Problem von Lisa - 22 Jahre

Eltern möchten weit wegziehen

Hallo allerseits, ich bin Lisa und 22 Jahre jung. Ich wohne mit meiner jüngeren Schwester und meinen Eltern in einem kleinen Dorf.
Meine Eltern und ich haben ein gutes Verhältnis zueinander, haben aber auch oft Auseinandersetzungen, weil ich einige Sachen überhaupt nicht nachvollziehen kann. Ich versuche diese Sachen schon so gut es geht zu ignorieren und mich daraus zu halten. Das ist aber eine ganz andere Geschichte.

Damit ihr mein Problem genauer verstehen könnt, versuche ich euch mal die Vorgeschichte zusammenzufassen. Wir haben 20 Jahre lang in einem eigenen Haus in einem Dorf gewohnt und mussten aus finanziellen Gründen umziehen. Wir sind knapp 15 Auto-Minuten weg vom alten Dorf in ein Mietshaus in ein kleineres Dorf gezogen, wo wir derzeit auch noch wohnen. Ich mag dieses Dorf hier überhaupt nicht und es hat für uns lange gedauert sich wohlzufühlen. Dieses Mietshaus sollte aber sowieso eine vorübergehende Bleibe sein, weil meine Eltern etwas näher an eine Stadt ziehen wollen. Ich studiere (2. Semester) noch und bekomme etwas BAföG, wovon mir jeden Monat knapp 130 Euro übrig bleiben, deswegen bin ich noch auf den Wohnsitz meiner Eltern angewiesen.

Meine Mutter ist Sozialpädagogin und findet hier in der Gegend zurzeit keine Arbeit, mein Vater ist Frührentner. Meine Mutter hatte schon des Öfteren Bewerbungsgespräche und es waren immer wieder verschiedene Gründe warum die Arbeitsplätze ihr nicht zugesagt haben oder sie auch eine Absage bekommen hat. Zuerst kam sie auf die Idee sich als Freiberufler selbständig zu machen, nun ist der Gedanke aufgekommen weit wegzuziehen. In der Hoffnung da könnte man sich eine neue Zukunft aufbauen, wo sich schnell ein Job finden lässt. Dieser Ort liegt allerdings 430 km vom jetzigen Standort entfernt.

Meine Eltern haben mich gefragt, ob ich das jetzige Mietshaus mit meinem Freund einige Monate übernehmen könnte, damit sie sich das Leben dort, die Gegend und das Arbeitsangebot genauer anschauen können. Meine Schwester würden sie natürlich mitnehmen. Je nachdem wie es ihnen dort gefällt und meine Mutter mit den Bewerbungen Erfolg hat, würden sie dann auch in diesen 430 km weiten Ort ziehen. Sie wollen sich ohne Möbel einige Monate einen Eindruck machen und wenn meine Mutter dort keine Arbeit finden sollte oder es ihnen nicht gefällt, dann könnten sie ja ganz einfach wieder hier in das Mietshaus zurückkommen und hier weiter machen.

Ich bin seit 5 Jahren mit meinem Freund zusammen, dieser hat einen festen Arbeitsplatz und bekommt somit regelmäßig sein eigenes Gehalt. Er könnte die Miete theoretisch alleine übernehmen. Ich wäre mit ihm schon längst ausgezogen, wenn ich einen eigenen Job hätte und mein eigenes Geld verdienen würde. Ich möchte nicht finanziell von ihm abhängig sein und will nicht, dass er die Miete alleine stemmen muss. (Wir wären auch in Stadtnähe gezogen, wo die Miete direkt mal höher ausfällt)

Man muss dazu sagen, dass meine Eltern, besonders meine Mutter sehr abhängig von mir ist und Probleme mit dem Loslassen hat. Ich brauche nur wenige Tage bei meinem Freund zu sein, ich bekomme schon bevor ich überhaupt weg bin zu hören, dass ich ja nicht lange bleiben soll und wann ich denn wieder kommen würde. Wenn ich bei ihm bin bekomme ich Nachrichten, wie gerne sie mich bei ihr hätte, wann ich wieder komme, einfache Update Nachrichten über unsere Hunde oder allgemeine Sachen. Jetzt wollen sie aber selbst weit wegziehen, ich verstehe die ganze Sache nicht so wirklich.

Ich weiß ehrlich gesagt überhaupt nicht was ich davon halten oder denken soll. Meine Eltern haben mich zwar höflich gefragt was ich davon halte und ob mein Freund und ich uns das genauer überlegen könnten, trotzdem bin ich total überfragt. Jede Antwort und Entscheidung scheint mir die falsche zu sein.

