immer aggresiv war und mich und meine Schwester dumm nannte,aufs übelste beleidigte oder sogar ab und zu schlug. Ich hatte die große Hoffnung, das nach der Scheidung alles besser werden würde. Meine Mutter musste einen Job als Reinigungskraft annehmen nach der Scheidung, da wir sonst nicht über die Runden kommen würden. Da ich und meine Schwester die 11e klasse besuchen, ist es so das wir öfters bis 15 oder 17 Uhr schule haben. Drei mal die Woche haben wir auch nachhilfe nach der Schule. Nach diesen ganzen Aktivitäten begleiten wir dann noch unsere Mutter zur Arbeit und helfen ihr. Da ist es oft so, das wir erst um 19 Uhr zuhause sind. Dann muss ich noch Hausaufgaben machen und für die schule lernen usw. Also habe ich kaum Freizeit. Meine Noten leiden auch darunter, weil ich mittlerweile einfach viel zu kaputt bin. Wenn ich erst um 19 Uhr zuhause bin fehlt mir oft die Motivation noch was für die schule zu machen. Dann heißt es wieder das ich und unsere Schwester dumm sind, das aus uns nie was werden wird und warum wir nicht so klug wie unser Couseng sind. Sie erlaubt mir auch nicht am Wochende rauszugehen und mit meinen Freunden was zu machen da sie zu faul ist mich zu meinen Freunden zu fahren. (PS: Ich würde es auch alleine schaffen zu meinen Freunden zu kommen z.B mit dem Bus oder einem Fahrrad aber das traut mir meine Mutter nicht zu da ich ja nicht intelligent genug bin :)...). Das hat die folge das ich kaum ein soziales Umfeld habe und fast garkeine Freunde habe. Ich fühle mich mittlerweile nur noch einsam. Da bleibt mit nichts anderes Übrig am Wochen mich hinzulegen und mich auszuruhen. Doch dann heißt es das ich ein faules Stück scheiße bin das nur rumliegt. Wo ich den sinn nicht verstehe da ich nicht raus kann aber dann faul bin wenn ich zuhause bleibe. Mittlerweile hat sie diese Wut anfälle alle 2 Tage schon und macht auch Gegenstände kaputt um sich abzuregen. Sie als Leser würden wahrscheinlich sagen, zieh aus mit 18 aber das könnte ich nicht tun weil meine Mutter sagt das wir sie nie wieder sehen würden wenn wir irgendwann wegziehen würden. Da fühle ich mich auch irgendwie blöd weil ich nicht mit noch 40 jahren mit meiner Mutter Leben will. Was noch zu meinen Depressionen führt ist das ich keine Freundin haben darf. Ich hatte mal vor kurzer Zeit Kontakt zu einem Mädchen aus meiner Klasse. Ich wusste einfach aus dem inneren das sie mich auch mochte. Doch ich konnte ihr einfach nicht anbieten ob sie mal was Unternehmen will da ich erstens wie schon gesagt nicht raus darf und zweitens meine mutter sogar durchdreht wenn mich ein Mädchen anschaut. Das führte dazu das sie irgendwann den Kontakt abbrach was ich auch verstehen kann weil ich mich auch verarscht fühlen würde. Meinen Vater kann ich auch nicht um Hilfe bitten. Nach der Scheidung setzte er sich in den kopf nach Schottland zu ziehen zu seinen Verwandten und dort zu bleiben.Meine Eltern haben einen gemeinsamen freund durch den meine Mutter erfahren hat das mein Vater gesagt hat das nachdem er weg ist er den Kontakt abbrechen wird und uns kein Geld mehr geben wird. Dadurch muss ich mir jetzt jeden Tag sachen über meinen Vater anhören was mir langsam reicht. Sie hat sich geschieden doch kann nicht aufhören über ihn zu reden. Manchmal zwingt sie mich ihn anzurufen und ihm dann zu sagen was sie zu essen gemacht hat. Wenn ich mich dann weigere redet sie dann Tagelang nicht mit mir weil ich ja der Schuldige bin. Sie anschreien möchte ich auch nicht da ich dann wieder der böse bin. Meine Schwester kann mir auch nicht helfen da sie das selbe durchmacht. Durch die nicht vorhandenen Freunde habe ich auch niemanden zum reden. Mittlerweile bin ich einfach nur noch depressiv und fühle mich wie eine leere Hülle. Ab und zu kommt mir sogar der Suizid in den Kopf was ich nicht tun würde, doch was trozdem beängstigend ist da ich es im Kopf habe. Mit ihr sprechen kann ich auch nicht da sie dann wieder durchdreht. Mittlerweile bin ich einfach nur noch still und lasse es mir gefallen obwohl ich es nicht so will.
Natürlich liebe ich meine Mutter doch ich will und kann das einfach nicht mehr. Es ist eine zu große Belastung wenn man so oft angeschrien wird. Verwandte habe ich auch nicht an die ich mich wenden kann. Liebes Kummerkasten team ich hoffe wirklich sehr das sie mir helfen können da ich echt nicht mehr weiter weiß.

