Problem von Marc - 34 Jahre

Ein sehr guter Freund - Abstand halten oder Aussöhnen?

Hallo liebes Kummerkasten-Team,

ich hatte das Glück, vor etwa anderthalb Jahren auf einen Menschen zu treffen, der sehr schnell zu einem meiner besten Freunde geworden ist, ich nenne ihn A. Für etwa ein Jahr haben wir eine Menge Zeit verbracht, verstanden uns auf Anhieb gut und konnten uns alles anvertrauen. Eigentlich sind wir beide eher introvertiert und haben wenig sonstige Freunde, daher hat uns beiden diese innige Freundschaft sehr viel bedeutet.

Zwei Mal im betreffenden Jahr ging es mir nicht gut (aus anderen privaten Gründen, die hier nicht wichtig sind) und ich sagte A., dass es mir nicht gut geht und ich einen Freund um mich brauche. Beide Male hat A. abgelehnt, für mich da zu sein. Als Grund nannte er Dinge, die für mich wenig wichtig klangen - Routinetermine oder Haushaltsaufgaben, die er sich vorgenommen hatte. Es hatte mich beide Male sehr verletzt, dass er sich trotz dieser unwichtigen Hindernisse keine Zeit für mich nehmen wollte, zumal ich selber mir am Anfang unserer Freundschaft viel Zeit für ihn genommen und selber viele Termine verschoben hatte, als er mich dringend bauchte.

Es gab auch andere Momente, wo A. eine Entscheidung treffen musste und genau absehen konnte, dass eine der Optionen mich sehr verletzen würden. Die genauen Situationen zu beschreiben würde hier den Rahmen sprengen, aber jedes Mal, wenn er sich zwischen "sich" und "mich" entscheiden musste, hat er sich gegen mich entschieden, auch in solchen Fällen, bei denen mich das sehr getroffen hat und er das kommen gesehen hat.

Für mich ist es unverständlich, wie man einem Freund wissentlich wehtun kann, aber ich hatte ihm das immer verziehen, weil ansonsten alles so gut zwischen uns lief. Ich habe das ab und an auch ihm gegenüber im persönlichen Gespräch angesprochen, doch er hatte jedes Mal nur begründet, warum er sich so oder so entschieden hatte und hat nie die Einsicht entwickelt, mir wehgetan zu haben. Wenn ich explizit darauf hingewiesen habe, dass es eine Situation war, in der mir seine Entscheidung wehgetan hat, meinte er nur, ich übertreibe oder wäre überempfindlich oder er schwieg einfach dazu (was er gerne tat, wenn er mit unbequemer Meinung konfrontiert war).

Mit der Zeit trafen mich diese Dinge immer mehr und ich sah mich schließlich gezwungen, A. unsere Freundschaft aufzukündigen, als ich es nicht mehr ausgehalten habe. Ich habe ihm klar dargelegt, warum ich das tue, aber er hatte nichts darauf erwidert. Dies ist nun ein halbes Jahr her, in dem wir uns kaum gesehen oder gesprochen haben. Ich vermisse ihn sehr und ringe schwer damit, die Distanz zu halten, weil ich mir sage, es würde sich nichts ändern, wenn ich auf ihn zugehe und ihm neuerlich eine Chance gebe. Man soll Menschen ja nicht nachlaufen... Neulich war ich wegen unserer Kinder (die miteinander befreundet sind) bei ihm und habe ein paar Worte mit seiner Freundin gewechselt. Als ich ihn da kurz gesehen habe, habe ich mich sofort gefreut, wollte das aber nicht so offen zeigen und habe ihn nur knapp gegrüßt. Ich glaube aber, er hatte sich ebenso gefreut, mich zu sehen.

Wenn ich auf mein Gefühl hören sollte, würde ich die Aussöhnung mit ihm suchen (ich bin nicht nachtragend und kann ihm leicht verzeihen), aber mein Kopf sagt mir, dass er sich nicht geändert hat und mir neuerlich wehtun würde. Soll ich mich weiter zwingen, Abstand zu halten und mich unbewegt geben, wenn ich ihm doch irgendwo begegne? Ich kann mich gut mit anderen Leuten, meinen Kindern und meiner Frau ablenken, aber es vergeht kaum ein Tag, an dem ich mich nicht in irgendeiner ruhigen Minute dabei erwische, A. zu vermissen.

Vielen Dank im Voraus für euren Rat

Nuala Anwort von Nuala

Lieber Marc,

du hast eine interessante Zuschrift verfasst und ich verstehe sehr gut, wie hin - und hergerissen du dich fühlen musst. Freundschaftliche Themen gehen rasch tief und werfen elementare Fragen auf. Es ist nicht alles zuckersüß und leicht, nur weil wir befreundet sind.

