Problem von Anonym - 16 Jahre

Immer allein...

Hallo liebes Kummerkastenteam! Vor einem Monat war meine Welt eigentlich noch ganz okay. Meine beste Freundin und ich haben letzten Sommer unseren Abschluss gemacht und hatten vor einem Monat unseren ersten Schultag auf der weiterführenden Schule. Wir gehen sogar in dieselbe Klasse und was soll ich sagen? Mein Schulstart hätte schlimmer nicht sein können. Wir beide haben uns am 2. Schultag gestritten, sie hat die Freundschaft beendet und wir wechseln kein Wort mehr miteinander. Das kam alles so plötzlich, ich hätte das niemals gedacht. Gerade weil sie mir näher stand als jeder andere in meinem Leben und wir uns schon seit Jahren kannten. Ich meine auch wirklich kannten, wir hatten so viele Zukunftspläne, wollten in eine Wg ziehen, zusammen Urlaub machen. Das Schlimme ist sie dann noch täglich in der Schule zu sehen... in der Klasse sitze ich meistens mit einer bestimmten Gruppe zusammen mit denen ich auch was in der Pause mache, aber es ist nicht so als wären das "Freunde". Wahrscheinlich sind sie nur zu höflich, um mich abzuweisen. Es fühlt sich zumindest so an. Wenn ich dann versuche mich an den Gesprächen zu beteiligen, antwortet mir oft keiner oder ... ich weiß nicht wie ich das beschreiben soll. Sie reden einfach wie alte Freunde miteinander und zu mir ist man immer nur "nett". Ich fühle mich einfach so fehl am Platz, so überflüssig. Wie der letzte Volltrottel laufe ich irgendwem hinterher nur weil ich Angst habe allein zu sein. Dennoch habe ich mich irgendwann angefangen zu fragen, ob es nicht leichter wäre einfach allein zu sein, als bei Menschen, wo ich mich auch nicht wohlfühle, aber gar keine Menschen um mich herum fände ich glaube ich noch schlimmer. Ich will es zumindest nicht drauf anlegen, denn auf meiner alten Schule habe ich auch schon den Fehler gemacht mich in der Klasse zu isolieren, wurde aber netterweise aufgenommen. Ich weiß, dass es total falsch ist davon auszugehen, dass mich hier wieder jemand aufnimmt. Jeder Tag in der Schule ist für mich wie ein Kampf. Ich muss kämpfen um überhaupt von jemandem wahrgenommen zu werden, nur für einen kurzen Augenblick, bis jeder wieder zu seinen Freunden geht, wo ich nirgendwo dazu gehöre. Es gibt einfach niemanden der so tickt wie ich, im entferntesten Sinne dieselben Interessen teilt wie ich... nichts. Ich habe einfach wahnsinnige Angst, dass ich nie Freunde finden werde. Ich meine, ich würde auch gern mit Freunden abhängen, Dinge unternehmen oder auf Partys gehen so wie viele in meinem Alter, nur gibt es niemanden der das auch mit mir machen will. Ich fühle mich einfach so ungeliebt, unbeachtet, ungewollt. Ich habe teilweise mit meiner Mutter darüber geredet, aber es ist nicht so als würde ich mich wahnsinnig gut mit ihr verstehen. Oder als würde sie mich wahnsinnig gut verstehen. Sie findet ich soll einfach unter die Leute FERTIG! Dass ich teilweise Ängste habe oder sonstiges versteht sie nicht, weil sie das nie hatte. Meine Mutter ist sowieso keine "gute" Bezugsperson, weil sie auch ein Grund für diese Ängste ist, die ich habe. Vor ein paar Jahren musste ich mit ihr in die Psychotherapie, weil wir unsere Probleme nicht mehr in den Griff bekamen. Die bestanden zum Beispiel daraus, dass sie nicht damit klar kam, dass ich lesbisch bin. Ich fühle mich selbst in meiner Familie nicht wohl, denn ich bin anders. Egal wo ich bin, ich bin anders und ich fühle mich als wäre jeder um mich herum gleich. Als schwimmen alle im Strom und ich dagegen. Ich sonder mich sowieso von "der Norm" ab, da ich Veganerin bin in einer Familie voller "Fleischessern". Die Einzige, die sich weigert in die Kirche zu gehen, weil ich an keinen Gott glaube oder wie schon oben erwähnt der Fakt, dass ich lesbisch bin. Vermutlich denken meine Eltern noch ich mache das alles weil ich besonders sein will oder was auch immer. Darum geht es hier aber nicht. Ich fühle mich einfach so einsam. Es saugt mich förmlich aus in die Schule zu gehen und zu versuchen nicht von der Gruppe ausgeschlossen zu werden, zu reden und sich im Unterricht zu melden, damit man mich mal hört. Ich fühle mich dabei nicht wirklich wohl, es zu unterlassen wäre aber noch schlimmer. Es ist als hätte ich die Auswahl zwischen Krebs und Ebola. Ich habe auch schon darüber nachgedacht das Abi einfach zu schmeißen, weil mir das zu viel wird. Dennoch ist da die Hoffnung dass ich vielleicht nächstes Jahr, wenn es nur noch Kurse gibt und somit keine Klassengemeinschaft, Freunde finde. Ich habe auch teilweise darüber nachgedacht zu meiner Oma in die Schweiz zu ziehen um dort an einer anderen Schule mein Abitur zu machen, aber das wäre eine wahnsinnig große Umstellung. Vor allem wegen dem unterschiedlichem Schulsystem und dem Stoff wäre es fragwürdig. Aber ich sehe momentan darin die einzige Möglichkeit glücklich zu sein. Ein Neuanfang, neue Menschen, neue Umgebung. Es ist alles einfach nur kompliziert. Ich hoffe, dass du mir einen guten Ratschlag geben kannst. Danke für's Durchlesen.