Mir gefällt der jetzige Ort überhaupt nicht, warum sollte ich dann alleine mit meinem Freund hier bleiben, wenn wir uns für das Geld auch eine eigene Wohnung in Stadtnähe holen könnten, wo er schnell bei seiner Arbeit und ich schneller zur Uni kommen könnte? Nur damit meine Eltern dann die Möbel hier lassen und notfalls immer zurück kommen können? Außerdem möchte ich mich auch nicht direkt ohne vorher alleine gewohnt zu haben, um ein komplettes Haus kümmern, was für 4 Personen ausgerichtet ist. Der Ort hier liegt ziemlich abseits, bin also auf ein Auto angewiesen, was ich nicht besitze. Mein Freund benötigt ja sein Auto, um täglich zur Arbeit zu kommen. (Er arbeitet im Schichtdienst)
Wenn ich nein sage, mache ich allerdings automatisch einen Strich durch ihre Pläne und fühle mich damit auch nicht ganz wohl. Immerhin geht es ihnen mit der jetzigen finanziellen Lage auch nicht besonders gut und erhoffen sich eine bessere Zukunft.

Was haltet ihr von der ganzen Sache? Was würdet ihr an meiner Stelle tun? Ich bin ehrlich gesagt überfordert und möchte gerne eure Meinungen hören.

Liebe Grüße

Lisa

Lan Anwort von Lan

Liebe Lisa,

danke, dass du uns geschrieben hast und die Geduld hattest, auf unsere Antwort zu warten.

Das klingt nach einer wirklich schwierigen Situation. Ich sehe, dass du in einem Dilemma steckst: Einerseits willst du deinen Eltern einen Gefallen tun, nicht der Grund sein, weswegen sie ihre Pläne nicht realisieren können. Andererseits bist du aber auch unzufrieden mit deinem Wohnort, fühlst dich überfordert mit der Bitte deiner Eltern. Ich kann beides sehr gut nachvollziehen, ich wäre auch hin- und her gerissen an deiner Stelle. Da fällt natürlich die Entscheidung nicht leicht.

Ich würde spontan dich bitten, in dich zu gehen: Was sagt dir dein Bauchgefühl? Zu welcher Entscheidung tendierst du mehr? Ich finde, du solltest da auf dein Bauchgefühl hören und dich nur für etwas entscheiden, womit du dich gut fühlst.

Ich lese heraus, dass du dich damit gar nicht wohl fühlst und den Plänen deiner Eltern nicht zustimmen willst, was ich absolut nachvollziehen kann.
Natürlich verstehe ich deine Bedenken und dass du deinen Eltern ja irgendwie auch helfen willst, indem du dich zeitweise um das Haus kümmerst. Allerdings ist eine sehr große Belastung.


Gespräch mit den Eltern suchen

Am besten besprichst du das alles, was du uns geschrieben hast, mal mit deinen Eltern, wenn du das nicht bereits getan hast. Schildere es aus deiner Perspektive und dass du da zwischen den Stühlen sozusagen stehst. Hast du mit deinem Freund auch schon mal drüber geredet? Hole ihn auch mit ins Boot, schließlich würdet ihr vermutlich beide dort wohnen. Sprich am besten auch darüber, dass du es seltsam findest, dass sie weit wegziehen wollen, obwohl du den Eindruck hast, dass deine Mutter eigentlich am liebsten in deiner Nähe sein will. Frage deine Eltern, welche Gedanken dahinter stecken, wenn sie jederzeit die Chance haben, wieder in ihr altes Leben zurückzukehren. Wie wichtig ist ihnen diese Gewissheit und Sicherheit?

Ich frage mich gerade nur, wie sie für paar Monate dort ohne Möbel leben wollen. Würden sie sich dann ein Hotel nehmen oder in einer Pension wohnen?

Sprecht darüber, was auf dich zukommen würde, wenn du das Haus übernehmen musst. Was gäbe es zu tun und in welchem Umfang? Wäre es vielleicht zu viel für euch beide? Klärt auch ab, wenn etwas mit dem Haus sein sollte, irgendwelche Probleme aufkommen und du dann trotzdem die Chance hast, deine Eltern zu kontaktieren, die notfalls auch schon mal wieder zurückkommen. Vielleicht würde dir das auch ein Stück Sicherheit geben, dass du dich nicht komplett um das Haus kümmern musst bzw. es vielleicht weniger Aufwand ist, als gedacht. Wenn es nur zeitweise ist, könnte es schaffbar sein. Anders sehe es aus, wenn deine Eltern komplett wegziehen wollen. Dann solltest du auf dein Herz hören und klar sagen, dass du dir das nicht vorstellen kannst.

