Problem von Anonym - 20 Jahre

Ich verstehe mich selbst nicht mehr

Hallo liebes KuKa-Team.
Ich habe mich vor ca 3 Wochen von meinem Freund getrennt, weil ich nicht mehr glücklich in der Beziehung war, mittlerweile habe ich aber an Halloween (ungefähr ne Woche nach der Trennung) jemanden kennengelernt (ich kannte die Person schon seit nem Jahr, aber wir hatten nie wirklich Kontakt), mit dem ich jetzt mehr oder weniger sowas wie eine Freundschaft+ habe. Wir haben bis jetzt ein paar Mal miteinander geschlafen, was ich auch nicht bereue. Ich habe nur irgendwie die Befürchtung, dass ich dabei bin mehr für diese Person zu empfinden, als die Person für mich empfindet. Ich weiß, dass das irgendwie ein bisschen kindisch ist, daraus so ein Problem zu machen, aber ich persönlich komme mit so kleinen Dingen schnell nicht mehr klar. Ich bin mir sehr sehr sicher, dass diese Person nicht mehr in mir sieht als ne Freundin, mit der man ab und zu schlafen kann. Das merke ich irgendwie an der Art wie er mit mir spricht und wie er sich manchmal verhält. Andererseits kann er auch sehr lieb und zuvorkommend sein, was mich immer wieder zweifeln lässt.

Das Ding ist, ich möchte mir keine Hoffnungen machen, weil ich mit Ablehnung und Enttäuschung (vor allem in Sachen Liebe) überhaupt nicht klar komme und mich solche Sachen extrem fertig machen. Ich leide sowieso schon an depressiven Episoden, und solche "Rückschläge" sorgen dafür, dass ich sofort wieder in so eine Episode falle und nur noch an mir selbst meckere und alles kritisiere was ich tue.
Ich weiß nicht, wie ich mit der Situation umgehen soll, weil ich nicht aufhören möchte ihn zu sehen und innerlich immer noch diesen Funken Hoffnung habe, dass es vielleicht mal mehr wird als nur F+. Ich weiß, dass ich aufhören sollte nachzudenken und es einfach auf mich zukommen lassen sollte, aber ich kann meine Gedanken, Ängste, Zweifel und Hoffnungen irgendwie einfach nicht ausblenden und das raubt mir seit Tagen den Schlaf. Ich kann einfach nicht aufhören mir vorzustellen wie es wäre, wenn es irgendwann mehr zwischen uns wäre. Das ist reines träumen und wunschdenken, aber ich weiß nicht wie ich es abstellen kann.
Ich weiß nicht, ob man mir überhaupt in so einer Situation helfen kann, aber ich musste das einfach loswerden und irgendwem erzählen, weil mich die Sache einfach auffrisst und fertig macht.

Nuala Anwort von Nuala

Hallo du!

Ja, das Niederschreiben ist schon toll :) Das hat dich hoffentlich schon ein bisschen erleichtert.
Ich kann nachempfinden, dass du nicht mehr weiter weißt. Darum werde ich versuchen, dir ein paar Einschätzungen zu liefern.

Zunächst ist es ja so, dass du sehr frisch getrennt bist. Das braucht ja auch erstmal Zeit zur Verarbeitung. Vielleicht ist da noch viel, was du erst einmal ganz mit dir allein klären müsstest - und jetzt ist da schon der nächste "intime" Mensch... Es kann aber sehr genau jetzt so passen, dass ihr euch so getroffen habt - vielleicht ist er so eine Art "Lernpartner" für dich. Es kann dabei um ganz verschiedene Dinge gehen.
Ein paar Schritte zurückzutreten und alles aus der Vogelperspektive zu sehen, kann schon einen Aha-Moment bringen. Natürlich auch Gespräche mit engen Freund:innen - deren Sichtweisen können sehr wertvoll sein!

Dann ist mir aufgefallen, dass du von einer "Freundschaft+" schreibst. So wie du es schilderst, klingt es meiner Ansicht nach allerdings viel mehr wie eine Sexbekanntschaft. Eine Freundschaft+ hat eigentlich eine richtige Freundschaft als Basis, also man trifft sich im Vertrauen, hat viel Spaß und ist sich nahe - _auch_ sexuell, aber eben nicht nur. Bei dir liest sich das nicht sonderlich vertraut im Sinne von: Wir können wirklich offen miteinander reden und kennen uns als Personen richtig. Es macht mir den Anschein, als beruhe eure aktuelle Verbindung vor allem auf der sexuellen Komponente mit ein bisschen Drumherum, doch eine Freundschaft ist ja viel mehr. Vielleicht liegt hier schon der Hase im Pfeffer! Wie sollst du auch das Gefühl entwickeln, alles sei klar und auf einer guten Basis, wenn ihr euch eigentlich nie in dem Stadium der richtigen Freundschaft befunden habt und du diesen Menschen noch nicht umfassend kennenlernen konntest?

