Problem von Anonym - 15 Jahre

Angst verletzt zu werden

Also ich habe halt einen Kumpel, den ich mittlerweile schon als Bruder ansehe. Wir sind uns also schon ziemlich nahe und reden auch jeden Tag miteinander. In letzter Zeit habe ich jedoch oft bemerkt, dass ich immer wieder versuche, Distanz zwischen ihm und mir zu schaffen, weil ich nicht möchte dass ich ihm noch näher komme und er irgendeinen Blödsinn macht der mir dann richtig wehtut. Und eigentlich macht das keinen Sinn, er macht ja keine Anzeichen oder sonstiges dass er auf einmal mich allein lässt oder dass er vertrauliche Dinge gegen mich einsetzt oder sowas. Aber es ist halt ständig dieser nervende Gedanke da "Na und wenn doch?". Und ich mag es halt überhaupt nicht weil ich glaube, dass er das auch mitbekommt, wenn ich einfach Distanz schaffe, und eigentlich möchte ich das auch gar nicht, aber ich kann mich einfach nicht so fallen lassen und hoffen, dass wer mich auffängt. Heute zum Beispiel habe ich einen Anruf einfach so beenden müssen, ohne richtigen Grund, und danach hab ich mich sau schlecht gefühlt deswegen, weil wir eigentlich ne gute Zeit hatten. Aber ich will ihm nicht zu nahe kommen, aber irgendwie schon?
Ich glaube ich kann mir auch vorstellen, woran das Ganze hier liegt, denn ich hatte mal ne Freundin die genau das gemacht hat, wovor ich jetzt Angst habe: Als ich ihr mein volles Vertrauen gegeben habe, hat sie mich komplett ausgenutzt, um an meine Schwester zu kommen, und sie hat mir Dinge gesagt wie: "Ich hasse dich", nur weil ich mal nicht genau die Sache gemacht hab die sie mir aufgetragen hat, und danach hat sie die Aussage geleugnet und sich selbst ins positive Licht gestellt.
Nur war es mir damals eben relativ schnell egal, ich dachte ich sei drüber hinweg, und jetzt auf einmal muss ich immer wieder an diese Freundin denken wenn ich mit meinem Kumpel rede? Der ist überhaupt nicht wie sie, aber trotzdem??

Ich hab einfach gar keinen Plan wie ich mich hier jetzt verhalten sollte. Ich will diese blöden Gedanken wegbekommen, weil ich weiß dass die nur schaden werden, und vllt die ganze Freundschaft versauen. Aber ich weiß wirklich nicht, wie. Ich hasse es einfach dass ich nicht wie ein ganz normaler Mensch rational und normal handeln kann, sondern mir ständig zig worst-case Szenarios zu jedem Blödsinn ausdenken muss, die eigentlich gar nicht der Realität entsprechen. Aber es "könnte ja doch sein".....

Lan Anwort von Lan

Lieber Ratsuchende oder liebe Ratsuchende,

ich danke dir vielmals, dass du den Mut hattest uns zu schreiben und du dich uns anvertraut hast. Das war sicherlich nicht leicht für dich. Das ist sehr lobenswert, dass du dir bei uns Rat und Hilfe suchst. Ich danke dir für dein Vertrauen und hoffe, dir weiterhelfen zu können.

Es trifft mich, dass du dich in dieser Situation befindest und nur schwer Vertrauen zu deinem Kumpel fassen kannst, obwohl du ihm so gern vertrauen willst.
Ich merke, dass du darunter leidest, dass du nur schwer vertrauen kannst. Du willst deinem Kumpel noch näher sein, ihm vollkommen vertrauen. Und das ist ein sehr guter Wille. Wenn der Wille stark ist, dann glaub mir, kannst du auch an deinem Problem arbeiten und lernen, wieder mehr zu vertrauen.

Ich finde es schon toll, dass du so reflektiert bist und auch womöglich die Ursache hinter deinem Verhalten entdeckt hast. Das ist schon mal sehr wichtig und wertvoll, um eine Lösung für dein Problem zu finden.


