Problem von Anonym - 18 Jahre

Der Suizid meiner besten Freundin

Am 11. Oktober 2020 hat meine beste Freundin Suizid begangen.
Ich kannte sie schon lange, aber wir hatten nie wirklich Kontakt. Unsere Freundschaft fing erst so wirklich durch Corona an (Zumindest eine gute Sache an dem Ganzen). Als der Erste Lockdown kam, fingen wir an hin und her zu schreiben. Sie wohnte auch im selben Dorf wir ich. Als es wieder erlaubt war, sich mit jemanden zu Treffen, machten wir etwas aus. Und da fing es an, seit dem Ersten Treffen, gab es keine Woche in der wir uns nicht sahen. Wir erzählten uns von unseren Problemen und waren mittlerweile Beste Freunde geworden. In der letzten Woche, in der sie noch am Leben war, trennte sie sich von ihrer Freundin und war sehr sehr traurig. Also fuhr ich täglich mit dem Auto zu ihr und wir redeten und redeten. Am Samstag sind wir zusammen weggegangen. Mit ein paar anderen Freunden saßen wir da und tranken auch etwas. An diesem Abend erfuhr ich das Erste Mal davon, wie schlecht es ihr wirklich ging. Sie sagte mir, dass sie nicht mehr leben wolle und sie es letzte Woche schon probiert hätte auf der Autobahn sich das Leben zu nehmen. Ich war total fertig und fing das Weinen an, vor allem weil es einen Monat davor schon einen Todesfall in meinem Freundeskreis gab. Ich wollte ihr Handy nehmen und ihre Mutter anrufen. Ich wollte das ihre Mutter sie abholt und mit ihr redet. Ich wollte das sie nicht alleine ist und sie weiß, dass wir alle für sie da sind. Doch anscheinend wollte sie keine Hilfe. Sie erlaubte mir nicht ihre Mutter anzurufen. Also rief ich meine Großmutter an. Ich wollte einfach nur noch nach Hause. Sie holte und ab. Auf dem Weg nach Hause, bot ich ihr an, dass sie bei mir schlafen kann. Das wollte sie nicht. Ich bot ihr an, dass ich sie hinauf bringe und das wir zusammen mit ihrer Mutter reden. Das wollte sie auch nicht.
Ich sagte zu meiner Oma, dass sie bitte warten solle, bis meine Freundin sicher drinnen angekommen war. Wir warteten 5 Minuten. Aber irgendwann mussten wir weiterfahren. Ich erzählte ihr im Auto noch, was meine Freundin zu mir gesagt hatte. Aber eigentlich heißt es doch immer: Die Leute die sagen dass sie sich umbringen wollen, machen es doch eh nicht. Deshalb fuhren wir nach Hause und ich ging in mein Bett. Ich rief sie noch 3 mal an und schrieb ihr eine Nachricht, dass sie sich melden solle. Doch es kam nichts mehr. Irgendwann bin ich eingeschlafen weil es echt schon spät war.
Am Nächsten Morgen kam um 7 in der früh meine Mutter in mein Zimmer und erzählte mir, dass sich meine beste Freundin in dieser Nacht auf der Autobahn vor ein Auto geschmissen hatte.
Anfangs war ich nur noch am weinen, ab 12 ca konnte ich einfach nicht mehr weinen. Ich konnte bis zum Tag der Beerdigung, die 1,5 Wochen später statt fand nicht mehr weinen. Jetzt ist es schon mehr als 3 Wochen her und ich kann einfach nicht weinen oder trauern. Ich hab Angst. Angst, dass andere Freunde nicht so stark sind wie ich. Ich weiß, dass ich stark bin. Wenn ich es meiner besten Freundin nicht angesehen habe, dass es ihr so schlecht geht, kann man es irgendwen ansehen??
Ich kann bis heute nicht realisieren was passiert ist. Ich denke ganz oft am Tag, dass sie gleich mit ihrer fröhlichen und offenen Art in mein Zimmer kommt und wir zusammen reden oder irgendetwas anderen zusammen unternehmen. Es ist einfach so schwer, weil man sich so hilflos und so furchtbar leer fühlt.
Ich halte nichts von Suizid, da dies für mich nicht mal der aller aller letzte Ausweg wäre, aber ich glaube, dass man das nur verstehen kann, wenn man in einer Situation ist, wo man nicht mehr weiter machen kann und weitermachen will. Ich wünsche mir einfach nur so sehr, dass ich endlich weinen kann!

Nuala Anwort von Nuala

Hallo du!

Ich kann dich so gut verstehen. Als Jugendliche war ich einmal in einer annähernd ähnlichen Situation. Auch jetzt, viele Jahre später, kommen mir die Tränen, wenn ich daran denke. Und gleichzeitig ist es für mich heilsam, deswegen zu weinen und meine Emotionen zu spüren.

