Problem von Anonym - 40 Jahre

Zukunftsangst

Hallo, ich weiß eigentlich gar nicht, wie und wo ich beginnen soll. Vielleicht erst mal zur Vorgeschichte. Mein Mann und ich sind seit 22 Jahren ein Paar (er war 14, ich 17) und seit 14 Jahren verheiratet. Wir haben 2 Kinder im Alter von 12 und 14. Wir waren eigentlich immer glücklich, bis ich 2012 Depressionen bekommen habe. Es sind einige Dinge vorgefallen (Stress mit den Schwiegereltern, Tod meines Opas, schwere Krankheit meines Vaters...). Ich habe damals angefangen, abzunehmen, um mein fehlendes Selbstbewusstsein zu ersetzen. Man muss dazu sagen, dass mein Mann noch nie wirklich Gefühle zeigen konnte, noch Sinn für Romantik hat. Somit habe ich es natürlich genossen, dass mich nach dem Abnehmen andere Männer wieder wahrgenommen haben, was mir von meinem Mann gefehlt hat. Was aber einfach an seiner Art lag. Ich habe mich allerdings von einem Mann manipulieren lassen und bin sogar mit ihm ins Bett gegangen. Meine Schuldgefühle danach haben mich fast aufgefressen und ich habe es meinem Mann gesagt. Ich war damals einfach nicht ich selbst. Die Krankheit hatte mich zu einem Menschen gemacht, der leichte Beute für diesen anderen Mann wurde. Mein Mann war sehr verletzt, hat mir aber letztendlich verziehen. Problem ist, dass ich es mir nie verziehen habe. Denn eigentlich haben damit unsere Probleme begonnen. Jetzt hat mir dieses Jahr im Mai mein Mann gesagt, dass er Gefühle für eine andere hat. Es ist so, dass er sich zu ihr hingezogen fühlt, er ist aber nicht direkt verliebt. Das Ganze begann im Dezember 2019 auf einer Weihnachtsfeier. Wir haben ein sehr langes und intensives Gespräch geführt, wo er endlich mal aus sich raus kam. Er sagte mir, dass er nach meinem Seitensprung überlegt hat, es mir heimzuzahlen. Ihm ist nur keine Frau eingefallen, die dafür in Frage gekommen wäre. Und dann zu dieser Weihnachtsfeier hat es ihn wohl einfach eiskalt erwischt. Er begann, an unserer Beziehung und an seiner Liebe zu mir zu zweifeln. Er sagte mir, dass er nicht weiß, ob unsere Ehe eigentlich noch existiert. Er sagte auch, dass er mich noch liebt, aber nicht mehr so innig wie früher. Ich wäre ihm immer noch sehr wichtig und er kann es sich eigentlich nicht vorstellen, mich nicht mehr um sich zu haben. Wir haben lange geredet und waren beide der Meinung unserer Beziehung (Ehe ist es für ihn nicht mehr) noch eine Chance zu geben. Die Monate nach dem Gespräch waren toll. Wir haben miteinander geredet, gelacht, geweint, Sex gehabt. Die Schmetterlinge waren zurück, auch bei ihm. Jetzt habe ich letzte Woche mitbekommen, dass er wieder auf Facebook mit dieser einen Frau befreundet ist, obwohl er eigentlich alle Freunde gelöscht hatte und Facebook stilllegen wollte. Ich habe ihn darauf angesprochen. Er sagte, dass es ihm wieder so geht, wie im Mai. Nur was er mir damals verschwiegen hat, war, dass er eigentlich immer öfter den Gedanken hat, sich eine eigene Wohnung zu suchen, dass er lieber alleine wäre. Um allen zu entkommen. Er beteuert immer wieder, dass er mir nicht weh tun will, dass er mich nicht verlieren will, und er weiß nicht, wie er mit den Gedanken umgehen soll. Ich hatte eigentlich das Gefühl, dass alles wieder gut war. Er hat sich die letzten Wochen nix anmerken lassen. Er sagte mir auch, dass er mittlerweile denkt, dass ich ihn mehr liebe, als er mich. Dazu muss ich sagen, dass das wahrscheinlich meine Schuld war. Seit Mai habe ich ihn immer wieder unter Druck gesetzt, mir seine Liebe noch offensichtlicher zu zeigen, habe immer wieder Liebesbekundungen eingefordert. Dabei war er nie der Gefühlsmensch. Er sagt auch immer wieder, dass er hofft, daß wir das schaffen. Aber ich habe so eine riesen scheiß Angst, ihn zu verlieren. Ich habe auch gesehen, dass er auf Instagram vielen Frauen folgt, die zum größten Teil Nacktbilder posten. Mit diesen Frauen kann ich einfach nicht mithalten. Heute morgen sagte er mir wieder: Ich lieb dich. Das sagt man doch nicht einfach so. Ich weiß einfach nicht, wie es weiter gehen soll. Ich bin am Ende. Ich denke auch, wenn er uns als Paar nicht mehr wollen würde, wäre er längst weg. Sein Arbeitskollege, mit dem er darüber gesprochen hat, meinte, vielleicht will er seine Jugend nachholen. Was soll ich denn jetzt tun? Ich liebe ihn so, auch wenn er manchmal ein Stoffel ist. Ich will ihn doch gar nicht ändern, er ist so der tollste Mensch für mich. Und dennoch nerve ich ihn ständig, dass er mir sagt und zeigt, wie sehr er mich liebt. Im Prinzip habe ich ihn dazu gebracht, lieber alleine sein zu wollen, als ständig mein Generve zu ertragen. Und dennoch kommt er jeden Abend nach Hause und nimmt mich in den Arm. Das macht man doch nicht nur aus Gewohnheit (dass in den Arm nehmen hat er früher nicht gemacht). Was war der Auslöser dafür, dass er jetzt wieder die Gedanken hat, die seit Mai eigentlich (zwar nicht ganz) fast weg waren. Kann es daran liegen, dass sein Schwarm jetzt einen Freund hat? Und dadurch alles wieder hoch gekommen ist? Kann es daran liegen , dass wir uns in diesem beschissenen Jahr Dank Corona nicht mal ne Auszeit nehmen konnten (geplant war Festival, Konzert und Urlaub). Ich habe damals auch ewig gebraucht, um über den anderen Typen weg zu kommen. Fast 2 Jahre. Das habe ich ihm auch gesagt. Aber er ist jetzt der Meinung, dass eine Beziehung für die man kämpfen muss, sehr schwer zu halten ist. Ich habe ihm gesagt, dass ich ihm bei diesem inneren Kampf helfen möchte, aber ich weiß nicht, wie. Er muss es ja auch von sich aus wollen. Und das ist der Fall, wie er mir gesagt hat. Bitte helft mir.