Vertrauensbruch

Damit wir jemanden nah an uns heranlassen können, brauchen wir Vertrauen. Und ich merke, dass es dir sehr schwer fällt, Vertrauen zu fassen aufgrund dieses doch traumatischen Erlebnisses. Du schreibst, du wärst drüber hinweg, aber die Erfahrung hat dich tief geprägt, sodass sie sich immer noch auf dich und deine Freundschaft auswirkt.

Ich finde, zunächst solltest du dich mit der früheren Erfahrung mit der einen Freundin befassen. Denn scheinbar hast du es damals nicht gemacht, dich damit zu beschäftigen, dich zu fragen, was das mit dir macht, wie sehr es dich verletzt. Wenn du darüber nachdenkst, glaube ich, kannst du das Trauma aufarbeiten und es vielleicht loslassen. Das würde bedeuten, dass du ein Stück weit mehr Vertrauen fassen kannst.

Die beiden Personen, dein jetziger Kumpel und die damalige Freundin, sind zwei unterschiedliche Menschen. Vielleicht solltest du dir das noch einmal mehr bewusst machen. Was gibt dir dein Kumpel? Wie kommt es, dass ihr euch so nahe seid? Was hat er, dass er dir doch so nahe steht?


Nähe und Vertrauen bedeutet immer sich verletzlich machen

Meine Meinung und Ansicht zu deinem Problem: Du hast Angst davor, wieder ausgenutzt und verletzt zu werden und ziehst es daher unbewusst vor, Abstand zu gewinnen, um dich davor zu schützen. An sich meint es dein Unterbewusstsein oder eben auch dein Anteil, der auf Abstand geht, nur gut mit dir. Er will dich vor Bösem bewahren. Das erst einmal zu realisieren, dass du dich damit selbst schützt und eigentlich nur das Positive willst, ist ein wichtiger Schritt zur Annahme. Es gilt für dich, diesen Anteil an dir zu akzeptieren. Wenn du dich zu sehr dagegen wehrst, wird es schwer, etwas daran zu ändern. Das mag widersprüchlich klingen, aber ist so. Erst wenn wir mit uns im Reinen sind, können wir uns verändern und an unseren Fehlern und Schwächen arbeiten.

Jemandem zu vertrauen, nah ranzulassen und sich zu öffnen, kann verdammt schwer sein. Außerdem machen wir uns verletzlich und das ist es, wovor du dich gerade fürchtest. Doch die Wahrheit ist: Wir können nur jemandem nahe sein, wenn wir bereit sind uns auch verletzlich zu machen. Es kann immer wieder passieren, es ist immer mit Risiken verbunden. Es kann gut geht, aber auch schief gehen wie im Falle deiner Freundin. Aber glaub mir: Das war vermutlich ein Einzelfall. Und du kennst deinen Kumpel vermutlich besser und weißt ja rational gesehen, dass er so etwas nicht tun würde. Doch die Angst ist eben nicht rational, es hat auch gar nicht speziell mit ihm etwas zu tun, sondern mit dem negativen traumatischen Erlebnis aus der Vergangenheit.


Sprich ehrlich mit deinem Kumpel

Ich denke, dass es wichtig für dich wäre, deinem Freund ehrlich zu sein und ihm mitzuteilen, was in dir vorgeht und warum du auf Distanz gehst. Das wird dir vermutlich aber auch Angst machen, weil du glaubst, er würde dann von dir Abstand nehmen. Ich kann mir vorstellen, dass es für dich sehr schwer wird, weil du dich dann offen zeigst mit deiner Schwäche. Das kostet sehr viel Überwindung, aber wenn ihr euch so nahe steht und du ihm vertrauen willst, geht das nur, indem du ihm Vertrauen schenkst. Es ist immer eine Art Vertrauensvorschuss, wir hoffen darauf, dass das Vertrauen nicht missbraucht wird. Aber wir können nie sicher sein.

