Problem von Hannah - 15 Jahre

Neue Klasse - Angst

hey

ich bin genau in der Coronazeit umgezogen und seit ein paar Wochen auf einer neuen Schule und in einer neuen Klasse.

Das Problem ist, dass wir nur 1 oder 2 Mal die Woche Schule haben und ich dadurch meine Klasse fast nie sehe. Habe auch das Gefühl, dass ich mich nicht richtig einbringen kann.

Komme sehr oft sehr introvertiert rüber und teilweise auch eingebildet.. (Frühere Erfahrungen) ich bin jetzt nicht schüchtern den anderen gegenüber oder so, aber zB im Klassenraum sitze ich einfach so da und rede mit niemanden und bin leise. Ok manchmal lächle ich vielleicht.

Zwar merke ich, dass ein paar Mädchen immer mal zu mir gucken, aber wirklich passieren tut da nichts :( Manchmal ärgert mich das echt, weil ich könnte ja mal einfach offen sein und sie ansprechen, aber naja traue ich mich halt irgendwie nicht. Oder auch zu den anderen Leuten aus meiner Klasse. Einfach mal aus meiner Komfortzone rausgehen - aber fällt mir leider schwer.

Meine größte Angst wäre, wenn im nächsten Schuljahr (dieses ist ja bald vorbei) noch jemand neues in meine jetzige Klasse kommen würde und die Person total schnell Freunde finden würde. Weil dann verlieren meine Klassenkameraden vielleicht das Interesse an mir.. ich will mir das gar nicht erst vorstellen, sonst beschwöre ich das noch haha

lg danke im Voraus

Nuala Anwort von Nuala

Liebe Hannah,

nun sind ein paar Wochen verstrichen, was möglicherweise bereits eine Änderung mit sich gebracht hat: Auch wenn du es beim Schreiben deiner Zuschrift noch nicht dachtest, so kann es gut sein, dass du manche Mitschüler:innen inzwischen etwas kennenlernen konntest, und sei es ein kurzer Wortwechsel, eine Gruppenarbeit, ein paar Meter gemeinsamen Weges... das ist schon etwas!
Wir wollen natürlich möglichst schnell das "Große", aber soziale Verbindungen brauchen ihre Zeit zum Wachsen. Wir müssen uns ersteinmal "beschnuppern" und ein Gefühl füreinander bekommen. Deine Klasse stellt sich auf dich ein und du dich auf sie. Besonders weil ihr euch nicht täglich sehen könnt, ist Geduld gefragt.

Am Anfang fällt es einigen Leuten schwer, sich in eine neue Gruppe zu integrieren. Den eigenen Platz in einer Gemeinschaft zu finden und erste Kontakte zu knüpfen stellt eine Herausforderung dar. Man muss sich bemühen, was gerade für zurückhaltende Menschen sehr schwierig sein kann. Genau diese Erfahrung hast du gemacht. Ich möchte dir versichern: Es geht mehr Personen so, wie du es beschreibst, als du dir vielleicht vorstellen kannst! Wenn du an deine Mitschülerinnen denkst, die dir schon Blicke zugeworfen haben, kann es durchaus sein, dass sie sich gut in deine Lage versetzen konnten. Wenn auch nicht so intensiv wie du es empfindest, aber kennen tun es wahrscheinlich die meisten. Und du weißt nie, ob es nicht auch genauso gehemmte und/oder schüchterne Jugendliche um dich herum gibt, denn Schüchternheit ist nicht immer so direkt zu erkennen. Es gibt viele Leute, bei denen würdest du keine Schüchternheit oder Aufgeregtheit in sozialen Situationen vermuten. Schein und Sein driften leicht auseinander! Es gibt ja auch jene, die dann extra dick auftragen und ihre Unsicherheit mit strahlendem Lächeln, coolen Sprüchen und einer betont lässigen Haltung zu kaschieren versuchen.
Man weiß nicht, was in den Köpfen der Anderen vor sich geht - aber Menschen mit gewissen sozialen Ängsten und (Selbst)zweifeln neigen dazu, das Schlechte anzunehmen, auch wenn sie es faktisch nicht wissen können. Damit möchte ich dir Mut zusprechen, das Ganze nicht als "verloren" wahrzunehmen. Selbst wenn die letzten Tage nicht sonderlich befriedigend verlaufen sein sollten, so kann sich über die Dauer stets etwas entwickeln.

Zu deiner Angst vor dem:der neuen Mitschülerin, die schneller Anschluss finden könnte: Das zähle ich mal zu den klassischen Horrorszenarien, die sich der Kopf so gerne ausdenkt. Aber es ist in Wahrheit nur ein blöder Gedanke, der dir nichts anhaben kann.
Versuche, dich an der Stelle zu beruhigen und dir zu sagen, dass du nichts zu befürchten hast. Erstens mindert es deinen Wert als Mensch nicht, wenn Andere schneller Kontakte knüpfen als du. Und zweitens solltest du es jemandem grundsätzlich gönnen. Mit Neid würdest du die negative Grundhaltung nur verstärken. Versuche lieber, deine eigenen Vorzüge und Interessen zu erkunden, dich also als das Individuum Hannah zu sehen. Du bist genauso liebenswert und wichtig wie alle anderen um dich herum auch!
Bleiben wir beim Thema "Der oder die Neue": Wie wäre es, wenn du genau diese Ausgangslage nutzen würdest, sofern jemand Neues kommen würde? Du könntest dich freundlich anbieten, ihm oder ihr alles zu zeigen und z.B. erwähnen, dass du auch erst vor Kurzem neu an die Schule/in die Klasse gekommen bist. Ich denke, die Allermeisten freuen sich sehr, wenn ihnen jemand so entgegen kommt und behilflich bei der Orientierung ist.