Nuala Anwort von Nuala

Liebe Unbekannte!

Es tut mir total leid, dass du derart verspätet erst eine Antwort erhältst! Ein großes Sorry dafür!
Gerade bei solchen Schilderungen wie der deinen ist es aber sicherlich überhaupt wesentlich, eine Antwort zu bekommen, weil die beschriebenen Probleme nicht einfach nach drei Monaten verschwunden sind. Die Ursachen reichen viel tiefer und somit habe ich die Hoffnung, dass du dich trotz der langen Wartezeit über meine Einschätzung freust.

Es gibt da euch als Paar und es gibt dich - und häufig übersehen wir, wie sehr wir die Dinge neu erschaffen können. Du musst nicht in passiver Angst vor der Zukunft verharren, wenn du im Hier und Jetzt aktiv an dir und eurem Miteinander arbeiten kannst; gemeinsam mit deinem Mann als Team. Ich werde nun zu diesen beiden groben Bereichen weiter ausholen.

Was auf jeden Fall schon sehr erfreulich ist, ist dass ihr grundsätzlich dazu in der Lage seid, intensive und ehrliche Gespräche miteinander zu führen. Manche Paare schaffen das nie. Ich empfehle dir, genau das weiter auszubauen, also eine konstruktive Gesprächskultur zu etablieren und durch Regelmäßigkeit, Respekt und Wohlwollen zu untermauern.