Wenn er wirklich ein guter Freund ist, wird er das verstehen, akzeptieren und dir auch Freiraum und Zeit geben. Er wird geduldig sein und akzeptieren, dass du so bist wie du bist, mehr Zeit brauchst. Und er kann dein Verhalten auch besser einordnen, ohne verletzt zu sein. Glaub mir, er kann dir beistehen und dir den Rücken stärken, auch wenn du dich gerade sehr allein mit deinem Problem fühlst. Er ist gleichzeitig derjenige, mit dem du dieses Vertrauensproblem hast, aber auch derjenige, dem du dich in dieser Sache auch anvertrauen kannst und solltest. Ihr könnt darüber reden, so gut wie es für dich geht, und gemeinsam überlegen, was er für dich tun kann, wie ihr weiter macht. Du musst das nicht für dich behalten. Ich weiß, es wird schwer sein, sich da zu öffnen und sich verletzlich zu machen. Aber du kannst es schaffen, ich glaube an dich! Wenn du dich nicht traust, es ihm persönlich zu sagen, schreib ihm doch mal einen Brief. Dann kannst du in Ruhe überlegen, wie du es am besten vermittelst und er liest sich den Brief auch vielleicht in Ruhe durch oder wenn ihr zusammen seid.


Das Positive beim Vertrauen sehen

Da du schon schreibst, dass du eher vom Negativen ausgehst, versuche doch auch an die positiven Seiten zu denken, wenn du ihm vertraust: Er schenkt dir auch mehr Vertrauen. Denn nur wenn wir Vertrauen geben, bekommen wir es auch zurück. Er wird sich dir öffnen und wird sich auch verletzlich machen. Eure Beziehung kann dadurch noch viel enger und inniger werden. Du wirst jemanden an deiner Seite haben, der dich gut kennt und zu dir hält und dich unterstützt, auch wenn du mal schwach wirst. Da ist jemand da, der dich so nimmt wie du bist. Und das ist unglaublich toll! Das geht aber nur, wenn du wirklich vertraust.

Vielleicht hilft es, mit deinem Kumpel Dinge zu probieren, wo Vertrauen gefragt ist. Ihr probiert neue Sachen aus, wo auch ein gewisses Risiko besteht, dass sie nicht so gut werden. Positive Erlebnisse, tiefgründige Gespräche, wo du dich Stück für Stück offenbarst. Mache das in deinem Tempo, nähere dich ihm langsam an. Suche seine Hilfe, bitte ihm um Rat, dann wirst du sehen, ob er ein echter Freund und vertrauenswürdig ist.


Pessimistische Gedanken

Ich sehe eine enge Verbindung zwischen deiner Angst vor Verletzung und deinen eher negativen Gedanken. Und dieses pessimistische Denken verstärkt auch gleichzeitig die Angst vor Ablehnung und Verletzung und macht es dir schwer, deinem Kumpel zu vertrauen.

Es gilt, diese negativen Gedanken zu hinterfragen: Sind sie wirklich wahr? Was gibt dir wirklich das Gefühl, dass es sein könnte, dass er dich verletzt und dein Vertrauen missbraucht? Wie wahr kann das sein? Und was würde passieren, wenn er das tun würde? Wie würdest du dich fühlen?


Den Schmerz loslassen lernen

Wir sind alle auf unsere Art und Weise verletzlich, weil wir eben Menschen sind. Und du bist vermutlich jetzt ganz besonders verletzlich, versuchst dich zu schützen. Dass du von deiner damaligen Freundin verletzt wurdest, ist hart zu verkraften. Der Schmerz ist noch tief und die Erfahrung hat dich geprägt. Aber es geht trotzdem im Leben weiter, auch wenn dich mal die Tiefen einholen, kommen auch wieder Höhen. Entscheidend ist es jetzt, was du mit dieser negativen Erfahrung machst. Versuche, diese Erfahrung loszulassen und dich nicht mit ihr zu identifizieren.

Du kannst hier und jetzt entscheiden, die Vergangenheit hinter dich zu lassen. Lasse die Handlung der damaligen Freundin nicht dein restliches Leben bestimmen. Du kannst selbst entscheiden, wie sehr du es an dich heranlässt. Ich weiß, das ist nur schwer, weil du wahrscheinlich noch sehr davon geprägt bist. Aber du kannst durchaus Abstand gewinnen. Lass diese Freundin nicht die Macht über dein Leben haben.