Davon abgesehen ein paar ganz grundlegende Gedanken. Ich habe schon angesprochen, dass Integration und das Aufbauen von Beziehungen Zeit bedürfen. Unterschätze das nicht. Besonders zurückhaltende Menschen dürfen sich hier entspannen und diesen Umstand zu ihrem Vorteil nutzen: Beobachte deine Umgebung, deine Klasse. Schaue dir an, wer dir "echt", also unverstellt und natürlich vorkommt. Wer dir sympathisch ist. Und wer in irgend einer Weise zu dir passen könnte. Diese Leute solltest du vermehrt aufsuchen bzw.es ihnen erleichtern, mit dir in Kontakt zu treten. Du kannst dir bei einzelnen Personen überlegen, was du gerne über sie erfahren möchtest und dann in einem ruhigen Moment eine Frage stellen. Wenn du z.B. mit einer Mitschülerin allein bist, kannst du ein Kompliment mit einer Frage verbinden, um deine Wertschätzung und dein Interesse zu zeigen: "Mir ist aufgefallen, dass du viele Dinge in Geschichte weißt. Interessierst du dich auch in deiner Freizeit dafür?"
Und es geht noch simpler: Ein Lächeln ist schon sehr einnehmend und kann ohne großen Aufwand erfolgen. Suche Blickkontakt. Nutze Situationen wie Teamarbeit, einen Ausflug, eine Präsentation. Und: Stehe einfach dazu, dass du zurückhaltend bist! Denn das merken deine Klassenkamerad:innen ja ohnehin, also wäre es albern, das zu leugnen und sich krampfhaft verändern zu wollen. Du bist gut so wie du bist. Und so ein Satz wie "Ich weiß gerade nicht, was ich sagen soll, ich bin verunsichert..." kann absolut charmant sein! Entwaffnende Ehrlichkeit sozusagen.
Wenn du erstmal jemanden gefunden hast, bei dem:der du dich sicher fühlst, gelingt vielleicht auch der Sprung in den Freizeitbereich. Nutze hier offensichtliche Gemeinsamkeiten und probiere es aus, jemanden für eine gemeinsame Unternehmung einzuladen ("Du scheinst ja X auch zu mögen. Ich werde mir morgen Nachmittag Y ansehen. Hast du Luft, mich zu begleiten?").
Das ist auch eine Frage der Übung. Du könntest anfangen, außerhalb deiner Klasse mal auf Andere zuzugehen, z.B. einfach mal etwas kommentieren, ohne große Reaktionen zu erwarten. Und dann wieder und wieder, in verschiedenen Momenten und verschiedenen Leuten.

Falls dir das sehr schwer fallen sollte, dann versuche, für deine Klasse auf jeden Fall ansprechbar zu sein. Also nicht miesepeterig dazusitzen mit verschränkter, verkrümmter Körperhaltung und düsterem Gesichtsausdruck, denn das schreckt die meisten Menschen ab. --> Achte auf deine Gedanken: Versuche, möglichst unvoreingenommen bzw. auch optimistisch zu sein und die zweifelnden Gedanken nicht zuzulassen. Das kann sich nämlich dann positiv auf deine Mimik und Gestik auswirken, wenn du selbst gelassen bist und "gelöst" wirkst. Damit fällt dann schon eine Hürde weg, sodass Klassenkamerad:innen auf dich zugehen können. Und wenn sie das tun, versuche auch zu lächeln, und sei es mit den Augen. Schaue sie an und zeige, dass du dich freust. Vielleicht kannst du ein Gespräch am Laufen halten, wenn jemand auf dich zugegangen ist.

Insgesamt betrachtet möchte ich dich darin bestärken, dir etwas zuzutrauen. Nur weil du länger brauchst, um aufzutauen, ist das kein Makel. Es ist einfach nur anders. Wir leben leider in einer Gesellschaft, in der Extravertriertheit und Offenheit über den Klee gelobt und propagiert werden. Aber das ist einseitig und einfach kacke. Es gibt kein "besser und schlechter". Menschen sind nun einmal verschieden und bestimmte Wesenszüge lassen sich auch nicht verändern. Jedenfalls nicht so, dass man völlig anders tickt. Du hast eben bestimmte Merkmale, die du akzeptieren solltest. Je mehr du dir wünschst, anders zu sein, desto verzweifelter wirst du. Wenn du dich so annehmen kannst, wie du eben bist, wirst du Erleichterung erfahren. Und deine Mitmenschen werden dir das positiv zurückmelden. Denn wer mit sich selbst zufrieden ist, strahlt das auch aus und wird somit anziehend für Andere. Vor allem für die, die ähnlich gepolt sind.

Außerdem noch mein Tipp, dir noch Freizeitbereiche zu suchen, in denen du dich mit anderen jungen Menschen umgeben kannst. Vielleicht in einer Jugendgruppe von der Kirche, den Pfadfindern, einer Umweltschutzgruppe etc. Erfahrungsgemäß klappt da die Integration besser, weil die Gruppen kleiner sind und meistens darauf geschaut wird, dass alle ihren Platz finden und so sein können, wie sie sind.

Es gibt ein ganz tolles Buch, das ich dir sehr empfehlen kann. Es heißt "Still und stark" und ist extra für introvertierte bzw. auch schüchterne Jugendliche geschrieben. Die Autorin heißt Susan Cain. Da geht es auch um gute Strategien im Umgang mit sozialen Settings, z.B. in der Schule und auf Partys.

Ich wünsche dir ein angenehmes Schuljahresende und einen grandiosen Sommer - genieße ihn und tue ganz viel von dem, worauf du Lust hast :)

Alles Liebe,
Nuala