Problem von Anonym - 16 Jahre

Outing/Familie

Wir sind eine siebenköpfige Familie zwischen 15-24 Jahren, davon schon drei ausgezogen. Derzeit wohne ich mit meinen Eltern und meinen drei Brüdern zusammen, der Kontakt zu meiner Familie ist nicht sehr gut, ich werde von meinem Vater diskriminiert da ich schwul sein könnte und ich habe Angst mich zu outen auch wenn er es schon wissen konnte, tue ich so als wäre ich hetero, doch ich möchte mich eigentlich nicht mehr verstellen und komme mit diesem Problem seit etwa 3 Monaten nicht mehr zurecht, ich fühle mich einfach unwohl in meiner Familie. Daher suche ich hier Rat was ich dagegen tun kann, damit sowas ein Ende hat und ich wirklich der sein kann der ich wirklich bin.
Mit freundlichen Grüßen

Lan Anwort von Lan

Hallo Du! :)

Danke, dass du uns geschrieben hast, ich hoffe, meine verspätete Antwort kann dir trotzdem helfen.

Das klingt ja nach einer wirklich schwierigen Situation, in der du gerade steckst.
Ich lese klar heraus, dass du dich sehr unwohl damit fühlst, dich nicht so mit deiner sexuellen Orientierung zu zeigen, wie du bist. Es ist nur verständlich, dass du diese Unstimmigkeit merkst und damit auch große Probleme hast, schließlich verstellst du dich.


Coming-Out oder Doppelleben?

Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Es mag sein, dass viele damit zurecht kommen und sich niemals outen, aber die Mehrheit, denen es so geht wie dir, überwindet sich dann früher oder später. Und ich vermute, dass es am besten wäre, auch wenn es zu abwertenden und ablehnenden Reaktionen kommt oder eben auch zu Diskriminierung. Das ist immer schwer, damit umzugehen, tut weh und belastet auch sehr. Ich denke aber, dass es auf lange Sicht für dich belastender werden kann, wenn du dich weiterhin verstellst und das für dich behälst. Du bist dann nicht mit dir im Reinen, betrügst dich damit selbst und verdrängst damit auch einen Teil von dir. Du schaffst es nicht, authentisch zu sein und das wiegt schwer.

Du schreibst, du willst dich nicht mehr verstellen und kommst auch nicht mehr damit zurecht und fühlst dich unwohl in deiner Familie. All das sind ernste Gründe, die dir zu Denken geben sollten. Die dir Anreize geben sollten, dass du etwas daran ändern solltest. Nicht nur, scheinst du darunter zu leiden, auch deine Beziehung zu deiner Familie leidet, es wird immer etwas zwischen euch stehen, wenn du nicht offen und ehrlich bist.

Du fragst, was du tun kannst, damit sowas ein Ende hat und du der sein kannst, der du wirklich bist. Wenn du mal intensiver nachdenkst, wirst du die Antwort eigentlich selbst schon finden: Höre auf dich zu verstellen, oute dich und stehe zu deiner Homosexualität.


Welche Ängste habe ich?

Dein Dilemma ist, dass du das einerseits alles tun willst, aber auch Angst hast vor Diskriminierung, wie deine Familie darauf reagiert und wie sich das dann langfristig auf dich und eure Beziehung auswirkt. Du schreibst, dass der Kontakt ohnehin zu deiner Familie nicht so gut ist. Befürchtest du, dass der Kontakt dann sich verschlimmert oder gar komplett abbricht?

Ich rate dir: Befasse dich mit deinen Ängsten, die dich dazu bringen, dich zu verstellen. Frage dich generell, warum du dich verstellst. Und was könnte schlimmstenfalls passieren, wenn du dich outest. Was würde positives bei rauskommen?
Du müsstest dich nicht mehr verstecken, kannst zu dir und deinen Gefühlen. Du führst ein Leben im Einklang mit dir, musst keine Ausreden erfinden, nicht mehr lügen, du kannst offen und ehrlich sein. Und du kannst gleichgesinnte Menschen treffen. Und vor allem kannst du dich auch endlich ausleben und der sein, der du wirklich bist.

