Problem von Sandra - 30 Jahre

Triggernder Unterrichtsinhalt?

Hallo liebes Kummerkasten-Team,

Ich heiße Sandra, bin zur Zeit 30 Jahre alt und mache Momentan die Ausbildung zur Erzieherin. Die Ausbildung erfolgt vollzeit schulisch und ich bin sehr glücklich, dass ich mich dazu entschieden habe diese Ausbildung anzufangen.
Allerdings habe ich ein Problem, welches mich im Moment sehr beschäftigt und bei dem ich selber nicht wirklich weiß, wie ich da handeln soll.
Nach den Ferien starten wir in einem Fach in der Schule mit Projektarbeiten, welche wir in Gruppen bis zum Ende des Schuljahres bearbeiten werden und eine Gruppe (nicht meine Gruppe) hat das Thema psychische Erkrankungen bekommen. An sich ein interessantes Thema, über das man auch nie genug wissen kann, aber ich befürchte, dass die Gruppe sich auch mit dem Bereich des selbstverletzenden Verhalten auseinander setzen wird und dieses somit auch bei ihrer Präsentation ansprechen werden.
Da ich selber lange Zeit SVVler war, befürchte ich, dass mich das ganze triggern könnte, obwohl es mir grundsätzlich nicht so viel ausmacht, mich damit auseinander zu setzen. Aber gerade weil ich weiß, dass die Schule allgemein, mit Leistungsbewertung und eigenem Leistungsdruck an sich mich immer noch triggert. Bisher kann ich ganz gut damit umgehen und bin nicht rückfällig geworden, aber wenn das im Unterricht explizit beschprochen wird, ist das doch noch mal eine andere Situation.
Ich habe schon darüber nachgedacht, mit dem entsprechenden Fachlehrer darüber zu sprechen und nach einer Lösung zu suchen, aber ich weiß nicht ob ich das kann. Bisher habe ich das immer alles mit mir selber ausgemacht und nie darüber geredet. Ich habe auch die Befürchtung, dass der Lehrer mir das ganze vielleicht nicht glauben wird, weil ich schon immer sehr darauf geachtet habe, dass ich nicht so tief in meine Arme schneide, dass Narben zurück bleiben. So war es für mich natürlich auch viel einfacher, dass ganze geheim zu halten und mir selber einzureden, dass es ja alles gar nicht so schlimm war, so ohne Narben.
Mittlerweile weiß ich, dass das SVV keine Lösung für irgendwelche Probleme ist, aber trotzdem habe ich manchmal noch damit zu kämpfen, es nicht zu tun.
Und obwohl man mit meinem Lehrer echt gut reden kann und er auch echt nett ist, weiß ich nicht ob über dieses Thema mit ihm reden kann. Aber gibt es eine Andere Lösung? Ich will mich am Tag der Präsentation von der anderen Gruppe auch nicht einfach krank melden, dann würde ich vor dem Problem doch auch nur davon laufen. Ich weiß wirklich nicht so genau was ich machen soll und befasse mich momentan viel zu viel mit dem Problem, was mir echt nicht gut tut.
Vielleicht hilft mir die Meinung einer außenstehenden Person, dass ganze noch mal zu überdenken und für mich die beste Lösung zu finden.

Viele liebe Grüße
Sandra

Nuala Anwort von Nuala

Liebe Sandra,

ich vermute, dass dich meine Antwort zu spät erreicht. Doch wie immer hoffe ich auch bei dir, dass ich dir den ein - oder anderen hilfreichen Gedanken mitgeben kann.

Vorab finde ich es sehr schön zu lesen, dass du mit deiner Ausbildung glücklich bist. Das finde ich äußerst wichtig. Gerade auch hinsichtlich einer Zukunft, die so oft durch Umbrüche gekennzeichnet ist. Klar, wir wissen nie, was alles noch kommen möge. Doch für das aktuelle Grundgefühl ist es toll, die Gewissheit zu haben: Hier bin ich richtig, hier kann ich mich einbringen!