Bei dir gibt es auch Momente, in denen du dich vermutlich "wie betäubt" zu fühlen scheinst. Vielleicht will dich dein Unterbewusstsein dann schützen, weil es sonst zuviel aufeinmal werden würde. Akzeptiere es und schaue, wie du gut für dich sorgen kannst. Sprich mit deinen Liebsten über deine Ängste, schreibe alles auf, was dich bewegt. Eventuell kommst du dann wieder ins Weinen.
Hier ist ein Video, das den Tod sehr anrührend in Wort und Bild darstellt. Vielleicht hilft es dir, die Tränen fließen zu lassen. "Ente, Tod und Tulpe": https://www.youtube.com/watch?v=te2MHluUx-8

Wir dürfen uns keine Vorwürfe machen - wir können eben nicht alles ahnen und vorwegnehmen. Wenn jemand die feste Absicht hat, das eigene Leben zu beenden, ist das eine Entscheidung, die dann meistens bestehen bleibt und nicht unbedingt erwähnt wird. Es gibt keine festen Regeln, wann man definitiv von einer Suizidabsicht ausgehen kann und wann nicht. Es gibt zwar das "Hilferufen", indem man von Suizidgedanken erzählt. Aber das ist etwas Anderes, als die konkrete Absicht zu haben und sozusagen nur noch auf die passende Gelegenheit zu warten.

Du bist eine ganz tolle Freundin, das sei dir gesagt! <3 So eine wie dich wünsche ich allen!
Diese Aufmerksamkeit und Wärme, das musst du dir unbedingt bewahren!
Grundsätzlich fehlt es uns oft an der Offenbarung und der Bereitschaft, als Gesellschaft wirklich füreinander da zu sein. Sehr viele Suizide könnten verhindert werden, wenn die Betroffenen in ihrer Verzweiflung bei mitfühlenden Menschen aufgefangen werden würden. Du hast das schon super gemacht, also fühle dich davon nicht im Negativen angesprochen. Du bist kein Profi, du wolltest einfach für deine Freundin da sein und gleichzeitig hast du darauf vertraut, dass sie sich für das Weiterleben entscheiden würde. Nur geht es mir um das generelle "raue Klima", in dem wir leben. Zu viele Menschen wachsen schon als Kinder in Lieblosigkeit und mit Angst auf. Jede:r Einzelne kann einen Teil dazu beitragen, dass es allen besser oder sogar richtig gut geht. Indem wir freundlich und zärtlich miteinander umgehen (auch mit Fremden!), aufmerksam sind, anstatt wegzuschauen. Indem wir vorsichtig nachfragen und unser offenes Ohr anbieten. Indem wir einfach mal zuhören und uns Halt geben. Indem wir im Zweifelsfall die Polizei rufen, eine fachliche Beratung in Anspruch nehmen und dadurch Expert:innen ins Boot holen.

Zum Thema Vertrauen: Ich glaube, du hast es gerade doppelt schwer. Allein die Trauer, dass deine beste Freundin gestorben ist, gepaart mit dem zweiten Sterbefall in deinem Umfeld. Das ist hart und braucht viel Aufarbeitung. Ich habe den Eindruck, dass du ein großes Grundvertrauen hast, das nicht einfach wegbricht. Gib dir die Zeit, alles Erlebte zu verdauen. Es ist normal, nach solchen Schicksalsschlägen alles in Frage zu stellen und Ängste zu haben. Gleichzeitig kannst du dich selbst beruhigen und dir gut zureden. Vertraue dir selbst, höre auf das, was du gerade brauchst. Alles ist okay! Und auch deine Freund:innen werden bei dir sein - nur weil manche Steine aus dem Mauerwerk gefallen sind, stürzt nicht die gesamte Mauer ein. Auf diese "Substanz" kannst du bauen - pflege dieses Mauerwerk, füge irgendwann neue Steine hinzu. Die alten Steine wirst du nicht vergessen. Die Menschen, die wir lieben, sind stets bei uns.

Ich habe dir dazu ein paar Zuschriften herausgesucht, die sich mit Tod, Trauer und der seelischen Aufarbeitung befassen. Ich möchte dir auf jeden Fall versichern: Deine innere Stärke ist dein Tempel, in den du dich immer zurückziehen können wirst. Ich bin zuversichtlich, dass du Mittel und Wege finden wirst, um mit deinen aufkommenden Gedanken und Gefühlen so umzugehen, dass es dir im Laufe der Zeit besser gehen wird.

- https://mein-kummerkasten.de/332735/Ein-Freund-hat-sich-umgebracht.html
- https://mein-kummerkasten.de/332355/Sterbefall.html
- https://mein-kummerkasten.de/331675/Ich-kann-nicht-mit-dem-Tod-von-meinem-Vater-abschliessen.html

Ich wünsche dir alles Liebe,
Nuala