Wie würdest du dich damit fühlen? Es kann sein, dass es nicht gut bei deiner Familie ankommt, aber du hast darauf keinen Einfluss. Du kannst aber entscheiden, wie du damit umgehst. Frage dich selbst: Ist es dir wichtiger, du selbst zu sein oder den Erwartungen deiner Familie gerecht zu werden und nicht diskriminiert zu werden?

Es ist ja leider so, dass wir viele Dinge tun oder nicht tun, aus Angst und weil wir nichts verlieren wollen. Die Angst davor etwas zu verlieren oder verletzt zu werden ist meist großer als die Freude darauf, doch etwas zu gewinnen. Darum tun wir vieles, um etwas Negatives zu vermeiden. Doch auf Dauer macht uns das nicht glücklich.


Mit eigener Homosexualität befassen

Gerade vermeidest du einen Teil von dir, deine sexuelle Orientierung und spürst, dass es nicht richtig ist. Dabei ist nichts schlimmes dabei, dass du dich zum gleichen Geschlecht angezogen fühlst. Dein Vater scheint eine Abneigung demgegenüber zu haben, vielleicht weil er zu konservativ ist, wer weiß das schon. Aber wenn er damit nicht klarkommt, musst du wissen, ist es sein Problem nicht deins. Du machst nichts falsch und du kannst auch nichts dafür. Es ist auch wie gesagt nicht schlimm, weil es nicht DIE EINE richtige sexuelle Orientierung gibt. Es gibt eben verschiedene Orientierungen und das ist gut so, weil wir Menschen eben auch alle unterschiedlich sind.

Gehe bitte mal an dich und befasse dich auch mit deiner Homosexualität. Was für eine Meinung hast du dazu? Kannst du sie akzeptieren? Und wenn nicht: Warum fällt es dir so schwer? Kannst du sie nicht als einen wichtigen Teil von dir selbst akzeptieren? Wissen deine Freunde davon? Und wenn ja, wie stehen sie dazu? Du bist homosexuell und das ist auch gut so, daran gibt es nichts zu bewerten.


Du bist okay, so wie du bist

Und es kann vorkommen, dass negative Erfahrungen und Kommentare von anderen kommen. Und es kann auch wehtun und schwer sein. Doch du stehst zu dir selbst und weißt, dass es okay ist, so zu sein. Denn du bist du und auch dieser Teil an dir ist wertvoll. Bedenke, wenn Leute ablehnend und diskriminierend reagieren, hat das nichts mit dir zu tun, sondern nur mit deren Meinung gegenüber der Homosexualität. Das sagt nichts über dich aus, denn an der Homosexualität gibt es nichts, worüber man streiten sollte, das ist eben eine Prägung und Punkt. Wer das nicht akzeptieren kann und will, der hat das Problem, nicht du.


Wie gelingt ein Coming-Out?

Nun fragst du dich vielleicht, wie so ein Coming-Out funktionieren kann. Da gibt es kein richtig oder falsch, du musst deinen eigenen Weg finden. Manche müssen es langsam angehen und in kleinen Schritten probieren, andere schaffen es an nur einem Tag. Das musst du für dich selbst entscheiden, wie es dir am liebsten ist.

Wichtig ist aber, dass du dich auch anderen Menschen anvertraust und die dir beistehen. Von Freunden fällt es dir vermutlich leichter, dich zu outen und da ist die Wahrscheinlichkeit auch höher, dass sie eher positiv reagieren. Das kann dich in deinem Vorhaben, dich zu outen, nur stärken.

Und du solltest deine eigene Gefühle und deine Neigung akzeptieren. Dann wird es dir leichter fallen, mit Ablehnung und Verletzungen umzugehen. Versuche selbstbewusst zu sein und dazu zu stehen.

Gibt es vielleicht andere Homosexuelle aus deinem Freundes- oder Bekanntenkreis? Dann könntest du dich mit ihnen austauschen und gegebenenfalls auch mit deren Eltern.

Hilfreich wäre es, wenn du im Internet oder auch Büchern nach Informationen suchst, die du deinen Eltern geben kannst. Wenn sie bereit sind, sich darüber zu informieren, kann das auch viele Unsicherheiten und Ängste abbauen. Das hilft ihnen, dich besser zu verstehen und einen Dialog zu schaffen, wenn ihr da auf einem ähnlichen Wissensstand seid.

