Anwort von Lan

Liebe R,

danke, dass du dich uns anvertraut hast. :)

Ich freue mich sehr für dich, dass du so mutig bist und dich getraut hast, eine Beziehung mit einer Frau zu beginnen und jetzt zu pflegen. Das kostet viel Überwindung, das kann ich mir vorstellen.
Darauf kannst du stolz sein!
Es ist total schön, dass du dich damit gut fühlst und neue Erfahrungen gewonnen hast, die deinen Horizont erweitern.


Probleme mit dem Outing

Ich kann mir vorstellen, dass es dich sehr belastet, dass du dich bisher nicht geoutet hast. Deine Sexualität ist ja auch ein wichtiger Teil von dir, den du gerne auch sicher offen ausleben und nicht verstecken willst. Zumal die Beziehung ja auch für dich ein Stück Lebensfreude ist, die du vielleicht auch gerne offen mit anderen teilen willst wie deiner Familie.

Es ist schade, dass es nach wie vor schwierig ist, sich mit einer "anderen" Sexualität als der heterosexuellen offen zu zeigen. Obwohl unsere Gesellschaft sehr viel moderner und offener geworden ist, ist es leider immer noch nicht selbstverständlich.

Ich kann deine Ängste verstehen. Du fürchtest dich davor, dass deine Familie dich ablehnt, weil deine Sexualität eben nicht der der heterosexuellen entspricht, die ja immer noch irgendwie als Norm gilt für viele. Alles andere ist nach gesellschaftlichen Maßstäben leider immer noch anders.


Wie wichtig ist dir das Outing?

Ich kann dir jetzt nicht genau sagen, was du tun solltest. Das musst du für dich selbst entscheiden. Höre auf dein Herz, gehe noch einmal in dich. Wie wichtig ist es dir, dass jemand anderes noch Bescheid weiß? Wie sehr belastet es dich wirklich, dass du es deiner Familie anvertrauen musst?

Ich halte es für eine gute Idee, es vielleicht erst einmal nur deiner Schwester anzuvertrauen, wenn du bei ihr ein gutes Gefühl hast. Aber ich kann auch verstehen, dass du dir Zeit lassen willst, weil es eben noch frisch ist mit deiner Freundin. Ich denke aber nicht, dass sich das Problem des Outings löst, wenn du dann vielleicht doch keine Freundin mehr haben solltest. Du fühlst dich ja immer noch zu Frauen hingezogen und das geht auch nicht weg, das scheint schon ein fester Teil deiner Sexualität zu sein. Insofern wird es wohl länger etwas sein, was dich beschäftigt.
Das wäre meine Ansicht.


Du entscheidet, wie, wann und bei wem du dich outest

Es gibt Menschen, die ihre sexuelle Orientierung verschweigen und auch gut damit leben. Viele andere können das aber nicht und wollen lieber reinen Tisch machen und sich und anderen nichts mehr vorgaukeln. Du müsstest jetzt in dich gehen und ergründen, auf welcher Seite zu stehst. Du musst dich eben aber auch nicht komplett outen, wenn du dich damit nicht wohlfühlst. Es muss nicht jeder wissen, du entscheidest, wem du was und wie viel preisgibst von dir selbst. Vielleicht reicht es also auch, wenn nur wenige davon Bescheid wissen?

Du kannst dich auch mal mit den Vorteilen und Nachteilen des Outings befassen und schauen, wo es dich mehr hinzieht.

Um ein paar Vorteile zu nennen:
- Du könntest deine sexuelle Orientierung offen zeigen und ausleben
- Du musst dich nicht mehr verstellen
- Du musst nicht mehr lügen und musst nichts mehr verheimlichen
- Du kannst du selbst sein
- Du findest eher Gleichgesinnte

Die Nachteile wären:
- Du könntest Vorurteile, Ablehnung, Kritik und Diskriminierung erfahren
- Deine Eltern könnten sich zurückziehen oder anders negativ reagieren


Es gibt allgemein keinen richtigen oder falschen Weg, sich zu outen. Manche wollen es langsamer und in kleinen Schritten angehen. Andere lassen es von einem Tag auf den anderen geschehen. Jeder muss für dich selbst entscheiden, wie er sich outen will. Es liegt also ganz bei dir.


Austausch und Unterstützung suchen

Wie wäre es, wenn du mal mit deinen Freundinnen darüber redest? Was halten sie davon? Oder kennst du vielleicht andere Bisexuelle oder Homosexuelle, die sich schon mal geoutet haben? Welche Erfahrungen haben sie gemacht? Du könntest dich in entsprechenden Foren informieren oder eben auch Erfahrungsberichte von Menschen durchlesen, die sich geoutet haben.

Wenn du dich nicht outen willst oder eben nicht vor allen Leuten, die du kennst: Dann ist das auch absolut okay! Oder wenn du sagst, jetzt erstmal nicht, dann ist das in Ordnung. Niemand zwingt dich dazu. Du entscheidest das wie gesagt selbst. Du solltest nur immer in dich reinfühlen und horchen, was sich für dich am besten anfühlt.

Vielleicht gibt es auch bei dir in der Nähe eine Beratungsstelle oder eben auch Jugendgruppe für schwule, lesbische und bisexuelle junge Menschen. Dort findest du sicherlich auch Unterstützung und gute Anregungen.


