Problem von Julien - 28 Jahre

Beziehung beenden?

Hey, ich habe ein kleines Problem, mit dem ich nicht so recht umgehen kann. Ich habe meinen Freund auf einer Freizeit (Camping) kennengelernt und innerhalb einer Woche haben wir uns so stark ineinander verliebt, dass wir zusammengekommen sind.
Nach der Freizeit kam allerdings nach und nach die Ernüchterung, weil er viele Probleme hat, die er zuvor verschwiegen hat. Außerdem muss ich dazu sagen, dass wir eine Fernbeziehung über 500km führen.
Ich habe natürlich damals gesagt "Ja okay das sind viele Probleme, aber das schaffen wir sicher". Er hat zum Beispiel Angst davor Zug zu fahren und hat keinen Führerschein, sodass ich immer zu ihm fahren muss. Er hat auch sein Studium abgebrochen (er meinte auf der Freizeit aber, dass er noch studiert...es war sogar ein Stück weit gelogen) und er bewirbt sich einfach nirgendwo. Er wohnt noch zuhause.

Ich selbst arbeite in Vollzeit und mache in meiner Freizeit eine Weiterbildung, die mir sehr wichtig ist.
Ich habe ihm damals aber auch gesagt, dass er an seinen Problemen arbeiten muss, da ich finde, dass es nicht ein Jahr oder länger so laufen kann.
Nun sind wir beide fast ein Jahr zusammen. Ich habe mir den Mund fusselig geredet, dass er endlich mal mit dem Führerschein angefangen hat. Ich habe mit ihm zusammen angefangen Bewerbungen zu schreiben, die nun eig schon fertig sind, aber er schickt sie nicht ab (er sagt er hat Angst davor, die Ausbildung nicht zu schaffen, weil es genau das ist was er machen will).
Ich hab also jetzt über ein Jahr hinweg immer und immer wieder versucht ihn zu motivieren und das neben meinem extrem stressigen Alltag.
Langsam ist von meiner Seite irgendwie die Luft raus. Klar macht er nun Führerschein (er sagt aber meistens, dass er es für mich macht.... das finde ich auch nicht richtig, denn er sollte es für sich machen).
Noch dazu kommt, dass er den Kontakt zu seinen toxischen Freunden abgebrochen hat (was gut ist), aber keine neuen Freundschaften aufbaut, während ich viele Freundschaften pflege.
Er ist also teilweise total auf mich fixiert und ich fühle mich oft wie ein Elternteil oder Therapeut.
Ich liebe ihn zwar bzw ich habe Gefühle für ihn und er ist kein schlechter Mensch oder so.
Er hat viele Probleme, aber ich bin langsam nicht mehr in der Lage, dort wirklich support zu liefern, da er ja am Ende nicht tätig wird. Ich hab das Gefühl wir leben in unterschiedlichen Welten und er kommt mir geistig auch eher wie 16 vor, weil er in seiner eigenen Bubble lebt.
Ich weiß nun nicht was ich tun soll. Ich hab ihm so unglaublich viel Hilfestellung gegeben, habe unglaublich viel geredet und motiviert usw. aber ich hab echt das Gefühl, dass es auf Dauer nicht klappt. Gleichzeitig liebe ich ihn und will ihn auch nicht verletzen (er macht das alles ja nicht mit Absicht). Ich denke schon über eine Trennung nach, aber er wird dann auch sehr zerstört sein, wird außer seiner Familie niemanden mehr haben etc.
Ich weiß echt nicht, was ich da noch weiter machen soll.

Nuala Anwort von Nuala

Lieber Julien,

auch du bekommst eine Entschuldigung. Wir sind im Team im Moment leider dünn besetzt und kommen nicht so richtig hinterher mit allen Zuschriften.

Ich tippe darauf, dass sich seit deiner Meldung einiges verändert hat. Wenn ja, hoffe ich natürlich auf eine positive Wende (wie auch immer diese geartet sein mag). Vielleicht möchtest du ja ein bisschen aus dem Nähkästchen plaudern.