Am besten wäre es, wenn du mit deinen Eltern redest, wenn ihr gerade entspannt seid und alle Zeit haben. Vielleicht kannst du ja auch mit einem guten Freund oder einer guten Freundin, die davon wissen, das alles vorher besprechen, wie du genau vorgehen kannst. Und wenn es zum Streit kommt, was man nie weiß, könnte er oder sie dir beistehen.

Du musst, wenn du dich nicht traust, das auch nicht direkt ansprechen, vielleicht auch erst mal Andeutungen machen oder auch einen langen Brief schreiben und ihn deinen Eltern vorlegen, sodass du genug Zeit hast, über alles nachzudenken, was du ihnen mitteilen willst und auch deine Eltern können Bedenkzeit bekommen, müssen nicht sofort darauf reagieren, als im persönlichen Gespräch. Oder du lässt zufällig eine Zeitschrift für Homosexuelle zufällig offen liegen und dann könntet ihr anfangen, darüber zu reden.

Mache dich auch darauf gefasst, dass deine Eltern ganz unterschiedlich reagieren können: Einige sind verständnisvoll, andere schockiert oder werden aggressiv. Das kann leider alles passieren.

Eine Möglichkeit wäre auch, dass du vielleicht eine Beratungsstelle aufsuchst, wenn du dich allein nicht traust, kannst du ja jemanden mitnehmen, dem du vertraust. Hilfe und Unterstützung bekommst du auch von Sozialarbeitern beispielsweise bei Jugendclubs.


Wenn Eltern negativ aufs Coming-Out reagieren

Es kann sein, dass vor allem auch dein Vater sehr negativ darauf reagiert. Es wird ihm vielleicht am schwersten fallen, deine Homosexualität zu akzeptieren. Er müsste auch seine eigenen Werte überdenken und sich mit dem Thema auseinandersetzen. Vielleicht hat er tatsächlich eher eine negative Vorstellung von Schwulen und nun muss er sich damit direkt auseinandersetzen. Dann gilt es gemeinsam zu ergründen, warum dein Vater so ablehnend eingestellt ist.

Egal, wie deine Familie reagieren, du musst das akzeptieren, auch wenn die Reaktionen nicht so sind, wie du sie dir erhofft hast. Deiner Familie wird es vielleicht nicht leicht fallen, das zu akzeptieren. Nimm es ihr nicht übel, sie macht wie du auch eine schwere Zeit durch. Du solltest auf keinen Fall laut werden oder wütend und einen Streit anfangen, wenn sie es nicht verstehen und akzeptieren wollen. Gib ihnen Zeit und habe selbst auch Verständnis dafür.


Hier sind noch weitere hilfreiche Seiten, in die du mal reinschauen kannst:

https://www.feel-ok.ch/de_CH/jugendliche/themen/liebe_sexualitaet/themen/sex_orientierungen/coming-out/soll_ich_mich_outen.cfm
https://queer-lexikon.net/2019/10/30/kummerkasten-antwort-197-wie-oute-ich-mich-vor-meinen-eltern/
https://www.planet-wissen.de/gesellschaft/sexualitaet/homosexualitaet/pwieouting100.html
https://de.wikihow.com/Sich-vor-den-Eltern-outen

Ich empfehle dir auch die Online-Anlaufstelle mit entsprechendem Kummerkasten für weitere Anregungen: https://queer-lexikon.net

Das sind jetzt alles Ideen gewesen, was du nun tun kannst. Aber es gibt eben auch keinen Idealweg und du musst für dich entscheiden, womit du dich am wohlsten fühlst. Ich will dich jetzt auch nicht drängen, dich zu outen. Wenn du nicht bereit bist und nicht willst, dann ist das auch gut. Aber ich merke doch, dass es dir am Herzen liegt und du das nicht länger unterdrücken und verstecken willst, was dich auch ausmacht.

Aber bitte glaube an dich selbst, sei stark und stehe zu dir. Du hälst das durch, egal wie schwer es wird.

Ich wünsche dir alles Gute, ganz viel Kraft, Durchhaltevermögen und Mut. Du schaffst das sicher!
Wenn dir noch etwas auf dem Herzen liegt, schreib uns doch gerne.

Viele Grüße,
Lan