Nuala Anwort von Nuala

Liebe Unbekannte!

Das liest sich nach einer schmerzhaften Erfahrung bei dir, was mir sehr leid tut. Es scheint bei dir ja viel zusammenzukommen!
Eines will ich gleich vorwegnehmen: Du bist nicht immer allein. Du hast ja dich! Welch fabelhafter Mensch du bist, lohnt sich zu entdecken. Entdecke dich in deiner ganzen Pracht. Dazu schreibe ich dir unten noch mehr.

Rund um deine beste Freundin: Ich kann dir berichten, dass ich mich mit einer engen Freundin vor einigen Wochen auch gezofft hatte und wir jetzt ziemlich lange daran gearbeitet haben, den gesamten Konflikt aus der Welt zu schaffen. Wir haben viel nachgedacht - jede für sich - unsere Ansichten geteilt und Dinge richtig gestellt, bei denen wir das Gefühl hatten, dass sie von der Anderen missverstanden worden waren. Und jetzt sind wir noch enger zusammengerückt, weil wir uns gegenseitig unsere Wichtigkeit versichert und den hohen Stellenwert unserer Freund:innenschaft betont haben. Damit möchte ich dir Mut machen, dass noch nicht Hopfen und Malz verloren sein muss. Es ist vielmehr so, dass eine wirkliche Freund:innenschaft Streit aushalten muss - denn wenn man sich so nahe ist und viel Schönes miteinander verlebt hat, wirft man das ja nicht einfach mal so weg wie Müll!
Ich finde, du solltest ihr zeigen, wie traurig du dich fühlst und wie sehr du den Streit bereinigen möchtest. Weil sie dir so viel bedeutet und du willst, dass ihr wieder so viel zusammen unternehmen könnt. Manchmal muss man Menschen daran erinnern, was wirklich zählt. Und dass es albern ist, dauerhaft zu schmollen und jemanden so abzuschreiben. Also: Trau dich, zeig deinen Wert als Freundin und engagiere dich für euch. Sei die Erste, die den Schritt zur Versöhnung geht.