Gerade WEIL ihr euch so wenig kennt, ist dieser Junge natürlich auch eine ideale Projektionsfläche für Wünsche und Sehnsüchte. Hier wieder: Du bist frisch getrennt. Kennst du deine genauen Bedürfnisse? Nach was sehnst du dich? Fehlt dir etwas? Woher genau kommen deine Hoffnungen? Und kommt dir dieser Mensch einfach gerade recht, weil du ein ungestilltes Nähebedürfnis hast, das eventuell auch mit einem anderen bzw. von dir selbst (!) befriedigt werden könnte?

Sex bindet allein schon durch die Hormonausschüttung leicht, das ist bei Frauen auch schneller der Fall, weil sie wahrscheinlich nicht so auf die Trennung von Sex und emotionaler Nähe "hinerzogen" werden. Wenn man im Kopf beides strikt trennen kann, verliebt man sich natürlich auch nicht so leicht. Doch: Verliebtheit ist ja etwas Hormonelles. Es kommt eben auf die Bereitschaft dazu an. Hier kannst du dich wieder fragen: Was will ich, was brauche ich, wo stehe ich gerade?!

Dass Sex eigentlich etwas sehr Kostbares ist, das am besten in eine feste Beziehung oder eben in eine (enge) Freundschaft passt, davon bin ich mittlerweile sehr überzeugt. Denn es ist wirklich viel Vertrauen und eine gute Bindung nötig, um sich komplett fallenlassen zu können und sich körperlich-seelisch zu öffnen. Sex ist so viel mehr als der Austausch von Körperflüssigkeiten.

Solange du dich so unsicher fühlst, würde ich dir davon abraten, mit ihm zu schlafen. Ich würde ein aufklärendes Gespräch mit ihm führen - und dabei auf den Terminus "Freundschaft+" Bezug nehmen. Denn was wäre denn, wenn er dich eigentlich nur sexuell mag, ansonsten aber nicht? Das sollte schon irgendwie ersichtlich werden, finde ich - denn dann hättest du die Chance, dich aktiv zu entscheiden. Du kannst dich ja auch zu schade finden für schnöden Sex, der keinen Mehrwert bringt (und meistens ist es ja so, wenn man mal ehrlich ist...).

Man kann es nicht "abstellen", an jemanden zu denken, aber man kann dies achtsam wahrnehmen und sozusagen auf übergeordneter Ebene zulassen. Reflektieren und hinter das Ganze blicken (z.B. anhand der Fragen, die ich oben formuliert habe. Denn meistens geht es um tiefergehende Dinge, die nicht so offensichtlich sind, z.B. der Wunsch nach sozialer Nähe, Geborgenheit, Akzeptanz, etc.). So kann das Gefühl schneller wieder gehen, wenn du es bewusst da sein lässt, betrachtest und es dann liebevoll verabschiedest. Vielleicht hast du ja Lust, dich mit Selbstliebe, - fürsorge und Achtsamkeit zu befassen. Das bringt eigentlich immer Punkte :)

Außerdem kannst du dir sagen: Ich möchte mich nicht hineinsteigern - ich lenke meine Aufmerksamkeit auf andere Dinge und Beziehungen, die mir viel geben. Vielleicht ist genau jetzt ein günstiger Zeitpunkt, um z.B. ein neues Hobby zu beginnen!

Abgesehen von dem "Aufdecken" eurer Situation wäre es für dich wohl sinnvoll, wenn du dich sehr bewusst um dich selbst kümmern würdest. Du machst mir einen etwas labilen Eindruck. Du kannst hier im Kuka-Archiv sehr viel rund um Entwicklung, Persönlichkeit, Erfahrungen etc. finden und auch unsere Soforthilfen durchlesen. Wir haben auch immer wieder Themen zu "Wie kann ich mich entspannen?", da gibt es sicherlich auch für dich schöne Ideen und nützlichen Input.
Falls es sich wirklich um depressive Zustände handeln sollte (die ärztlich diagnostiziert sind!), könntest du auch über eine längere Profi-Begleitung nachdenken. Von psychologischem Coaching über Therapie gibt es sehr viel, was dich dabei unterstützen kann, dich nicht selbst zu verlieren und dauerhaft deinen inneren Halt zu wahren.

Ich hoffe sehr, dass dir meine Ansichten etwas dienen können.

Alles Gute!
Nuala