Problem von Lotta - 30 Jahre

Hilfe zur Bewältigung von Trauer und Depression - Meine Taktik

Hallo liebes Ku-Ka-Team,

vor einigen Monaten wandte ich mich mit einem Problem an Euch, das ich nicht verstand und für welches ich keine Patentlösung fand. Eure Antwort hatte mir sehr geholfen. Ich habe sie mir in meinem Computer abgespeichert und las sie oft.
Jetzt möchte ich auch gern helfen und erzählen, wie es für mich war und ist, aus diesem tiefem Loch der Trauer und der Depression hinaus zu klettern. Als empathische Person war der Verlust von Gefühlen und diese Taubheit dabei mit großer Verwirrung für mich verbunden. Darum war es mir erst nach einiger Zeit möglich, mein Augenmerk auf den Ursprung zu legen.

Ich fasse kurz zusammen, was mir den Boden unter den Füßen weg riss. Vor 4 Jahren erkrankte ich schwer mitten in einer Umschulung zu meinem Traumberuf. Ich konnte diese zwar beenden, doch nach dieser nicht mehr arbeiten, da diese Erkrankung, welche Granulomatose mit Polyangiitis heißt, einfach zu schwerwiegend war. Mit dieser Erkrankung verlor ich ebenfalls meine Freunde, meine Beziehung, meine Schwangerschaft und mein Ehrenamt. All dies waren Eckpfeiler, Säulen, die mich hielten in meinem Leben. Auch musste ich meine Heimat verlassen und wegziehen aufgrund dessen. Als diese Säulen kippten, fiel ich. So tief, dass ich kein Sonnenlicht mehr sah und kein Lachen mehr hörte. Jedes Lebenszeichen in meiner Seele war verschwunden. Ich fühlte mich wie lebendig tot. Es war eine unglaublich harte Zeit.

Es vergingen Jahre, in denen ich versuchte, irgendwie wieder zurecht zu kommen. Mich zu ordnen, mein Chaos in Kopf und Herz. Irgendwann erkannte ich, dass ich mich nur so fühlte, weil ich diese Säulen nicht mehr hatte und vor allem, dass diese Dinge meine Säulen waren. Aber ich bemerkte auch, dass diese Taubheit eigentlich gar keine Taubheit war. Sie war Lähmung. Ich war gelähmt vor Schmerz über den Verlust und das Verlassen worden sein.

Nach Eurer Antwort fing ich an, mir kleine und große Anker zu schaffen. Wie Sprossen an einer Leiter, die mir helfen sollten, aus meinem Loch zu klettern. Denn es steht fest, niemand möchte in so einem Loch gefangen sein und egal, wie es auf Außenstehende wirkt. Im Grunde seines Herzens möchte jeder aus diesem Loch raus. Es ist nur die Frage, wie und ob man mutig genug ist. Jeder Schritt bedeutet immerhin auch, wieder zu fallen.
Darum beschloss ich, Sprossen zu bauen, die niemand zerstören kann und vor allem, die nicht alle auf einmal kaputt gehen können. Welche, die nie wieder zu einem freien Fall führen, sollte eine kaputt gehen.
Diese Sprossen sind automatisch immer mehr geworden. Sie haben sich verselbständigt. Und eigentlich war es nach einer Zeit auch gar keine Mühe mehr, sie zu gehen. Jetzt bin ich oben angekommen. Ich sehe das Sonnenlicht wieder, aber der Abgrund ist noch nah. Jetzt steh ich in den Ruinen meines Lebens und sehe, dass die Sprossen, die ich baute, auch Säulen sind.

Das klingt alles sehr bildhaft. Daher möchte ich es nochmal genauer erklären. Ich habe mir einfach viele Dinge gesucht, die mich aufmuntern, die mich zum Lächeln bringen. Habe Bräuche und Routinen eingeführt, die ich durchführe, wenn ich merke, dass es mich wieder nach unten zieht.
Jedes kleine Ding reicht dabei. Eigentlich reicht jede Sache, die auch nur ein Lächeln produziert. Diese Sache ein mal am Tage zu machen oder zu sehen, sich damit zu beschäftigen, bedeutet ein Lächeln. Jeden Tag! Jetzt stellt Euch vor, Ihr habt 5 von diesen Dingen mit einem Lächeln in Eurem Alltag. Das bedeutet, ihr lächelt 5 mal am Tag.