Alleinsein ist nicht zu verwechseln mit Einsamsein. Man kann alleine sein und damit total im Wohlfühlbereich. Besonders introvertierte Personen brauchen viel Zeit für sich, um sich zu regenerieren. Und nur weil man z.B. in der Schule eher alleine ist, bedeutet das nicht, überhaupt keine Kumpels zu haben - es gibt schließlich auch ein Leben außerhalb der Schule. Sicher: Am angenehmsten ist es, wenn man jeden Tag in der Schule mit feinen Leuten zusammen ist, mit denen es unterhaltsam und unterstützend ist. Doch die Realität ist eine andere - eine Schulklasse ist nichts anderes als eine zusammengewürfelte Gruppe, genauso wie die komplette Schule. Es ist nur logisch, dass man nicht automatisch die Leute findet, die absolut auf der gleichen Wellenlänge schwimmen. Oder es dauert eine ganze Weile, manchmal sogar Jahre. Ich glaube, sehr viele tun so, als hätten sie (viele) Freund:innen. Einfach nur, um nicht so zu wirken, als seien sie eigentlich ziemlich allein. Aber das Alleinsein ist an sich eben nicht das Problem, sondern der Umgang damit. Wenn alle sich trauen würden, einmal zuzugeben: "Ich fühle mich hier allein, nimmst du mich mit?", dann würden sicherlich einige Hürden fallen.

Es ist auf jeden Fall eine Herausforderung, in vielen Hinsichten eine Art "Sonderrolle" einzunehmen. Meine Tipps hierzu lauten, sich konsequent mit Gleichgesinnten zu umgeben. Diese kannst du finden, wenn auch nicht immer auf den ersten Blick. Vielleicht kannst du mal verstärkt probieren, mehr auf Gemeinsamkeiten mit Mitschüler:innen zu achten, anstatt die Unterschiede zu sehr hervorzuheben. Du kannst dann nämlich viel eher die Erfahrung machen, dass du gar nicht soo anders bist, nur eben in bestimmten Merkmalen abweichst. Was aber zu einem guten Gespräch, einer gemeinsamen Freizeitbeschäftigung und einem netten Miteinander nicht im Widerspruch stehen muss! Es ist vielmehr so, dass du dich unfreiwillig selbst heftiger isolierst, wenn du dir quasi einredest, überall eine Außenseiterin zu sein. Dann wirst du es nämlich auch, weil du dieses Grundgefühl so sehr nach außen gibst. Und dann bleibt deinem Umfeld auch wenig übrig, als dich auch so zu behandeln. Wenn du stattdessen aber auf das Verbindende achtest und danach strebst, harmonische Kontakte zu pflegen, wirst du viele positive Erfahrungen machen können. Denn wir Menschen sind uns in unseren Kerneigenschaften ziemlich ähnlich. Wir wollen z.B. alle geliebt werden und selbst lieben. Wir wollen Schutz, Geborgenheit, Verständnis. Dies kann sich unterschiedlich äußern, doch auch wenn es dann oberflächlich betrachtet sehr auseinander zu gehen scheint, kann es durchaus Anknüpfungspunkte geben.
Natürlich musst du dich weder diskriminieren lassen, noch dir von außen eine Rolle überstülpen lassen. Du kannst hier auf freundliche Weise NEIN sagen, wenn du dich ungerecht behandelt fühlst. Du kannst auch aufklären und Leuten etwas erzählen, z.B. über bestimmte Interessen von dir. Vielleicht stößt du damit ja auf Gegeninteresse! Probier da einfach mal verschiedene Sachen aus - das ist sehr viel erfreuender, als sich mürrisch zurückzuziehen und zu glauben, man sei für immer als schwarzes Schaf am Rande der Gesellschaft.
Das Besondere wohnt in jeder Person. Vergiss nicht, dass viele Menschen sich schlichtweg nicht trauen, alle ihre Facetten nach außen zu tragen. Viele schwimmen lieber mit dem Strom, weil sie nicht die Kraft haben, anders zu sein oder ängstlich sind. Manche finden es auch bequemer oder haben einzelne Eigenschaften an sich noch gar nicht entdeckt. Hier ist Nachsicht gefragt. Es tut gut, anderen zu verzeihen. Es nimmt auch die Bürde, sich immer schuldig, doof und unbequem fühlen zu müssen.
Du kannst ein Vorbild sein, indem du deine wunderbare Individualität absolut selbstverständlich auslebst und gleichzeitig mit deiner Umwelt in Harmonie bist. Das ist kein Widerspruch! Du kannst dich zeigen, wie du bist - und damit andere Jugendliche inspirieren. Du kannst dich mit ganz unterschiedlichen Leuten anfreunden und aus verschiedenen Begegnungen Kraft und Ideen schöpfen. Du kannst auch eher für dich sein und viel beobachten, aber dabei nicht mit Groll auf das Treiben schauen, sondern mit Liebe und Toleranz.
Es ist traurig, wenn man von der eigenen Familie wenig Verständnis, Rücksichtnahme und Zuwendung erfährt. Die Möglichkeiten erschöpfen sich dann doch schneller, als wenn man selbstgewählte soziale Kreise um sich hat. Nichtsdestotrotz kannst du auch hier als Vorbild fungieren und all dies aussenden. Versuche, Widerstände aufzugeben, offene Diskussionen zu führen, die Blickwinkel der Anderen nachvollziehen zu lernen. Dann erkennst du möglicherweise, warum manche Familienmitglieder sehr begrenzt über Ernährung, Weltgeschehen und sexuelle Orientierung denken. Sie haben ihre Gründe, auch wenn sie dir fremd sind. Je mehr du dich dafür öffnest, dass du vollkommen in Ordnung bist UND es Leute gibt, die anders sein wollen als du es bist, desto mehr innere Zufriedenheit wirst du fühlen können.

