Problem von Anonym - 16 Jahre

Wie gehe ich mit meiner Freundin und ihren Problemen um?

Hi,
ich fang einfach mal an. Vor einem guten Jahr kam ein Mädchen in meine Klasse, die unter sehr starken psychischen Probleme leidet (Depressionen, Magersucht und vor einem halben Jahr hat sie sich auch geritzt). Sie wurde davor psychisch betreut und wechselte von einem Gymnasium zu uns auf die Gesamtschule, damit sie nicht die neunte wiederholen musste. Ich gehe auf eine sehr soziale Privatschule, auf der Mobbing nicht so krass vorkommt, wie in vielen anderen Schulen und in unserer Schule ist die Beziehung zwischen Schüler und Schüler, oder Schüler und Lehrer vielleicht noch einmal etwas persönlicher, aufgrund des gemeinsamen Glaubens, den wir an unserer Schule teilen. Das war auch der Grund, wieso meine Freundin zu uns kam. Da ich immer eher offen bin, habe ich mich direkt mit ihr unterhalten und habe sie praktisch in meine Freundesgruppe aufgenommen, ohne von ihren Problemen zu wissen. Man muss dazu sagen, dass meine zwei besten Freundinnen und ich uns schon lange kennen und eine enge Beziehung pflegen, trotzdem ist die Neue irgendwie bei uns sehr gut reingekommen, was mich auch voll gefreut hat. Jedoch begann sie mir relativ schnell von ihren Problemen zu erzählen. Erst fand ich es voll cool, dass sie sich mir und meinen Freunden so anvertraute und dachte echt ich könnte ihr vielleicht helfen, weil ich auch schonmal mit Ritzen zu tun hatte , doch nach einiger Zeit nervte mich ihre durchgehende depressive Stimmung und Selbstzweifel, die sie dauernd aussprach, so gemein es auch klingen mag. Ich fühlte mich schlecht wenn ich einen Witz erzählte und alle lachten außer sie, ich hatte Angst etwas falsches zu sagen, was sie z.B. wegen ihrer Magersucht verletzten würde, weil ich manchmal ein bisschen direkt bin, ohne es böse zu meinen. Jedenfalls begann ich mich immer mehr mich von ihr zu distanzieren, weil ich zum Einen merkte das mir diese "Freundschaft" nicht gut tat und weil sie mich immer mehr an meine Mutter erinnerte, die wie zur gleichen Zeit erfuhr, auch unter Depressionen und Magersucht leidet. (Meine Familie ist trotzdem mega toll, ich fühle mich voll wohl und die Probleme meiner Mutter belasten mich wenig) Aber ich hab es einfach nicht mehr geschafft mit dem Mädchen "deeptalks " zu führen. Dann kam Corona, sie kam wieder in die Psychiatrie und wir hatten nicht sehr viel Kontakt. Jetzt sind wir in unterschiedlichen Klassen: meine besten Freundinnen und sie sind in einer Klasse und ich bin alleine in einer anderen. Und jetzt kommen endlich (meine) Probleme: Die drei sind immer zusammen, weil sie ja in einer Klassen sind und ich sehe sie nicht mehr jede Pause, auch weil ich nicht mit dem Mädchen gerne bin, die immer noch durchgängig depressiv gestimmt ist. Meine Freundschaft zu den anderen beiden leidet voll darunter, weil ich sie NIE ohne sie sehe und deswegen einfache unsere alte Art verloren gegangen ist. Meine eine Freundin hat sich mir anvertraut und erklärt, dass sie sich langsam wie die Psychologin des Mädchens fühlt, weil sie sich immer ihre Probleme anhören muss, sie tröstet und durch sie traurig gestimmt ist, weil es sie sehr belastet. Dem konnte ich mich ja frühzeitig entziehen. Trotzdem sind beide meiner Freunde vieeel zu lieb um sich jemals mit ihr auszusprechen, weil wir alle Angst haben somit der Grund für einen "Rückfall" bei ihr sein zu können. Es ist aber einfach keine richtige Freundschaft und unsere Beziehungen leiden alle darunter.