Wenn ich mir deine ersten Sätze ansehe, dann möchte ich genau darauf abzielen: Suche die Wahrheit und die Liebe zuerst in dir selbst.
Du scheinst noch nicht bei dir angekommen zu sein, was in der Konsequenz Schieflagen in deiner Ehe und in anderen sozialen Beziehungen nach sich zieht. Die Verunsicherung, das Vergleichen mit Anderen, deine Selbstabwertung (= mangelnde Selbstliebe und Akzeptanz), das Suchen nach Sicherheit in der Außenwelt - all das sind Folgen deiner seelischen Wunden. Vielleicht wäre eine Psychotherapie das, was dich dauerhaft aufrichten kann. Zumindest ein psychologisches Coaching, ggf. kombiniert mit einer Ehe- bzw. Paarberatung.

Du bist nicht "defizitär", sondern du bist ein Mensch mit einer ganz bestimmten Lebensgeschichte, die dich geprägt hat. Wer weiß, was da aus deiner Ursprungsfamilie und von deinen Vorfahren hinzukommt! Wir alle werden allein schon durch die Vorgeschichte unserer Eltern geprägt, erleben bestimmte Dinge im Mutterleib, sind dort z.B. Stress ausgesetzt und haben mitunter dramatische Geburtsbedingungen. Kindheit und Umfeld durch Familie, Schule, Dorf/Stadtgemeinde schaffen weitere Prägungen - im Guten wie im Schlechten. Und du hast einen einmaligen Charakter, du bist einmalig. Du existierst einfach und brauchst dich nicht als "toll" zu beweisen. Aber du hast eben gelebt und das zeichnet. Und du lebst weiter und kannst dich verändern! Wir können die Anderen nicht verändern, wohl aber uns selbst.

Du hast deiner Zuschrift den Titel "Zukunftsangst" gegeben. Das ist für mich nachvollziehbar. Denn zu Recht ist es fraglich, ob ihr genauso wie bisher auf Dauer weitermachen könnt, ohne euch zu entfremden. Zentral finde ich dabei, dass du weder das Vergangene noch das Zukünftige zu sehr in den Fokus bringst. Versuche so oft wie möglich, die Gegenwart zu erleben. Unser Leben spielt im Hier und Jetzt! Das, was vergangen ist, darf und muss dort bleiben. Und deine Zukunft gestaltest du zwar aktiv mit, aber sie sollte niemals dein Gegenwartserleben überlagern. Der Genuss ist genau jetzt, die Freude, die Verbundenheit, die gemeinsamen Aufgaben. Wenn wir den Moment bewusst erleben, viel mehr fühlen als zerdenken, die Dinge einfach so sein lassen, wie sie sich zeigen - dann können wir zufriedener und ausgeglichener sein. Das wiederum schafft Platz in uns, um z.B. neue Ziele zu stecken und genau zu sehen, was wir wirklich wollen und was nicht. Egal ob als Einzelperson oder in der Partner:innenschaft.

Dein Mann macht etwas sehr Schönes, wie ich finde: Er steht zu dir, trotz der Zweifel und der Herausforderungen. Er zeigt dir, dass Liebe still ist, dass Liebe einfach vorhanden ist. Er demonstriert dir, dass er deine Angst und deine Forderungen erträgt, weil er dich mit-trägt. Aus Liebe. Er muss dir nicht sagen, dass er dich liebt. Du spürst es doch. Höre auf dein Inneres! Du brauchst keine Vergewisserungen und Absicherungen durch Worthülsen und angeblich romantische Taten. Das sind alles Produktes des Denkens, nicht des Fühlens. Dein Mann liebt dich mit deiner gesamten Vergangenheit. Da ändern auch andere Personen nichts. Er hat sich entschieden, dich zu begleiten und dich auf seine Art zu unterstützen. Er zeigt es dir durch seine Umarmungen und bestimmt auch auf viele andere Weisen, die seinem Wesen entsprechen. Bestimmt wirst du sie immer mehr wahrnehmen, wenn du dich darauf einlässt. Wenn du akzeptieren lernst, dass eine Ehe stets von Herausforderungen durchzogen ist. Wenn du gute Kommunikation förderst und deine Bedürfnisse ehrlich und ohne Forderungen formulierst. Wenn du ihm zuhörst und ihn so annimmst, wie er eben ist.