Du bist gut so, wie du bist

Vergiss nicht: Du bist ein tolles Mädchen. Und du bist toll auch mit deiner Sexualität. Du wirst sehen, wenn du dich mit anderen Menschen austauscht, die homosexuell oder bisexuell sind: Du bist nicht allein damit. Und du musst dich dafür nicht schämen oder schlecht fühlen. Deine Sexualität ist genauso normal wie jede andere auch, es gibt eigentlich genau genommen kein "normal", weil wir alle so vielseitig, bunt und einzigartig sind. Vergleiche anzustellen, ist eigentlich sinnlos.

Erstmal mit eigener Sexualität befassen und sich selbst finden

Vielleicht reicht es auch, dass nur deine Freundinnen davon wissen. Das ist ohnehin gerade eine schwierige Phase, die du durchmachst. Du bist gerade noch dabei, dich selbst zu finden, dich mit deiner Sexualität zu befassen. Du entdeckst sie gerade erst für dich, in dieser spannenden Beziehung. Du lernst dich, deine Bedürfnisse kennen und gewinnst neue Erfahrungen. Vielleicht musst du erst einmal anfangen, deine Sexualität zu akzeptieren. Das geht aber nur, indem du dich mit ihr befasst, gute Erfahrungen sammelst. Nach und nach wirst du eine stärkere Bindung zu ihr haben und sie mehr und mehr akzeptieren. Das wird dir auch helfen, sie vor anderen zu zeigen.

Vielleicht konzentrierst du dich auch erst einmal darauf und setzt dich mit den sexuellen Erfahrungen und dir selbst auseinander, bevor du dich outest? Alles zu seiner Zeit - ein Spruch, der auch gut zu deiner Situation passt. Genieß das, was du gerade erlebst, lerne neues über dich und deine Freundin kennen.


Ich habe dir noch hilfreiche Links zusammengestellt. Schau gern mal rein:

https://www.feel-ok.ch/de_CH/jugendliche/themen/liebe_sexualitaet/themen/sex_orientierungen/coming-out/soll_ich_mich_outen.cfm
https://mein-kummerkasten.de/333218/Outing-Familie.html
https://mein-kummerkasten.de/330552/Wie-sollte-ich-mich-am-besten-outen.html
https://www.liebesleben.de/fuer-alle/sexuelle-orientierung/coming-out/
https://www.regenbogenportal.de/informationen/comingout-als-schwul-lesbisch-bi-pan-queer
https://queer-lexikon.net/2019/07/31/kummerkasten-antwort-115-soll-ich-mich-outen/

Hier noch einige Erfahrungsberichte von Frauen in ähnlichen Situationen:
https://www.jetzt.de/liebe-und-beziehung/ayla-ist-lesbisch-und-traut-sich-nicht-sich-vor-ihren-freundinnen-zu-outen
https://ze.tt/sie-liebt-frauen-und-allah-muslima-queer/
https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/islam-homosexuell-als-muslim

Hier sind noch spezifisch queere Beratungsangebote:
https://comingout.de (Lambdas Chat- und Mail-Beratung für queere Jugendliche)
https://lesmigras.de/angebote.html (Beratung per Telefon, Mail oder vor Ort für lesbische, bisexuelle und queere Frauen sowie für trans und inter Menschen, vor allem auch für Migrant*innen und Frauen of Color)

Ich habe auch ein muslimisches SeelsorgeTelefon gefunden, das noch mal speziell etwas für dich wäre: https://www.religionen-entdecken.de/lexikon/m/muslimisches-seelsorgetelefon


Fernbeziehung

Eine Fernbeziehung zu führen, ist keine leichte Sache. Ich spreche da auch aus Erfahrung, da ich selbst ein Jahr lang eine geführt habe. Die Distanz und fehlende räumliche, körperliche und emotionale Nähe kann schon belastend sein. Du vermisst deine Freundin sicherlich sehr und sehnst dich nach persönlichen Treffen, die ja so wichtig auch für eine Beziehung sind. Hast du das Gefühl, dass ihr euch nicht nahe genug seid, also emotional? Dann sprich unbedingt mit ihr, schildere, wie du dich fühlst, was dich stört, was du vermisst. Ihr könnt und solltet über eure Gefühle und Bedürfnisse in einer Beziehung reden. Ihr könnt dann gemeinsam schauen, was ihr dann ändern könnt. Eine Beziehung läuft ja nicht von allein, sie braucht Einsatz von beiden Seiten, Beziehung bedeutet immer viel miteinander reden und daran arbeiten, damit beide glücklich sind.


Schlussendlich kann ich dir nur dazu ermutigen, dich mit all den Dingen, die ich dir geschrieben habe, auseinanderzusetzen. Ob du dich outest oder nicht, das musst du für dich entscheiden. Es gibt kein richtig oder falsch, du musst dich nicht vor jedem outen, wenn du das nicht willst. Aber was du wirklich willst und womit du dich am besten fühlst, das kannst nur du herausfinden. Ich hoffe aber, dass ich dir ein paar Denkanstöße geben konnte, die dich weiterbringen.

Wenn du noch etwas auf dem Herzen hast, schreib uns gern.

Beste Grüße,
Lan