Problem von Gigi - 30 Jahre

Ich habe das Leben von jemandem zerstört

Ich fühle mich grausam. Das schlechte Gewissen, die Schuld frisst mich auf. Vor einigen Monaten hatte ich Stress mit einer guten Freundin (die auch zugleich meine Chefin war). Sie hatte mir mal ein großes Geheimnis anvertraut: Sie ist Heroinsüchtig bzw. auf Methadon und niemand durfte davon erfahren. Für mich war das kein Problem, weil sie so viele andere tolle Eigenschaften hatte und ihr Kampf mit den Drogen oftmals nur wie eine Nebensache wirkte. Nach einem Streitgespräch, war ich so wütend auf sie, dass ich einer anderen Person einfach über ihre Sucht erzählte... es war völlig unnötig, asozial und ich weiss einfach nicht warum ich das getan habe. Die Geschichte hatte im Anschluss Konsequenzen für meine Freundin. Sie musste den Arbeitsplatz wechseln (anderer Standort der Firma, da sie vor Ort ausgegrenzt wurde) und jeder wusste Bescheid. Mittlerweile lebt sie in einer anderen Stadt. Ich habe das Gefühl ihr Leben ruiniert zu haben und fühle mich wie der letzte Dreck. Wegen einer Lappalie so ein großes Geheimnis zu verraten... das kann man nicht verzeihen. Ich komme mit diesem Schuldgefühl nicht klar. Selbst wenn sie mir verzeihen würde (was ausgeschlossen ist), würde ich mich wie ein schlechter Mensch fühlen. Keine Ahnung wie ich so etwas machen konnte :-(

Nuala Anwort von Nuala

Hallo Gigi,

ich sehe das Ganze ehrlich gesagt anders als du - und hoffe, dass ich dich mit meiner Sichtweise beruhigen kann.
Zunächst einmal: Jeder Mensch macht einmal solche Fehler - das ist einfach so. Sich dafür auf ewig zu zerfleischen und sich nicht mit Nachsicht zu behandeln ist sehr selbstzerstörerisch.
Sicher: Ein Geheimnis auszuplaudern ist doof, doch finde ich es viel wichtiger, was danach geschieht: Entschuldigt man sich dafür oder lässt man es darauf beruhen?

Ganz klar - nein, du hast ihr Leben NICHT zerstört! Jeder erwachsene Mensch hat zunächst einmal für sich allein die Hauptverantwortung. Wir alle stehen in vielen sozialen Beziehungen zu Anderen, aber niemand hat die absolute Macht und Kontrolle über das, was uns als Person betrifft. Daher bist du keineswegs "die Zerstörerin"!

Es klingt so, als hättet ihr keinen Kontakt mehr zueinander. Mein Vorschlag lautet: Versuche, den Kontakt zu deiner Freundin wieder herzustellen und entschuldige dich in aller Form bei ihr. Das wäre meiner Ansicht nach eine edle Geste. Ich finde es auch absolut nachvollziehbar, dass man einmal aus Wut und Nicht-Nachdenken einen groben Schnitzer begeht, den man schnell bereut bzw. dessen Folgen sich dann erst nach und nach zeigen. Doch gerade weil es so menschlich ist, kann man davon berichten und da um etwas Verständnis bitten. Also ich kann zumindest absolut nachvollziehen, dass du aus Zorn geplaudert hast! Und seien wir ehrlich: Sowas passiert sehr oft. Denk doch mal an Geständnisse unter Alkoholeinfluss oder an Leute, die einfach an sich sehr leichtfertig mit intimen Informationen umgehen. Das ist alles schwierig und oft sehr kritisch in den Auswirkungen. Und dennoch geschieht es vielfach und ist nicht so drastisch, wie du es vielleicht empfindest. - Was ich damit sagen möchte: Du gehst sehr, sehr hart mit dir ins Gericht. Vielleicht kommt es davon, weil deine Freundin sozusagen gezwungen war, ein neues Leben zu beginnen. Und genau hier kommt die Tragik für dich sicherlich voll zum Ausdruck - und du fühlst dich schlecht. Ich sehe hier aber den Knackpunkt: Eigentlich ist es eine riesige Chance für sie, endlich clean zu werden und sich ein Leben ohne dunkle Geheimnisse aufzubauen. Du hast ihr unwissentlich geholfen. Du hast dazu beigetragen, dass sie endlich handeln musste. Denn wie lange hätte das denn noch gut gehen sollen? Du hättest dich vielleicht immer mehr belastet, indem du ihr Geheimnis monate - und jahrelang gehütet hättest. Das hätte sich möglicherweise auch auf dich negativ ausgewirkt.
Und sie hätte weitergemacht wie gehabt und sich zugrunde gerichtet.
Es kann durchaus sein, dass sie nun unter den neuen Vorzeichen viel besser leben kann und endlich drogenfrei ist! Und selbst wenn nicht: Das Leben wimmelt nur so von tragischen Verstrickungen, Zufällen und Fügungen, da ist es Quatsch, sich auf ewig in Schuld zu wiegen und sich als den schlechtesten Menschen unter der Sonne zu brandmarken.
Von daher kann ich dir nur raten: Beginne dir selbst zu verzeihen und das Positive in dieser Situation anzunehmen. Sei mutig und entschuldige dich bei ihr - ganz ohne Erwartungen. Sie kann ja immer noch entscheiden, ob und wie ihr dann miteinander interagiert. Vielleicht will sie dich nie wieder sehen, vielleicht wäre sie aber auch unendlich erleichtert, endlich mit dir darüber sprechen zu können. Allein schon für deinen Seelenfrieden halte ich eine Entschuldigung mit einem Entgegenkommen für sehr sinnvoll. Du kannst ihr bestimmt auch noch etwas Gutes tun, um deine Absichten zu unterstreichen. Je ehrlicher und offener du bist, desto besser. Wer weiß, ob nicht so gar ein platonischer Neuanfang bei euch drin ist - wenn nicht jetzt, dann eventuell in späterer Zukunft!

Und noch ein Hinweis: Nimm nicht etwas an, dass du nicht schwarz auf weiß von ihr erfahren hast. Mit Vorwegnahmen und Zuschreibungen wirst du nicht froh werden. Vielleicht will sie beispielsweise keinen Kontakt mehr mit dir pflegen, nimmt deine Entschuldigung aber dennoch erleichtert an - es gibt so viele Möglichkeiten! Es wäre ja schon viel gewonnen, wenn zumindest du deinen Frieden damit machen würdest.

Und zuletzt möchte ich dich noch ermuntern, dich selbst gut zu behandeln und die Vergangenheit dort zu belassen, wo sie eben ist.
Frauen neigen teilweise häufiger dazu, sich schuldig zu fühlen und sich zu schämen. Dafür gibt es aber meistens gar keine Grundlage. Wir sollten aufhören, uns von Dingen, die einfach geschehen (so tragisch sie auch erst einmal wirken mögen), fertig machen zu lassen und den Kopf hängenzulassen. Wir sind es alle wert, die Gegenwart zu genießen und eine harmonische Zeit miteinander zu verleben.

Ich wünsche dir alles Liebe,
Nuala