Problem von Anonym - 32 Jahre

Erkaltetes Herz

Hey,

ich weiß eigentlich nicht, wo ich anfangen soll. Es ist lang...

Ich war immer Außenseiter. Ich hatte sogar in der Schule Lehrer, die mich vor der Klasse gemobbt haben. Andere Schüler waren zufrieden, wenn es mir schlecht ging und sie haben sich über mich beschwert, wenn mir ein Lehrer auch mal gute Noten "verliehen" hatte. Dabei habe ich einen IQ im Bereich von ca. 145. Es spielte keine Rolle, ob ich viel oder wenig für eine Prüfung (z.B. Deutsch) gelernt habe. Ich bekam immer dieselbe Note. Manchmal baute ich absichtlich Schreibfehler sein, sie wurden nicht korrigiert und trotzdem bekam ich immer meine 5 Punkte (vier mal hintereinander). Sogar manche Lehrer haben mich gehasst und haben sich in ihrem Urteil gegenseitig zitiert. Ich habe aufgehört, mir beim Lernen Mühe zu geben.

Ich habe einst eine Abschlussarbeit im Abi verfasst, wegen der ich mich vor dem Direktor in seinem Zimmer verantworten musste. Er war der Meinung, ich hätte absoluten Stuss geschrieben. Er meinte sogar, ich hätte kein Recht auf eine freie Meinung. Zwei Jahre später fand ich eine Forschungsarbeit eines berühmten Professors, der zum selben Ergebnis wie ich in meiner Abi-Arbeit gekommen ist und dafür international gefeiert wurde. Das gab mir ein wenig Trost und Zufriedenheit.

Einst war ich ein schüchterner, sehr sportlicher Junge. Ich habe 4-6 Mal pro Woche Sport getrieben. Als ich mit dem Sport aufgehört habe, hatte ich plötzlich eine extreme Libido, so dass ich bis zu 7 Mal am Tag masturbiert habe. Das ging über Jahre.

Als ich älter wurde (ab 18), bemerkte ich eine innere Leere. Ich wollte eine Beziehung, aber Frauen meines Alters haben mich reihenweise abgelehnt, egal was ich getan habe. Ich war klein, ich war dünn und ich hatte bereits mit 18 ersten androgenetischen Haarausfall. Gerade bei jungen Frauen macht es einen riesigen Unterschied.

So ging es mein ganzes Studium. Es ist nicht so, dass ich mich im Keller verkrochen hätte. Ich war aktiv, ich war ehrenamtlich an der Uni tätig, ich war häufig auf Partys, ich habe mit Mädchen geflirtet, ich war beim Uni-Sport, ich war im Tanzverein, ich war mehrfach allein im Urlaub. Es gab Wochen während des Studiums, da war ich an 5 Tagen zu Partys eingeladen.

Schmerzhaft war, als eine gute Freundin sich regelmäßig bei mir über ihren Freund beschwert hatte, sie kam sogar regelmäßig vorbei für Massagen und langwierige Gespräche, aber sexuell wurde es nie. Sie wusste, dass ich sie sexuell attraktiv finde und ich auch erregt war, aber sie schien sich daran aufzugeilen. Eine andere Freundin verliebte sich in einen A., der regelmäßig ins Ausland fuhr, um dort Nutten zu bumsen. Sie wusste nichts davon. Als ich erfuhr, dass sie mit diesem A. zusammen war, bekam ich eine Depression. Zum Glück hielt sie nur 3 Wochen an. Einmal musste ich im Urlaub weinen, als ich gesehen habe, wie sich ein Pärchen geküsst hat.

Ich ging immer leer aus. Ich lag manchmal Morgens Stunden im Bett und konnte aus Frustration nicht aufstehen, ich hatte kein Bock auf Uni und nicht einmal aufs Leben. So ging es über Jahre. Ich habe alles gehasst. Irgendwann hatte ich mehr Angst vor dem Leben als vor dem Tod. Ich habe extrem-prokastriniert. Wenn ich Leuten erzähle, dass ich in vielen Fällen nur einen Tag vor der Prüfung mit dem Lernen angefangen habe, halten die mich für einen Lügner. Tatsächlich habe ich niemals vor- oder nachbereitet und habe häufig am letzten Tag vor der Prüfung mit dem Lernen erst angefangen. Ich hatte Angst vorm Lernen. Ich hatte Angst vor dem Scheitern, nachdem ich mir Mühe gegeben habe.

Selbst in Praktika fiel mir regelmäßig auf, wie mich die Leute ausgegrenzt haben. Andere Praktikanten hatten ihre gemeinsamen Aktivitäten, ich hatte meine. Sie unterhielten sich über Themen an die ich keinen Anschluss fand.

Noch mit 25 konnte ich täglich bis zu 7 Mal masturbieren. Aber dann war irgendwann alles vorbei. Ich bekam Schuldgefühle. Ich konnte, aber wollte nicht mehr masturbieren. Es war ein "klick" und dann war alles vorbei. Mein sexuelles Selbstbewusstsein ist nun im absoluten Keller und ich habe keinen Bock mehr. Ich habe anschließend noch einige Male geweint, aber es war irgendwann auch damit vorbei.

