Problem von Jana - 16 Jahre

Ich wünsche mir Krebs

Hallo liebes Kummerkastenteam. Seitdem ich ca 9 Jahre alt bin verspühre ich den Wunsch nach einer schweren Krankheit, wie zB Krebs oder Mukoviszidose.
Oft wenn ich alleine bin spiele ich dann Storys nach in denen ich dann schwer krank bin oder ein Opfer von Gewalt bin/war. Diese Geschichten entstehen dann oft aus Videos/Filme die ich schaue und können sich dann auch über mehrere Wochen weiterentwickelt.
Ich weiß dass ich mir diese Geschichten ausdenke, da ich mir wünsche durch eine Krankheit oder sonstiges Aufmerksamkeit zu bekommen und durch eben diese etwas besondered zu sein. Ich wurde auch vor einer Weile mit Depression etc diagnostiziert und war deswegegen schon in einer Gruppentherapie, die aber schon lange her war. Es läuft und lief also schon immer viel falsch in meinem Leben.
Mein größtes Problem ist dass ich es hasse diese Geschichten nachzuspielen, da es sehr respektlos anderen gegenüber ist, die tatsächlich an diesen Krankheiten leiden. Auch ist es so dass ich nach der Diagnose mehr Aufmerksamkeit von meiner Mutter bekommen habe, diese allerdings jetzt behauptet dass ich sie zu sehr beanspruche und mich zu abhängig von ihr mache - was auch stimmt. Und doch sind die Geschichten trotz der Aufmerksamkeit nicht weggegangen weshalb ich mich noch immer schlecht fühle. Ein weiterer wichtiger Punkt ist dass ich leichte oder auch mittlere Verletzungen (wie zB meine Knie-OP die ich hatte) nicht allzu ernst nehme und immer stark bleibe ohne rumzujammern. Ganz nach dem Motto " Wenn ich schon krank bin dann bitte schwer und tödlich" - obwohl ich am Anfang keine suizidalen Gedanken bei meinem ungewöhnlichen Wunsch hatte.
Ich habe zB mich immer an den Oberschenkeln geritzt damit bloß keiner sieht wie schwach ich eigentlich bin. Also liebes Kummerkasten Team, was kann ich tun, um damit aufzuhören abends in meinem Bett einen Anfall nachspielen zu müssen, um irgendwie glücklich zu sein?
Mfg Jana.

Nuala Anwort von Nuala

Liebe Jana!

Es ist sehr gut, dass du genau benennen kannst, was Ursache und Wirkung sind - denn so kannst du dir nicht nur selbst helfen, sondern auch dies direkt bei den Fachleuten benennen: "Ich sehne mich nach Aufmerksamkeit und tue deswegen X oder Y." ---> Bitte gehe zu deinem Hausarzt bzw. deiner Hausärztin und berichte ihr davon. Dann solltest du an Spezialist:innen weiterüberwiesen werden! Besonders weil du schon einmal professionelle Unterstützung hattest, kannst du hier gut anknüpfen.
Du hast bestimmt schon vom Münchhausen-Syndrom gelesen. Eventuell tendierst du in diese Richtung. Das kann allerdings nur mit einer speziellen ärztlichen Diagnostik herausgefunden werden - umso wichtiger ist es, dass du sofort aktiv wirst! Am besten weihst du auch deine Eltern mit ein. Das kann dir nicht nur aus medizinischer Sicht helfen, sondern auch seelisch, weil du dann dieses böse Geheimnis abstreifen kannst. Solche Geheimnisse beeinträchtigen nämlich zusätzlich, weil man sie immer für sich behält und das sehr anstrengend ist.