Nun zum Anlass deiner Zuschrift - möglicherweise liegt der Präsentationstag auch schon hinter dir. Dann würde es mich interessieren, wie du damit umgegangen bist.
Ich gebe dir Recht: Meistens ist die Auseinandersetzung dienlicher als das Vermeiden. Eine entsprechende Vorbereitung vorausgesetzt!

Falls er noch vor dir liegt, kann ich dir sehr empfehlen, _generell_ mit anderen Menschen über deine Empfindungen zu sprechen. Du hast deinen Fachlehrer benannt. Ja, das kann natürlich eine Option sein und eine gute Absicherung für den Fall der Fälle. Allerdings ersetzt es nicht den generellen "gesunden" Umgang mit deiner Vergangenheit und mit Triggern im Allgemeinen. Ich sehe das Gespräch mit ihm als einen Baustein von mehreren.
Zum Sich-Offenbaren schreibe ich weiter unten noch mehr.

Einmal losgelöst vom Aspekt des Getriggert-Werdens gibt es immer wieder Situationen, Begebenheiten - einfach Auslöser, die uns nachdenklich und aufgewühlt werden lassen. Ich sehe das als tolle Möglichkeit, sich selbst nahe zu kommen und sich aktiv mit inneren Wunden und ungeklärten Problemaktiken auseinanderzusetzen. Es ist also keine Bedrohung, die rasch eliminiert werden muss, wie es oft fehlgedeutet wird.
Es ist nicht nur ein elementarer Bestandteil unseres Lebens, sondern auch ein Schritt in Richtung Gewinn an Lebensqualität. Erst dann, wenn wir begreifen, dass alle Gefühle und Gedanken bei uns sein dürfen und zu uns gehören, können wir ein entsprechendes Maß an Freiheit haben. Erst durch das mutige Auseinandersetzen mit den angstmachenden Themen können wir die Fesseln sprengen, die uns klein und ohnmächtig halten.

Es wirkt auf mich so, als hättest du schon einen Weg für dich gefunden, dich nicht mehr zu ritzen. Das ist eine große Errungenschaft, auf die du sehr stolz sein kannst!

Gleichzeitig klingt es für mich so, als wären die Ursachen noch nicht so richtig aufgearbeitet. Vielleicht wäre das etwas für die kommenden Monate: Dass du dich bewusst deiner Vergangenheit stellst und auf die Gegenwart bezogen schaust, wie du dich so im Leben verankern kannst, dass du emotional und gedanklich nicht "fortgerissen" wirst, wenn es entsprechende Anlässe gibt. Dein aktuelles Beispiel passt da gut: Es scheint unter der Oberfläche noch genug zu geben, was möglicherweise zu brodeln beginnen könnte.
Eine Psychotherapie wäre denkbar. Es könnte aber auch ein psychologisches Coaching als Begleitung über einige Wochen reichen. Oder eine einmalige psychologische Beratung (z.B. in einer psychosozialen Beratungsstelle oder bei einer Coachin/einem Coach). Das könntest du anhand deiner Biographie entscheiden.

Mit anderen Menschen zu sprechen birgt enormes Erleichterungspotenzial. Es können so viele Knoten platzen, Dämme brechen, Tränen fließen. Ja, Tränen! Oftmals wird genau das vermieden, denn was sollen denn alle denken, wenn ich losheule?! Doch genau das sehe ich als Teil des Grundproblems. Solange wir deckeln und verschweigen, lösen wir unsere Sorgen nicht. Der Kummer ist ja vorhanden und will angeschaut werden. Auch gemeinsam mit anderen Menschen. Das sollten schon eher Bezugspersonen sein, aber es spricht auch nichts dagegen, mal in aller Öffentlichkeit zu weinen und zu sagen: Das geht mir nahe! Beispiel Unterrichtssituation. Was vordergründig im Kopf als "Horrorszenario" gehandelt wird, kann das befreiendste überhaupt sein. Weil es nicht nur ehrlich ist, sondern auch den Druck ablässt. Und dich als echten Menschen, der naturgemäß verletzlich ist, zeigt. So kann die Anteilnahme deiner Klassenkamerad:innen überhaupt erst entstehen!