Ich habe meine Masterarbeit mit einer 1.0 im Maschinenbau (Thema: Produktionsnetzwerke) abgeschlossen. Ein Top-Profil und man machte mir sogar ein Angebot für eine Top-Position. Aber ich habe abgelehnt. Ich wollte kein Außenseiter mehr sein. Ich hatte Angst davor, ein weiteres Mal Außenseiter zu werden.

Ich habe ein eigenes Unternehmen gegründet. Es läuft bescheiden. Natürlich ist das die Anfangsphase, da muss aber jeder durch.

Zu meinem großen Glück bin ich immun gegenüber Konsumdrogen. Geraucht habe ich nie (aber mehrmals probiert), getrunken nur bei Liebeskummer (nach gescheiterten Flirtversuchen) und sonst bin ich kerngesund. Aber meine Libido ist tot.

Ich weiß nicht, wonach ich streben soll im Leben. Frauen sind mit Anfang 30 alle vergeben und wollen keinen Mann, der keinerlei sexuelle Erfahrungen besitzt und Glatze trägt. Sie wollten mich nicht, als ich jünger war, sie wollen mich auch jetzt nicht. Damals hatte ich einen Waschbrettbauch, heute nicht. Damals hatte ich eine Libido, heute ist mir die Welt egal. Damals hatte ich Lust auf Partnerschaft, heute komme ich auch allein zu Recht.

Karriere halte ich für überflüssig. Denn ich habe nur für mich selbst Verantwortung. Dafür brauche ich kein hohes Gehalt. Freunde halte ich für überflüssig, weil sie nie da sind, wenn man sie wirklich braucht.

Die Baustelle ist groß, aber auf Sand baut man bekanntlich nicht. Mir fehlt (mittlerweile) die Lust und der Wille etwas daran zu machen.

Nuala Anwort von Nuala

Hallo du!

Leider musstest du jetzt eine geraume Weile auf die Antwort warten, das tut mir leid.
Dafür steige ich direkt ein und nenne dir meine Gedanken:

Mit dem erkalteten Herz ist das so eine Sache. Du hast dich gerade für Angst und Distanz entschieden. Darum fühlt sich dein Herz "erkaltet" an. Doch die gute Nachricht lautet: Es steht und fällt alles mit deiner inneren Einstellung, da diese viele weitere Effekte nach sich zieht. Du kannst dich sehr wohl für Liebe und Freude entscheiden - dein Herz öffnen und dich nicht abkapseln. Dazu schreibe ich dann noch etwas genauer. Eines möchte ich vorwegnehmen: Eine Psychotherapie könnte dir sehr helfen - zumindest aber ein Coaching. Auch darauf gehe ich gleich noch ein.

Ich kann sehr gut verstehen, wie niederschmetternd deine Erfahrungen in Schule und Studium für dich gewesen sind. Es tut weh, beleidigt und ausgegrenzt zu werden.
Aber: Die Vergangenheit ist abgeschlossen. Du befindest dich in der Gegenwart - mit allen Chancen und Herausforderungen! Hierzu würde ich dich bitten, diese Zuschrift zu lesen, dich ich kürzlich beantwortet habe: https://mein-kummerkasten.de/332462/Ich-empfinde-keine-Lebensfreude-mehr.html

Eine nicht gewürdigte Hochbegabung ist in mehrfacher Hinsicht tragisch. Zum Einen wird ein wichtiger Bestandteil der Persönlichkeit nicht gesehen und geschätzt, was sich sehr negativ auf den Selbstwert auswirken kann. Zum Anderen hindert es eine:n an der beruflichen Entfaltung, weil man nie das ganze Potenzial ausschöpfen und zeigen kann. Da kann schon allein ein fieser Teufelskreis entstehen. -
Dennoch lässt sich in dem ganzen Dunkel auch das Licht finden. Du weißt, was du kognitiv drauf hast. Das kannst du als Ressource nutzen - mit der passenden Beratung in einer Hochbegabtenberatungsstelle bzw. einem Coaching lässt sich da sehr viel rausholen. Ich kann z.B. auf diesen Coach verweisen (beispielhaft):
https://coaching-fuer-hochbegabte.de/ Er hat viele Infos auf seiner Internetseite und auch Bücher für Hochbegabte bzw. über Hochbegabung geschrieben. An seinem Beispiel kann ich dir sehr empfehlen, dich ab sofort sehr intensiv mit deiner eigenen Begabung, deinem Leistungsvermögen und deinen Vorlieben zu befassen - denn es geht nicht nur um Leistung im kapitalistischen Sinn, sondern um einen Gesamtblick auf alle Facetten des eigenen Wesens mit allen Schokoladen - und Schattenseiten. Und Hochbegabung hat ja so einiges an interessanten Ausprägungen zu bieten, die nicht besser oder schlechter sind als bei anders Begabten, nur sollte man sie eben kennen (so wie es auf jeden anderen Menschen auch zutrifft).
--> Je besser du dich selbst kennst und dich als vollwertige tolle Person annehmen lernst, desto mehr wirst du in dein individuelles Gleichgewicht finden, dass viel mehr innere Ruhe, Freude und Energie freisetzt. Das kannst du mir wirklich glauben!