Es scheint bei euch viel um Macht bzw. um Rechthaben zu gehen - Wer liebt "mehr", wer weniger? Wer tut mehr, wer weniger? Wer hat moralisch "versagt"? Das ist giftig. Leider ist das ein weit verbreitetes Phänomen. Wahre Liebe besteht aber einfach, ohne dass sie moralisch aufgeladen oder bewiesen werden muss. Ich kann einen anderen Menschen stets lieben, einfach so, ohne dass er das Gleiche für mich empfinden muss. Ich kann zu meiner Liebe stehen und dieser Ausdruck verleihen. Ohne zu erwarten, dass das dann freudig honoriert wird. Die Liebe ist einfach vorhanden - für alle und zu jeder Zeit. Sie ist unabhängig und nicht mit Zeit, Geld oder anderen Gütern zu messen.

Vielleicht kann es helfen, dass ihr euch ehrlich und wertungsfrei über eure Nähe-Distanz-Bedürfnisse austauscht. Dein Mann hatte ja das Thema eigene Wohnung ins Spiel gebracht. Das solltet ihr mal näher beleuchten. Möglicherweise steckt etwas Anderes dahinter bzw. ließe sich sein Distanz/Freiheitsbedürfnis anderweitig befriedigen. So natürlich auch mit allen anderen Themen und Wünschen, die ihr habt. Es ist zwar nicht immer alles sofort und vollumfänglich umsetzbar, doch allein der Austausch darüber ist sehr kostbar und schweißt euch als Paar zusammen.

Dann könntet ihr schauen, wie ihr euch trotz Corona kleine und größere Auszeiten aus dem Alltag schaffen könnt. Zum Glück sind eure Kinder schon so groß, das eröffnet neue Möglichkeiten! Wenn es nicht das Festival oder der angedachte Urlaub wird, dann eben etwas Anderes - anders ist ja nicht schlechter. Und eines Tages könnt ihr wieder wie geplant verreisen, darauf könnt ihr euch schon mal freuen :)

Ich würde dir noch gerne die Bücher von David Schnarch empfehlen. Darin gibt es echt viele erhellende Beschreibungen, Erklärungen von Paardynamiken usw.

In-Beziehung-Sein fängt also grundsätzlich mit der Beziehung zu uns selbst an. Und daraus ergeben sich immer weitere Kreise. Soll heißen: Wenn du mit dir selbst in eine positive Beziehung eintrittst, indem du dich annimmst, wie du eben bist, ohne dich im Kern verändern zu wollen, hast du schon ein super Fundament geschaffen. Wenn du also in den Frieden mit dir selbst gehst und beginnst, Dinge anzunehmen, anstatt sie bekämpfen zu wollen, wirst du in allen möglichen Bereichen positive Auswirkungen feststellen können, natürlich auch in der Beziehung zu deinem Mann. Denn alles um dich herum reagiert darauf, was du Gutes für dich tust.
Dabei sind dir ausgebildete Leute gerne behilflich, weil der Anfang oft steinig ist. Es wird dann aber immer leichter und schneller zu durchschauen - also wenn z.B. hinderliche Denkweisen hochsteigen, kannst du mit diesen effektiver umgehen als wenn du diese gar nicht erst erkennen kannst.

Ergänzend möchte ich dir noch eine ältere Zuschrift zeigen, die ich einmal beantwortet habe. Wir haben aber noch viele mehr, die du im Archiv finden kannst.
https://mein-kummerkasten.de/333139/Er-schlaeft-nicht-mehr-mit-mir.html

Ich hoffe, ich kann dir mit dieser Antwort etwas Zuversicht bringen und dir zeigen, dass du nicht allein bist. Du kannst dich selbstverständlich mit einem aktuellen "Lagebericht" an uns wenden - dann antworte ich auch viel schneller, versprochen!

Sei lieb gegrüßt,
Nuala