Du hast dir im letzten Absatz im Prinzip schon fast selbst die Antwort auf die Frage nach dem "Was soll ich tun?!" gegeben.
Die Kurzantwort lautet in meinen Worten: Höre auf dein Herz und nutze den Verstand da, wo du ihn wirklich gebrauchen kannst. Damit meine ich, dass es sowieso nichts bringt, sich gegen Liebe zu wehren, da diese einfach vorhanden ist. Du liebst diesen Menschen und dein Herz weiß es. Nur dein Verstand wehrt sich dagegen. Doch im Prinzip ist es einfacher als es scheint: Du darfst diesen (ehemaligen) Freund immer noch lieben und wertschätzen - und vermissen. Aber ob ihr befreundet seid bzw. jemals wart, steht auf einem anderen Blatt.

Nun ausführlich:
Tatsächlich finde ich es in deiner Situation recht schwer, eure Ausgangslage und den Verlauf konkret einzuschätzen. Ich habe mich beispielsweise gefragt, ob es wirklich eine klassische Freundschaft zwischen euch gewesen ist, wenn ihr in recht kurzer Zeit so vertraut miteinander geworden seid. Vielleicht war es so, dass ihr manchen Hinsichten super Voraussetzungen für eine tragende Freundschaft mitgebracht habt, die dann _irgendwann, im Laufe der Zeit_, entstanden wäre. Ich bezweifle nämlich, dass man quasi über Nacht befreundet sein kann. Da kann Liebe sein, einfach Liebe. Die Liebe, die sich in Begeisterung, Zuneigung und Enthusiasmus äußert: Da ist jemand, der mir ähnlich ist, der mich versteht! Bei dem ich mich geborgen fühle.
Und doch: Wir können Ähnlichkeiten auch nur wahrnehmen, ohne dass sie objektiv gegeben sind. Wir können interpretieren, dass wir verstanden wurden.
Damit will ich sagen, dass es in gewisser Weise scheitern muss, wenn wir auf jemanden treffen und ihm alles zuschreiben, was wir freundschaftlich wollen, ohne dabei die realen Entwicklungen zu beachten. Ich habe nämlich den Eindruck, dass du sehr konkrete Erwartungen an deinen Freund gestellt hast. Einerseits verständlich und logisch. Freund:innenschaften funktionieren nicht "einfach so", da muss Zeit, Mühe, Aufmerksamkeit investiert werden. Und es müssen beide wollen. Es müssen beide eine innere Verpflichtung fühlen. Nur ist das mit den Erwartungen so eine Sache. Sie können (zu) fordernd sein und damit überfordern. Gerade dann, wenn es streng genommen noch keine über längere Zeit gewachsene Freundschaft gegeben hat, sondern in erster Linie gegenseitige Begeisterung und das Zugeständnis, miteinander Zeit und Intimität zu teilen. Das mag zunächst völlig nach Freundschaft aussehen, doch diese Faktoren kannst du genauso mit Menschen haben, auf die das Etikett "Freund:in" nicht zutrifft. Also beispielsweise bei Menschen, die du in einer Gruppenfreizeit kennenlernst, schnell auf einer Wellenlänge bist und durch die Macht der Situation und wahrgenommene Gemeinsamkeiten persönliche Infos ausgetauscht werden. Vielfach sieht man diese Leute nie wieder und kann sich im Inneren dennoch die gehaltvollen Erlebnisse bewahren.

Ja, vielleicht ist es so, dass besagter Freund in bestimmten Hinsichten Nachholbedarf hat. Gerade was ehrliche Kommunikation, Diskussionsverhalten und Zurückstecken der eigenen Prioritäten anbelangt, wenn es eben um spontanes Helfen geht.
Aber:
- Womöglich hat er dir damit immer wieder gespiegelt, wie wenig du dir selbst hilfst und wie sehr du dich auf ihn gestützt hast.
- Vielleicht zeigen genau diese gravierenden Abweichungen in eurem Verhalten, wie unterschiedlich ihr in Wahrheit seid und das für sich genommen schon gegen eine erfüllende Freundschaft spricht.
- Eventuell war es sinnvoll, dass alles so gekommen ist, wie es kam. Manchmal gehen die sozialen Bindungen verschlungene Pfade ein, sodass wir nicht sehen können, was uns hinter der nächsten Biegung erwartet. Mit Sicherheit sind es tolle Erfahrungen und dienen deinem persönlichen Wachstum.