Also, kann ich es riskieren mit ihr darüber zu sprechen, oder sollten wir es einfach noch die paar Jahre durchhalten und sie nicht verletzten?

Es tut mir so leid, dass das jetzt so lange geworden ist. Vielen Dank schonmal im Voraus!

Lan Anwort von Lan

Liebe Ratsuchende,

vielen Dank, dass du dich uns anvertraut hast.

Ich finde es wundervoll, dass du und deine besten Freundinnen das Mädchen so herzlich aufgenommen und mit ihr Freundschaft geschlossen habt. Es ist schön, dass ihr für sie da seid und bei Problemen zuhört. Das muss man einfach wertschätzen und ich denke, das wird dieses Mädchen auch tun. Es ist bewundernswert, was ihr alles bereits geleistet habt.

Ich kann sehr gut verstehen, dass dich das auch herunterzieht. Depressionen belasten nicht nur den Betroffenen, über längere Zeit trifft es auch die Angehörigen oder eben auch Freunde.

Das ist eine sehr schwierige Situation, in der ihr euch befindet und ich kann verstehen, dass du unsicher bist, wie du mit deiner Freundin umgehen sollst. Einerseits willst du sie nicht verletzen und runterziehen, andererseits willst du aber auch, dass es deinen besten Freundinnen und auch dir gut geht.
Es ist gut, dass du sowohl die Bedürfnisse deiner Freundin als auch die eigenen und die deiner besten Freundinnen im Blick hast.

Der Umgang mit depressiven Menschen kann echt herausfordernd sein und belastend. Oftmals fühlt man sich hilflos, will helfen, aber schafft es nicht. Und hat auch Angst, etwas falsch und damit alles schlimmer zu machen. Das kann überfordern und es ist auch normal, dass du dich überwältigt gefühlt hast und nicht mehr so weitermachen wolltest.

Ich merke, dass du ebenso darunter leidest, dass es deine besten Freundinnen belastet und sich dadurch auch eure Freundschaft verändert hat. Das ist traurig und nimmt dich sehr mit, das kann ich mir vorstellen. Ich kann auch verstehen, wenn du dir wünscht, dass sich deine besten Freundinnen von deiner einer Freundin distanzieren. Nicht nur dir zuliebe, sondern damit es deinen Freundinnen wieder besser geht.

Dir kommen zwei Möglichkeiten in den Sinn: 1. Mit ihr offen reden 2. nichts sagen und so weiter machen.
Ich denke, es gibt noch mehr Möglichkeiten und die sollten ihr auch in Betracht ziehen.


Grenzen kennen und einhalten

Viele denken, sie müssten sich vollkommen von den depressiven Freund aufopfern und alles tun, auch die eigenen Bedürfnisse unterdrücken. Aber das ist gar nicht gut. Es ist wichtig, dass man als Freund eines depressiven Menschen gut für sich sorgt, auf sein Wohlbefinden und die eigene Gesundheit achtet.

Generell denke ich, dass es wichtig ist, seine eigenen Grenzen zu kennen, wie viel man geben und aufnehmen kann, wo dann irgendwann auch Schluss ist. Ich finde es gut, dass du da ein Gefühl für hast und gemerkt hast, dass dir das zu viel wird. Vermutlich hast du die Grenze deiner Belastbarkeit gefunden und konntest nicht mehr. Ich kann das verstehen, dass dir das zu viel wurde, zumal du dann auch mit den Problemen deiner Mutter beschäftigt warst. Das war dann auch einfach zu viel. Und da denke ich, ist es absolut gesund, wenn man sich distanziert, weil man sonst selbst darunter zugrunde geht.


Mit den Freundinnen reden

Das scheint deinen besten Freundinnen schwerer zu fallen.
Ich finde, du solltest unbedingt noch mal mit deinen Freundinnen darüber reden. Ganz offen und ehrlich. Schildere, wie du es siehst, wie du dich mit der anderen Freundin gefühlt hast und wie es dir damit ging, als du dich distanziert hattest. Sprich mit ihnen, wie du dich jetzt momentan fühlst, worüber du dich sorgst, was dich belastet - teile ihnen das mit, was du uns geschrieben hast. Aber bleibe ganz bei dir, sprich nur aus deiner Sicht und frage sie, wie sie dazu stehen, wie sie fühlen und denken und was sie gern hätten. Vielleicht könnt ihr gemeinsam nachdenken, welche Möglichkeiten es überhaupt gibt und was sie bevorzugen würden.