Mfg

Nuala Anwort von Nuala

Lieber Unbekannter,

ich bin froh, dass du uns Bescheid gegeben hast, denn deine Beschreibung klingt sehr besorgniserregend.
Ich habe auch eine Weile hin - und herüberlegt, was hier helfen könnte. Du hast auf den ersten Blick tatsächlich eine verfahrene Situation. Allerdings nicht auf den zweiten Blick, und das möchte ich dir gerne darlegen.

Naheliegend wäre es auf jeden Fall, dass du dich an das zuständige Jugendamt wenden würdest, denn Gründe gibt es hierfür genug: Eine völlig überforderte Mutter, die eventuell psychisch krank ist, verbale und körperliche Gewalt, Ausbeutung und Ermüdung bzw. Vernachlässigung. Und die Missachtung eurer Bedürfnisse nach sozialen Kontakten, Freiraum, Erholung und respektvolle Behandlung. Du könntest die Aufzählung sicherlich noch fortsetzen. -
Auch eine Beratungsstelle für Familien bzw. Kinder und Jugendliche kann dir helfen.
Du könntest dies, genauso wie die Kontaktierung des Jugendamtes, gemeinsam mit deiner Schwester angehen. Denn da könnte überlegt werden, inwiefern eure Familie alltägliche Unterstützung durch eine:n Sozialarbeiter:in bzw. Alltagshelfer:in bekommen könntet.
Und: Auch die Polizei ist eine Anlaufstelle, denn sie macht sich strafbar, wenn sie euch schlägt!
Je mehr Menschen von eurer Notlage Wind bekommen, desto eher kann euch geholfen werden!

Wegen deines psychischen Zustandes solltest du dich an deine:n Hausärzt:in wenden, um abzuklären, ob du eine psychotherapeutische Unterstützung bekommen kannst. Bitte nimm diese Chance wahr!

Neben diesen allgemeinen Tipps möchte ich dir aber noch auf etwas ganz Anderes hinaus.
Und zwar finde ich es einerseits toll, dass du noch die Liebe und Loyalität zu deiner Mutter spürst. Doch gleichzeitig lässt du viel zu viel mit dir machen. Du bist nicht ihr Besitz, sie hat kein Recht derart mit dir umzugehen! Ein erwachsener Mensch, der Kinder in die Welt gesetzt hat, muss in der Lage sein, trotz Widrigkeiten und persönlichen Konflikten angemessen für seine Kinder da zu sein und sie nicht als Sündenböcke zu missbrauchen.
Sie bräuchte wirklich Hilfe und hat natürlich wie jeder andere Mensch ihre guten Seiten. Doch solange du weiterhin deinen Kopf hinhältst, wird sich nichts für dich ändern.
Du fragst dich jetzt vielleicht, wie ich das meine. Nun, ich habe den Eindruck, dass du dich nie richtig zur Wehr gesetzt hast, was im Endeffekt nichts Anderes bedeutet, als die eigenen Grenzen zu verteidigen.
Ich gebe dir Beispiele: Wenn sie will, dass ihr noch mit zum Putzen kommt, sagst du NEIN. Wenn sie dich nirgendwo hinfahren will und du nicht rausdarfst, gehst du einfach raus. Wenn sie dir Vorschriften machen will, sperrst du dich in deinem Zimmer ein und sagst NEIN, lass mich in Ruhe! Verstehst du, was ich meine? Deine Mutter ist völlig aus der Balance geraten, darin besteht kein Zweifel. Doch du musst nicht der Leidtragende sein. Du hast Persönlichkeits - und Menschenrechte. Schon immer gehabt. Besinne dich darauf, dass du ein Recht auf Unversehrtheit, Entfaltung und Ruhe hast. Dass du deine Freund:innen treffen können musst. Dass du verschiedene Freizeitaktivitäten wahrnehmen können musst.