Du musst keinesfalls "Karriere machen". Viel wesentlicher ist es meines Erachtens, die eigene Erfüllung in den Dingen zu finden. Wie das dann konkret ausgestaltet ist, ist so unterschiedlich wie die Menschen selbst. Du bist der Schöpfer deiner eigenen Welt - wenn du dich für Liebe entscheidest, wirst du alles schaffen, was im Guten in dir angelegt ist. Du wirst das Gute anziehen, weil du dich selbst lieben kannst. Mit allen Fehlern und Schwächen. Und du wirst die Anderen lieben können. Einfach so. Ohne Vorbedingungen. Und das ist ein unglaublich schönes Gefühl! Dafür muss niemand perfekt sein und niemand muss alles harmonisch und richtig machen. Es geht um das akzeptieren Lernen, die Annahme des Gegebenen und damit zu arbeiten.
Du schreibst: "Freunde halte ich für überflüssig, weil sie nie da sind, wenn man sie wirklich braucht." - Falsch. Du hast einfach nur noch keine wahre Freundschaft kennengelernt.
Das wird sich ändern, wenn du dich selbst änderst! Beginne, dein eigener bester Freund zu werden, ein liebender Mensch, der für andere eine beruhigende und sichere Ausstrahlung hat. Du wirst spüren, wie sich die für dich passenden Leute angezogen fühlen und gerne Zeit mit dir verbringen. So können natürlich auch Liebesbeziehungen entstehen. Sei z.B. zugewandt und freundlich zu deiner Umwelt, schenke etwas, allen voran ein ehrliches Lächeln ohne Hintergedanken. Beginne im Kleinen und erwarte nicht zuviel von dir und den Anderen. Übe dich in Besonnenheit und Nachsicht. Auch das wirst du immer mehr zurückbekommen.

Du scheinst hochgradig frustriert zu sein, was Frauen und deine fehlenden Erfahrungen anbelangt. Das verstehe ich natürlich. Aber mit Pauschalisierungen kommst du kein Stück weiter. Jeder Mensch kann eine: passenden Partner:in (oder mehrere) finden, solange er echt ist und so ist, wie es ihm entspricht! Das hat wirklich wenig mit dem Äußeren und Schüchternheit zutun, solange ein Mindestmaß an Körperpflege betrieben wird und man sich nicht völlig desinteressiert und unsozial gibt.
Es gibt durchaus Frauen, die Glatze hocherotisch finden - genauso ist Schüchternheit nichts, was dramatisch ist. Schau dich doch mal bei YouTube um, da gibt es viele Videos gerade für schüchterne Männer. Es kann sogar besonders süß sein, wenn ein Mensch sehr zurückhaltend oder schüchtern ist. Alles eine Frage der Bertrachtungsweise und der persönlichen Präferenzen!
--> Viel schlimmer als die bisherige Ablehnung deiner Person ist, dass du dich selbst chronisch ablehnst. Die Außenwelt ist dein Spiegel. Hör auf, dich fertigzumachen und resigniert in der Ecke zu sitzen. Dann bekommst du auch die Gelegenheit, offen und echt mit einer gleichgesinnten Frau interagieren zu können!

Gerade bezüglich deiner Hochbegabung empfehle ich dir sehr, dich entsprechend zu vernetzen, um mit möglichst vielen anderen erwachsenen HBs interagieren zu können. Sei es bei Mensa e.V., bei Stammtischen (auf der Internetseite von Mensa gibt es eine Liste mit allen aktuellen Standorten für Stammtische), außerdem gibt es z.T. Gesprächskreise, Foren etc. Du wirst da schon einiges finden, gerade im Bereich der Literatur gibt es zum Glück mittlerweile viele Bücher speziell für hochbegabte Erwachsene.

Hier habe ich noch einige passende Zuschriften für dich, du du ebenfalls lesen solltest:
- https://mein-kummerkasten.de/330635/Ich-werde-gemieden.html
- https://mein-kummerkasten.de/330674/Das-Leben-ein-einziger-fehler.html
- https://mein-kummerkasten.de/330528/Zurueckweisung.html
- https://mein-kummerkasten.de/330925/Nichts-hat-fuer-mich-einen-Wert.html
- https://mein-kummerkasten.de/331954/Kaum-anschluss-im-Sozialleben.html
- https://mein-kummerkasten.de/330895/Ich-will-nicht-mehr-leben.html
- https://mein-kummerkasten.de/331843/Kann-man-die-Liebe-satt-haben.html
- https://mein-kummerkasten.de/330945/Die-Welt-dreht-sich-weiter.html

Es braucht Geduld, elementare Weichen im eigenen Leben neu zu stellen. Daher wünsche ich dir viel Kraft für diese neue Zeit, die neben der offensichtlichen Herausforderungen mit Sicherheit auch viele überraschende und beglückende Erfahrungen bereithalten wird, wenn du dich mit erwärmtem, offenen Herzen darauf einlässt.
Nur Mut, das wird schon! :)

Sei herzlich gegrüßt!
Nuala