Problem von Daniel - 32 Jahre

Respekt aussprechen oder sein lassen

Hallo, ich möchte es gar nicht als Problem benennen denn es ist etwas anderes aber es beschäftigt mich.

Ich sehe im Moment täglich an der Bushaltestelle zwei junge Frauen um die 20. Eine von ihnen scheint als sei sie in einer Geschlechtsumwandlung. Sie hat lange Haare, trägt Frauenkleidung aber hat eine Stimme wie im Stimmbruch. Mir kam der Gedanke, dass ich davor unheimlichen Respekt habe, dies für sich zu erkennen und die Umsetzung anzugehen. Ich verspüre das Bedürfnis ihr meinen Respekt auszusprechen. Bin aber sehr unsicher ob ich das "darf" und wie ich das wohl tun soll. Ich bin halt recht schüchtern und will nicht dass es nur als Mittel zum ansprechen gesehen wird .
Oder ich äußere erst ihrer Freundin meinen Respekt denn direkt ist es der Freundin vielleicht unangenehm darauf angesprochen zu werden oder ich traue mich sicher nicht . Das Ding ist natürlich dass mich das ja eigentlich nichts angeht.

Könnt ihr mir verraten wie und ob ich ihr was sagen kann?

Dankeschön für eure Antwort und überhaupt eure Arbeit hier
Lg Daniel

Nuala Anwort von Nuala

Lieber Daniel,

ich finde es schön, dass du dir Gedanken um deine Mitmenschen machst.
Nun, ich kann nicht beurteilen, ob sich die Person in einer Transition/Geschlechtsangleichung (das wären die passende Begriffe) befindet. Vielleicht erliegst du da auch einer Täuschung, da Menschen ja meistens ins starre Schubladen einsortiert werden. Vielleicht hat die Person aus anderen Gründen eine solche Stimme.

Vorneweg: Erst die Freundin anzusprechen finde ich absurd und peinlich für alle Beteiligten.

Zum Respekt Aussprechen an sich: Wenn es wirklich deine wahre Absicht ist, ginge es meiner Meinung nach vor allem um das WIE (inklusive Gesamtsituation). Denn sich gegenseitig Anerkennung zu zeigen und damit auch eine gewisse Solidarität, halte ich übergeordnet für sehr wichtig und gesellschaftlich relevant!
Da du nicht weißt, ob die Person tatsächlich in einer Geschlechtsangleichung befindlich ist, ist es definitiv schwierig. Du hättest dich Möglichkeit, das vorsichtig anzusprechen.
Vielleicht trittst du behutsam heran, wartest, wie sie reagieren, begrüßt sie freundlich und sagst dann ganz einfach, was du auf dem Herzen hast, wünschst noch einen schönen Tag und gehst dann deiner Wege. Diesen Abstand am Ende finde ich bedeutsam. Denn damit markierst du, dass du lediglich das loswerden wolltest und mehr nicht. Dann hätten die beiden bzw. die eine Person auch wieder genug Raum (und Zeit) für sich.
Dann würde ich mich an deiner Stelle aber auch darauf einstellen, dass eine (unerwartete) Offenheit besteht und du viel erfährst - hier solltest du ebenfalls abwägen, wie interessiert, diskret und achtsam du bist.

Ich würde es jedoch sein lassen, sofern du eher oberflächlich interessiert bist - außer du bist so ehrlich und gibst deine Unsicherheit vollumfänglich zu und riskierst einen großen Fettnapf. Das kann durchaus charmant sein, "entwaffnend ehrlich" zu sein und das Interesse zu zeigen. Ich denke, man kann das durchaus erkennen, ob jemand wirklich angenehm-neugierig ist oder einen Vorwand sucht, um eine Anmache zu starten oder Schaulustigkeit zu befriedigen. Allerdings ist es bei einem so intimen Bereich wie dem Körper und der Persönlichkeit, der ganzen Identität, absolut heikel, einfach mal eben auf der Straße angesprochen zu werden. Andererseits kann es auch positiv erlebt werden. Ich stecke nicht in diesem Menschen - und selbst wenn er sonst positiv/negativ reagiert hätte, ein bestimmtes Setting kann es schon in eine andere Richtung lenken.
Von daher: Wenn deine Absicht ist, deine pure Neugier zu befriedigen, solltest du es lassen. Du musst davon ausgehen, dass sich diese Person, egal ob trans* oder nicht, öfter mit diesen Fragen und Kontaktversuchen auseinandersetzen muss.
Wenn du aber mehr zu sagen hast, z.B. deine menschliche Anerkennung für die Konsequenz/den Mut oder was auch immer zu zeigen, dann mach' es ruhig.

Doch was ich dir eher empfehlen würde: Dich mit Transidentitäten auseinanderzusetzen. Das wäre in meinen Augen der eleganteste Weg, dich "anzunähern", und zwar nicht an die Person(en), sondern an ein neues Gebiet. Letztlich geht uns alle ja das Thema Geschlechtervielfalt etwas an.
Schau' z.B. hier:
https://queer-lexikon.net/uebersichtsseiten/trans/
http://www.meingeschlecht.de/

Du kannst dein Anliegen, sofern es dich auch weiterhin umtreibt, auch im Queeren Kummerkasten stellen (siehe erster Link), weil die Leute dort viel mehr Ahnung haben und ggf. eigene Erfahrungen beisteuern können.


Ich grüße dich und wünsche dir alles Gute für 2021.
Nuala