Wenn du jetzt keinen Kontakt mehr zu der Freundin hast, könntest du ihr ja so eine Art Brief schreiben, in dem du alles schreibst, was dir noch auf dem Herzen liegt. Du musst den Brief nicht abschicken, behalte ihn für dich oder verbrenne ihn. Als eine Art Symbol dafür, dass du lernst, die damit verbundenen Gefühle und Erlebnisse loszulassen.


Selbstvertrauen stärken

Um anderen Menschen wirklich zu vertrauen, kommt es vor allem auch auf eines an: Selbstvertrauen. Wenn du dir selbst wirklich vertraust, kannst du das auch bei anderen. Im Falle einer Verletzung oder Ablehnung, wirst du eher besser damit umgehen und es überstehen können, wenn du auf deine innere Stärke baust. Hast du Selbstvertrauen, wirst du dich nicht so stark davon treffen lassen, es wird trotzdem weh tun, aber du wirst dich schneller davon erholen können. Wenn wir darauf vertrauen können, dass wir auch mit Verletzungen umgehen können, sind wir eher dazu bereit, anderen zu vertrauen und uns verletzlich zu machen.

Darum arbeite an deinem Selbstvertrauen und deinem Selbstwertgefühl. Ich lese zwischen den Zeilen, dass dir das schwer fällt, du wertest dich ab als eine Person, die nicht normal und rational sein kann und immer vom Worst Case Szenario ausgehst. Bitte hör auf, dich deswegen abzuwerten, es ist nicht schlimm und du brauchst dich deswegen nicht schlecht zu fühlen. Es ist absolut okay, dass du dich so fühlst und so bist. Du bist gut so wie du bist. Auch wenn es dir gerade schwer fällt, dich so zu akzeptieren, was ich verstehen kann. Aber du kannst nichts dafür, dass es gerade so ist.

Was du jedoch beeinflussen kannst, ist, dass du es als Teil von dir annimmst und dadurch auch versuchst, daran zu arbeiten. Du kannst dich ändern beziehungsweise, du kannst daran arbeiten, du kannst positiver denken und auch wieder Vertrauen fassen. Dafür musst du aber an dich selbst glauben. Du bist mehr als nur dein pessimistischer Anteil. Und versuche, darin den Sinn und das Positive zu finden: Es ist da, um dich zu schützen, vor Enttäuschungen und Verletzungen. Es ist sinnvoll, weil du dann eher vorsichtig bist. Du begibst dich nicht gedankenlos in eine Gefahr. Jedoch ist dieser pessimistische Anteil teilweise zu stark, sodass du keine Kontrolle über ihn zu haben scheinst. Aber auch daran kannst du arbeiten, indem du darauf achtest und rechtzeitig gegenlenkst und deine negativen Gedanken hinterfragst: Ist dieser negative Gedanke wirklich wahr?

Versuche unbedingt auch Geborgenheit und Sicherheit in anderen Dingen zu finden. Beispielsweise kannst du überlegen, ob es bestimmte Orte, Aktivitäten oder andere Menschen wie deine Familie gibt, bei denen du sicher bist und denen du vertraust. "Sammle" diese Dinge, widme dich diesen. Bei diesen Dingen kannst du Kraft tanken und vielleicht auch lernen, wieder neues Vertrauen zu schenken. Vielleicht kannst du diese Dinge auch mit deinem Kumpel verbinden, sodass es dir leichter fällt, ihm zu vertrauen.


Außerdem empfehle ich dir als Akut-Ratgeber die Nummer gegen Kummer (116 111 oder unter https://www.nummergegenkummer.de/und die Telefonseelsorge (0800.1110111 oder 0800.110222 oder unter der Webseite https://www.telefonseelsorge.de). Gerne kannst du uns aber jederzeit auch wieder schreiben, wenn du das Bedürfnis hast.

Hier verlinke ich dir noch eine Webseite, die dir weiterhelfen kann:
https://www.ich-habe-auch-angst.de/wege-wieder-vertrauen/

Ich wünsche dir von Herzen ganz viel Kraft und Mut sowie Vertrauen in dich selbst. Ich glaube an dich und daran, dass du das schaffen wirst.

Viele Grüße,
Lan