Um den Bogen zum Thema Liebe zu spannen: Ich plädiere dafür, in den Frieden zu gehen, dich also für die generelle Liebe zu entscheiden, so wie es dein Herz auch weiß. Du verschenkst dich nicht, wenn du einfach ein Liebender bist. Wenn du in friedlicher Absicht auf dein Gegenüber zugehst und dafür sorgst, dass ihr einen entspannt(er)en Umgang im Alltag etablieren könnt. Das würde nicht nur euch beide, sondern auch euer Umfeld erleichtern, weil diese Gelöstheit sich stets positiv auf das soziale Miteinander auswirkt.
Du läufst ihm nicht hinterher, wenn du offen und friedfertig bist.
Doch du solltest gleichzeitig deinen Verstand sinnvoll einsetzen, indem du hinterfragst und reflektierst, welche Rolle Erwartungen in deinen zwischenmenschlichen Beziehungen spielen. Und was für dich essentiell für eine Freund:innenschaft ist. Das ist ja absolut richtig und wichtig, sich das klarzumachen! Doch du selbst bist dir immer der nahestehendste Freund, der für die Bedürfnisbefriedigung zuständig ist. Du kannst dich glücklich schätzen und dankbar sein, wenn du jemanden deinen Freund, deine Freundin nennen kannst, weil sich diese:r aus freien Stücken Zeit nimmt, dir zuhört und dich bedingungslos unterstützt. Und das auf Wechselseitigkeit beruht. Der springende Punkt ist aber eben, dass du nicht von einer an sich guten Basis zwischen dir und einer anderen Person darauf schließen kannst, dass sie das Zeug zu einer überdauernden Freundschaft hat. Das zeigt sich nämlich erst nach und nach.

Es ist auch ein Lernprozess, dass wir a) nicht dauernd etwas von unseren Mitmenschen erwarten sollten, b) dass sie uns unliebsame Wahrheiten aufzeigen, die wir gerne verdrängen oder leugnen, c) dass wir jemanden einfach so lieben können, ohne dass daraus etwas folgen muss. Und d), dass Akzeptanz so vieles leichter werden lässt.

Vielleicht werdet ihr ab jetzt in friedlicher Koexistenz miteinander sein können. Vielleicht ist es auch der Auftakt einer wahren Freundschaft, die erst in vielen Jahren ihre volle Blüte zeigt. Vielleicht ist es auch für immer vorbei mit der Nähe - alles möglich. Es ist gut so, wie es ist. Die Vergangenheit wird nie wiederkehren - du wirst immer neue spannende Erfahrungen sammeln und auch in Sachen Freund:innenschaft neue Wege beschreiten. Wichtig finde ich dabei, dass du die sozialen Beziehungen so annimmst, wie sie sich (vorerst) zeigen und respektierst, dass Menschen trotz wahrgenommener Ähnlichkeiten trotzdem nicht unbedingt gut zueinander passen bzw. die Bedürfnisse extrem auseinanderklaffen können.

Vielleicht ist er nicht der Mensch, der freundschaftlich so sehr mit dir kompatibel ist, wie du es dir erträumt hattest. Das ändert jedoch weder etwas an seiner persönlichen Bedeutung für dich, noch daran, dass du voller Zuversicht dein Leben gestalten kannst. Es werden sich neue Kontakte ergeben und daraus bestimmt auch neue Freund:innenschaften.

Solltet ihr es schaffen, euch dahingehend auszusöhnen, dass ihr Lust auf neue Unternehmungen bekommt, empfehle ich dir, dich selbst in deinem Denken und Fühlen zu beobachten. Wie schon geschrieben: Bleibe dir selbst treu und lasse dein Gegenüber so sein, wie es ist. Du ziehst deine Konsequenzen, musst dem Anderen aber nicht grollen. Jede:r Freund:in hat Macken, die wir sozusagen "mit einkaufen" (und ja, es gibt Menschen, da kommen wir mit den Ecken und Kanten bestens klar, brauchen diese sogar. Mit denen sind wir so eng, dass kaum ein Blatt Papier dazwischen passt. Das sind eben jene, die für sehr lange Zeit oder für immer an unserer Seite gehen).
--> Es kann helfen, die Ansprüche zu senken bzw. realistisch-pragmatisch zu sein: Mit Freund X kannst du gut seelische Intimität haben, aber nicht so gut diskutieren. Mit Freundin Y kannst du super Sport machen, aber emotional ist sie dir nicht so nahe. Mit Bekanntem Z hast du viele Interessen gemeinsam, aber ein wichtiges Interesse teilst du mit ihm nicht. Das ist eine Form von Nüchternheit, die echt hilfreich sein kann, chronische Enttäuschungen zu vermeiden: Du bist erst mit dir selbst im Dialog, um deine Bedürfnisse zu erforschen. Und danach kommen die anderen Menschen. Willst du gerade emotionalen Beistand, wählst du eine Person, die dafür gut geeignet ist. Willst du Spaß und Kurzweiligkeit, wählst du ggf. eine andere. - Aber ob diese Personen in dem Moment dann auch verfügbar sind, ist fraglich. Dann heißt es akzeptieren und Alternativen suchen, wenn es eine Absage gegeben hat. Es ist so wie in Liebesbeziehungen: Ein einzelner Mensch kann niemals alles leisten, was sich ein anderer erhofft. Und das ist auch gut so.

Es gibt in der aktuellen "Psychologie Heute Compact" über Trauer einen lesenswerten Beitrag zum Thema Ende einer Freund:innenschaft. Er könnte dir hilfreiche Impulse bieten.

Ich wünsche dir einen wundervollen Frühling mit all seinen Neuanfängen, die du auch auf dich übertragen kannst.


Ich grüße dich,
Nuala