Meine Dinge sind: Meine Katzen, die ich seit Mai habe, meine Blumen und Pflanzen, die so schön gedeihen, weil ich sie pflege. Beides, die Katzen und die Pflanzen bedeuten Leben, das sich entwickelt und dem man zuschauen kann, wie es sein Dasein genießt. Ein guter Ansatz für mich selbst.

Weitere Dinge sind für mich: Bestimmte Schmuckteile, mein Lieblingsparfum, meine Wohnung, die ich mit Details fülle und gemütlicher mache. Diese Dinge bedeuten: Gemütlichkeit, sich wohlfühlen, sich sicher und geborgen fühlen. Der persönliche Sicherheitsbereich.

Dann gibt es noch Aktivitäten: Wie etwa: Meine Terrasse pflegen und sie hübsch machen. Im Stuhl sitzen und sich die Sonne auf den Pelz scheinen lassen. Meine Listen mit den Lieblingsliedern und ihren Bedeutungen für mich. Meine Lieblingsvideos auf Videoplattformen. Diese Dinge bedeuten Routine, Abwechslung, Ablenkung von trüben Gedanken und teilweise das Gefühl, sich nützlich zu machen. Eine gute Ergänzung.

Zuletzt: Meine Texte, die ich schreibe, meine Projekte, an denen ich mitwirke oder allein arbeite für oder auch mit anderen. Sie bedeuten soziale Anbindung in dem Ausmaß, wie es für mich möglich ist und wie ich es benötige. Ein Onlinespiel, in dem ich mit Kameraden bastle, baue und grüble. Der individualisierte Sozialaspekt und Training für den Kopf, aber auch Beschäftigung.


Ich kann nicht garantieren, dass dies jedem Menschen hilft, der vergessen und verloren ist. Aber mir hilft es sehr. Wenn das Leben in Scherben liegt, spar' Dir den Kleber. Nimm einen Besen und schaffe Dir Platz. Baue nicht auf unstetem Grund. Es kostet viel mehr Kraft, zu versuchen etwas zurück zu holen, was man verloren hat als sich etwas neues aufzubauen und wer sagt denn, dass es wieder so werden muss, wie es war? Das ist doch egal! Wichtig ist nur eines. Wie viel Du am Ende eines Tages gelacht hast und ob Du etwas hast, an das Du denken kannst, sodass Du mit einem Lächeln einschlafen kannst. Wenn Du das anfängst, dann wird es besser. Du erkennst den Unterschied nicht von Tag zu Tag, aber nach einiger Zeit fällt es Dir auf. Und dann hast Du Momente, in denen Du Dich tatsächlich eine kurze Zeit fühlst wie früher. Bevor alles passierte. Diese Momente werden mehr. Immer mehr. Du merkst daran, dass Du es richtig angehst, dass es Dich irgendwann nicht mehr anstrengt, die Sprossen zu gehen und zu lächeln. Irgendwann ist es automatisch. Und das macht Mut und mach Dich stark. Eigentlich aber, schiebt es Deinen Mut und Deine Stärke nur in den Vordergrund, denn beides war schon da als Du den ersten Schritt gingst. Hab keine Angst.

Ich schicke allen gebrochenen Seelen und gefallenen Engeln hiermit alles an Liebe und Kraft, das ich habe. Auch, wenn es noch nicht viel ist. Ihr seid nicht vergessen. Nur dürft Ihr selbst Euch nicht vergessen. Und wenn Du schon mal dort unten sitzt, vergiss eines nicht: Du fällst nicht mehr! <3

Liebe Grüße und vielen Dank für Eure Arbeit hier, liebes Ku-Ka-Team. Besonders möchte ich CarolineL danken. Mit Deiner Antwort hast Du mir unheimlich geholfen und mir aufgezeigt, was ich tun kann um mich besser zu fühlen. Du hast Dich zu mir ins Loch gesetzt und von Schmetterlingen und Sonnenschein erzählt und mir auf die Füße geholfen. Ich wünsche Dir von Herzen alles Liebe und viel Glück und dass sich auch jemand zu Dir setzt, wenn Du das brauchst.