Hast du mal deine Eltern gefragt, warum sie sich gerade für diesen 430 Kilometer weit entfernten Ort entschieden haben? Was reizt sie daran? Gäbe es keine Alternativen? Wie zufrieden sind sie mit ihrem jetzigen Lebensort? Und warum fällt es ihnen so schwer, sich davon komplett zu verabschieden und den Neuanfang zu wagen?

Natürlich musst du nicht "Ja" sagen, wenn du Bauchschmerzen hast, dich um ein Haus zu kümmern. Vermittle deinen Eltern deine Bedenken und Sorgen und wie du dich damit fühlst. Versuche dich in die Lage deiner Eltern reinzuversetzen und zu überlegen, wie das wäre, für paar Monate in dem Haus zu wohnen. Natürlich will man seine Eltern nicht enttäuschen und ihnen auch etwas zurückgeben. Aber du darfst dich dabei nicht verbiegen und selbst belügen.

Ganz wichtig wäre, auch zu klären: Wie fühlst du dich damit, dass deine Eltern weit weg ziehen wollen? Das kommt aus deinem Text nicht so heraus. Würde es dir schwer fallen, sie gehen zu lassen? Oder siehst du das eher positiv oder gemischt?



Andere Alternativen

Ich habe den Eindruck, dass du dir zu viel Verantwortung aufdrückst. Es muss mit dir nicht stehen oder fallen. Es gibt auch andere Möglichkeiten, die ihr vielleicht noch nicht in Betracht gezogen habt. Du bist nicht verantwortlich, wenn deine Eltern finanziell nicht weiterkommen. Sie sind erwachsen und für sich selbst verantwortlich und müssten dann alternative Wege finden.

Vielleicht sollten deine Eltern noch einmal darüber nachdenken, ob deine Mutter sich nicht vielleicht doch selbstständig machen könnte? Oder gibt es vielleicht Möglichkeiten, an zusätzliche Hilfeleistungen zu kommen? Wie lange ist deine Mutter jetzt ohne Arbeit? Könnte sie sich vorstellen, noch etwas weiter zu suchen oder gibt es wirklich keine Hoffnung auf eine neue Arbeit?

Ich persönlich würde vielleicht auch vorschlagen, dass sich deine Mutter erst einmal nach einem Job umsieht, bevor sie umziehen. Es gibt Menschen, die das andersherum machen und es funktioniert. Aber mir wäre nicht wohl dabei so vollkommen ungewiss irgendwohin zu ziehen, wo ich nicht wüsste, dass ich einen Job finde oder nicht.

Gäbe es vielleicht auch die Möglichkeit, jemand anderen zu fragen, der zeitweise auf das Haus aufpassen könnte? Jemand aus dem Freundes- oder Familienkreis? Oder bestünde die Chance, das Mietshaus vielleicht auch unterzuvermieten?

Ich denke, dass man nicht zwangsläufig einige Monate wegbleiben muss, um den Ort besser kennenzulernen. Da reichen vielleicht auch schon mal 1 bis 2 Wochen finde ich. Klar, wird man dann einen noch besseren Eindruck kriegen, wenn man monatelang dort bleibt. Aber im Endeffekt ist es dann doch etwas anderes, als dort seinen richtigen Alltag zu verbringen.


Kompletter Umzug als Möglichkeit

Eine andere Möglichkeit wäre nun für deine Eltern, komplett umzuziehen und das Miethaus aufzugeben. Das wäre natürlich ein sehr großer Schritt, schließlich würden sie dann ihre Komfortzone verlassen, ihre Sicherheit aufgeben. Sie hätten kein Zuhause, das auf sie wartet, wenn es ihnen in dem neuen Ort nicht gefallen würde.

Aber sagen wir mal so: So geht es vielen Menschen mit Familien, die aufgrund des Berufes oder anderen Gründen in eine andere Stadt ziehen. Es ist mit einem Risiko verbunden, kann aber viele Chancen bedeuten. Du schreibst, ihr habt lange gebraucht, um euch hier wohl zu fühlen und einzuleben. Vielleicht wird es ja nun wieder Zeit für eine Veränderung? Euer jetziges Miethaus sollte eigentlich nur eine vorübergehende Bleibe sein. Eigentlich zieht es deine Eltern woanders hin. Dann wäre der Umzug ja sozusagen die große Chance, neu anzufangen.