Es ist vermutlich sehr schwer, jetzt deine Grenzen hochzuziehen, weil du dir ein nachgiebiges Verhalten angewöhnt hast und wahrscheinlich auch nicht der Typ für Rebellion bist. Das ist auch okay, man muss ja nicht völlig auf die Barrikaden gehen, wenn Probleme auch ganz friedlich gelöst werden kann. Nur ist eure familiäre Lage derart aus dem Ruder gelaufen, dass du mit einfachen Konfliktlösestrategien nicht weiterkommen würdest. Deswegen musst du dir einerseits die Hilfe von außen suchen und gleichzeitig dein NEIN üben. Fange damit an, was dir am meisten gegen den Strich geht bzw. wo dir der Widerstand am leichtesten fällt. Mache dir immer wieder bewusst: Du machst das nicht, um deine Mutter zu ärgern und Unfrieden zu stiften, sondern weil es dir schon richtig schlecht geht! Spüre die Wut in dir, die bestimmt vorhanden ist! Nutze sie als Energie!

Auch die emotionale Erpressung gegen dein Argument, mit 18 auszuziehen, kannst du ab sofort mit einem vehementen NEIN vor dir selbst ausradieren. Sie will euch gefügig halten und spielt mit euren kindlichen Gefühlen und Bedürfnissen. Das ist wirklich traurig. Mach das bitte nicht mit! Ich bin mir sicher, dass ihr schnellstmöglich da raus müsstet, also wäre das ebenfalls ein Thema für Jugendamt bzw. Beratungsstelle. Und sieh es mal so: Wenn sich etwas in eurem System verändert, beispielsweise durch euren Auszug, kann sich langfristig auch deine Mutter ändern. Indem sie merkt, dass sie selbst endlich Hilfe in Anspruch nehmen sollte. Und so weiter. Unterschätze nicht, was solche Veränderungen bewirken können!
Übrigens kannst du auch vor deinem 18. Geburtstag ausziehen.

Neben den professionellen Anlaufstellen und dem Nein-Sagen kann ich dir noch raten, deinem Vater sehr ehrlich zu berichten, was genau bei euch abläuft. Und lass dich keinesfalls zu Telefonaten von deiner Mutter zwingen!
Wie wäre es, wenn deine Schwester und du zu ihm ziehen würdet?

Dann sehe ich noch deine verbleibenden Sozialkontakte als Chance. Gehe so viel wie möglich zu deinen Freund:innen und bleibe dort einfach auch mal über Nacht. Ja, tu das! Du wirst sehen, dass deine Mutter zwar sehr wütend werden wird, aber genau das kannst du letztlich gegen sie verwenden! Der Trick ist, dass dann möglichst viele Außenstehende erleben, was sie mit ihrem Verhalten bei dir anrichtet und wie sie ausrastet. So hast du gleich Zeug:innen gefunden! Außerdem kann es sehr gut sein, dass dann ihre eigentliche Hilflosigkeit rauskommt und ihr anfänglicher Zorn ins Leere läuft. Was für sie wiederum eine interessante und lehrreiche Erfahrung sein kann, dass du ihr etwas entgegenzusetzen hast und ihr damit die rote Karte zeigst.

Außerdem empfehle ich dir, täglich aufzuschreiben, was passiert. Also Protokoll zu führen über ihre Aggressionen, wann, wie, was. Mit Uhrzeit und am besten Wortwahl. Das ist z.B. für die Polizei und das Jugendamt interessant.

Sollte es ganz schlimm werden, würde ich an deiner Stelle bei einem Freund untertauchen. Lass dich notfalls zur Polizei bringen, wenn du dann große Angst davor hast, wieder nach Hause zu gehen.
Und wenn sie akut ausrastet, renn raus! Schreie notfalls, was sie macht. So werden Leute aufmerksam.

Falls wieder solche Situationen eintreten, dass du in deinem Zimmer "gefangen" bist, kannst du zumindest via Internet Kontakte knüpfen und dich z.B. in einem Forum mit anderen Jugendlichen austauschen. Natürlich kannst du auch uns jederzeit wieder schreiben, ich helfe dir gerne!

Und nun drücke ich dir die Daumen, dass du bald eine Veränderung zum Positiven erleben darfst.

Alles Gute und halte die Ohren steif!
Nuala