Vielleicht kannst du ihnen dazu raten, dass sie sich auch mal etwas Gutes tun und versuchen, trotzdem auch andere Freundschaften zu pflegen. All die Energie, die man aufwendet, muss man auch wieder bekommen, man muss seine emotionalen Tanks wieder füllen, irgendwann sind sie ja aufgebraucht.

Deine Freundinnen können für die andere Freundin trotzdem da sein, aber können und sollten immer wieder Abstand gewinnen, um für sich zu sorgen. Man kann nicht rund um die Uhr für jemanden da sein, das würde überfordern und kaputt machen. Vielleicht kannst du deinen Freundinnen erzählen, dass es auch wichtig ist, dass sie ihre Grenzen kennen und sich Ruhephasen, Zeit für sich einfach einfordern. Es ist wichtig, dass auch deine Freundinnen ihr Leben haben, ihre Bedürfnisse pflegen, das tun, was ihnen Spaß macht.

Du kannst mit deinen Freundinnen reden und gemeinsam überlegen, was das Beste wäre. Aber in keinem Falle kannst du für die beiden entscheiden. Das liegt in ihrer Hand. Was du jedoch beeinflussen kannst, ist dein eigener Umgang mit dem Mädchen und da hast du bewiesen, dass du das selbst auch in die Hand nehmen kannst.


Verständnis für die depressive Person entwickeln

Der Umgang mit depressiven Menschen fordert viel von den Mitmenschen ab. Aber bedenkt bitte: Deine Freundin hat sich das nicht ausgesucht und wollte auch nie jemandem zur Last fallen. Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass dich das trotzdem herunterzieht und du genervt bist. Das ist absolut verständlich. Mir ging es so ähnlich, da ich auch mal einen depressiven Freund hatte. Leicht ist es nie. Wenn sich also deine Freundinnen entscheiden, weiterhin für sie da zu sein, sollten sie Geduld aufbringen und auch kleine Schritte als große Erfolge feiern. Auch wenn es nicht rosig aussieht, bleibt zuversichtlich. Depressionen sind eine Krankheit, die sich gut behandeln lässt. Das Krank sein geht auch wieder vorbei. Das könnte ihnen helfen, besser damit umzugehen.


Der depressiven Freunden mitteilen, wie es euch geht, aber sensibel

Ich denke, dass ihr dann auf jeden Fall noch einmal mit der einen Freundin reden solltet. Ihr seid Freunde, da sollte sie wissen, wie es euch geht. Ich kann natürlich verstehen, dass ihr sie nicht noch mehr belasten wolltet, wenn sie ohnehin schon mit Problemen zu kämpfen hat. Das ist auch toll, dass ihr euch für sie so einsetzt und sie nicht hängen lassen wollt.

Auch wenn man versucht, die depressive Freundin nicht zu verletzen, muss man trotzdem klar sagen, wenn Grenzen überschritten werden oder man etwas nicht mehr kann und will. Wichtig ist, wie und wann man es kommuniziert. Es ist wichtig, rechtzeitig und vor allem sensibel und vorsichtig mitzuteilen, wenn sie Zeit für sich benötigen und nicht einfach so explodieren oder verschwinden. Die Situation ist für alle sehr schwierig und es ist okay, wenn man sich auch mal zurückzieht. Unbedingt sollte mitgeteilt werden, dass es nicht an ihr als Person liegt, sondern man eben auch Ruhe braucht, um seine Batterien aufzuladen. Und dass sich abgrenzen nicht bedeutet, dass sie sie verlassen, sondern Kraft brauchen, um wieder gut helfen zu können.


Weitere Möglichkeiten, um sich selbst und der Freundin zu helfen

Wenn ihr das noch nicht getan habt: Informiert euch auch ausführlich über die Krankheit Depressionen. Das kann helfen, sicherer im Umgang damit zu werden, eure Freundin besser zu verstehen und sie zu unterstützen.