Es ist sicherlich auch sehr unterschiedlich, wie verschiedene Bezugspersonen mit intimen Themen umgehen. Deswegen ist mein Tipp, diese sorgsam auszuwählen und im geeigneten Setting einzuweihen bzw. wieder darauf zu sprechen zu kommen. Vielleicht hast du ja auch sehr liebe Freund:innen, die von sich aus nachfragen, wie es dir mit deiner SVV (oder anderen Dingen, welche dich schon einmal beschäftigt haben) geht. Das ist wunderbar, solche Leute um sich zu haben! Es hilft nicht nur, über das Belastende an sich zu reden, sondern festigt auch die Bindung, schafft weiteres Vertrauen. Also wenn du schon solche Beziehungen hast, solltest du dich da auch öffnen und das/die Gegenüber teilhaben lassen. Ein weiterer Vorteil davon ist auch noch, dass du selbst auch mehr an den Gefühlen und Gedanken dieser Person(en) teilhaben kannst. Das ist eine sehr kostbare Form der Verbindlichkeit :)
Eine andere Form des mündlichen Austauschs besteht in Gruppenerfahrungen außerhalb des Freundeskreises bzw. der Familie. Es gibt zu vielen Bereichen Gesprächskreise und Selbsthilfetreffen. Das ist oftmals leichter, da klar ist, dass alle mehr oder weniger die Erfahrungen teilen und auch weniger Hemmung vorhanden sein kann, sich zu öffnen (nach dem Motto: Hier steht keine soziale Bindung auf dem Spiel...).

Was für das Darüber-Sprechen gilt, ist auch auf das Schreiben übertragbar. Entweder schreibst du selbst für dich und/oder an Andere. Das hat auch einen sehr erleichternden Effekt. In Frage kommen z.B. Tagebücher, Briefe, Postkarten, Blogs, private Onlinegruppen, Chats, Foren, usw.

--> Also: Je mehr du dich in deiner Freizeit schon seelisch erleichterst, desto gelassener wirst du im beruflichen Kontext mit triggernden Situationen umgehen können!
Speziell den konstruktive Umgang mit Leistungdruck/Versagensängsten würde ich aus deiner Beschreibung extrahieren und betonen.

Immer gern empfehle ich die Bücher "Gedanken verändern Gefühle" von Greenberger/Padesky sowie "Das Kind in dir muss Heimat finden" von Stefanie Stahl. Bestimmt könnten sie dir eine gute und unterstützende Lektüre sein. Selbstverständlich gibt es auch viele andere klasse Bücher/Internetseiten/Videos.

Ich verlinke dir jetzt mal ganz viel Material zum Weiterlesen, was ich als Ergänzung/Vertiefung sehe.
* Beispielhaft für ein Forum: https://www.psychologieforum.de/albtraeume-leistungsdruck-in-der-schule-gedanken-an-svv-19994.html
* https://mein-kummerkasten.de/Soforthilfe/50/Kommunikation.html
* https://mein-kummerkasten.de/Soforthilfe/31/Professionelle-Hilfe-Wie-finde-ich-einen-Psychotherapeuten.html
* https://mein-kummerkasten.de/Soforthilfe/30/Ich-ritze-mich-was-kann-ich-tun.html
* https://mein-kummerkasten.de/328158/Aggressionsabbau.html
* https://mein-kummerkasten.de/327526/Die-Angst-es-nicht-zu-schaffen.html
* https://mein-kummerkasten.de/330409/Arbeit-alles-zu-viel.html
* https://mein-kummerkasten.de/332541/Meine-langjaehrigen-Probleme-mit-der-Kommunikation-mit-Menschen.html
* https://mein-kummerkasten.de/331090/Zwangsgedanken-handlungen.html
* https://mein-kummerkasten.de/275080/Zu-viel-Selbstkritik-und-Zweifel.html
* https://mein-kummerkasten.de/329999/Ich-kann-nicht-mehr.html
* https://mein-kummerkasten.de/159420/Ich-glaube-nicht-an-mich.html


Ich wünsch dir alles Liebe und gutes Gelingen bei deiner Themenbewältigung.

Viele Grüße!
Nuala