Allerdings kann man nur einen richtigen Neuanfang machen, wenn man auch lernt, loszulassen. Vielleicht wäre das für dich und deine Eltern ein wichtiger Schritt in eurem Leben: Ihr verlasst das Mietshaus und fangt woanders neu an? Deine Eltern an einem neuen Ort? Und du ziehst vielleicht mit deinem Freund näher an die Stadt?


Loslassen ist schwer

Ich habe das Gefühl, dass deine Eltern und vor allem deine Mutter nur schwer loslassen können. Ob es nun an dem Haus, dem Ort oder an dir liegt. Sie wollen ihre Wurzeln nicht verlieren, was ich verstehen kann. Wenn man sich ein angenehmes Leben aufgebaut hat, will man das nur ungern wieder aufgeben. Aber vielleicht sollten deine Eltern auch mal nachdenken und darüber reden, wie wichtig und notwendig ein Umzug ist. Was ist ihnen wichtiger? Ein Neuanfang und dafür vielleicht finanziell mehr Sicherheit oder ihr Miethaus, das sie eigentlich nicht als letztes und vollkommenes Zuhause ansehen? Warum hängen sie so sehr daran?


Finanzielle Abhängigkeit vom Freund

Ein anderes Problem, das du ansprichst, ist, dass du dich nicht finanziell von deinem Freund abhängig machen willst, wenn ihr euch eine gemeinsame Wohnung in Stadtnähe sucht. Das kann ich auch verstehen. Aber so ist es leider, du studierst und bekommst viel weniger Geld, er dagegen mehr. Wäre es vielleicht für dich zeitlich schaffbar, nebenbei zu jobben? Dann hätte du finanziell mehr Spielraum. Wenn du dich nicht abhängig machen willst, könntest ihr vielleicht auch vereinbaren, dass du dann dafür vielleicht andere Dinge und Aufgaben übernimmst wie Haushalt machen. Oder wenn du dich unwohl fühlst, könntest du ihm, wenn du später einen Job hast, die Hälfte des Geldes, was er für Miete ausgegeben hat, zurückzahlen. Insofern könntest du ihm das zurückgeben und dann müsstest du kein schlechtes Gewissen haben. Somit hättest du zwar Schulden, aber dann wäre er auf lange Sicht dann wiederum entlastet. Frage dich aber auch, warum du dich unwohl damit fühlst, wenn er das Meiste an Geld ausgeben würde.


Es gibt keine richtige oder falsche Entscheidung

Du stellst dir am Ende selbst schon gute Fragen, auf die du unbedingt noch einmal eingehen solltest: Warum solltest du an deinem Ort bleiben, wenn es dich doch woanders hinzieht? Deinen Eltern zuliebe? Was hast du davon? Was ist dir wichtiger? Dass deine Eltern dann ein Zuhause haben, zu dem sie immer wieder zurückkehren können oder ein Zuhause, indem du dich wohlfühlst? Wie weit würdest du für die Wünsche deiner Eltern gehen? Welche positiven Seite hätte das? Und welche negativen? Du kannst nochmal in dich gehen, mit deinen Eltern und deinem Freund reden und dir dafür Zeit nehmen. Und irgendwann musst du zu einer Entscheidung kommen. Aber ich denke, selbst wenn du dich dagegen entscheidet und das Mietshaus nicht übernehmen willst, werden deine Eltern das auch verstehen. Sie werden dich trotzdem lieben und deine Entscheidung nachvollziehen können.

Wenn du mich fragst, gibt es keine richtige oder falsche Entscheidung: Du musst auf dich hören und was sich für dich gut anfühlt, ist auch für dich die richtige Entscheidung. Es geht hier auch um dich und um deine Lebenszeit. Überlege, wo du diese am liebsten verbringen willst.

Ich hoffe, ich konnte dir einige Anregungen zum Nachdenken geben. Wofür du dich im Endeffekt entscheidest, liegt bei dir. Diese Entscheidung kann und will ich dir nicht abnehmen, ich kann dir nur Möglichkeiten aufzeigen, wie du an diese Sache rangehen kannst.


Ich hoffe, dass du für dich eine Entscheidung triffst, mit der du gut leben kannst.

Viele Grüße,
Lan