Was das Ausleben deiner Persönlichkeit angeht, steht dir im Prinzip die ganze Welt offen. Schaue auf das, was dich so richtig begeistert und sorge dafür, dass du davon möglichst viel in deinen Alltag bekommst :)

Wie wäre es denn, wenn du dich mit anderen lesbischen Jugendlichen vernetzen würdest? Dafür kannst du z.B. diese Plattform nutzen: https://gorizi.de/

Ich möchte dir mit meinen Ausführungen verdeutlichen, dass du keinen Anlass hast, dich und deine sozialen Kontakte aufzugeben. Du hast so viele Gelegenheiten, jeden deiner Lebenstage in vollen Zügen zu genießen. Du kannst auf deine beste Freundin zugehen und ihr deine Liebe zeigen. Du kannst neue Menschen in dein Leben integrieren, welche zu dir passen und dich so annehmen, wie du bist. Du kannst auch das Alleinsein genießen, indem du dann ganz bewusst entspannst, das Geschehen um dich herum beobachtest, deinen Gedanken und Gefühlen nachhängst und dich z.B. in der Natur regenerierst und beflügeln lässt. Und du kannst alleine Sachen unternehmen, die zu deinen speziellen Interessen zählen. Weil nur die wenigsten Leute so gut passende Freund:innen haben, die so gut wie jedes Hobby und jede Passion teilen. Realistisch und praktisch ist es, einen goldenen Mittelweg zu finden: Mit sich selbst eine grandiose Zeit zu verleben, um dann wieder voller Vorfreude in eine Gruppe zu gehen oder sich mit ausgewählten einzelnen Personen zu verabreden.

Wir hatten ähnliche Zuschriften schon sehr oft in der Vergangenheit, weswegen ich dich auch bitte, dir die folgenden in Ruhe durchzulesen:
- https://mein-kummerkasten.de/332048/Ich-fuehle-mich-unwohl-in-der-Schule-wegen-meiner-Freunde.html
- https://mein-kummerkasten.de/332089/Streit.html
- https://mein-kummerkasten.de/331592/Werde-ich-von-meiner-besten-Freundin-ersetzt.html
- https://mein-kummerkasten.de/332140/Kaum-Freunde-und-Hobbys.html
- https://mein-kummerkasten.de/142295/Ich-bin-nicht-selbstbewusst.html

Ich wünsche dir alles Liebe!
Nuala