Klare Gesprächszeiten, wo eure Freundin über ihre Sorgen und Probleme sprechen kann, wären sinnvoll, um deine Freundinnen zu entlasten. Das kann helfen eurer Freundin auch helfen, sich wieder an Regeln zu halten. Das wäre einer der vielen kleinen Schritte zurück zur Normalität.

Ich weiß nicht, ob deine Freundin derzeit noch zum Therapeuten geht. Wenn sie nicht behandelt wird, könntet ihr ihr anbieten, professionelle Hilfe zu suchen. Das kann auch wahnsinnig entlastend für alle sein. Aber natürlich nur, wenn eure Freundin das auch will.

Vielleicht könnt ihr auch darüber überlegen, zu einer Selbsthilfegruppe für Angehörige von depressiven Menschen zu gehen. Dort könntet ihr euch mit Menschen in ähnlichen Situationen austauschen und wie diese mit depressiven Menschen umgehen, was ihnen hilft etc.

Unbedingt sollten deine Freundinnen auch selbst darüber nachdenken, sich professionelle Hilfe zu suchen. Vor allem, wenn sie weiterhin intensiv für eure Freundin da sein will. Das kann für sie eben auch sehr belastend sein, weswegen eine professionelle Hilfe mehr als ratsam und wichtig wird.


Ihr seid nicht für ihre Probleme verantwortlich

Du schreibst, dass ihr Angst davor habt, dass ihr sie verletzen und damit eine Art Rückfall erzeugen könntet. Ich kann eure Sorge verstehen. Aber ihr solltet wissen: Ihr tragt keine Verantwortung für den Gesundheitszustand eurer Freundin. So schwer es ist, ihr seid nicht dafür verantwortlich, wie sich eure Freundin fühlt und reagieren wird. Natürlich solltet ihr trotzdem darauf achten, was ihr sagt und wie ihr es sagt. Aber wie es am Ende bei ihr ankommt, habt ihr leider nicht in der Hand. Ihr könnt nur versuchen, so einfühlsam wie möglich miteinander zu kommunizieren. Ihr seid auch nicht dafür da, alle ihre Probleme zu lösen. Das kann nur sie mit professioneller Hilfe.


Ich habe dir noch einige Links zusammengestellt, aus denen du dir noch mehr Anregungen holen kannst:

https://mein-kummerkasten.de/332984/Depressive-Freundin.html
https://mein-kummerkasten.de/310331/Freundin-hat-Depressionen.html
https://mein-kummerkasten.de/332701/Depression.html

https://www.deutsche-depressionshilfe.de/depression-infos-und-hilfe/rat-fuer-angehoerige
https://www.patienten-information.de/kurzinformationen/depression-ratgeber-fuer-angehoerige#
https://www.selfapy.com/de/blog/depression/umgang-mit-depressiven-freunden-wie-kann-ich-helfen
https://www.refinery29.com/de-de/menschen-mit-depressionen-helfen
https://www.spiegel.de/psychologie/hilfe-bei-depressionen-was-freunde-und-familie-tun-koennen-a-4dec3b64-6734-4d03-a7ce-bfe377740d23
https://www.gesundheitsinformation.de/strategien-fuer-angehoerige-und-freunde.html
https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Ordner/Patienteninformationen/Depression_Angehoerige.pdf
https://www.apotheken-umschau.de/Depression/Depressionen-Was-koennen-Angehoerige-tun-32754_13.html
https://ze.tt/ein-unsichtbares-netz-so-kann-freundschaft-bei-depressionen-helfen/



Du sollst wissen, dass du dich jederzeit bei uns melden darfst, wenn dich etwas bedrückt.

Falls du mal reden willst, aber keiner zur Stelle ist, empfehle ich dir auch die Nummer gegen Kummer (https://www.nummergegenkummer.de), falls du auch eine anonyme Telefonberatung brauchst.

Ich wünsche dir und deinen Freundinnen wirklich von Herzen alles Gute und ganz viel Kraft, diese schwere Zeit durchzustehen. Wenn du noch Fragen hast oder Hilfe brauchst, kannst du uns gern wieder schreiben.

Beste Grüße,
Lan