Beim Lesen deiner Zeilen dachte ich mir vor allem zwei Dinge:

1. Ihr wart sehr rasch im "In-eine-Liebesbeziehung gehen". Daran ist an sich nichts Verwerfliches. Doch es hat eben auch seine Tücken - und ich glaube, dass ihr von ihnen getroffen wurdet.
Es ist schon ein Vorzug, sich Zeit zu lassen und sich gegenseitig in aller Ruhe kennenzulernen. Denn der Hormonrausch vernebelt leicht den Blick auf das große Ganze. So kommt es oft zu eigentlich eher ungünstigen Konstellationen, die rasch in einer Trennung enden. Es gibt nicht umsonst den alten Vers von Schiller: "Drum prüfe, wer sich ewig bindet".

2. Du bemängelst einerseits, dass du kein Elternteil, Therapeut, etc. für deinen Freund sein möchtest. Gleichzeitig hast du aber genau diese Rolle sehr hartnäckig ausgefüllt. Ich frage mich, ob du überhaupt die Freizeit, die romantischen Momente mit deinem Freund genießen und ausleben konntest oder ob du ihn vorwiegend als "defizitär" betrachtet hast. Verstehe mich nicht falsch: Es ist gut, nur das Beste für den Partner zu wollen. Dies aber bitte ohne Hintergedanken und Absichten, das Gegenüber nach den eigenen Vorstellungen formen zu wollen. Das Beste sollte man sich wünschen, egal wie es ausfällt. Es kann auch darin bestehen, dass sie oder er zunächst ordentlich auf die Schnauze fliegen muss und sich aus eigenen Stücken aus der Misere zu befreien lernt.
Doch ihn zu bearbeiten, ihm gut gemeinte Tipps zu geben und ihm dauernd zu zeigen, wie er _eigentlich_ sein sollte, das geht zu weit.
Hier zeigt sich, dass es keine bedingungslose Liebe ist. Dein Freund soll sich nicht verbiegen müssen, um mit dir zusammen sein zu dürfen. Und das hast du ja auch selbst erkannt. Doch Theorie und Praxis klaff(t)en wohl auseinander.
Du darfst dich selbst fragen, warum du so ein starkes Bedürfnis verspürt hast, ihn anzutreiben und zu beeinflussen. Dir selbst gebührt da ein sehr kritischer Blick!
Denn vergiss nicht: Dein Freund ist allein für sein Glück oder Unglück verantwortlich. Sich davon abzugrenzen und es zu akzeptieren, das wäre deine Aufgabe gewesen. Was nicht bedeutet, alles zu schlucken und abzunicken. Aber es besteht eben ein Unterschied darin, ob man beispielsweise fragt: "Darf ich dir zu XY meine Meinung sagen?" oder ob man loslegt und die Schritte vorgibt, die das Gegenüber doch bitte gehen soll. Wohlgemerkt nicht im eigenen Tempo, sondern im diktierten.

Ich muss sagen, dass ich es sehr ungünstig finde, dass er dich belogen hat. Das bestärkt mich in meiner Ahnung, dass ihr unter sehr speziellen Bedingungen zusammengekommen seid und dein Freund möglicherweise dachte, er müsse dich belügen, um bei dir überhaupt angesehen zu sein.

Ich kann dir nicht sagen, was ihr tun sollt. Du solltest nach deinem Gefühl handeln. Die Würfel sind wahrscheinlich längst gefallen.

Ich kann nur darauf hinweisen, dass eine Partnerschaft stets auf Augenhöhe erfolgen muss, um von Dauer zu sein und erfüllte Menschen zu einen. Und Liebe ohne Erwartungen, (An)forderungen und Illusionen stellt die Basis dieser tragenden Beziehung dar. Genau dies wünsche ich dir. Mit einem Menschen, der vollumfänglich zu dir passt und zu dem du dich voller Begeisterung bekennen möchtest. Mit allen Makeln, Eigenheiten und Unzulänglichkeiten.

Sei herzlich gegrüßt,
Nuala