Eure Lotta

Ps: Hier noch der Link zu meinem damaligen Problem, falls jemand nachlesen möchte, worum es ging: https://mein-kummerkasten.de/331913/Trauer-um-den-Verlust-des-eigenen-Lebens.html

Anwort von CarolineL

Liebe Lotta,

deine Antwort hat mich sehr berührt und zu (Freuden-)Tränen gerührt. So abstrakt dein Text verfasst ist, so bildsprachlich schilderst du deinen Weg nach oben, deinen Weg in(s) – dein ganz persönliches – Licht. Das ganze KuKa-Team und ich danken dir sehr dafür, dass du deine Geschichte erzählst, sie mit uns teilst und so ganz sicher vielen anderen Menschen Mut machst; Mut machst, dass es nicht vorbei sein muss, dass es noch andere Säulen und Eckpfeiler im Leben gibt und geben darf, die stützen, stabilisieren und einen am und im Leben halten, die unzerstörbar sind; auf die Verlass ist und immer sein wird. Ich glaube außerdem, dass du nicht nur jenen Mut und Hoffnung mit deiner Antwort schenkst, die in ihrer Verzweiflung keinen Lichtstrahl mehr wahrnehmen, ich denke, du bist hier auch für viele Menschen eine kleine-große Hoffnungsflamme, denn fühlen wir uns nicht alle phasenweise im Leben gebrochen oder zumindest leicht angeknackst?

Du hast deinen Mut (wieder-)gefunden, deine – immer schon da gewesene – Tapferkeit erkannt und bist somit auf dich selbst und deinen starken, wunderbaren Charakter zurückgefallen. Lotta, du kannst unendlich stolz auf dich selbst sein; ich für meinen Teil bewundere deine Stärke und deinen Mut sehr, danke dass du mit deinem Text und deinen Erfahrungen auch mir, uns (Mit-)Leser*innen etwas Wertvolles zurückgegeben hast. Leider vergessen wir alle oft viel zu schnell, dass wir nicht durch unsere Erfolge, durch Anerkennung von außen, durch Hobbys oder den beruflichen Erfolg Menschen sind, die andere Menschen zu berühren vermögen, dass wir uns eben nicht durch von außen zugetragene Eigenschaften charakterisieren, sondern bereits Charaktere sind. Manchmal denke ich, dass wir das, was wir als Kind noch konnten – unbeschwert über alles lachen, sich im Moment wiederfinden, ohne an gestern oder morgen zu denken; schlichtweg den Moment – auch die noch so kleinen Momente – lieben und leben, sie zu schätzen wissen und sie bis zur letzten Sekunde auskosten, verlernt haben. Diese kleinen Momente, jedes kleine Lächeln zurückzuholen sollte ein uns Menschen verbindendes Ziel sein.

Liebe Lotta, ich weiß, dass sich durch und mit der Krankheit die Vergangenheit nicht mehr wiederherstellen lässt und obgleich du selbst schreibst, dass dies nicht das Ziel ist oder sein sollte, gehört beides zum Leben; die Hochs und die Tiefs. Ich wünsche dir, dass du dein Leben in vollen Zügen genießen kannst und dass dich intensive Hochs deine Tiefs vergessen lassen oder wenigstens den Schmerz lindern. Zudem wünsche ich dir, dass dich die Tiefs wachsen lassen, dass sie dich daran erinnern, was du bereits geschafft hast und zu wieviel du fähig bist. Mein schwer kranker Großvater sagte auch in seinen schmerzhaftesten Stunden „Der Mensch ist zäh“– und meinte damit, dass aufgeben in diesem – diesem einen – Leben keine Option sein darf und kann. Wir wissen nicht, was wir alles zu ertragen vermögen, bis wir es schließlich ertragen müssen, sofern Aufgeben keine Option ist. Die Erinnerungen und (seelischen) Narben bleiben also, doch beweisen sie vielmehr die Stärke wieder aufzustehen und weiter zu machen. Ich wünsche dir trotz – oder gerade mit deiner Krankheitsgeschichte – noch viele wunderschöne Momente, wünsche dir viele lächelnde und lachende Momente, ausgelassene und unbeschwerte Momente und Begegnungen (sei es analoger oder digitaler Art); im großen wie im kleinen Rahmen. Ich hoffe, du vergisst niemals wie wundervoll du in deinem individuellen Sein bist und dass du keinesfalls deinen Mut, deine Stärke, deine Hilfsbereitschaft und Empathie, aber auch deine Tapferkeit in den dunklen Momenten verdrängst oder kleinredest.

Von Herzen alles Liebe für dich

CarolineL