Neben dem Gang zur Praxis oder direkt in die Klinik kannst du sehr viel für dich tun. Denn: Du sehnst dich nach Aufmerksamkeit aus deiner Umwelt. Der Clou ist allerdings, dass du dann offenbar einen großen Mangel hast, dir selbst Aufmerksamkeit zu schenken. Hier musst du ansetzen. Einerseits kannst du es in kleinen Schritten in einer Psychotherapie lernen. Und der zweite Weg ist, dass du dir fest vornimmst: Anstatt mich mit Krankheiten auseinanderzusetzen, setze ich mich mit MIR auseinander! Beginne, die Krankheiten und Gebrechen als das zu sehen, was sie sind. Und nicht als Mittel zum Zweck. Und dann:
- Wie fühlst du dich? Beobachte dich täglich, schreibe dir viel auf. Wie geht es dir situativ, zu bestimmten Anlässen, in der Schule, mit deiner Familie?
- Was war toll an meinem Tag, was war okay und was hat mich mitgenommen? Und warum?
--> Schreibe dir vor allem alles Positive sehr genau auf und erfreue dich daran! Das Negative darf zwar auch gesehen werden, sollte aber weniger Raum bekommen und eher dazu dienen, daraus zu lernen (wie kann ich es das nächste Mal anders machen, wie kann dich in Zukunft damit umgehen?)
- Was macht meine Persönlichkeit aus? --> Lerne dich neu kennen bzw. entdecke dich gezielt!
- Welche Begabungen habe ich und welche Talente (also was kann ich schon ziemlich gut, z.B. durch Training? Was kann ich von Haus aus gut und könnte es noch vertiefen?)
- Wer ist mir charakterlich ähnlich in meinem Umfeld? Wer ist mir sympathisch? Wen würde ich gerne näher kennenlernen?
- Welche Dinge interessieren mich und würde ich gerne bald ausprobieren?
uvm.

Dann ist da noch der Punkt, dass du lernen solltest, deine Nähe - und Aufmerksamkeitswünsche genau zu erkennen (Was genau brauche ich gerade?) und dies dann entsprechend zu formulieren. Beispiele: Wenn du merkst, dass du gerne mit einer Klassenkameradin zu zweit etwas Zeit verbringen möchtest, dann sage ihr das. Wenn ihr sowieso schon eine gute Basis habt, wird sie sich bestimmt darüber freuen!
Oder: Wenn du gerne mit deiner Mutter oder deinem Vater reden willst, aber beide abwesend wirken, bitte um ihre Aufmerksamkeit: "Ich würde gerne mit dir eine Runde spazierengehen und mich mit dir unterhalten.", "Komm, wir spielen ein Spiel zusammen und quatschen ein bisschen." "Ich freue mich, wenn du mit mir zusammen in der Küche sitzt."... usw.

Du kannst z.B. folgende schützende Sätze zu dir sagen:
"Ich gebe mir selbst Liebe und Fürsorge."
"Ich bin aufmerksam zu mir und respektiere meine Person."
"Ich gehe zu Anderen und sage ihnen, wenn ich ihre Aufmerksamkeit haben möchte."

Lobe dich ausführlich, wenn du dir selbst viel Aufmerksamkeit geschenkt hast und dich auf gesunde Weise mit anderen Menschen verständigt hast. So kann die Betonung von Krankheit und Gebrechen mehr und mehr in den Hintergrund rücken.

Zum Thema Selbstverletzung empfehle ich dir unsere Soforthilfe: https://mein-kummerkasten.de/Soforthilfe/30/Ich-ritze-mich-was-kann-ich-tun.html

All dies und noch viel mehr kannst du dann ärztlich-therapeutisch vertiefen und umfassend in deinen Alltag integrieren. Ich bitte dich sehr darum, dies bald zu tun. Übrigens kannst du auch zu einer Heilpraktikerin/Heilpraktiker für Psychotherapie gehen, es muss nicht die klassische Psychotherapie für Kinder und Jugendliche sein.

Ich wünsche dir alles Gute - und bitte melde dich wieder, wenn du Bedarf hast!

Alles Liebe!
Nuala